Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Gott erkennen (Teil 1)

7. August 1994

Die Offenbarung Gottes im Alten Bund

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Es ist ein Fundamentalsatz unseres Glaubens: Es gibt einen Gott. In den Glaubensbekenntnissen lautet stets der erste Satz: „Ich glaube an den einen Gott.“ Die Glaubensbekenntnisse haben eine doppelte Bedeutung. Sie dienen einmal als Mittel der kirchlichen Lehrverkündigung. An den Glaubensbekenntnissen, an den Glaubensartikeln, die sie einschließen, verdeutlichen wir im Unterricht und in der Unterweisung die Wahrheiten unseres Glaubens. Gleichzeitig aber sind die Glaubensbekenntnisse Ausdruck der personalen Hingabe derer, die sie sprechen. Sie sind also nicht nur eine Aussage über irgendwelche Wahrheiten, sondern sie sind gleichzeitig eine Selbstübergabe des Menschen an den Inhalt, der in diesen Glaubensbekenntnissen ausgedrückt wird, letztlich an den Gott, der damit gemeint ist. Und diese Selbstübergabe nennen wir den Glauben. Der Glaube ist einmal die gläubige Überzeugung von dem Inhalt dessen, was im Glaubensbekenntnis bekannt wird, zum anderen aber die personale Übergabe an den lebendigen Gott, zu dem sich der Mensch im Glaubensbekenntnis bekennt.

Das Glaubensbekenntnis ist der Ausdruck der Selbsterschließung Gottes, den er seiner Kirche vermacht hat. Wenn wir uns im ersten Glaubensartikel zu Gott bekennen, dann nicht zu dem göttlichen Wesen, sondern zu der 1. Person in Gott. Wenn wir sagen: „Ich glaube an Gott“, dann ist damit der Vater gemeint, der himmlische Vater, nicht das göttliche Wesen. Freilich können wir uns zu keinem anderen Gott bekennen als zu dem dreipersonalen; denn einen anderen Gott gibt es nicht als den Gott, der in drei Personen lebt. Aber wie gesagt: Der erste Satz des Glaubensbekenntnisses geht auf den Vater im Himmel; die beiden anderen Personen werden dann im Laufe des Glaubensbekenntnisses ebenfalls von den Gläubigen bekannt. Der Glaube an Gott ist das Grundgesetz des Alten und des Neuen Bundes. Er ist auch das Grundgesetz des Alten Bundes. Das Alte Testament, meine lieben Freunde, ist für uns unverzichtbar. Man kann sich nicht zufriedengeben mit den Dokumenten des Neuen Bundes; wir müssen auch die Offenbarung des Alten Bundes festhalten, weil hier zumal unser Glaube an Gott grundgelegt ist.

In der Zeit des Dritten Reiches gab es Protestanten, die das Alte Testament preisgegeben haben, z. B. der sogenannte Landesbischof von Baden. Die Kirche hat diesen Bestrebungen entschieden widerstanden. Ob das Alte Testament nun vom jüdischen Volk kommt oder nicht, es ist die Offenbarungsurkunde, und als solche ist sie uns heilig und für immer unaufgebbar. In diesem Alten Testament aber ist der Glaube an Gott die Grundlage des ganzen Gottesverhältnisses des Menschen. „Höre, Israel, Gott der Herr ist ein einziger!“ So heißt es im 6. Kapitel des Deuteronomiums. Und das kann man über das gesamte Alte Testament schreiben. Der Gottesglaube ist überall vorausgesetzt, immer geäußert, nie ernstlich bestritten. Zwar gibt es auch im Alten Bunde Leute, die sagen: Es ist kein Gott. Aber das Alte Testament füht gleich hinzu: „So spricht der Tor!“ Der Tor spricht in seinem Herzen: Es ist kein Gott. Und diese Abweisung Gottes durch den Toren, durch den verderbten, durch den frechen Menschen, ist kein theoretischer Atheismus. Eine theoretische, also eine grundsätzliche Gottesleugnung existiert für das Alte Testament nicht. Es gibt nur den praktischen Atheismus, d. h. das Sich- nicht-Kümmern um Gott, daß man sich so beträgt, als ob Gott nicht existierte, wiewohl man sehr gut weiß, daß er existiert.

Gott offenbart sich im Alten Testamente in herrscherlicher Weise. Seine Offenbarung liegt nicht zuerst darin, daß er den Menschen Mitteilungen macht über sich und sein Wesen und sein Wirken, sondern indem er an den Menschen handelt, indem er machtvoll in die Geschichte eingreift, indem er den Menschen Befehle, Weisungen, Gebote gibt, indem er lohnt und straft, indem er Gerichte und Segensfülle über die Menschen bringt. Damit bezeugt er seine Existenz im Alten Testament.

 Die Wirksamkeit Gottes im Alten Testament ist selbstverständlich rational zu erfassen. Sein Wirken ist auch eine Mitteilung über sein Sein und sein Wesen. Gott ist eben so, wie er handelt. Aber noch einmal: Sein machtvolles Eingreifen in die Geschichte ist die regelmäßige Weise seiner Offenbarung. Und er zeigt sich als der, der anders ist als alles, was sonst auf Erden existiert. Er ist qualitativ verschieden von all den Göttern, die in der Umwelt des Alten Testamentes ja in reicher Fülle vorhanden waren. Der Gott, der im Alten Testament sich zu erkennen gibt, kommt vom Jenseits, nicht vom Diesseits. Die Götter der Umwelt, Marduk und Mithras, Apollo und Athene, Zeus und Isis und Osiris und wie sie alle heißen mögen, diese Götter kommen von unten, d. h. in ihnen gestaltet der Mensch sich selbst. Sie sind Gemächte der Menschen. Sie sind Ausgeburten der menschlichen Gottessehnsucht und der mächtigen Natur. Die Menschen haben die Gewalt der Natur erkannt und das immanent Göttliche, das ja in der Natur wegen ihrer Gottesherkunft west, verselbständigt und zu Göttern erhoben. Sie haben beispielsweise das Gewitter erlebt; und die gewaltigen Energien, die sich im Gewitter austoben, haben sie zu einem Gott gestaltet. Die Menschen haben das Wachstum erlebt, wie die Erde sprießt und grünt und Frucht trägt, und so haben sie die Fruchtbarkeitsgottheiten gestaltet, Fruchtbarkeitsgötter und Fruchtbarkeitsgöttinnen. Sie haben das Geheimnis des menschlichen Lebens, sein Werden und Entstehen, sein Vergehen und Welken, beobachtet und haben aus diesen Naturvorgängen Götter gebildet. Das ist nicht völliger Unsinn; es ist nicht so, als ob das gar keine Grundlage in der Natur hätte. Nur ist es eine Verkehrung, weil man den Schöpfer über den Geschöpfen übersah, weil man das immanent Göttliche an die Stelle des transzendenten Gottes gesetzt hat. Und das ist die Eigenart des Gottes, den das Alte Testament ganz allein und im Unterschied von allen Religionen seiner Umwelt verkündet: Gott ist transzendent. Das Wort transzendent kommt aus dem Lateinischen und heißt „übersteigend“. Gott übersteigt alles andere, was auf Erden ist. Er ist nicht von dieser Welt, sondern er ist über dieser Welt. Er ist nicht ein Bestandteil der Schöpfung, sondern er ist der Schöpfer.

In der griechischen Religion beispielsweise werden Grundgestalten und Grundvorgänge des menschlichen Lebens und der Welt zu Göttern gebildet. Aber diese Götter sind ein und dasselbe wie die Welt und wie der Mensch. Die Menschen und die Götter stammen von ein und derselben Mutter. Sie sind nicht wesenhaft verschieden. Diese Götter unterstehen selbst dem Schicksal; sie sind nicht das Schicksal, sie gestalten nicht das Schicksal, sondern sie unterliegen dem Schicksal. Das ist der wesentliche Unterschied zu dem Gotte des Alten Testamentes: Er ist das Schicksal. Das Schicksal liegt in seiner Hand, er gestaltet die Geschicke der Menschen. Er befiehlt, und dann wird Licht. Er gibt seine Gebote, und die Menschen, die sich daran halten, werden ein heilvolles Leben führen, und die sie übertreten, werden sich und die Welt zerstören. Das ist also der Gott, den das Alte Testament bekennt und den Christus und wir übernommen haben, der transzendente, alles von Menschen Erdachte und Gemachte übersteigende Gott.

Im Alten Testament ist auch die Rede davon, daß sich die Bekenner des wahren Gottes immer wieder diesem Gott zu entziehen suchten. Sie nahmen die Götter der Umwelt an. Öfters ist die Rede von Baal, dem man sich zugewendet hat. Große Könige haben fremde Götter ins Land gelassen. Wie ist diese Erscheinung zu erklären, daß man vom wahren, lebendigen Gott, der sich doch geoffenbart hatte in der Führung des Volkes, durch den Mund der Propheten, durch siegreiche Kämpfe mit den Feinden, wie ist es möglich, daß die Menschen von diesem lebendigen Gott immer wieder abgefallen sind? Zwei Gründe gibt es dafür. Der erste: Mit den fremden Göttern hatten es die Israeliten leichter. Diese Götter stellten keine so strengen Forderungen an sie. Sie gestatteten ihnen, sich auszuleben in den Trieben, die nun einmal im Menschen leben, vor allen Dingen natürlich im Geschlechtstrieb. Die Menschen hatten es mit den fremden Göttern leichter. Die fremden Götter waren bequemer, und deswegen ist Gott im Alten Testament ein eifersüchtiger Gott. Er wehrt sich gegen die fremden Götter. Seine verletzte Liebe begehrt auf gegen den Abfall zu den Götzen der Umwelt. Der zweite Grund, warum die Bekenner des wahren Gottes sich immer wieder versucht fühlten, zu den fremden Göttern überzugehen, liegt darin, daß die Offenbarung des wahren Gottes in Verhüllungen geschieht. Es ist keine Offenbarung, die den Menschen zwingt und erschlägt. Es ist eine Offenbarung, die den Menschen anruft, die sich an sein Verstehen wendet, die an seinen guten Willen appelliert. Und die Menschen, die sich ihm versagen, überwältigt er nicht. Das ist vielleicht, meine lieben Freunde, auch heute noch das größte Rätsel unseres Gottesglaubens, daß Gott sich nicht so offenbart, daß ein jeder, der einen Verstand besitzt, sich ihm beugen muß, sondern daß er sich nur denen erschließt, die sich dafür bereit machen, die guten Willens sind, die sich dem göttlichen Geheimnis zu erschließen gewillt sind.

Ich kenne keinen Philosophen oder Theologen, der das Geheimnis der Enthüllung und der Verschließung Gottes so deutlich ausgesprochen hätte wie der französische Philosoph Blaise Pascal. Er hat folgendes geschrieben: „Es ist Klarheit genug da, um die Auserwählten zu erleuchten, und Dunkelheit genug, um sie demütig zu machen. Es ist Dunkelheit genug da, um die Verworfenen zu verblenden, und Klarheit genug, um sie unter das Gericht zu stellen und unentschuldbar zu machen.“ Ich meine, meisterhafter kann man die Mischung von Licht und Dunkel in der Offenbarung Gottes nicht kennzeichnen, als es hier Blaise Pascal getan hat. Und er fährt dann aber auch fort: „Es ist nicht wahr, daß Gott alles verbirgt, aber es ist wahr, daß er sich denen verbirgt, die ihn nicht suchen, und zugleich, daß er sich denen enthüllt, die ihn suchen. Denn die Menschen sind Gott unwürdig und Gott fähig zugleich, unwürdig durch ihre Verderbnis, fähig durch ihre erste Natur.“ Wir haben manchmal die Sehnsucht, daß Gott mit überwältigender Macht, mit Wucht und mit Kraft sich uns offenbaren möchte, daß er seine Gegner niederschlägt und sich als der Siegreiche und der Allherrscher kundtut. Pascal weist eine solche Meinung ab: „Es war nicht gemäß, daß Gott in einer offenbar göttlichen Weise erschien, die einfachhin fähig gewesen wäre, alle Menschen zu überzeugen. Aber es war auch nicht gemäß, daß er in einer so verborgenen Weise erschien, daß er selbst von denen nicht erkannt werden könnte, die ihn aufrichtigen Herzens suchen. Für diese hat er sich erkennbar machen wollen. Und da er also allen offen sichtbar denen erscheinen wollte, die ihn aus ganzem Herzen suchen, und verborgen denen, die ihn aus ganzem Herzen fliehen, mäßigt er seine Erkennbarkeit. Er hat Erkennungszeichen gesetzt, denen sichtbar, die ihn suchen, nicht aber denen sichtbar, die ihn nicht suchen. Da ist Licht genug für die, die nichts mehr wünschen als ihn zu sehen, und Dunkelheit genug für die, welche eine entgegengesetzte Haltung haben.“

Aus diesen Texten, meine lieben Freunde, mögen Sie erkennen, daß es gewissermaßen notwendig war, daß Gott sich so verhält, wie er sich tatsächlich verhalten hat. Er hat sich geoffenbart im Alten Bunde in der Führung seines Volkes, in der Berufung seiner Gesandten, im Sprechen durch die Propheten, in der Bekehrung der Könige, in der Erbauung des Tempels. Er hat sich geoffenbart. Und wer den guten Willen hat, zu sehen, der sieht, daß Gott im Geschicke dieses Volkes am Werke war.

Aber freilich, es lassen sich auch für die, welche nicht guten Willens sind, genügend Einwände finden, die etwa die Geschichte des Volkes Israel auf derselben Ebene auftragen wie meinetwegen die Geschichte der Assyrier, der Babylonier oder der Ägypter. Wir sehen, es kommt auf das menschliche Herz an, ob es vor Gott flieht oder ob es Gott sucht. Wir wollen zu denen gehören, die ihn suchen und die sein Angesicht schauen wollen.

 Amen.

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