Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Ehe und Familie (Teil 6)

19. Februar 1995

Die Nachkommenschaft

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Stellung der Menschen zum Kind ist keineswegs mehr einheitlich und eindeutig. Nicht einmal unter denen, die sich katholische Christen nennen, besteht eine einheitliche und eindeutige Haltung gegenüber dem ersten Gut der Ehe, dem Kind. Wenn man unter den Menschen herumhört, dann vernimmt man die merkwürdigsten Auffassungen. Vor einiger Zeit sagte mir eine Dame: „Am besten, man schafft sich überhaupt keine Kinder an.“ Wir wollen am heutigen Sonntag in aller Ehrlichkeit die Frage nach dem Kinde stellen und an erster Stelle sagen: Das Kind ist eine Freude, aber auch eine Frage.

Das Kind ist eine Freude. Als Eva, die Stammutter der Lebendigen, ihr erstes Kind empfing, rief sie aus: „Ich habe einen Mannessproß empfangen mit Hilfe des Herrn.“ Voll Freude war sie darüber, daß sie ein Kind empfangen hatte. Der Herr selber spricht die Freude der Mutter an, wenn ein Kind zur Welt gekommen ist. „Die Frau ist traurig, wenn sie gebären soll, weil ihre Stunde gekommen ist. Hat sie aber das Kind geboren, so denkt sie nicht mehr an die Pein aus Freude darüber, daß ein Mensch zur Welt gekommen ist.“ Und in der Tat, meine lieben Christen, wenn man Kinder erlebt, dann kann man eigentlich nur davon überzeugt sein, daß Kinder eine Freude sind. Das langsame Erwachen des Kindes, der erste Schrei, das erste Lächeln, das erste Wort, das erste Schreiten des Kindes, was ist das eigentlich wunderbar zu beobachten! Wer keine Freude hat an einem Kinde, der kann kein guter Mensch sein. Kinder sind eine Freude, eine von Gott gewollte und uns geschenkte Freude. Ihr Heranwachsen, ihr Fortschreiten, das Erwachen ihres Geistes, das sind Freuden für die Menschen, die es erleben. Und selbst ihre Hilflosigkeit ist eine Freude. Wie es eine Dichterin in die schönen Worte gefaßt hat: „Sie haben Härlein wie Seide und tragen den Himmel im Blick. Es strahlen ihre Stirnen ein helles Leuchten zurück. Sie stolpern mit tappigen Füßen. Sie stehlen dir leise das Herz, und Kinderhändchen ziehen uns Große himmelwärts.“ Wahrhaftig, so ist es. Kinder sind eine Freude, eine von Gott uns geschenkte Freude.

Aber freilich sind sie auch eine Frage, nämlich die Frage, ob wir sie aufnehmen, ob wir unsere Herzen, unsere Häuser, unsere Wiegen für sie öffnen. Die Welt des Abendlandes hat immer mehr verlernt, die Herzen für Kinder zu öffnen. Vor einiger Zeit sagte ein türkischer Minister: „Wir ( sc. Türken) müssen viele Kinder haben, damit wir euch Abendländern zur Hand gehen können in euren Krankenhäusern und in euren Altersheimen.“ Weil die Abendländer vergessen, daß sie ihre Herzen und ihre Wiegen für Kinder öffnen sollen, deswegen schickt der Islam seine Gesandten zu uns, um – wie lange noch? – uns zu dienen und vielleicht bald über uns zu herrschen. Verschlossene Herzen für Kinder hat einmal der Dichter Nikolaus Lenau in ergreifende Worte gefaßt. Er greift die schwedische Sage von der schönen Anna auf, die keine Kinder wollte. Eine böse Alte heuchelte Mitleid mit ihrer Schönheit und log ihr ins Ohr, daß sie durch Kinder die letzte Spur ihrer Schönheit verlieren werde. „Denn die Schönheit ist der Kinder liebster Fraß, ist der Kinder feinstes Futter. Schöne Jungfrau, merk dir das!“ Die schöne Anna glaubt der bösen Alten und hört willig den verbrecherischen Rat an: „Kommt ein Mann, um dich zu freien, eile du zu mir geschwind! Und ich will den Leib dir feien, daß du nie erkennst ein Kind.“ Ein Edelmann hält dann um die schöne Anna an. Sie verlobt sich und geht tatsächlich zu der Alten, die sie durch ein Zaubermittel von dem „jammervollen“ Mutterglück schützt. Seit der glänzenden Hochzeit sind sieben Jahre vergangen. Anna ist wirklich noch so schön wie damals, als sie heiratete, aber ihr Gatte ist voll bitterer Trauer, daß er keine Kinder hat. Da verrät ein Spuk den Frevel, und Anna muß ihre Schuld gestehen. Die Wirkung auf den edlen Ritter ist erschütternd. „Unweib! ruft er mit Entsetzen, wäre deine Schönheit hin mit den unterschlag'nen Schätzen, gräßliche Betrügern!“ Er jagt sie fort von seinem Angesicht: „Dir so wenig wird vergeben wie aus dieser Diele je frische Rosen sich erheben. Weh, verruchtes Weib, dir, weh!“ Auch das Volk ringsum verurteilt ihr Verbrechen. „Und die Menschen schaudernd kehren ab das Herz von Annas Not. Ihr Buße nur zu nähren, reichen sie das Bettelbrot.“ Sieben Jahre sind es seit der Verstoßung, als sie mit gelöstem Haar büßend durch die Welt zog. „Mutterleid, das wonnereiche, hat ihr Antlitz nie versehrt. Aber bis zur Todesbleiche hat der Jammer er verheert.“ Da erscheint ihr ein Einsiedler und führt sie in eine einsame Kapelle. Dort sieht sie am Altare Kerzen brennen. Sie schaut lichte Kindergestalten zum Altare schweben. Zitternd naht sie sich den lieblichen Kindern und fleht um Gnade. „Meine ungebor'nen Waisen, ach, verzeiht mir, was ich tat! Grausam frevelnd, ausgestoßen hab ich euer  kleines Herz von den Freuden, ausgeschlossen von dem trauten Erdenschmerz.“ Und sie findet dann Verzeihung nach den sieben schweren Jahren der Buße. Die Kinder nicken ihr lächelnd noch stumm Vergebung zu. „Anna sinkt zu Boden nieder, sie entgleitet Schmerz und Not. Und sie klagt und weint nicht wieder; der Einsiedel war – der Tod.“ In derselben Nacht sproßten zu Hause blühende Rosen aus der Diele, aber es war zu spät.

So hat ein Dichter ergreifend das Schicksal einer Frau geschildert, die sich geweigert hat, ihr Herz für das höchste Gut der Ehe zu öffnen, für Kinder. Das war unsere erste Überlegung: Kinder sind eine Freude, aber auch eine Frage. Und sie werden mir alle zustimmen, wenn ich sage zweitens: Kinder sind Sorgenbringer, aber sie sind auch Sorgenbrecher. Daß Kinder Sorgen bringen, ist eine Binsenwahrheit. Sie haben eine anfällige Gesundheit, die Eltern müssen für Nahrung, Kleidung, Wohnung aufkommen, und noch immer hat sich das Wort bewahrt: Kleine Kinder – kleine Sorgen, große Kinder – große Sorgen. Wenn sie heranwachsen, wenn sie in die Schule gehen, wenn sie einen Beruf erlernen, dann wachsen die Sorgen. Kinder sind Sorgenbringer, das ist gar keine Frage. Aber es sind liebe Sorgen, denn es geht ja um das eigene Fleisch und Blut. Es sind gottgewollte Sorgen. Die Eltern sollen daran reifen, größer und weiter werden. Es sind gottgesegnete Sorgen, denn der Lohn ist den Eltern gewiß für ihre Sorgen, die sie an die Kinder wenden.

Kinder sind aber auch Sorgenbrecher. In wie vielen Nöten hat nicht das gläubige Gottvertrauen von Kindern, hat nicht ihre offenkundige Sorglosigkeit die Sorgenfalten von der Stirn eines Vaters vertrieben und den Kummer der Mutter getröstet! Die selige Johanna von Orvieto sah eines Tages, wie ihre Mutter am Grabe des früh verstorbenen Vaters weinte. Da griff sie nach der Hand der Mutter und sagte: „Mutter, hast du vergessen, daß wir noch einen Vater im Himmel haben? Du hast mich doch beten gelehrt: 'Vater unser, der du bist im Himmel'„. Kinder sind auch Sorgenbrecher. Der Blick auf eine betende Kinderschar vermag einen Vater, eine Mutter zu trösten und aufzurichten. Und Kinder nehmen den Eltern auch häufig Sorgen ab, ja es kann sein, daß sie die Eltern bis zu ihrem Tode umsorgen, daß sie ihnen vergelten, was die Eltern an ihnen, als sie klein waren, getan haben. Wahrhaftig, Kinder sind auch Sorgenbrecher. Viele, viele Eltern haben mir schon gestanden, daß sie dankbar sind für ihre Kinder, die ihnen Sorgen abnehmen und die sie selbst umsorgen.

Kinder sind freilich drittens auch ein Wagnis. Das ganze Leben ist eine Kette von Risiken. Was immer man tut, ohne Risiko ist auf Erden kaum eine Entscheidung. Wo man sich niederläßt, welchen Beruf man wählt, der Gatte, mit dem man in eine Ehe tritt, Bekanntschaften, die man schließt, eine Reise, die man antritt – das Leben ist angefüllt mit Wagnissen. Und so sind auch Kinder ein Wagnis. Man weiß nicht, wie sich ihr Leben entwickeln wird; man weiß nicht, ob sie uns nicht vielleicht früh entrissen werden. Wie viele Väter und Mütter haben über Kinder klagen müssen, die der Krieg ihnen genommen hat! Vielleicht noch schlimmer als der Verlust des irdischen Lebens ist das Sichverstricken in schwere Schuld. Mancher Vater und manche Mutter würden ihr Kind lieber bei Gott wissen in der Ewigkeit als im Zustand der Todsünde, in dem sie ein Jahr um das andere verbringen. Die beste Erziehung, das leuchtendste Beispiel, die glühendsten Gebete garantieren nicht, daß nicht auch Kinder zu Sorgenkindern werden, daß sie einen Weg einschlagen, den man als gläubiger Christ nur mit Bitterkeit und mit Schmerz beobachten kann.

Kinder sind ein Wagnis. Aber der Einsatz für dieses Wagnis lohnt. Wenn es so ist, wie es sein soll, wie es Gott sei Dank immer auch noch eintritt, daß ein Kind die rechte Bahn betritt, daß aus ihm etwas Rechtes wird, dann freut sich der Vater, dann freut sich die Mutter über den Segen, der von dem Kinde ausgeht. Was ist es doch Schönes, meine lieben Freunde, wenn ein Kind einen ehrlichen Handwerkerberuf erlernt! Wieviel Freude bereitet ein Handwerker anderen Menschen! Wie schön macht er ihnen das Heim, wie wirksam hilft er ihnen in der Not! Und wenn ein Kind den Beamtenberuf ergreift: Was ist ein tüchtiger, zuverlässiger, ehrlicher Beamter von Nutzen! Er hilft den Menschen, ihre Formulare auszufüllen, er berät sie bei ihren Anträgen. Ein guter Beamter kann ein großer Segen sein. Und was ist es Schönes, wenn ein Kind den Lehrerberuf ergreift. An den Seelen arbeiten, die Seelen formen, die Seelen zu Gott führen, was kann es Erhabeneres geben auf dieser Erde, als einen solchen Beruf auszuüben? So kann also dieser Einsatz für die Kinder selbst zu einer Freude für die Eltern werden.

Wenn ein Kind nun wirklich eine falsche Bahn einschlägt, so ist noch nicht alles verloren. Der Lohn ist den Eltern gewiß. Ob das Kind auf sie gehört hat oder nicht, Gott sieht auf den Willen und nicht auf den Erfolg. Außerdem ist die Möglichkeit immer noch gegeben, daß ein Kind sich bekehrt. Wenn man vertrauensvoll und beharrlich Gott anfleht, dann haben wir doch die Zuversicht, daß Gott unsere Gebete eines Tages erhören wird. „Gott hilft immer“, hat einmal ein weiser Mann gesagt, „aber er kommt häufig eine Viertelstunde später als wir meinen, um unseren Glauben zu erproben.“ Deswegen: Nicht verzagen, meine lieben Eltern, nicht aufgeben und nicht den Glauben an Gottes Hilfe zusammenbrechen lassen. Gott hilft uns nicht am Leid vorbei, er hilft uns durch das Leid hindurch! Wenn Gott selbst den Einsatz für ein Kind wagt, dann sollten wir es ebenso tun, dann sollten wir uns für die Kinder einsetzen. Das ist das höchste Gut, das wir auf Erden haben, unsere Kinder, unsere lieben Kinder. Und sie sind liebenswürdig, sie sind liebenswert, sie brauchen unsere Liebe und sie verdienen unsere Liebe. Wir wollen sie ihnen in reichem Maße schenken, denn wie sagte einmal der unvergeßliche Kardinal Faulhaber: „Kinderdienst ist Christusdienst.“

Amen.

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