Predigtreihe: Die heiligen und gefallenen Engel (Teil 6)
1. November 1996
Der Teufel, der Fürst der Welt
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Verehrung der Heiligen Versammelte!
Wir haben am vergangenen Sonntag erkannt: Es gibt nicht nur eine apersonale Macht des Bösen. Es existiert vielmehr ein persönliches Wesen, dessen innerste Gesinnung böse ist und welches das Böse um den Bösen willen will. Diese böse Person nennen wir den Teufel. Der Ausdruck stammt aus der griechischen Sprache, ist abgeleitet von dem Wort „diabolos“, und das bedeutet soviel wie „Durcheinanderwerfer“.
Der Teufel ist innerlich böse. Er haßt Gott. Er lebt im Gotteshaß. Das heißt, er haßt das personale Gute; er kann deswegen nichts und niemanden mehr lieben. Er haßt auch den Menschen um Gottes willen. Im Haß gegen den Menschen sucht er Gott zu treffen als den Schöpfer und Heiligen. Er sucht den Menschen von Gott abwendig zu machen, ihn in seine eigene Gottesferne hineinzuziehen. Er bekämpft auch das Reich Gottes, die Gottesherrschaft, mit einer letzten Unerbittlichkeit.
Die Sünde ist sein Werk. Durch einen Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, aber der Mensch sündigte durch den Neid des Teufels. Er wurde vom Teufel verführt. Die Heilige Schrift stellt diese Verführung unter dem Bilde einer Schlange dar, aber das Wesen der versucherischen Macht geht weit über die Fähigkeiten und Kräfte einer Schlange hinaus. Was mit der Schlange gemeint ist, ist die personale böse Macht, die wir Satan nennen. Jede Sünde steht in Verbindung mit der Ursünde. Jeder Sünder begibt sich in die Gemeinschaft des Satans. Er unterwirft sich dem Satan, und in dieser Hinsicht und mit dieser Beschränkung ist der Satan der Fürst dieser Welt, der Herr dieser Welt, der Gott dieser Welt. So nennt ihn die Heilige Schrift. Er ist der Herr der Welt, in der es Ungerechtigkeit, Unglück, Sinnlosigkeit, Zerrissenheit, Haß und Bosheit gibt. Er ist nicht in dem Sinne Herr der Welt, wie es Gott ist, denn Gott ist der Herr auch dieses Herrn. Aber er ist der Herr der Welt, in der das Gute unterdrückt wird und das Böse die Herrschaft innehat. Wer sich in die Sünde begibt, der macht Satan zu seinem Herrn. Es ist dem Menschen keine Wahl gegeben: Entweder er ist Gott unterworfen oder dem Satan. Entweder er ist frei von Gott oder vom Satan. Ein Drittes gibt es nicht.
Die Heilige Schrift schildert das Wirken Satans mit eindringlicher Wucht. Im Alten Testament sind es vor allem drei Stellen, wo die Tätigkeit des bösen Feindes geschildert wird. Im Buche Job wird in dichterischer Einkleidung eine Versammlung vor Gott geschildert. Gott preist seinen Diener Job wegen seiner Frömmigkeit und Ergebenheit. Auch Satan ist bei der Versammlung anwesend, und er traut sich zu, die Frömmigkeit Jobs als unecht zu erweisen. Gott braucht ihm nur Gewalt über sein Eigentum und seine Gesundheit zu geben, dann wird sich zeigen, daß es keine wahre Gottesfurcht gibt, daß der angeblich so fromme Job in Wirklichkeit nur aus Eigennutz und Selbstsucht fromm ist. Gott gewährt ihm, den Job mit Plagen zu schlagen. Sie haben den Zweck, Job zum Abfall von Gott zu bewegen; damit soll seine Frömmigkeit als geheuchelt erwiesen werden, zugleich aber Gottes Urteil als irrig. Es soll damit nachgewiesen werden, daß es keine wahre Frömmigkeit gibt. Aber wir wissen, wie dieser Zweikampf ausging. Gott obsiegte, er war stärker als der gottfeindliche und menschenfeindliche Verführer.
Eine zweite Stelle wird im Buche des Propheten Zacharias angegeben. Da steht der Hohepriester Josue in schmutzigen Kleidern vor dem Engel des Herrn. Die schmutzigen Kleider sind ein Sinnbild der Sünden des Volkes. Er soll nun reine Kleider bekommen, und dadurch soll die Reinigung des Volkes von seiner Schuld versinnbildet werden, aber Satan sucht diese Reinigung zu hintertreiben. Es gelingt ihm nicht; Gott ist stärker als er. Hier zeigt sich also Satan als Widersacher des gnädigen Gottes, der sich seiner Gemeinde, seines Volkes und der Priester erbarmt, und als Feind der Menschen, die sich in das Erbarmen Gottes werfen wollen.
Die dritte Stelle ist im ersten Buch der Heiligen Schrift zu finden, in der Genesis. Da wird die Verführung der Stammeltern geschildert. Die Verführung geschieht durch eine Schlange, die offenbar wegen ihres schleichenden, tückischen Wesens geeignet scheint, den Widersacher zu versinnbilden. Die Schlange lügt. Sie erklärt den Menschen mit ihrer Frage, ob Gott ihnen verboten habe, von allen Bäumen des Gartens zu essen, etwas Falsches; denn Gott hat ihnen nicht verboten, von allen Bäumen des Gartens zu essen, sondern nur von einem zu essen hat er untersagt. Der Teufel lügt, weil er der Vater der Lüge ist; dadurch verwirrt er die Lage. Er lügt freilich geschickt, indem er Wahres mit Falschem mischt. Darin liegt der Erfolg seiner Lüge begründet. Er verdächtigt Gott. Gott will, so behauptet er, den Menschen etwas vorenthalten. Er hat ihnen nur deswegen das Essen von dem Baum der Erkenntnis verboten, damit sie nicht Gott gleich werden. Er reizt auch gleichzeitig das Selbstbewußtsein der Menschen, indem er ihnen von dem Fruchtgenuß Gottgleichheit verspricht. Diese Stelle ist von einer meisterhaften Psychologie durchwoben und bleibt gültig, solange diese Weltzeit andauert. Was im ersten Buch der Heiligen Schrift geschildert wird, das vollzieht sich millionenfach in dem menschlichen Leben – die Verführung durch die Lüge des Satans, der verheißt, was er nicht erfüllen kann, der etwas verspricht, was er nicht geben kann.
Der Haß Satans gegen Gott und gegen die Menschen erreicht seinen Gipfel mit der Ankunft Jesu. Da steigert sich die Kraft und die Furchtbarkeit seines Hasses. Er geht gegen Christus mit List, Verschlagenheit und schließlich mit brutaler Gewalt vor, denn er weiß: Jetzt ist das Ende seiner Herrschaft gekommen. Jesus ist ja auf dieser Erde erschienen, um die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Er ist der Macht des Teufels entzogen, über ihn hat der Teufel keine Gewalt. Der Satan ist gewissermaßen schon gestürzt mit seiner Ankunft, und das wissen die bösen Geister, und sie schreien es aus. Aber Jesus lehnt es ab, sich von ihnen als Messias bezeugen zu lassen, von ihnen, die an Gott glauben, aber davor zittern.
Um das Wirken Jesu hintanzuhalten, versucht Satan, Jesus selbst zu Fall zu bringen, in den drei Versuchungen, die uns bei Matthäus und Lukas geschildert werden. In der ersten Versuchung macht er sich die Tatsache zunutze, daß Jesus 40 Tage gefastet hatte. Er hatte Hunger. Und so mutet er ihm zu: „Mach diese Steine zu Brot!“ Die Versuchung liegt nicht darin, daß Jesus seinen Hunger stillen soll und kann. Die Befriedigung natürlicher Bedürfnisse ist keine Sünde. Nein, die Versuchung liegt darin, daß der Teufel ihm zumutet, seine göttliche Sendung, seine göttliche Macht zu benutzen zu eigennützigen, irdischen Zwecken. Jesus weist dieses Ansinnen ab. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt!“ Das Wort Gottes hat den Vorrang vor allen irdischen Erfüllungen. In der zweiten Versuchung mutet Satan Christus ein Schauwunder zu. Er soll sich von der Zinne des Tempels hinabstürzen und auf diese Weise die Menschen gewinnen. Die Menschen warten ja immer auf so etwas, sie wollen eine Sensation erleben. Der Teufel mutet Jesus zu, seine Sendung mit einem Schauwunder zu beglaubigen und auf diese Weise die Menschen zu gewinnen. Jesus weiß, daß auf diese Weise die Menschen zwar betäubt, aber nicht überzeugt werden. Wer mit einem Schauwunder zum Jünger Jesu gemacht wird, der ist kein wahrer Anhänger Jesu, denn dieser ist dadurch gekennzeichnet, daß er sein Kreuz auf seine Schultern nimmt und ihm nachfolgt. Deswegen weist Jesus auch diese Versuchung ab. Sie ist deswegen besonders gefährlich, weil sich der Satan in das Gewand des Frommen hüllt. Er zitiert ein Bibelwort; einen Psalm und sagt: Gott hat doch den Engeln befohlen, daß sie dich auf ihren Händen tragen, damit dein Fuß nicht stoße an einen Stein. Er führt Gottes Wort an, um Gottes Sohn zu verführen. Aber Jesus weist ihn zurück und lehnt es ab, ein derartiges Wunder zu wirken. Er weiß, daß er seine Macht nicht zur Blendung der Menschen durch ein sensationelles Geschehen verwenden darf. „Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen!“
Der Gipfel der Versuchungen wird freilich erreicht in der dritten. Da zeigt ihm der Teufel alle Reiche dieser Welt, die Herrlichkeit und die Macht der Erde, und als Herr der Welt, als den er sich sieht, verspricht er Jesus diese Macht und Herrlichkeit, wenn er niederfällt und ihn anbetet. Hier wird Jesus nicht nur zugemutet, mit unrechten Mitteln sein Reich aufzubauen, sondern hier wird ihm zugemutet, sein Reich der Wahrheit und der Gnade gegen ein irdisches Reich zu vertauschen. Ja, hier wird ihm zugemutet, Gott mit dem Satan zu vertauschen, Gott durch den Satan zu ersetzen. Deswegen auch die harte Abfuhr, die er Satan erteilt. „Opiso mou, Satanas!“ – Fort, Satan! Du sollst den Herrn deinen Gott anbeten und nicht den Teufel! Ein solches hartes Wort hat Jesus noch einmal gesprochen, als ihm nämlich Petrus zumutete, nicht den Leidensweg zu gehen. Da hat er ihn als einen Satan bezeichnet. „Fort, Satan!“ sagte er zu ihm. Denn dem Leiden ausweichen, das wäre die Verkehrung seiner Sendung, das wäre der Verlust der göttlichen Gnade gewesen.
Jesus ist auch im weiteren Verlauf seines Lebens versucht worden. Der Evangelist Lukas schreibt nämlich: „Nachdem die Versuchungen (die drei genannten) geendet waren, verließ ihn der Satan bis zu gelegener Zeit.“ Er hat also später wieder angesetzt, um Jesus zu verführen, um Jesus zu Fall zu bringen. Es ist ihm nicht gelungen. Jesus sagt: „Ich sah den Satan wie einen Blitz vom Himmel fallen.“ Er ist gestürzt. „Jetzt ist die Stunde gekommen, da Satan hinausgestoßen wird“, hinausgestoßen aus der Welt, die Gottes Züge annehmen soll. Jetzt ist die Stunde gekommen, in der der Satan besiegt wird. „Jetzt ist das Gericht über ihn ergangen.“
Amen.