Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen den Nächsten (Teil 14)

17. Januar 1999

Die ehelichen Pflichten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Mit einer gewissen Scheu geht der katholische Priester daran, die Pflichten zu schildern, welche die Ehegatten gegeneinander haben; denn er weiß, er selbst wird von diesem Gesetz nicht getroffen. Aber ein Gesetz wird dadurch nicht falsch, daß es den nicht trifft, der es auf Anruf verkündet. Wir erwarten nicht von einem Pädagogen, daß er all die Unarten, die er an seinen Schülern beobachtet, an sich haben oder auch nur durchgemacht haben müsse. Wir trauen auch dann einem Arzt und der ärztlichen Kunst, wenn der Arzt die Krankheiten, die er heilen soll, nicht am eigenen Leibe erfahren hat. So, meine ich, müssen wir auch das Wort des amtlichen Verkünders der Kirche über der Ehe aufnehmen, selbst wenn die Kirche ihn in ihrem weisen Gesetz von der Verpflichtung oder von der Möglichkeit, zu heiraten, ausnimmt.

Die Ehegatten sind durch das sakramentale Band zur ehelichen Gemeinschaft verbunden. Die eheliche Gemeinschaft setzt auch die Gemeinsamkeit der Wohnung voraus. Ehegatten sollen zusammen wohnen. Die Pflichten, die sie gegeneinander und gegen ihre Kinder haben, setzen normalerweise die Gemeinsamkeit der Wohnung voraus. Willkürliche Aufhebung der Wohngemeinschaft, böswillige Verlassung sind schwer sündhaft. Heute erleben wir oft, daß verheiratete Personen, wie sie sagen, ausziehen. Sie ziehen aus nichtigen Gründen aus; sie ziehen aus und bereiten damit häufig ihrer ehelichen Gemeinschaft den Ruin. Dagegen muß die Kirche sagen: Ihr seid verpflichtet, miteinander zu wohnen, wenn nicht schwerwiegende Gründe eine Trennung nahelegen. Es kann sein, daß die berufliche Arbeit einen Mann kürzere oder längere Zeit von der gemeinsamen Wohnung trennt, aber er muß versuchen, diese Trennung zu überbrücken. Wir wissen beispielsweise von dem Obersten Stauffenberg, daß er alle drei bis vier Wochen von seinem Dienstsitz in Berlin nach Bamberg fuhr, wo seine Familie weilte.

Die Trennung ist dann erlaubt, wenn der eine Gatte dem anderen nachstellt, wenn der eine dem anderen Mißhandlungen zufügt, wenn Ehebruch vorliegt. In allen diesen Fällen ist entweder die dauernde oder die zeitweilige Trennung erlaubt. Aber was erlaubt ist, muß im Lichte des Glaubens und der Liebe bedacht werden. Glaube und Liebe könnenraten, die Trennung, die möglich wäre, zu der man berechtigt wäre, nicht zu vollziehen um des Gatten willen, um der Kinder willen, auch um des eigenen Lebens willen. Es gibt die Möglichkeit der Verzeihung und der Versöhnung; es gibt einen Neuanfang. In diesem Sinne ist auch nur die bürgerliche Ehescheidung für einen Katholiken möglich, daß er darin eine Trennung der Lebensgemeinschaft sieht, nicht eine Auflösung des Ehebandes.

Die Lebensgemeinschaft der Gatten hat eine besondere Komponente in der geschlechtlichen Vereinigung. Die Ehegatten sind auf dieses Geschehen hingeordnet. Die eheliche Vereinigung ist sittlich einwandfrei, sie ist erlaubt, sie ist gut, wenn immer sie nach dem Willen Gottes vollzogen wird. Die Gatten haben ein Recht auf die eheliche Vereinigung. Der heilige Paulus spricht es deutlich aus im 1. Brief an die Korinther: „Der Mann leiste der Frau die eheliche Pflicht, ebenso die Frau ihrem Mann. Die Frau hat keine Gewalt über ihren Leib, sondern der Mann; ebenso hat auch der Mann kein Recht über seinen Leib, sondern die Frau. Entziehet euch einander nicht, es sei denn mit gegenseitiger Einwilligung auf eine Zeitlang. Dann kommt wieder zusammen, damit der Satan euch nicht versuche wegen eurer Unenthaltsamkeit!“ Ein Recht kann man ausüben, aber man muß es nicht ausüben. Ich kenne Ehepaare, die mit gegenseitiger Übereinstimmung seit langer Zeit auf die Ausübung dieses Rechtes verzichten. Sie haben um höherer Beweggründe die eheliche Vereinigung aufgegeben. Aber noch einmal: Wenn der eine die eheliche Pflicht unter rechten Bedingungen verlangt, muß der andere sie leisten. Entschuldigt könnte man sein bei Maßlosigkeit der Forderung, so etwas kommt, Gott sei es geklagt, vor, oder bei Trunkenheit oder wenn Schaden für die Gesundheit des einen oder des anderen zu befürchten ist.

Die eheliche Vereinigung muß nach Gottes willen vollzogen werden. Es gibt Gesetze Gottes über der Ehe, welche die Kirche verkündet. Wenn jeder sich die ehelichen Pflichten nach eigenem Geschmack auslegen könnte, dann käme man dazu, der Willkür Tür und Tor zu öffnen. Was dabei herauskommt, wenn Menschen über die intime Begegnung der Gatten befinden, das sieht man an den nichtkatholischen Religionen. Ob es die Anglikaner sind oder die Protestanten oder die Orthodoxen oder die Mohammedaner, sie alle haben Gottes Gesetze über der Ehe aufgegeben. Deswegen gibt es ja eine von Gott gestiftete Kirche, damit man nicht nach eigener Willkür mit der ehelichen Gemeinschaft verfährt; deswegen gibt es eine Kirche, weil ihr der Geist zuspricht, was Gottes Wille über der Ehe ist, natürlich nicht ohne Anhalt an der Heiligen Schrift, wie wir noch sehen werden. Die Kirche hat immer und ausnahmslos über 2000 Jahre die Lehre vertreten, daß dem ehelichen Akt ein doppelter Sinngehalt innewohnt, einmal die Weckung der Nachkommenschaft, sodann die Bezeugung von Liebe und Treue. Wer immer aus diesen Motiven den ehelichen Akt in der gottgewollten Weise vollzieht, der handelt sittlich einwandfrei. Die Kirche hat sogar noch eine weitere Konzession gemacht, wenn man so sagen will, nämlich: Man kann den ehelichen Akt vollziehen auch als Heilmittel wider die Begierlichkeit. Es gibt also drei erlaubte Motive, um den ehelichen Akt zu vollziehen, die Weckung neuen Lebens, die Bezeugung von Liebe und Treue und ein Schutzmittel gegen den Trieb.

Bei dem ehelichen Akt sind zwei Sinngehalte vom Schöpfer notwendig miteinander verbunden, nämlich die Weckung neuen Lebens und die Bezeugung der Liebe und Treue. Diese beiden Sinngehalte hat der Schöpfer in diesen Akt hineingelegt, und der Mensch darf sie nicht trennen. Wir werden sehen, daß, wenn es aus Gründen der Schöpfungsordnung nicht möglich ist, den einen Zweck zu erfüllen, der andere bestehen und somit der eheliche Akt erlaubt bleibt. Aber dem Menschen ist es benommen, selbst den einen Sinnbezug vom anderen zu trennen; er muß sich in voller Hingabe dem anderen schenken. Tut er das nicht, dann ist es keine Ganzhingabe. Wenn er etwas zurückbehält, dann ist es nicht die volle Schenkung, die in der Ehe nach Gottes Willen geschehen soll. Er betrügt gewissermaßen den anderen, er betrügt ihn um das, was er ihm vorenthält.

Die eheliche Einung ist nach Gottes Willen ein Lebensvorgang. Meine lieben Freunde, wenn das eheliche geschlechtliche Leben nicht auf die Zeugung neuen Lebens hingerichtet wäre, dann hätte Gott den Menschen nicht mit einer Geschlechtsanlage ausgestattet. Es läßt sich überhaupt nicht bestreiten, daß die Geschlechtlichkeit des Menschen einen Lebenszweck hat. Das Menschengeschlecht soll sich vermehren und fortpflanzen, und ohne diesen Lebenszweck gäbe es die Geschlechtlichkeit nicht. Schon das zeigt, daß der Mensch verhindert ist, den Lebenszweck auszuschalten und eigenmächtig in dieses Geschehen einzugreifen.

Die eheliche Einigung bleibt indes erlaubt, auch wenn der Lebenszweck nicht erreicht wird. Die Kirche hat niemals die Ehe von Greisen gehindert. Die Kirche hindert auch nicht die Ehe von sterilen Personen. Solange sie fähig sind, das Minimum zu erbringen, das für die Gültigkeit einer Ehe erforderlich ist, können auch Personen, die ahnen oder wissen, daß sie keine Kinder bekommen werden, eine Ehe schließen, und sie können den ehelichen Akt vollziehen, weil er eben immer noch den Sinn behält, die gegenseitige Liebe und Treue zu bezeugen. Allerdings muß ich hier eine Bemerkung anbringen, die mir als einem immerhin 48 Jahre im Beichtstuhl tätigen Priester angemessen scheint. Meine lieben Freunde, man kann sich selbstverständlich in der Ehe die Liebe bezeugen, indem man den ehelichen Akt ausübt. Aber die Liebe ist eine geistige Haltung, sie ist eine seelische Haltung, und die seelische Haltung muß vor allem körperlichen Geschehen vorhanden sein. Es kann nämlich auch sein, daß man das körperliche Geschehen vollzieht ohne Liebe, nur aus dem Begehren des Mannes, nur aus dem Wollen des Fleisches. Deswegen halte ich es für ganz töricht, wenn manchmal auch unkluge Prediger sagen: Ja, die Gatten müssen diesen Akt vollziehen, um sich die Liebe zu bezeugen. Die Liebe hat viele Möglichkeiten, um sich auszudrücken. Die eheliche Einigung ist eine, aber sie ist nicht die einzige. Aber noch einmal: Die Kirche hindert Personen, die ahnen oder wissen, daß sie keine Kinder bekommen werden, nicht, die Ehe zu schließen.

Die Kirche hindert auch nicht die Gatten, in der Zeit zusammenzukommen, in der nach unserer Kenntnis der Leibesfunktionen eine Empfängnis nicht erfolgen kann. Die sogenannte fakultative Sterilität oder periodische Enthaltsamkeit ist eine Möglichkeit für diejenigen, welche aus ernsten Gewissensgründen meinen, keine Kinder mehr empfangen zu können, die eheliche Einung zu vollziehen. Aus ernsten Gewissensgründen, nicht aus Leichtsinn, nicht aus Bequemlichkeit, nicht aus Feigheit oder Faulheit, sondern aus ernsten Gewissensgründen, und die kann es ja geben. Wer beispielsweise weiß, daß sein Nachwuchs eugenisch geschädigt wäre, also nur idiotische Kinder zur Welt gebracht würden, der hat sogar die Pflicht, sich zu enthalten, der muß sich enthalten, andernfalls sündigt er, wenn er sich nicht enthält. Es muß also bei der periodischen Enthaltsamkeit ein schwerwiegendes Motiv vorhanden sein, und diese Tatsache wird unterstützt durch die Heilige Schrift. Ich habe heute morgen noch einmal im 3. Buch Moses, im Buch Levitikus, nachgelesen. Da heißt es, daß sich niemand der Frau sieben Tage lang während ihrer Regel nahen darf, und auch nicht sieben Tage danach. Also das Buch Levitikus verlangt vom Manne 14 Tage Enthaltsamkeit; sieben Tage während der Periode und sieben Tage nachher. Wie weise! Wir wissen heute, daß am 12. Tage das weibliche Ei abgestoßen wird und nach wenigen Stunden abstirbt. Diese biologische Kenntnis wird gewissermaßen durch dieses Gesetz des Alten Bundes gestützt.

Es gibt schließlich noch einen Grenzfall, den ich als Beichtvater nicht verschweigen möchte. Wenn der eine Teil bereit ist, Gottes Gesetz in der Ehe zu beachten und der andere nicht, dann kann im Grenzfall der eine dulden, was der andere tut. Aber er darf es nicht billigen. Es besteht also die Möglichkeit – für den Mann oder für die Frau, hier besteht Gleichheit –, den ehelichen Akt auch dann mitzuvollziehen, wenn man weiß, daß der andere ihn nicht in der gottgewollten Weise vollzieht. Das ist nicht meine Lehre, das ist eine Lehre, die die Päpste, etwa Pius XI., schon immer verkündet haben.

Die onanistische Vollziehung des ehelichen Aktes, also die Empfängnisverhütung, ist ein Verstoß gegen Gottes Willen über der Ehe. Sie hat auch schwerwiegende Folgen. Sie begünstigt die Verantwortungslosigkeit; sie legt den Menschen nahe, nach Lust und Laune zusammenzukommen, nicht aus Verantwortung und Liebe. Es besteht die Gefahr, daß hier die Frau zur Spielpuppe des Mannes wird oder umgekehrt der Mann zum Männchen, zum Hampelmann der Frau. Die Verantwortung wird durch die Möglichkeit der Verhütung weitgehend, wenn nicht ganz ausgeschaltet. Außerdem kann die Liebe daran sterben, weil eben keine volle Schenkung geschieht, sondern etwas zurückbehalten wird. Warum denn in der Zeit, wo die Empfängnisverhütung gang und gäbe ist, eine solche Zunahme von Ehebrüchen, Ehescheidungen und außerehelicher Unzucht? Weil die Liebe in der Ehe gestorben ist; weil von vielen nur noch der Nutzen und der Lustgewinn begehrt wird. Außerdem müssen wir an die Folgen für die Jugend denken. Die Jugend, die von den Möglichkeiten der Empfängnisverhütung unterrichtet wird, heute schon in der Schule, ist versucht, auf diesem Sektor Erfahrungen in kindlichem Alter zu sammeln. Vor wenigen Tagen berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung, daß in einer Schule in England am Montagmorgen für die 14- bis 16jährigen Mädchen, die übers Wochenende Geschlechtsverkehr hatten, die Pille danach ausgeteilt wird. 14- bis 16-jährige Mädchen in der Schule in Bath bekommen die Pille danach, um eine Frühabtreibung, so muß man es doch wohl nennen, vorzunehmen. Und die Labour-Regierung preist dieses Beispiel als vorbildlich an.

Wir müssen auch daran denken, daß die Abwehr des Kindes sich nach der Empfängnisverhütung fortsetzen kann. Es bleibt häufig nicht dabei, daß verhütet wird, man kommt auch leicht dazu, das nicht verhütete Kind, wo man sich also „versehen“ hat, wie man sagt, abzutreiben. Wiederum berichtete die Frankfurter Allgemeine Zeitung in der vergangenen Woche, daß in Rußland auf eine Geburt zwei Abtreibungen kommen. Wenn ein Kind geboren wird, muß man davon ausgehen, daß zwei abgetrieben werden. Man rechnet bei jeder Frau im Durchschnitt im Laufe des Lebens mit 4 ½ Abtreibungen. Wem diese erschütternden Zahlen die Augen nicht öffnen, dem ist nicht zu helfen.

Wir wissen, meine lieben Freunde, daß das Gesetz, das ich Ihnen in aller Klarheit vorgetragen habe, nicht leicht zu erfüllen ist. Das Fleisch ist schwach, und wem sagen Sie das! Wenn man 48 Jahre im Beichtstuhl gesessen hat, weiß man, daß der Mensch schwach ist. Aber es ändert nichts daran, daß die Normen bestehen bleiben müssen. Wir mögen schuldig werden, dann müssen wir eben bereuen und beichten und uns lossprechen lassen, aber die Normen dürfen wir Priester nicht fallenlassen, sonst verraten wir unseren göttlichen Auftrag. Ich glaube, daß wir unverheirateten Priester es leichter haben als die Eheleute, Gottes Gebot zu erfüllen. Ich denke an Thomas Morus, der einmal gesagt hat: „Ich bin der Meinung, daß es leichter ist, im ehelosen Stande keusch zu leben, als in der Ehe.“ Ich glaube, daß er recht hat. Es ist leichter, den Zölibat zu bewahren, als in der Ehe ganz getreu dem Gesetze Gottes nachzuleben, und das wissen wir Priester. Deswegen lieben wir auch unsere Beichtkinder und fühlen mit ihnen und versuchen, ihnen bis an die Grenze des Möglichen entgegenzukommen.

Weil die geschlechtliche Einung der Ehe vorbehalten ist, darf sie keinem anderen, keinem dritten Partner gewährt werden. Die eheliche Untreue ist ein schweres Vergehen. Wer sich zum Ehebruch hinreißen läßt, der vergeht sich gegen die Keuschheit, gegen die Gerechtigkeit und gegen die Treue. Gegen die Keuschheit, weil sie gebietet, allein in der Ehe diesen Akt zu vollziehen; gegen die Gerechtigkeit, weil kein anderer ein Recht hat auf diesen Akt; gegen die Treue, weil man sie dem Gatten geschworen hat. Es ist also unzulässig, sich außerhalb der Ehe geschlechtlich zu betätigen; die solches tun, beflecken sich mit schwerer Schuld.

Die Gatten schulden sich Liebe, und zwar Liebe im höchsten Sinne, nämlich Liebe als Wohlwollen und Wohltun. Daß der andere es gut hat, daß dem anderen Heil geschieht, das muß die Gesinnung der Gatten sein. Die Liebe in der Ehe erleichtert das Zusammenleben, macht das scheinbar Unerträgliche erträglich. Die Liebe führt zum gemeinsamen Tragen der Lasten; die Liebe wehrt der Bedrohung von innen und von außen. Die Liebe ist tatsächlich die Krönung der Ehe.

Das Hohelied der Liebe in der Ehe hat der Apostel Paulus im Epheserbrief gesungen, wo es heißt, daß die Gatten einander lieben sollen, der Mann seine Frau und die Frau den Mann, denn die Liebe ist das Band der Vollkommenheit. Wo Liebe ist, da ist alles möglich. „Ihr Männer, liebet eure Frauen so, wie Christus die Kirche geliebt und sich selbst für sie hingegeben hat, um sie zu heiligen, indem er sie reinigte im Wasserbade durch das Wort. Herrlich wollte er die Kirche für sich selbst darstellen, ohne Makel, ohne Runzel oder andere Fehler. So sollen die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst.“

Die Liebe, die den Ehegatten aufgetragen ist, sollte im Laufe des Ehelebens nicht erkalten oder abnehmen, sie sollte zunehmen. Das ist aber nur möglich, wenn die Ehrfurcht voreinander gewahrt bleibt. Es muß eine letzte, heilige Distanz zwischen den Gatten bestehen bleiben, wenn die Liebe ihren Gipfel erklimmen soll. Wo sie sich ausliefern in einer prostituierenden Weise, da kann die Liebe nicht leben. Die Liebe lebt von der Ehrfurcht.

Ich will auch nicht verschweigen, daß die Kirche immer, durch 2000 Jahre, eine gewisse Überordnung des Mannes über die Frau gelehrt hat. Die Aussagen der Heiligen Schrift sind völlig eindeutig. „Ihr müßt wissen, daß das Haupt eines jeden Mannes Christus ist, das Haupt der Frau aber ist der Mann.“ Das Haupt der Frau aber ist der Mann. So heißt es im 1. Korintherbrief. Und im Kolosserbrief führt der Apostel aus: „Ihr Frauen, seid euren Männern untertan, wie es sich ziemt im Herrn!“ Gleich danach aber: „Ihr Männer, liebet eure Frauen und seid nicht bitter gegen sie!“ Es läßt sich meines Erachtens diese gleich in ihrem Sinn zu erklärende Über- und Unterordnung nicht mit dem Hinweis erledigen, Paulus gebe hier zeitgebundene Vorstellungen wieder. Es läßt sich deswegen nicht erledigen, weil Paulus gar nicht mit aus der Umgebung und den damaligen Verhältnissen genommenen Topoi arbeitete, sondern weil er sich auf den Herrn beruft. Er hat also ein theologisches Argument. Er begründet seine Lehre von der hierarchischen Struktur der Ehe, wenn wir so sagen wollen, mit einem theologischen Grund. Und deswegen glaube ich nicht, daß man sie wegdiskutieren kann, indem man sagt: Nun ja, das sind eben damals patriarchalische Vorstellungen gewesen.

Freilich muß man diese eben geschilderte Ordnung recht verstehen. Selbstverständlich sollen die Gatten und Eltern zusammenwirken; selbstverständlich soll der Mann auf die Frau hören; selbstverständlich soll er der Frau, wenn sie bessere Argumente hat, nachgeben. Er soll es. Aber in dem Falle, wo die Meinungen unvereinbar auseinandergehen und keine gemeinsame Lösung gefunden werden kann, wird man dem Mann den sogenannten Stichentscheid, also die letzte Entscheidung in einer Kontroverse, nicht absprechen können. Ich persönlich bin unfähig, anders zu argumentieren, als die Kirche 2000 Jahre argumentiert hat. Freilich wird eine solche Überordnung völlig harmlos, wenn der Mann das beherzigt, was der Apostel ihm sagt: „Ihr Männer, liebet eure Frauen!“ Wie kann man eine Überordnung, wie kann man ein Recht zum Stichentscheid mißbrauchen, wenn man von der Liebe getragen ist! Man wird es dann im Sinne der Liebe und aus dem Geist der Liebe anwenden. „Servite domino per caritatem“, sagt der heilige Augustinus. „Dienet dem Herrn in Liebe!“

Amen.

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