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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen den Nächsten (Teil 16)

31. Januar 1999

Pflichten der Kinder gegen die Eltern

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag bedachten wir die Pflichten, welche die Eltern gegenüber ihren Kindern haben. Es bleibt uns heute die Aufgabe, umgekehrt über die Pflichten nachzusinnen, welche die Kinder gegenüber ihren Eltern haben. Damit wollen wir dann diese Reihe von Überlegungen, was der Einzelne dem anderen schuldet, abschließen.

Im Zehn-Gebote-Gesetz lautet das 4. Gebot: „Du sollst Vater und Mutter ehren!“ Das ist gewissermaßen das Grundgesetz des Verhältnisses der Kinder zu ihren Eltern. Die Kinder schulden den Eltern Ehrung oder Pietät. Pietät ist ehrfurchtsvoller Respekt. Pietät ist jene Tugend, durch die wir die Eltern und die Elternstelle vertreten, aber auch das Vaterland ehrerbietig und mit heiliger Scheu behandeln. Die Pietät läßt sich in drei Einzelpflichten unterteilen, nämlich in Liebe, Ehrfurcht und Gehorsam. Die Kinder schulden den Eltern Liebe, Ehrfurcht und Gehorsam.

Die Pietät ist gewissermaßen die besondere Form, welche die Liebe gegenüber den Eltern annimmt. Es ist eine Liebe, nicht von gleich zu gleich, sondern es ist eine Liebe, die zu dem Geliebten aufschaut, eine ehrfürchtige Liebe, eine gehorsame Liebe. Die Liebe, welche die Kinder den Eltern schulden, muß wohlwollend und werktätig sein, sie muß aufrichtig und herzlich sein. Es gilt hier in einer besonderen Weise das Wort des heiligen Johannes: „Kindlein, laßt uns lieben, nicht mit Worten, sondern in der Tat und in der Wahrheit!“

Wohlwollen ist gewiß die Grundlage und auch Inhalt jeder Liebe; aber Wohltun macht die Liebe erst wirksam. „Mütter tragen ihre Kinder durch den Morgen des Lebens; Kinder sollen ihre Mütter durch den Abend des Lebens tragen“, sagt ein schönes Sprichwort. Und wahrhaftig, so ist es. Ohne Rücksicht auf das persönliche Verhalten der Eltern schulden die Kinder ihnen ehrfürchtige Liebe. Die persönlichen Qualitäten der Eltern mögen die Liebe besonders warm machen, aber man darf die Liebe zu den Eltern nicht abhängig davon machen, wie sich die Eltern zu den Kindern verhalten; denn die Kindesliebe gründet darauf, daß die Eltern das Prinzip des Seins sind. Die Kinder verdanken ihr Leben den Eltern, und die Eltern nehmen Gottes Stelle ein, sie sind die Stellvertreter Gottes bei der Erziehung. Sie sind die größten Wohltäter der Kinder. Niemand, kein Freund und niemand sonst, meint es so gut mit den Kindern wie die Eltern. Und so muß also die Liebe an der Spitze unseres Verhaltens als Kinder gegenüber den Eltern stehen.

Schon in der heidnischen Zeit gibt es ergreifende Beispiele dieser Liebe. Plinius war später Statthalter von Bithynien. Als er ein Knabe war, lebte er in der Umgebung von Neapel. Er erlebte den Ausbruch des Vesuvs mit im Jahre 79 n. Chr. Alles floh, raffte eilig die wertvollsten Sachen zusammen. Aber Plinius hielt aus bei seiner Mutter. Die Mutter bat ihn, er möge doch sein Leben retten. Plinius (der Heide!) antwortete der Mutter: „Liebe Mutter, ich will lieber den Tod erleiden als dich allein lassen.“ Er nahm die Mutter auf seine Schultern und trug sie durch das Inferno an einen sicheren Ort. So handelte ein Heide, weil er die pflichtmäßige Liebe der Kinder zu den Eltern recht verstanden hatte.

An zweiter Stelle schulden die Kinder ihren Eltern Ehrfurcht. Ehrfurcht ist die Hochachtung und Anerkennung der Überlegenheit eines anderen. Es ist eine scheue Liebe und eine liebende Scheu in der Ehrfurcht. Die Ehrfurcht hat dieselben Gründe wie die Liebe. Weil die Eltern Stelle Gottes vertreten, weil sie Prinzip des Seins der Kinder sind, deswegen schulden die Kinder ihnen Ehrfurcht. Die Ehrfurcht wird verletzt durch Mißachtung und Geringschätzung. Es gibt im Leben vieler Menschen eine Phase, in der sie sich ihrer Eltern schämen. Die Reife sollte diese Phase möglichst bald überwinden. Sie sollten bedenken, daß die Eltern trotz der Schwächen, die ihnen anhaften, ihre größten Wohltäter sind, daß sie als Stellvertreter Gottes Ehrfurcht erwarten können und daß sie sich selbst ehren, wenn sie den Eltern Ehrfurcht erweisen. Ein Lehrer fragte einmal die Kinder seiner Klasse, ob die Kinder einen Vater ehren und lieben können, der im Gefängnis ist. Die Kinder blieben eine Weile still. Dann meldete sich ein Mädchen, die Tochter eines Arbeiters, und sagte: „Ja, auch einen solchen Vater muß man ehren und lieben; denn wenn wir ihn verlassen, dann wird er ganz verstockt.“ Wie richtig hatte dieses Kind gesehen! Die Ehrung, die man jemandem erweist, ist für diesen Menschen ein Antrieb, seine Schwäche zu überwinden. Er wird sich bemühen, der Ehre gerecht zu werden, die ihm andere, vor allem seine Kinder, erweisen.

Ein erfahrender Pfarrer sagte immer, wenn er hörte, daß ein Mann der Trunksucht ergeben war: Warum trinkt er? Was steckt dahinter? Und wenn man der Sache nachging, dann fand man immer, daß er sich betäubte, daß er trank, weil er keine Freude fand, weil er mit seinem Beruf unzufrieden war, weil er nicht genügend verdiente, weil er irgendeinen Kummer hatte, der ihm am Herzen nagte. Und immer dann, wenn ein solcher Mensch scheinbar unverdient Ehre empfing, dann war das der Anfang seiner Bekehrung, dann war das der Beginn seines Ausstieges aus der Trunksucht.

Die Kinder schulden den Eltern Gehorsam. In keiner Gemeinschaft kann eine Ordnung bestehen, wenn nicht das Gesetz von Befehl und Gehorsam besteht. Das haben sogar die 68er gelernt, die heute in der Regierung sitzen. Auch sie begreifen, daß es Autorität braucht und daß antiautoritäre Erziehung ein großer Quatsch ist. Es muß gehorcht werden in allen erlaubten Dingen. Und wenn der Gehorsam jemals mißbraucht worden ist, dann ist das kein Einwand gegen den Gehorsam, sondern gegen diejenigen, die ihn mißbrauchen. Als die Träger der Erziehung müssen die Eltern Gehorsam erwarten und verlangen, und die Kinder müssen den Gehorsam leisten. Ich sage noch einmal: in allen erlaubten Dingen. Wo diese Schwelle überschritten wird, beginnt die Pflicht, Gott mehr zu gehorchen als den Menschen. Es gibt ein ergreifendes Beispiel dieses heiligen Gehorsams gegen Gott. Hermenegild war der Sohn des Westgotenkönigs Leovigild in Spanien. Der Vater war Arianer, und der Sohn war zum katholischen Glauben übergetreten. Der Vater ließ ihn einsperren in Sevilla und versicherte ihm, daß er sofort seine väterliche Huld finden werde, wenn er zum Arianismus zurückkehrte. Da ließ Hermenegild dem Vater ausrichten, er verzichte auf die Einsetzung als Kronprinz, er verzichte sogar auf sein Leben, wenn es nur darum zu bewahren sei, daß er seinen Glauben verleugne. Der grausame Vater ließ seinen Sohn Hermenegild hinrichten.

Wer als Kind gehorsam ist, das ist eine Erfahrung, die wir Seelsorger immer wieder machen, der erlebt auch, daß seine eigenen Kinder ihm gehorsam sind. Und umgekehrt: Wer als Kind den Gehorsam notorisch verweigert, der läuft größte Gefahr, daß seine eigenen Kinder ebenso ungehorsam sind, wie er es gewesen ist. Es ist ja eigenartig, meine lieben Freunde, daß Gott mit keinem Gebot eine Verheißung verknüpft hat außer mit dem vierten. „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf daß du lange lebest in dem Land, das Gott dir geben wird.“ Einen ergreifenden Kommentar zu den Pflichten, die Kinder gegen ihre Eltern haben, finden wir im Buche Jesus Sirach. Da heißt es: „Höret, ihr Kinder, auf das Recht des Vaters und handelt danach, damit es euch wohlergeht. Denn der Herr hat dem Vater Ehre verliehen bei den Kindern und das Recht der Mutter für die Söhne festgestellt. Wer seinen Vater ehrt, sühnt Sünden. Wer seine Mutter achtet, sammelt Schätze. Wer seinen Vater ehrt, wird Freude an seinen Kindern erleben und im Gebete Erhörung finden. Wer seinen Vater ehrt, wird lange leben. Wer auf den Herrn hört, macht seiner Mutter Freude. Wer den Herrn fürchtet, ehrt den Vater und dient seinen Eltern wie Herren. In Wort und Tat ehre deinen Vater, auf daß sein Segen über dich kommt! Des Vaters Segen stützt der Kinder Häuser, aber der Mutter Fluch zerstört sie von Grund auf. Suche nicht deine Ehre in der Geringschätzung deines Vaters, denn in der Schande deines Vaters liegt keine Ehre für dich. Des Menschen Ehre hängt ab von der Ehre seines Vaters, und der üble Ruf der Mutter ist eine Schande für die Kinder. Mein Sohn, nimm dich deines Vaters an in seinem Alter und mache ihm keinen Kummer, solange er lebt. Wenn sein Verstand abnimmt, habe Nachsicht mit ihm und verachte ihn nicht in seiner Vollkraft. Das Mitleid mit deinem Vater wird dir nicht vergessen, es wird dir angerechnet als Sühne für deine Sünden. Am Tage der Trübsal wird deiner gedacht, und deine Sünden verschwinden wie der Reif bei der Wärme. Wer seinen Vater verläßt, gleicht einem Frevler; wer seine Mutter erbittert, ist vom Herrn verflucht.“

Diese schönen und gleichzeitig ernsten Worte mahnen uns, unsere Kindespflichten gegenüber den Eltern ernstzunehmen. Mancher von uns, vielleicht viele werden daran denken, daß sie ihren Eltern zu Lebzeiten manches schuldig geblieben sind. Sie werden mit Bedauern und mit Schmerz daran denken, daß sie ihren Eltern mehr Liebe, mehr Ehrfurcht und mehr Gehorsam hätten erweisen sollen. Jetzt ist es zu spät. Und so geht die Ermahnung an alle, es rechtzeitig zu tun, denn wenn die Eltern einmal verschieden sind, bleibt nur noch das Almosen des Gebetes, das wir ihnen schenken können. „Ach, lieb’, solang du lieben kannst, ach, lieb’, solang du lieben magst. Die Stunde kommt, die Stunde kommt, wo du an Gräbern stehst und klagst!“

Amen.

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