Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Über die Letzten Dinge (Teil 18)

27. Juni 1999

Der Himmel, die ewige Gemeinschaft mit Christus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn der Mensch von Selbstsucht und Eigenherrlichkeit frei ist, dann kommt er nach dem Tode in den Himmel. Der Himmel ist der Zustand der vollendeten Gottesherrschaft und des vollendeten Heils. Das Wort Himmel wird in verschiedener Bedeutung gebraucht. In einer Bedeutung weist es auf das Himmelsgewölbe hin, das sich über der Erde wölbt, es ist also der Ort der Sterne und der Wolken, und dafür haben die Engländer einen eigenen Namen, sie nennen diesen Himmel „sky“. Davon verschieden ist der Himmel als Wohnsitz Gottes, als Gott vorbehaltener Raum; diesen Begriff des Himmels bezeichnen die Engländer mit dem Worte „heaven“. Wie schön, daß diese Sprache einen doppelten Ausdruck für eine doppelte Wirklichkeit hat! Denn wenn wir sagen: Gott ist im Himmel, dann meinen wir natürlich nicht, daß er bei den Wolken und bei den Sternen ist, sondern wir meinen, daß er anders ist als alles, was irdisch ist. Es wird damit seine Andersartigkeit, seine Überlegenheit, seine Personalität ausgedrückt.

Die Frage, wo sich der Himmel befindet, ist von uns nicht zu beantworten. Selbstverständlich müssen die Vollendeten, die Seligen, irgendwo sein. Sie sind ja Geschöpfe, und deswegen können sie sich nicht auflösen und natürlich auch nicht überall sein. Sie müssen irgendwo sein, aber wir können keinen Ort im Weltall angeben, der für die Aufenthaltsweise der Seligen geeigneter wäre als ein anderer. Wenn wir sagen: Der Himmel ist oben, dann machen wir nicht eine Angabe, die auf einen Raum zielt, sondern dann wollen wir sagen: Der Himmel ist anders als alles, was sich auf Erden befindet; er ist erhaben über das Irdische. Ebensowenig machen wir eine Raumangabe, wenn wir sagen: Die Hölle ist unten. Sie ist nicht im Schlund der Erde; sie ist nicht durch Tiefbohrungen zu entdecken, sondern unten bedeutet eben: Die Hölle ist ein untermenschlicher Zustand; sie ist ein Zustand, wo der Mensch so lebt, wie die Tiere leben. Deswegen nennt die Apokalypse die Verdammten „Hunde“. Sie führen ein untermenschliches Leben. Wenn wir also sagen: Wir kommen in den Himmel, dann meinen wir damit, daß wir an der Existenzfülle und an der Behauptungskraft Gottes Anteil gewinnen.

Die himmlische Lebensweise wird grundgelegt während der irdischen Pilgerschaft. Schon wenn wir auf Erden wandeln und in der heiligmachenden Gnade leben, tragen wir gleichsam den Himmel in uns. Die heiligmachende Gnade ist ja das Leben im göttlichen Geiste, die Verbundenheit mit der heiligsten Dreifaltigkeit. Nur ist eben das Leben der Gnade auf Erden verborgen. Gott ist uns nahe, daran ist kein Zweifel, aber wir sehen ihn nicht. Im Himmel wird diese Not des Nichtsehenkönnens beseitigt. Im Himmel sehen wir Gott und sehen wir Christus so, wie Gott ist und wie Christus ist. Da fallen die Schatten, und da tritt das Wirkliche vor unsere Augen. Hier sind wir auf dem Wanderwege, in der Pilgerschaft; im Himmel sind wir angekommen im Hause des Vaters. Hier leben wir wie in einem Zelt, in einer Zeltwohnung, wo man eben nur für bestimmte kurze Fristen verweilt; drüben haben wir ein festgebautes Haus, und dort bleiben wir. Der Unterschied zwischen der irdischen und der himmlischen Lebensweise läßt sich auch durch das Bild von der Ernte wiedergeben. Die Ernte ist ja das Ziel des Wachsens und Reifens, und ähnlich wie die Scheuern die Frucht in sich bergen, so birgt der Himmel unsere Existenz in sich, wenn wir einmal am Ziel angelangt sind.

Zwischen Himmel und Erde, zwischen himmlischer und irdischer Lebensweise besteht ein Zusammenhang und ein Unterschied. Ich sage noch einmal: Wir haben jetzt schon das göttliche Leben. Wer den Sohn hat, der hat das göttliche Leben. Aber das göttliche Leben ist auf Erden noch nicht entfaltet, es ist noch unentfaltet, es ist noch nicht enthüllt, es ist noch verborgen. Deswegen harren wir der Offenbarung der Kinder Gottes in der himmlischen Wirklichkeit. Man kann das Leben während der Pilgerzeit und das Leben im Himmel vergleichen mit der Eichel und mit der Eiche. Die Eichel birgt alles das in sich, was einmal die Eiche werden wird, aber es ist ein erheblicher Unterschied zwischen einer Eichel und einer ausgewachsenen Eiche. Man kann auch das Leben in der Pilgerzeit und das Leben im Himmel vergleichen mit einer Raupe und einem Schmetterling. Aus der Raupe wird ein Schmetterling, aber man sieht der Raupe nicht an, was einmal an Leichtigkeit und Farbenfreudigkeit an dem Schmetterling zu sehen sein wird. Freilich wächst das himmlische Leben nicht aus dem irdischen heraus in gleichsam organischer Entfaltung, sondern es wird durch eine Schöpfungstat Gottes hervorgebracht. Die Liebestat Gottes verwandelt das göttliche Leben, das wir im irdischen Dasein hatten, in die unverhüllte Herrlichkeit Gottes.

Wenn die Schatten fallen, wenn wir in den Himmel kommen, dann werden wir Christus schauen, dann werden wir das Leben der Dreifaltigkeit mitleben in unverhüllter Weise, dann wird die heiligmachende Gnade, also die Durchglühung und Durchleuchtung mit der Wahrheit und mit der Liebe Gottes, uns vollkommen durchherrschen. Der Himmel ist die vollendete Herrschaft Gottes. Hier auf Erden wird die Herrschaft Gottes begonnen; wir werden auch hier schon durchherrscht von Christus. Es ist seine Wirkmacht, in der wir leben. Aber im Himmel wird diese Herrschaft Gottes vollendet; dann werden wir teilhaben an seiner Herrschaft. Es ist eine Herrschaft über Vergänglichkeit und Tod, über Leiden und Schmerzen, über Sünde und Schuld. Es ist eine Sättigung mit allen Gütern. Schon auf Erden ist Christus Weg, Wahrheit und Leben, aber drüben in der anderen Welt ist er das vollendete Leben, der vollendete Weg und die vollendete Wahrheit.

Der heilige Paulus bezeichnet unser Leben auf Erden als Insein in Christus. Das Leben im Jenseits gibt er wieder mit dem Worte „Mitsein“ mit Christus. Er hat in ergreifender Weise die Verschiedenheit des irdischen und des himmlischen Lebens geschildert, das himmlische Leben ist ein Sein bei Christus. „Für mich“, schreibt er im Brief an die Philipper, „ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn.“ Also der Tod, der sonst der Feind ist, wird von Paulus als Freund angesehen. Warum? Weil er das Tor zum Leben ist. „Für mich ist das Leben Christus und das Sterben Gewinn. Wenn das Leben im Fleische für mein Wirken fruchtbar ist, so weiß ich auch nicht, was ich wählen soll. Es zieht mich nach beiden Seiten. Ich habe das Verlangen, aufgelöst zu sein und mit Christus zu sein, was um vieles besser wäre, als im Fleische zu bleiben. Im Fleische zu bleiben ist aber notwendig euretwegen.“ Im Kolosserbrief schildert er ebenfalls das Leben im Jenseits als ein Sein bei Christus. „Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was auf der Erde ist. Denn ihr seid gestorben, euer Leben ist mit Christus verborgen in Gott. Wenn aber Christus, unser Leben, offenbar wird, dann werdet auch ihr mit ihm offenbar werden in Herrlichkeit.“ Und noch ein letztes Zeugnis im 1. Brief an die Thessalonicher. Dort beschreibt Paulus, wie es sein wird, wenn der Herr kommt. „Wir werden mit ihm entrückt werden, dem Herrn entgegen, und dann werden wir immerdar beim Herrn sein.“ Das also ist der Himmel: Immerdar beim Heiland und Erlöser Jesus Christus sein. Das hatte der rechte Schächer begriffen. „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Er wußte: Das ist ein König, und wenn der an mich denkt, dann bin ich gerettet. „Gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Und der Herr antwortet: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Mit mir, das heißt „im Paradiese“. So war es auch das letzte Gebet des Stephanus: „Herr, nimm meinen Geist auf!“ Wenn er stirbt unter dem Ansturm der Feinde, unter dem Hagel der Steine, die sie auf ihn werfen, dann kommt er zu Jesus. „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf!“ Daran entscheidet sich Heil oder Unheil, ob der Herr sagt: „Hinweg von mir!“ oder: „Kommet zu mir, ihr Gesegneten meines Vaters!“

Der Himmel ist die Gemeinschaft mit Christus. Wenn wir bei Christus sind, dann wird uns nichts mehr fehlen, denn er ist der vollendete Mensch, er ist der vollkommene Mensch. In ihm ist uns alles gewährt, wonach wir uns sehnen können. Er bleibt freilich auch im Himmel der Herr. Es bleibt der Abstand zwischen dem Sohn Gottes und den Menschen, und wir sind im Himmel auch in seinem Dienste, wie wir es auf Erden waren. Wir werden seinen Namen preisen, wir werden sein Lob verkündigen, aber es wird dessen ungeachtet eine vertraute Gemeinschaft sein. Christus ist ja nicht nur unser Herr, er ist auch unser Bruder, und deswegen wird die himmlische Freude durch nichts getrübt werden, auch nicht durch das Herrentum Christi. Er bleibt auch im Himmel der Mittler. Das heißt: Der Vater, der himmlische Vater wendet sich uns im Himmel durch Christus zu, und wir richten unsere Gebete und unseren Lobpreis durch Christus an den Vater. Er ist also nicht nur der Weg zu Gott im Pilgerdasein, sondern er bleibt der Weg auch in der himmlischen Wirklichkeit.

Für diese himmlische Wirklichkeit, meine lieben Freunde, müssen wir alles tun, was nur immer möglich ist. „Das hab‘ ich mir vorgenommen: In den Himmel will ich kommen. Mag es kosten, was es will, für den Himmel ist nichts zu viel.“ Als Thomas Morus im Staatsgefängnis in London war, kamen seine Tochter Margaret und seine Frau Alice zu ihm und bestürmten ihn, er solle doch an die Familie denken, er solle doch nachgeben, er solle doch dem Glauben abschwören und dem König gehorsam sein. Da fragte Thomas Morus seine Frau: „Sag, Alice, wie lange könnten wir noch miteinander leben?“ Sie sagte: „Wenn Gott will, 20 Jahre.“ Darauf gab Thomas Morus zur Antwort: „Du bist ein schlechter Kaufmann. Für 20 Jahre soll ich die Ewigkeit drangeben?“

Das irdische Leben ist mit dem himmlischen in keiner Weise zu vergleichen. Die paar irdischen Jahre vergehen so rasch, aber das ewige Leben dauert in Unendlichkeit. Und wir sollten uns bemühen, alle unsere Kräfte daran zu setzen, daß wir den Himmel gewinnen. Als Hannibal mit seinem punischen Heere nach einem mühevollen und verlustreichen Übergang über die Alpen gegangen war, da standen sie und sahen über die oberitalienische Ebene hinab in ein Land, das wahrlich von Milch und Honig floß. Hannibal rief seine Krieger zu sich und sagte: „Das alles ist euer, wenn ihr durchhaltet und im Kampfe siegt.“ Der Himmel ist euer, meine lieben Freunde, wenn ihr im irdischen Kampfe, im Lebenskampfe, im sittlichen Kampfe durchhaltet und siegt. Was ist das irdische Leben im Vergleich zum himmlischen Leben! Auf uns wartet eine endlose Freude, wenn immer wir hier im Kampfe uns tapfer bewährt haben. „Siehe, du kannst nun einmal nicht doppelte Freude haben“, schreibt das Buch von der Nachfolge Christi, „dich hier ergötzen und dich drüben mit Christus erfreuen.“ Nein, wir müssen uns entscheiden, und wir entscheiden uns für die Ewigkeit. Wir entscheiden uns für den sittlichen Kampf hier auf Erden und für die endlose Freude mit Christus im Jenseits.

Amen.

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