Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das eucharistische Opfer (Teil 2)

23. Juni 1996

Die Bedeutung des Opfers Christi am Kreuz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Christus hat sich Gott als wahres und eigentliches Opfer dargebracht. Das ist ein unumstößlicher Glaubenssatz unserer heiligen Kirche. Christus hat sich Gott als ein wahres und eigentliches Opfer dargebracht. Die Opferung Jesu begann eigentlich mit seinem Eintritt in die Welt. Da hat er seine himmlische Gestalt abgelegt und die Gestalt eines Knechtes angenommen. Er ward im Äußeren erfunden als ein Mensch, nur als ein Mensch. Er hat die Freiheit seines Willens drangegeben, denn er wollte nichts tun, als den Willen seines Vaters erfüllen. „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat, damit ich seinen Willen erfülle.“

Der Herr hat keinen irdischen Besitz gehabt; er war verlassen von irdischen Gütern und konnte deswegen sagen: „Die Vögel haben Nester und die Füchse haben Höhlen, aber der Menschensohn hat nichts, wohin er sein Haupt legen kann.“ Er war heimatlos auf dieser Erde. Er hat oft auf Speise und Trank verzichtet. Einmal heißt es: „Das Volk umdrängte ihn so sehr, daß er nicht einmal Brot essen konnte.“ Die Predigttätigkeit und das Heilswirken haben ihn wahrhaft verzehrt. Nicht einmal in der Nacht hatte er Ruhe, denn er hat nächtelang auf den Bergen gebetet. Im Gebet mit dem Vater hat er sich die Kraft für sein Wirken geholt. Vor allem aber hat der Herr seine Ehre darangegeben, und diese Preisgabe ist vielleicht schmerzlicher als irdische Verluste anderer Art. Er hat sich der Verachteten und Ausgestoßenen angenommen; er hat auch unbefangen mit denen, die sich freuten, an der Freude teilgenommen. Und deswegen, so heißt es im Lukasevangelium, wurde er genannt „ein Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder“. So hat man unseren Herrn und Heiland verunglimpft. Spott und Hohn hat er ertragen, vor allem, als sein Leiden begann. Wir stehen immer mit Ergriffenheit vor dem Bilde, wie der Herr gegeißelt wurde, wie er eine Dornenkrone trug, einen Spottmantel, wie man ihm ein Rohr als Scheinzepter in die Hand drückte und eine Dornenkrone auf sein Haupt, um ihn als den „König“ zu verspotten.

Das eigentliche Opfer Jesu aber geschah am Kreuze. Da hat er seinen Leib mißhandeln und töten lassen. Die Geschehnisse am Kreuze sind das eigentliche Opfer, das Christus vollbracht hat. Da ging von ihm in Erfüllung, was im 21. Psalm verheißen war: „Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch. Wie Wasser bin ich ausgegossen, und aufgelöst sind alle meine Gebeine.“ Am Kreuze hat Christus das Opfer dem Vater übergeben. Er selbst war die Opfergabe, er selbst war der Opferpriester. Die Soldaten waren nur die Werkzeuge, aber sie waren keine Opferer.

Die Opferung geschah durch ihn selbst. Er ward geopfert, weil er selbst es wollte.

Nun werden gegen diese eben von mir vorgetragene Lehre der Kirche Einwände vorgebracht. Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts haben die sogenannten Modernisten, also Theologen, die das Evangelium der Zeitmeinung anpassen wollen, gesagt: Die Lehre vom Opfer stammt nicht aus dem Evangelium, sie ist von Paulus erfunden. Und in der heutigen Zeit sagt ein Mann wie Walter Kasper, zur Zeit Bischof von Rottenburg, die Begriffe Opfer und Sühne seien „Interpretamente“ des eigentlich Gemeinten. Das heißt also, wenn ich es recht verstehe, Christus ist nicht wahrhaft ein Opfer und hat nicht wahrhaft eine Sühne geleistet, sondern man hat nur Vorstellungsweisen aus der damaligen Zeit verwendet, um etwas Unsagbares, Dahinterstehendes zu beschreiben. Mit solchen Thesen gefährdet Walter Kasper das gesamte Heils- und Erlösungswerk unseres Heilandes Jesus Christus.

Christus selbst hat sein Leiden und Sterben als ein Opfer angesehen. Immer wenn er vom „Hingeben“ spricht, dann deutet er auf sein Opfer. Denn die Hingabe ist das Entscheidende am Opfer, Hingabe des Willens und Hingabe der Gabe. Die Gabe war er selbst. „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für viele.“ Hier haben Sie das Wort „hingeben“. Und ähnlich sagt er das auch beim Abendmahl: „Das ist der Kelch meines Blutes, das hingegeben wird zur Vergebung der Sünden.“ Also Christus selbst hat seinen Tod als Opfertod verstanden. Ganz deutlich ist es dann im Johannesevangelium: „Niemand nimmt das Leben von mir“, heißt es dort, „sondern ich gebe es hin.“ Ich gebe es hin als ein Opfer. „Ich bin der gute Hirt, und der gute Hirt gibt sein Leben für seine Schafe.“ Also Christus selbst hat seinen Tod als einen Opfertod verstanden.

Selbstverständlich hat der größte Theologe der katholischen Kirche, der heilige Paulus, diese Verkündigung aufgenommen und mit seinem genialen Verstand, vom Heiligen Geist erleuchtet, entwickelt und entfaltet. Er spricht oft vom Opfer Jesu Christi, z.B. im Römerbrief: „Ihn hat Gott dargestellt als blutiges Sühneopfer.“ Oder im 1. Korintherbrief: „Unser Osterlamm Christus ist geschlachtet worden.“ Oder im Epheserbrief: „Christus hat sich hingegeben als Opfer, Gott zum lieblichen Wohlgeruch.“ Und noch einmal ganz deutlich im Hebräerbrief: „Christus ward einmal geopfert, um die Sünden vieler auf sich zu nehmen.“ Hier haben wir also die Entwicklung dessen, was im Munde Jesu begonnen wurde, nämlich die Darstellung des Todes Jesu als ein Gott dargebrachtes Opfer.

Wozu ward dieses Opfer dargebracht? Es ward dargebracht, um die Menschheit mit Gott zu versöhnen. Es war ein Opfer, das den Sinn hatte, die Menschen loszukaufen aus der Knechtschaft des mosaischen Gesetzes, der Sünde, des Teufels und des Todes. Es war ein Opfer, das dazu bestimmt war, Genugtuung zu leisten für die Schuld der Menschen. Auch diese Wahrheit ist schon von Christus ausgesprochen worden, wenn er sagt, daß er sein Leben hingibt „für die Sünden“. Das heißt eben: zur Tilgung der Sünden, zur Befreiung von den Sünden, zur Versöhnung der Sünder, die ja Feinde Gottes sind, mit Gott. Und wiederum hat Paulus die Verkündigung Jesu aufgenommen und sie lichtvoll entfaltet, wenn er etwa im 2. Korintherbrief sagt: „Wir bitten an Christi Statt: Laßt euch versöhnen mit Gott. Er hat den, welcher von Sünde nichts wußte, für uns zur Sünde gemacht.“ Das heißt, er ist für uns Sünd- und Sühnopfer geworden. Oder im Galaterbrief, wo er ebenfalls diese Wahrheit ausspricht: „Christus hat uns vom Fluche des Gesetzes erlöst, da er für uns zum Fluche geworden ist.“ Er hat sich mit den Sünden der Menschen beladen und sie ans Kreuz getragen und dort für die Sünden genuggetan. Das Opfer Christi ist ausreichend für alle Menschen aller Zeiten und aller Zonen. Es ist ein Opfer, das überfließend dargebracht wurde; denn es ist das Opfer des Gottmenschen. Die kleinste Handlung des Gottmenschen ist von unermeßlichem Wert; erst recht muß ein freiwilliges Opfer für die Sünden der Menschen eine unermeßluiche versöhnerische Kraft besitzen. Das Opfer Christi ist reich für alle. Der heilige Apostel Johannes spricht es aus, wenn er sagt: „Christus hat sich dargebracht für unsere Sünden, aber nicht nur für die unseren“, ergänzt er gleich, „sondern für die Sünden der ganzen Welt.“

Freilich, das muß deutlich gesagt werden, ist Christi Opfer ausreichend für alle. Ob es auch wirksam ist für alle, das hängt, wie wir gleich sehen werden, von anderen Faktoren ab. Die Suffizienz, das Ausreichen, ist gewährleistet, die Effizienz, die Wirksamkeit, ist vom Menschen abhängig. Aber noch einmal: Es ist ein überfließendes Opfer; es ist ein Opfer, so reich, wie es kein anderes sein konnte. Christus hat genuggetan in einer überfließenden Weise.

Die Gnaden des Opfers, die uns Christus verdient hat, fließen uns zu durch Gebet, Sakramente, Sakramentalien, vor allem das Meßopfer. Immer, wenn wir uns reuig und demütig an Gott wenden, strömen gleichsam aus der Seitenwunde Jesu die Gnaden uns zu. Aber wir müssen uns an ihn wenden. „Der dich ohne dein Zutun erschaffen hat, will dich nicht selig machen ohne dein Zutun“, sagt der heilige Augustinus. Erschaffen wurden wir ohne unser Zutun, aber den Himmel gewinnen können wir nur mit unserem Zutun. Wir müssen die Kanäle angehen, aus denen uns die Gnadenfülle, die Christus am Kreuze verdient hat, zufließt. Und diese Kanäle sind eben das Gebet, das Meßopfer, die übrigen Sakramente und Sakramentalien. Das sind die Quellen, die uns die Gnaden Christi vermitteln. Weil diese Quellen aus dem Kreuze entspringen, deswegen wird bei allen Sakramenten und Sakramentalien das Kreuzzeichen verwendet; das Kreuzzeichen will hinweisen auf die Quelle, aus der die Gnaden strömen, nämlich das Opfer, das Sühne- und Versöhnungsopfer unseres Herrn am Kreuze.

Da wissen wir also, meine lieben Freunde, wie wir das Leben, Leiden und Sterben unseres Heilandes einzuordnen haben. Es war ein Opfer, dargebracht zur Versöhnung der Menschen mit Gott. Es war ein Opfer, das er freiwillig dargebracht hat. Niemand nimmt das Leben von ihm, sondern er gibt es dem Vater hin. Die Rotte, die ihn gefangennehmen wollte, fiel zu Boden, als er sagte: „Ich bin es.“ Damit zeigte er, daß er selbst sich zum Opfer bereitgefunden hatte. Der heilige Johannes hat, als er Christus auf sich zukommen sah, die Worte gesprochen: „Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt!“ Diese geheiligten Worte sprechen wir jeden Tag bei der heiligen Kommunion. Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünden der Welt! Un diese Worte sollen uns nie verlassen. Sie sollen uns in der Gewißheit befestigen, die wir in einem anderen schönen Gebet ergreifend ausdrücken: „Wir beten dich an, Herr Jesus Christus, und benedeien dich, denn durch dein heiliges Kreuz hast du die ganze Welt erlöst.“

Amen.

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