Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Heilsbedeutung Mariens (Teil 5)

3. März 1996

Die Lehre von der Gottesmutter Maria

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In der Heiligen Schrift wird Maria an keiner Stelle als Muttergottes bezeichnet. Die Heilige Schrift spricht von Maria lediglich als der Mutter Jesu; sie nennt sie „seine Mutter“ oder „die Mutter“. Die Bezeichnung Muttergottes ist also nicht aus der Heiligen Schrift entnommen, sondern stammt aus der kirchlichen Tradition. Aber es läßt sich zeigen, daß die kirchliche Tradition keine fremde Namensgebung betrieben hat, als sie Maria Muttergottes nannte, sondern daß sie das ausgefaltet hat, was in der Schrift angelegt ist. Die Schrift berichtet nämlich, daß der göttliche Logos aus der Gott vorbehaltenen Wirklichkeit in die menschliche Welt übergetreten ist, daß er sich zu der göttlichen Natur, die er besaß, eine menschliche Natur angeeignet hat und daß dieser Überschritt von der göttlichen in die Menschenwelt durch und aus Maria geschah. Der göttliche Logos ist eine göttliche Person. Aber diese göttliche Person besitzt zwei Naturen, zwei Erkenntnis-, zwei Willenskräfte, nämlich eine göttliche Natur und eine menschliche Natur. Der Logos ist tätig durch ein göttliches und ein menschliches Medium. Er trägt zwei Naturen.

Weil nun der Logos auch das personale Selbst der menschlichen Natur ist, die aus Maria geboren wurde, deswegen kann und muß man sagen: Maria hat den Logos geboren, nicht insofern er Träger der göttlichen Natur ist, sondern insofern er Besitzer der menschlichen Natur ist. In diesem Sinne ist Maria wahrhaft Gottesgebärerin. Sie hat den Logos, die zweite Person in Gott, geboren, welche im Besitz einer menschlichen Natur ist, die aus Maria stammt. Es ist also keine Verfremdung des biblischen Zeugnisses, wenn die Kirche seit dem Konzil von Ephesus im Jahre 431 allgemein und immer Maria Gottesgebärerin nennt. Es ist das vielmehr eine zwingende Folgerung aus den biblischen Angaben. Wenn wir auf die einzelnen Texte schauen, die uns von Maria als der Muttergottes Zeugnis geben, so müssen wir einsetzen beim wohl ältesten Zeugnis, nämlich jenem des Apostels Paulus im Galaterbrief. Da heißt es: „Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, der vom Weibe geboren und dem Gesetz unterworfen war.“ Das scheint ein schlichtes Sätzlein zu sein und ist doch von himmlischen Daten erfüllt. „Als die Fülle der Zeit kam.“ Es gibt also offenbar einen Punkt im Fluß der Zeit, auf den die vorhergehenden Zeiten hingedrängt haben. Das ist die Fülle der Zeit. Und in dieser Fülle der Zeit ist Gott aus seiner Unsichtbarkeit herausgetreten. „Da sandte Gott seinen Sohn.“ Er kann ihn natürlich nur senden, wenn er schon bei ihm war. Hier ist also das Geheimnis der Trinität verborgen. „Da sandte Gott seinen Sohn.“ Aber wie sandte er ihn? Nicht in einem innerlichen Vorgang, nicht in einer Idee, nicht in einem geistigen Berühren. Er sandte ihn „geboren – ich sage es so, wie es in der Übersetzung heißt – geboren aus dem Weibe“. Es wird damit die geschichtliche Existenz des Gottessohnes ausgesagt. Der Überschritt aus der Gott vorbehaltenen Welt in die Menschenwelt geschah durch die Geburt aus einer Frau. Paulus nennt den Namen der Frau nicht. Er brauchte ihn nicht zu nennen, denn er war in der Gemeinde allbekannt. Aber er will gerade durch die Knappheit der Formulierung – wie hingemeißelt! – dem Leser und späteren Hörer die Erkenntnis vermitteln: Die geschichtliche Existenz des Gottessohnes ist an eine Frau geknüpft. Und deswegen gehört diese Frau in die Offenbarung und in den Glauben hinein. Man kann nicht von Jesus sprechen, ohne von der zu reden, die ihn im Leibe getragen und geboren hat.

Noch deutlicher spricht Paulus im Römerbrief. „Paulus, Knecht Christi Jesu, berufen zum Apostel, auserwählt für das Evangelium Gottes, das Gott schon längst verheißen hat durch seine Propheten in den heiligen Schriften, von seinem Sohne, der dem Fleische nach aus dem Geschlechte Davids stammte, dem Heiligen Geiste nach als Gottessohn machtvoll erwiesen wurde durch seine Auferstehung von den Toten, von Christus Jesus, unserem Herrn.“ Hier erklärt Paulus, aus welcher geschichtlichen Generation der Sohn Gottes kommt. Jesus stammt aus dem Geschlechte Davids. Er ist ein Abkömmling des jüdischen Königsgeschlechtes. Der, der im Galaterbrief als vom Weibe geboren gekennzeichnet wurde, gehört auf die Seite des davidischen Geschlechtes.

Während seiner irdischen Lebenszeit war seine Göttlichkeit verborgen. Aber sie ist offenbar geworden in der Auferstehung von den Toten. Da ist Christus dem Heiligen Geiste nach als Sohn Gottes machtvoll erwiesen worden. Da ist er nicht zum Sohne Gottes gemacht worden, sondern da ist er als Sohn Gottes geoffenbart worden. Was immer in ihm war, das kam zur Erscheinung durch die Auferstehung von den Toten. Sie ist seine Erhöhung aus der Erniedrigung, in die er herabgestiegen war. Und auf dieses Ereignis drängen die Weissagungen der Propheten hin. „Verheißen durch seine Propheten in den heiligen Schriften von seinem Sohne.“ Alle Propheten sprechen von Jesus, aber nur der versteht sie, der sie im Glauben liest. Alle prophetischen Andeutungen weisen auf Jesus hin. In Jesus sind sie erfüllt. Und weil der Messias durch eine Frau geboren werden sollte, deswegen haben die Propheten auch von der Frau gesprochen. „Siehe, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Emanuel.“

In reichem Maße reden die Kindheitsgeschichten bei Matthäus und Lukas vom Gottessohne und seiner Mutter. Wir haben an den vergangenen Sonntagen begonnen, die Kindheitsgeschichten aus der falschen Behauptung, es handle sich um Legenden, herauszureißen und sie als Geschichte zu erweisen. Bei den Kindheitsgeschichten sind drei Dinge vor allem wichtig, einmal: Sie machen Zeit- und Ortsangaben. Es handelt sich bei dem Erscheinen des Messias nicht um ein innerliches Geschehnis, ein bloßes Begebnis in der Seele; nein, es handelt sich um eine bestimmte Faktizität zur Zeit des Kaisers Augustus, als Pontius Pilatus Prokurator, Landpfleger von Judäa war. In diesen Zeitrahmen ist die Geburt Jesu von Nazareth eingespannt. Es ist also nicht wie im Märchen, wo es heißt: Es war einmal, denn das heißt natürlich: Es war keinmal; sondern es ist ein Damals und ein Dort, was bezeugt, daß es sich hier um geschichtliche Vorgänge handelt.

Das zweite, was aus den Kindheitsgeschichten zu entnehmen ist, ist die Armut der Personen und die Einfachheit des Vorganges. Es handelt sich bei der Messiasmutter um eine arme Frau, die unterwegs ist und die ihre schwere Stunde auf diesem Gange erlebt. Es handelt sich um ein armes Kind, das der mütterlichen Sorge bedarf und deswegen in selbstverständlicher Natürlichkeit in Windeln gewickelt und in eine Krippe gelegt wird. Nichts von den mythologischen Göttergeburten, in denen von Glanz und von Herrlichkeit die Rede ist, mit denen die Götter geboren werden. Nein, hier muß man das Denken umwandeln, um zu begreifen, was für ungeheure Vorgänge sich hier abgespielt haben. Eine arme Familie und eine einfache Geburt, so ist das Kommen des Messias in diese Welt.

Und schließlich das dritte. Diese Vorgänge werden eingefügt in die Heilsgeschichte. Es handelt sich hierbei um die Erfüllung von Ankündigungen des Alten Testamentes. Gott war seinem Volke immer in irgendeiner Weise gegenwärtig, so in der Bundeslade, durch die Propheten. Aber die Gegenwart, die jetzt eingesetzt hat, ist der Gipfel aller Anwesenheiten Gottes. Jetzt hat sich eine Begegnung Gottes mit der Menschheit ereignet, die alle früheren Kontakte Gottes mit den Menschen überscheint. „Der, der hier geboren wird, ist der Heilige. Er wird groß sein und Sohn des Höchsten, Sohn Gottes genannt werden. Gott wird ihm den Thron seines Vaters David geben. Er wird Herrschaft haben, und seiner Herrschaft wird kein Ende sein.“ Das ist die Erfüllung der Verheißungen, die seit grauer Vorzeit an das auserwählte Volk ergangen sind.

Es stellt sich nun die Frage – eine schwierige Frage, meine lieben Freunde –, wie Maria selbst die Empfängnis und die Geburt ihres Kindes und sein verborgenes Leben bei ihr verstanden hat. Hat sie von Anfang an gewußt, daß ihr Sohn, den sie im Leib getragen und geboren hat, der wesenhafte Gottessohn ist, oder hat sie zunächst die Verheißungen des Alten Bundes in dem Sinne verstanden, wie sie das ganze Volk verstand, nämlich daß der Messias zwar ein erwählter, ein ausgezeichneter, ein geheiligter und von Gott gesandter Mensch sein wird, aber eben nur ein Mensch? Die Beantwortung dieser Frage muß dabei ansetzen, was Maria selbst von ihrem Sohne sagt. Aus ihrem Magnifikat – „Hochpreiset meine Seele den Herrn“ – ergibt sich zunächst einmal mit Sicherheit, daß sie von seinem Leiden, von seiner Verwerfung durch das eigene Volk nichts geahnt hat. Maria hat nicht von Anfang an gewußt, daß dieser Messias von seinem Volke abgelehnt werden wird und daß er einen blutigen Kreuzestod sterben muß. Denn das Magnifikat ist erfüllt von Freude und Jubel und Dankbarkeit. Es zeigt sich darin der Glaube des ganzen jüdischen Volkes, daß die messianische Zeit eine Zeit des Glückes, des Friedens und des Heiles ist. Wenn wir sodann die Ausdrücke anschauen, die in den Kindheitsgeschichten vom Engel an Maria gerichtet werden, dann treffen wir die Worte: „Er wird groß sein“, „er wird heilig sein“, dieser Sohn, den sie gebären soll, er wird „der Sohn des Höchsten“, er wird „der Sohn Gottes“ genannt werden. Diese Ausdrücke bedeuten in der ganzen alttestamtentlichen Frömmigkeit bis hin zum Erscheinen Jesu eine Erwählung eines Menschen zum Herold und Machtträger Gottes. Sie bedeuten aber nicht, daß der Messias der metaphysische Gottessohn ist. Sie besagen nicht, daß der Messias die zweite Person in der Gottheit ist. Und wir müssen annehmen, daß Maria diese Worte auch so verstanden hat, daß sie zwar den Messias gebären soll, den Emanuel, den Gott-mit-uns, aber daß ihr zunächst verhüllt war, daß dieses ihr Kind der wesenhafte Sohn des Vaters im Himmel ist.

Der ohne Zweifel immer im rechten Glauben lehrende Theologe Romano Guardini ist der Ansicht, daß es gar nicht möglich gewesen wäre, daß Maria von Anfang an um die wesenhafte Gottessohnschaft ihres Sohnes gewußt hätte. Das Leben wäre unerträglich gewesen, meint er. Es wäre über ihre Kraft gegangen, in ihrem Kinde von Anfang an den metaphysischen Gottessohn zu sehen. Auch Maria hat also eine Glaubensgeschichte erlebt. Sie wurde in das Geheimnis ihres Sohnes allmählich eingeführt. Die Heilige Schrift berichtet ja mehrmals, daß auch Maria ihren Sohn nicht verstand. Sie mußte also hineinwachsen in das Geheimnis Gottes und ihres Sohnes. Aber sie ist hineingewachsen, und es gibt eine Stunde, und man kann sie angeben, wo sie erkannt hat, was es um ihren Sohn ist. Diese Stunde ist die Herabkunft des Heiligen Geistes. Da waren 120 im Obergemach in Jerusalem versammelt, und über diese 120 kam im Sturmesbrausen und mit Feuerzungen der Heilige Geist. Und er tat das, was Jesus von ihm vorausgesagt hatte, nämlich daß er die Seinen in alle Wahrheit einführen würde. Da hat sich auch für Maria der Schleier gehoben. Sie war immer bereit, alles zu tun, was ihr Sohn, was Gott von ihr verlangte, aber jetzt wurde ihr geschenkt, was sie bisher noch nicht besessen hatte, nämlich die Erkenntnis des Wesens ihres Sohnes. Seit dem Pfingstfest wußte Maria, daß ihr Kind, das sie gehegt und gepflegt hatte, der wesenhafte Sohn Gottes ist. Seit dem Pfingstfest wußte Maria, daß sein Leben nicht nur ein messianisches, sondern ein Leben des Gottessohnes auf Erden ist. Seit dem Pfingstfest wußte sie, daß das Schicksal ihres Sohnes die Erlösung der Menschheit bedeutet.

Amen.

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