Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Pflichten gegen Gott (Teil 14)

5. Juli 1998

Die Einwände gegen das Beten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor einiger Zeit begab sich ein Bauer, der auch Jäger ist, in ein Wirtshaus und bestellte dort eine Mahlzeit. Vor dem Essen faltete er die Hände, machte das Kreuzzeichen und betete. Da sprach ihn ein Mann aus der Gesellschaft, die in diesem Wirtshaus saß, an: „Sie, bei Ihnen zu Hause beten wohl alle?“ Da gab der Bauer zur Antwort: „Nein, nicht alle, die Schweine beten nicht, die fallen so über ihr Futter her.“

Das Gebet ist die Auszeichnung des Menschen. Der Mensch kann, darf, soll und muß beten. Wir wollen uns am heutigen Tage die Pflicht und Notwendigkeit des Gebetes, die Gelegenheiten zum Gebet und die Einwände gegen das Gebet vor Augen führen. An erster Stelle wollen wir bedenken die Pflicht und Notwendigkeit des Gebetes. Die Pflicht, zu beten, ergibt sich aus der Eigenschaft Gottes als des Schöpfers und des Vaters. Wenn der Mensch seine Abhängigkeit von Gott begreift, wenn er Gott als seinen Schöpfer erkennt, dann wird er aufgerufen, diese Erkenntnis in Anerkennung umzusetzen. Er muß seine Abhängigkeit und Hilfebedürftigkeit von Gott, dem Schöpfer und Herrn, bekennen und anerkennen. Er muß aber auch die Vatereigenschaft Gottes anerkennen, muß anerkennen, daß Gott ein Vater, ein lieber Vater ist. Er muß ihm also dankbar sein für seine Offenbarung, für seine Gnade. Das ist der zweite Grund, warum es eine Pflicht zum Gebet gibt. Der Mensch muß dem himmlischen Vater durch das Gebet den schuldigen Dank für seine Offenbarung und seine Gnade abstatten. Es gibt eine naturgesetzliche Pflicht zum Gebet, und es gibt eine offenbarungsrechtliche Pflicht zum Gebet. Wir müssen beten, weil Gott unser Schöpfer und unser Vater ist.

Die Notwendigkeit des Gebetes ist eine doppelte. Wir sprechen von einer Notwendigkeit als Mittel und von einer Notwendigkeit aufgrund eines Gebotes. Das Gebet ist notwendig als Mittel, eben weil wir nur dadurch unsere Geschöpflichkeit, unsere Bedürftigkeit und unsere Abhängigkeit von Gott bekunden und weil wir nur durch das Gebet Gott den schuldigen Dank für seine Offenbarung und seine Gnade abstatten. Die Beharrlichkeit im Guten ist nur zu gewinnen, wenn wir beten. Wer nicht mehr betet, wer das Gebet aufgibt, der wird im Guten nicht verharren. In diesem Jahre wird an vielen Orten das Gedächtnis der Revolution von 1848 gefeiert. Ein Anhänger der Revolution war auch der Leutnant Graf Fugger, der in Landau in der Pfalz hingerichtet wurde, weil er sich an dem Aufruhr beteiligt hatte. Als der Geistliche ihn vor seiner Hinrichtung besuchte, wollte er mit ihm beten, aber Graf Fugger konnte nicht mehr beten. Er hatte das Gebet seit langem aufgegeben, er hatte das Gebet verlernt. Der Priester betete ihm das Vaterunser und das Ave Maria vor; da traten Tränen in die Augen dieses Mannes, und er erinnerte sich, wie seine fromme Mutter ihm einst die Hände gefaltet hatte. Die Aufgabe des Gebetes war für ihn der Weg ins Verbrechen. Die meisten Menschen sind auch nicht imstande, die Versuchung zu überwinden ohne Gebet. Das Gebet ist eine Schutzwehr gegen die Versuchung. Wenn wir mit Christus vereint gegen den Teufel angehen, dann siegen wir; wenn wir uns auf uns selbst verlassen, unterliegen wir. Die feste Treue zum Glauben ist ebenfalls nicht zu gewinnen ohne das Gebet. Wer nicht betet, wer nicht regelmäßig, wer nicht anhaltend betet, dessen Glaube wird immer schwächer  und ist eines Tages am Ende. Das Gebet allein verbürgt das Feststehen im Glauben. Es gibt also eine Notwendigkeit des Mittels, um zu beten. Wir müssen beten, weil wir das Gebet als notwendiges Mittel für unseren Weg in die Ewigkeit benötigen.

Es gibt aber auch eine Notwendigkeit des Gebotes, d.h. Gott, seine Apostel und die Kirche gebieten das Gebet. Der Herr hat ja selbst den Jüngern ein Gebet gelehrt und gesagt: „So sollt ihr beten!“ Er hat sie die Pflicht des Gebetes gelehrt und ihnen die Weise des Gebetes beigebracht. Am Ölberg forderte er die Jünger, die ihn begleitet hatten, auf: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet!“ Im Lukasevangelium, das dem Thema des Gebetes besondere Aufmerksamkeit widmet, ist davon die Rede, daß der Herr, um den Aposteln zu zeigen, daß man allezeit beten müsse und nicht nachlassen dürfe, ein Gleichnis vortrug, nämlich das Gleichnis vom gottlosen Richter. Dieser Mann wollte einer Witwe nicht zu ihrem Recht verhelfen. Schließlich tat er es doch, weil sie ihm mit ihren Bitten lästig fiel. Und schließlich erwähnt Lukas noch einmal, in der Abschiedsrede des Herrn, die Verpflichtung zum Gebet. „Wachet allezeit und betet, damit ihr imstande seid, all dem, was bevorsteht, zu entgehen und vor den Menschensohn zu treten.“ Die Apostel haben diese Weisung des Herrn verstanden und aufgenommen. Im großen Römerbrief schreibt der Apostel Paulus: „Seid freudig in der Hoffnung, in der Trübsal geduldig, anhaltend im Gebet!“ Im Brief an die Epheser bemerkt er: „Mit allerlei Bitten und Gebeten flehet allezeit im Geiste!“ Und im Brief an die Kolosser: „Seid beharrlich im Gebet!“ Und schließlich noch eine letzte Mahnung, nämlich im 1. Brief an die Thessalonicher: „Freuet euch allezeit! Betet ohne Unterlaß! Sagt Dank bei allem, denn das ist der Wille Gottes!“ Es gibt also eine Notwendigkeit des Gebotes. Wenn wir den Willen Gottes erfüllen wollen, müssen wir beten. Das Gebet ist der Weg zum Himmel, und ohne Gebet ist noch niemand in den Himmel gekommen. Alle, die im Himmel sind, haben dieses Ziel erreicht, weil sie gebetet haben.

An zweiter Stelle wollen wir fragen, bei welchen Gelegenheiten wir beten sollen. Nun, ganz allgemein kann man sagen: häufig. Das Gebet sollte unser Leben begleiten. Wir sollten unser Leben einhüllen in Gebete. Freilich gibt es besondere Gelegenheiten, bei denen das Gebet angebracht ist. Wir sollen das Tagewerk weihen, indem wir das Morgengebet sprechen. „Alles meinem Gott zu Ehren in der Arbeit, in der Ruh’.“ Das ist das Morgenlob, das keinen Tag von uns vergessen werden sollte. Wir sollen das Abendgebet sprechen, denn in der Nacht versinken wir in das Unbewußte, und die Seele arbeitet weiter. Die letzten Gedanken vor dem Schlafen sollten Gedanken an Gott sein. „Hab’ ich Unrecht heut’ getan, sieh’ es, lieber Gott, nicht an!“ So haben wir als Kinder gelernt, und so sollten wir an jedem Abend sprechen. „Hab’ ich Unrecht heut’ getan, sieh’ es, lieber Gott, nicht an!“ Das ist die Bitte um Verzeihung, die Reue, die aus unserem Herzen quillt. Auch das Tischgebet soll nicht vernachlässigt werden. Wenn wir bei Tisch nicht bitten und danken, wann dann? Wir sollen dem Herrn für die Gaben, die wir empfangen, unseren Dank abstatten. Natürlich kann man sagen, das einmalige Auslassen eines Tischgebetes ist keine Sünde. Aber wer das Tischgebet und die Morgen- und Abendgebete nicht verrichtet, wann betet denn der dann? Es ist anzunehmen, daß, wer nicht diese notwendigen Gebete verrichtet, überhaupt keine Gebet spricht. Und deswegen ist es eben doch eine Sünde, wenn man, zumindest über längere Zeit, Morgen- und  Abendgebet unterläßt oder die Tischgebete nicht verrichtet. Man kommt leicht in die Gleichgültigkeit gegen Gott hinein. Jede Nichterfüllung eines Gebotes schwächt die Kraft für seine Erfüllung bei der nächsten Gelegenheit. Wir sollen auch beten in Todesgefahr; denn das ist die entscheidende Stunde, wenn der Herr uns ruft und wenn wir vor sein Gericht treten müssen. Wir sollen beten in Versuchungen. Der Herr hat es uns eindringlich ans Herz gelegt, daß wir nur durch Gebet und Wachsamkeit die Versuchungen überwinden können. Wir sollen beten in Heimsuchungen; nicht sich auflehnen gegen Gott, wenn uns Leid und wenn uns Betrübnis trifft. Nein, in Heimsuchungen die Zuflucht nehmen zum Gebet. Wir sollen beten, wenn die Glocke ruft. Die Glocken sind Mahner zum Gebet. Dreimal täglich rufen sie zum „Engel des Herrn“, und wir sollten diese Mahnung hören. Wir sollen dem Herrn danken für sein Erscheinen, für sein Kommen, für seine Geburt. In manchen Gemeinden ist es üblich, daß beim Sterben eines Gemeindemitgliedes geläutet wird. Sofort sollte unser Gedanke sein: „Herr, gib ihm, gib ihr die ewige Ruhe!“ Ich habe auch schon Gemeinden kennengelernt, in denen wird zur heiligen Wandlung geläutet. Diejenigen, die zu Hause geblieben sind, sollen wissen: Jetzt steigt der Herr auf den Altar nieder; und in manchen Häusern knien dann die Menschen nieder, um den Herrn, wenn auch aus der Ferne, anbetend zu verehren. Wenn wir von irgendetwas ergriffen sind, sollten wir die Gelegenheit benutzen, um zu beten. Im letzten Kriege führte der Vizeadmiral Rogge einen Hilfskreuzer. Das war ein Handelsschiff, das mit mehreren Kanonen bestückt war und Kaperkrieg betreiben sollte. Dieses Schiff ist über ein Jahr lang in fremden Gewässern unterwegs gewesen und war vom Glück begünstigt. Aber eines Nachts fuhr in ganz geringer Entfernung von diesem deutschen Hilfskreuzer ein englisches Schlachtschiff vorbei. Wenn das Schlachtschiff den Hilfskreuzer bemerkt hätte, dann wäre er in kurzer Zeit mit Salven eingedeckt und versenkt worden. Aber der Hilfskreuzer wurde nicht entdeckt. Als die Gefahr vorüber war, versammelte der Vizeadmiral Rogge seine Männer, ließ sie antreten und betete mit ihnen das Vaterunser als Dank für die bestandene Gefahr. Er hatte begriffen, daß es angebracht war, Gott für die Errettung aus der Gefahr zu danken. Wir sollen auch Unternehmungen, die wir planen, durch das Gebet vorbereiten. Der Herr hat es so getan. Bevor er die Apostel berief, hat er die Nacht im Gebet verbracht. Als er den Lazarus aus dem Grabe rief, betete er. Auch die Apostel haben gebetet, als sie zur Wahl des Ersatzmannes für den Judas schritten. So sollen auch wir unsere Unternehmungen  mit Gebet vorbereiten. Immer, meine lieben Freunde, wenn Sie einen schweren Gang vorhaben, nehmen Sie Ihre Zuflucht zum Gebet! Bitten Sie den Heiligen Geist, daß er Ihre Worte füge und daß er das Herz Ihres Gesprächspartners lenke. Sie werden einmal sehen, wie gut Gespräche, die man in dieser Weise vorbereitet hat, vonstatten gehen. Wir sollen die Gelegenheiten zum Gebet wahrnehmen.

Aber freilich, es gibt Menschen, die machen Einwände gegen das Gebet. Die einen, das sind die Rationalisten, sagen: Man braucht Gott die Anliegen gar nicht vorzutragen. Er weiß ohnehin kraft seiner Allwissenheit davon. Ja, selbstverständlich! Wir wollen Gott, wenn wir beten, nicht belehren über das, was wir brauchen, sondern wir wollen unser Herz öffnen, daß wir fähig werden, seine Gaben entgegenzunehmen. Im Gebet wollen wir uns demütig vor ihm beugen und ihn anerkennen als den Spender alles Guten. Wir wollen, wenn wir unsere Bitten vor Gott tragen, ihn nicht über das aufklären, wessen wir bedürfen, sondern wir wollen unsere Empfänglichkeit bekunden und unsere Sehnsucht nach den Gaben, die Gott uns geben will, steigern. Also dieser Einwand trägt nicht. Natürlich weiß Gott, was wir nötig haben, aber er will, daß wir es ihm sagen, um unsere Empfänglichkeit zu erwecken und zu vertiefen. Ein anderer Einwand lautet: Man kann Gott nicht umstimmen. Gott ist unveränderlich. Wenn er beschlossen hat, etwas zu tun, dann geschieht es, ob ich nun bete oder nicht. Gott ist unveränderlich, gewiß. Aber in der Unveränderlichkeit Gottes ist eben vorgesehen, daß Gott uns bestimmte Gaben nur geben will, wenn wir beten. In seinen unveränderlichen und ewigen Ratschlüssen hat er verfügt, uns bestimmte Gaben nur zu gewähren, wenn wir darum bitten. Unsere Bitten sind also die gottgesetzte Bedingung dafür, daß sein ewiger Wille geschieht.

Es gibt Leute, die sagen: Ich habe keine Lust zu beten. O, meine lieben Freunde, wenn es auf die Lust ankäme, dann sähe das Leben anders aus. Nicht die Lust ist uns aufgegeben, sondern die Pflicht. Das Gebet ist eine Pflicht, und einer Pflicht kommt man nicht bei, indem man sich auf die Lust beruft. Wir haben die heilige Pflicht, Gott zu danken, Gott zu loben und Gott zu bitten, und diese Pflicht wird durch keine Lust oder Unlust gefördert oder getrübt.

Es gibt auch Leute, die sagen: Ich kann nicht beten. Das ist eine Irrlehre. Du kannst immer beten; und wenn du Abschau oder Widerwille gegen das Gebet verspürst, dann bete weiter, dann bete dir zum Trotz, dann bete gegen dich! Ich kann nicht beten – das ist eine Irrlehre. Du kannst immer beten.

Im Laufe eines längeren Lebens ist man vielen Menschen begegnet. Und ich kann nur sagen, daß jeder, der im Gebet nachlässig wurde, entweder den Glauben verloren hat oder jedenfalls die religiöse Praxis aufgegeben hat. Wenn Sie fragen: Warum sind denn Tausende und Abertausende von Priestern aus ihrem heiligen Stande ausgebrochen?, dann ist die Antwort sehr einfach: Sie haben die heiligen Pflichten ihres Standes nicht mehr erfüllt. Der Zusammenbruch lag vorher. Es war ein Zusammenbruch des Gebetes, es war ein Zusammenbruch des Empfanges des Bußsakramentes, es war ein Zusammenbruch der würdigen täglichen Feier der heiligen Messe. Ein junger Mann, der zum Militär eingezogen wurde, schrieb einmal, vielleicht etwas primitiv, in sein Gebetbuch, das er mitnahm: „Bete, sonst holt dich der Teufel!“ Wahrhaftig, so ist es. Wer nicht betet, den holt der Teufel.

Amen.

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