Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die geoffenbarte Wahrheit (Teil 16)

19. Oktober 1997

Die Einwände des Modernismus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Freitag rief mich eine Dame aus Meschede in Nordrhein-Westfalen an und berichtete, daß sie soeben eine Rundfunksendung gehört habe, in der die Abfassung der Evangelien in das 2. Jahrhundert verlegt wurde, abgesehen vielleicht vom Markusevangelium, und so auf diese Weise versucht wurde, die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit der Evangelien zu untergraben.

Die falsche Wissenschaft und der Unglaube sind unermüdlich am Werk, den Glauben zu zerstören. Nicht nur im Rundfunk sind solche Angriffe zu gewärtigen, auch in der Schule, ja im Religionsunterricht werden Ihre Kinder mit falschen Thesen über die Jesusgeschichte konfrontiert. Die entscheidende Frage lautet: Ist das Evangelium von Jesus Christus eine zuverlässige Botschaft, oder ist es das nicht? Sind die Evangelien eine Mischung aus historischen Begebnissen und unhistorischen, erfundenen, phantastischen Übermalungen? Sind die Evangelien ein Erzeugnis religiöser Ideen, die sich mit hellenistischen Vorstellungen und alttestamentlichen Erinnerungen zu einem unentwirrbaren Komplex verdichtet haben? Der Unglaube und die falsche Wissenschaft sagen: Ja, so ist es.

Wir, die wir von der Zuverlässigkeit der Evangelien überzeugt sind, haben ein gewichtiges Argument, um von vornherein diesen Aufstellungen entgegenzutreten. Denn der Unglaube ist sich nur in einem einig: in der Ablehnung der Zuverlässigkeit der Evangelien. In den Einzelerklärungen gehen die Falschlehrer total auseinander und widersprechen sich gegenseitig. Die Vielfalt der falschen Lehren ist ein Zeichen dafür, daß sie sich nicht auf eindeutige, objektive, jeden Zweifel niederschlagende Tatsachen stützen. Die Wahrheit ist eindeutig. Nur subjektive Konstruktionen sind vieldeutig.

Die eben genannten falschen Lehrer gehen allesamt mit einem Vorurteil an die Evangelien heran, nämlich mit dem Vorurteil: Es ist zur Zeit Jesu alles natürlich zugegangen, wie auch heute. Sie haben die negativen Dogmen des Deismus, des Rationalismus, des Naturalismus und des Skeptizismus in sich aufgenommen; und von diesen negativen Dogmen aus beurteilen sie die evangelische Überlieferung. Sie haben ein vorgefaßtes Bild von Jesus, nämlich ein solches, in dem nichts Übernatürliches vorkommen darf, und danach beginnen sie, die Quellen zu scheiden. Alles, was natürlich zugeht, kann historisch sein; alles, was an Übernatürlichem berichtet wird, kann nur erfunden sein. Das sind die Voraussetzungen dieser falschen Lehre.

Der Haupteinwand stützt sich darauf, daß die Evangelien ein Glaubenszeugnis sind. Das sind sie zweifellos. Die Evangelien kommen aus dem Glauben und wollen dem Glauben dienen. Die Verfasser der Evangelien waren gläubige Männer. Sie haben ihren Glauben in der Absicht aufgeschrieben, andere zum Glauben zu führen. Sie haben aus Predigt und Katechese die Überlieferung entnommen und zusammengestellt, um den Lesern und Hörern der Evangelien denselben Glauben zu vermitteln, den sie angenommen haben. Aber sind gläubige Männer deswegen unzuverlässig, weil sie gläubig sind? Man kann Jesus überhaupt nur entweder im Glauben oder im Unglauben begegnen. Wenn wir keine gläubigen Zeugen hätten, dann wären es eben ungläubige. Es gibt keinen anderen Ort der Begegnung mit Jesus als den Glauben oder den Unglauben. Wer ihn nicht gläubig annimmt, der lehnt ihn im Unglauben ab. Tertium non datur – eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Aber diese gläubigen Männer waren interessiert an der Tatsächlichkeit der Geschehnisse. Sie wollten ja nicht irgendwelchen Phantasien aufsitzen, sondern sie wollten ihren Glauben auf Tatsachen gründen. Sie sind Jesus nicht aus einer grundlosen Begeisterung gefolgt, sondern sie haben die Herrlichkeit des Herrn geschaut.

Die Evangelisten bezeugen an vielen Stellen, daß sie Tatsachen berichten. Vor allem der Evangelist Lukas, gewissermaßen der besondere Historiker unter den Evangelisten, schreibt: „Schon manche haben es unternommen, eine Erzählung der Begebenheiten zu verfassen, die sich unter uns zugetragen haben“, die also nicht erdichtet sind, sondern „die sich unter uns zugetragen haben, so wie es uns die überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen sind. So habe auch ich mich entschlossen, allem, von den ersten Anfängen an, sorgfältig nachzugehen und es für Dich, o Theophilus (das ist der Mann, dem das Evangelium gewidmet ist) der Reihe nach niederzuschreiben, damit Du Dich von der Zuverlässigkeit der Lehren, über die Du unterwiesen worden bist, überzeugen kannst.“

Ähnlich heißt es im Johannesevangelium: „Noch viele andere Zeichen hat Jesus vor den Augen seiner Jünger getan, die nicht in diesem Buche aufgezeichnet sind. Diese aber sind aufgeschrieben worden, damit ihr glaubet, daß Jesus der Messias ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habet in seinem Namen.“ Und ein wenig weiter unten, im Nachtragskapitel heißt es: „Jesus hat noch viele andere Dinge getan. Wenn man aber diese einzeln aufschreiben wollte, so glaube ich, nicht einmal die Welt würde die Bücher fassen, die geschrieben werden müßten. Und der Verfasser dessen ist der Jünger, der Zeugnis gibt von diesen Dingen und der dies geschrieben hat, und wir wissen: Sein Zeugnis ist wahr.“

Die Jünger waren existentiell an der Tatsächlichkeit der Ereignisse interessiert. Wieso denn? Sie gaben eine Heimat, sie gaben ihren jüdischen Standort auf. Sie wandten sich dem Ärgernis des Kreuzes zu. Sie mußten bereit sein, Drangsal und Verfolgungen zu erleiden – doch nicht für Illusionen, doch nicht für Phantasien, doch nicht für Einbildungen! Wer hat denn jemals für eine Einbildung, für eine Phantasie, für eine erfundene, betrügerisch erfundene Geschichte den Tod auf sich genommen? Die Jünger wußten, daß auch im Jenseits ihrer nur dann die Freuden und die versprochene Seligkeit warteten, wenn die Tatsachen stimmten, die sie von Jesus erlebt und berichtet bekommen hatten. Immer wieder betonen die Apostel in Drangsal und Verfolgung, daß sie gar nicht anders können, als von dem reden, was sie erlebt und gesehen haben. Vor dem Hohen Rat sagen die Apostel: „Wir können nicht verschweigen, was wir gesehen und gehört haben.“ Der Hohe Rat drohte ihnen: Wenn sie das weiter verkünden würden, würde es ihnen noch schlimmer ergehen, als daß sie nur gegeißelt würden. Aber die Apostel sagen: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Und dieser Gehorsam zwingt sie, von Jesus und von seinen Taten zu sprechen.

Der Apostel Paulus ist ein besonderer Zeuge für die Tatsächlichkeit der Geschehnissen, und zwar der Auferstehung Jesu. Es ist ihm ganz klar: Wenn die Auferstehung Jesu keine Tatsache ist, dann ist der Glaube wertlos und die Predigt eine verlogene Angelegenheit. In seinem 1. Korintherbrief schreibt er: „Wenn aber Christus nicht auferstanden ist, so ist euer Glaube nichtig; dann seid ihr noch in euren Sünden. Dann sind auch die in Christus Entschlafenen verloren. Wenn wir bloß in diesem Leben auf Christus unsere Hoffnung setzen, so sind wir bejammernswerter als alle Menschen.“ Und im Galaterbrief hebt er mit äußerster Schärfe hervor, daß sein Evangelium nicht Menschenwerk, sondern Gottes Botschaft ist: „Sollten auch wir oder ein Engel vom Himmel euch eine andere Heilsbotschaft verkünden wollen, als wir euch verkündet haben, der sei verflucht! Was ich eben gesagt habe, das wiederhole ich: Sollte jemand euch eine andere Heilsbotschaft verkünden, als die ihr erhalten habt, so sei er verflucht!“ Stärker kann man wohl die Übereinstimmung der Botschaft mit den Tatsachen nicht ausdrücken, als es Paulus hier getan hat. Nicht grundlos sind die Apostel irgendwelchen Lehren aufgesessen, sondern sie sind dem Zeugnis der Tatsachen gefolgt.

Die Evangelien verraten durch ihre ganze Anlage, daß sie Tatsachen berichten wollen. Wenn heute ein sogenannter Forscher ein Buch schreibt mit dem Titel: „Was die Bibel Wunder nennt“ und dabei in diesem Buche die Wunder als erfundene Erzählungen darstellt, die die Bedeutsamkeit Jesu erweisen wollen, dann ist das ein völlig falsches und verkehrtes Unternehmen. Die Evangelisten zeigen, daß sie, was sie niederlegen, auch die Wunder, auch die Naturwunder, als Tatsachen, als realen Beweis der Herrlichkeit und Macht Jesu Christi ansehen. Das geht zum Beispiel hervor aus der Tatsache, daß sie die Wunder mit Orts- und Zeitangaben versehen. Sie wollen sie eben in der Geschichte verankern.

Die Evangelien verraten auch eine genaue Kenntnis der damaligen Zeit. Sie machen Angaben, die, wenn die Evangelien im 2. Jahrhundert geschrieben worden wären, gar nicht mehr möglich gewesen wären, weil sie durch die Zerstörung Jerusalems verlorengegangen wären. Sie kennen die politischen Verhältnisse in Palästina. Sie wissen, wer regierte, sie nennen die Namen aus der Familie des Herodes. Sie kennen die Person und das Amt des Pilatus. Ihnen ist vertraut, daß zwischen den Juden und den Samaritern große Gegensätze bestanden. Sie kennen die Parteien in Israel, Sadduzäer und Pharisäer. Sie kennen das Münzwesen ihrer Zeit. Das alles sind Tatsachen, die nur deswegen aufbewahrt werden konnten, weil sie in der Überlieferung festlagen und von den Evangelisten getreu wiedergegeben wurden.

Es gibt auch noch einen besonderen Beweis aus der Schriftstellerei des Evangelisten Lukas. Die ersten Verse, die ich eben vorgelesen habe, sind in einem glänzenden Griechisch geschrieben. Die übrigen Teile des Evangeliums sind dagegen in einem holprigen Übersetzungsgriechisch geschrieben. Warum denn? Weil Lukas den überlieferten Texten nicht seine klassischen Griechischkenntnisse übergestülpt und die Überlieferung umgeformt hat, sondern weil er in der Treue zur Überlieferung die urtümliche Gestalt auch in einem holprigen Griechisch bewahrt hat.

Die Evangelisten zeichnen Charaktere. Denken Sie etwa an das Bild des Petrus: ungestüm, schnell begeistert, aber auch unzuverlässig und schwankend. Das Altertum verstand sich nicht darauf, literarische Profile zu zeichnen. Wenn in der alten Zeit die Schriftsteller eine Gestalt aus der Phantasie entwerfen, dann ist es immer eine typische. Konkrete, lebendige Gestalten konnte man nur dem Leben nachzeichnen, und das eben ist im Evangelium geschehen, zumal bei Petrus, der ja der Erwecker des Glaubens der Urgemeinde war.

Die Evangelisten sind auch redlich. Sie verschweigen nicht die Fehler und Schwächen der Apostel. Sie zeigen, wie sie eifersüchtig waren, wie sie ehrgeizig waren, wie sie feige waren und flohen. Sie verschweigen auch nicht die Niederlagen und das Scheitern ihres Herrn und Meisters. Sie verbiegen nichts, und sie vertuschen nichts, sondern aufrichtig und wahrhaftig entwerfen sie das Bild, so wie es die Geschichte gezeichnet hat.

Die Evangelisten verraten auch nicht etwa eine spätere Reflexionsstufe. Sie bringen nicht die Theologie ein, wie sie in den 50er und 60er Jahren ja von Paulus schon entwickelt wurde, denn sie entspricht eben nicht dem Evangelium, das erheblich früher die Tatsachen, die Worte und Werke Jesu aufgezeichnet hat. Sie sind treu der Überlieferung, und das ist eigentlich ein ganz entscheidender Gesichtspunkt. Die Evangelisten standen in der  Überlieferungsreihe. Sie wußten, was Überlieferung ist. Wer überliefert, muß das, was er übernimmt, getreu weitergeben. Er darf es nicht verändern, er darf nichts hinzufügen, er darf auch nichts wegstreichen, er darf nichts retuschieren. Er muß getreu an dem festhalten, was ihm überkommen ist. Und was ihm überkommen ist, das stammt von Augenzeugen, und diese Augenzeugen lebten noch, und sie würden sich gewehrt haben, wenn man ihre Zeugnisse verfälscht, wenn man ihre Zeugnisse verfärbt, wenn man ihre Zeugnisse umgestaltet hätte.

Man muß weiter bedenken, daß, als die Evangelien geschrieben wurden, auch noch Personen lebten, die zwar die Jesusgeschichte miterlebt, aber nicht zum Glauben gefunden hatten. Auch sie wären aufgestanden, wenn von Jesus Geschichten erzählt worden wären, die sich tatsächlich nie zugetragen hatten.

Nein, meine lieben Freunde, wir dürfen überzeugt sein: Die Evangelien sind zuverlässig. Sie geben das wieder, was Jesus gesagt und getan hat. Die Evangelien sind gewiß keine Geschichtsbücher, wie wir sie heute haben. Sie sind keine Biographie Jesu. Sie berichten nichts von der inneren Entwicklung Jesu, und auch sein äußeres Leben ist ja nur eigentlich bezüglich der öffentlichen Tätigkeit der letzten Jahre dargestellt, abgesehen von den Kindheitsberichten. Ihre Literaturgattung ist einzigartig. Man kann die Evangelien in keine der damaligen Literaturgattungen einordnen. Sie sind in ihrer Art solitär. Sie sind es, weil sie eben von einem solitären Ereignis berichten, nämlich von dem Ereignis, das die Mitte der Weltgeschichte ist. Die Geschichte der Menschheit hat einen Anfang genommen, und sie wird ein Ende haben. Aber es gibt eine Mitte, und diese Mitte ist das Erscheinen des Gottessohnes in Palästina zur Zeit des Pontius Pilatus und der Hohenpriester Annas und Kaiphas. Diese Mitte ist die, die Johannes mit den Worten wiedergibt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater.“

Amen.

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