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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die göttliche Vorsehung (Teil 1)

24. Juli 1994

Die Lehre von der Vorsehung Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Vor etwa 15 Jahren besuchte ich einen Bischof, der Großes vorhatte. Mir kame Zweifel an der Durchführbarkeit seiner Pläne. Ich verwies auf die Welt von Feinden, die er finden werde, auf die vielen Schwierigkeiten, die ihm begegnen würden, und fragte ihn, wie er gedenke, sie zu überwinden. Da gab er mir ein einziges Wort zur Antwort: „La providence“ – die Vorsehung. Die Vorsehung werde ihn über alle Hürden hinwegtragen.

Wir wollen die Vorsehung heute zum Gegenstand unserer Betrachtung machen. Wir wollen vier Fragen stellen und sie zu beantworten versuchen, nämlich

1. Was ist der Inhalt der Vorsehung?

2. Worauf gründet sich die Lehre von der Vorsehung?

3. Wie haben wir uns die Vorsehung zu denken?

4. Was bezieht Gott in seine Vorsehung ein?

Die erste Frage geht nach dem Inhalt der Vorsehung. Wir unterscheiden dabei eine allgemeine und eine besondere. Die allgemeine Vorsehung ist der Plan Gottes mit der ganzen Schöpfung, die besondere Vorsehung ist der Plan Gottes über dem Einzelwesen, das Gott durch alle Wechselfälle des Lebens hindurch zu seinem Ziele führt. Dabei muß von vornherein einem Mißverständnis vorgebeugt werden, nämlich dem Mißverständnis, als sei die Vorsehung eine Garantie gegen irdische Mißerfolge, Enttäuschungen, Bitterkeiten, Schläge jeder Art. Die Vorsehung Gottes hat immer das letzte Ziel im Auge; und das letzte Ziel des Christen ist das ewige Leben. Der Christ ist ein Jenseitsmensch, nicht ein Diesseitsmensch. Das ist die Stärke, aber auch die Schwäche des Christen. Es ist seine Stärke, weil er eine Hoffnung hat, die ihm niemand entreißen kann. Es ist aber auch seine Schwäche, weil er leicht geneigt ist, die irdischen Dinge nicht so wichtig zu nehmen, zu unterschätzen, fahren zu lassen, weil er auf das Jenseits ausschaut. Und als Jenseitsmensch ist man auf dieser Welt gewöhnlich dem Diesseitsmenschen unterlegen. Die Kinder dieser Welt sind klüger als die Kinder des Lichtes in ihren Angelegenheiten. Und so ist es kein Wunder, daß die jenseitsausgerichteten Menschen nicht selten hinter den anderen zurückstehen an irdischen Erfolgen, Eroberungen und Siegen. Die Vorsehung ist also jener Plan, den Gott über den Menschen entworfen hat und den er zu einem glücklichen Ende führt, sofern der Mensch sich der Führung Gottes überläßt und anvertraut.

Worauf gründet sich die Lehre von der Vorsehung? Ihre Wurzel ist selbstverständlich die Offenbarung. In der Offenbarung des Alten Testamentes und des Neuen Testamentes wird Gott oft unter dem Bilde eines Hirten geschildert. Das ist ein sehr tiefes Bild für den, der die Verhältnisse im Nahen Orient kennt. Die Hirten sind die Hüter ihrer Herde, und die Herde ist ihr größter, nein, ihr einziger Besitz. Sie leben für ihre Herde. Sie führen sie, sie lenken sie, sie geleiten sie, sie schützen sie. Das kranke Tier verbinden sie, und wenn der Wolf kommt, dann verteidigen sie die Herde gegen die Angriffe dieses Feindes.

Die drei großen Propheten des Alten Bundes, Isaias, Jeremias und Ezechiel, haben Gott unter dem Bilde eines Hirten geschildert. Bei Isaias etwa heißt es: „Wie ein Hirt, so weidet er seine Herde. Die Lämmer nimmt er in seinen Arm. Er trägt sie an seiner Brust, sacht führt er die Mutterschafe.“ Und beim Propheten Jeremias wiederum: „Höret, ihr Völker, kündet das Wort des Herrn: Der Israel zerstreute, sammelt es wieder und hütet es wie ein Hirt seine Herde. Denn der Herr hat Jakob erlöst, hat ihn befreit aus den Händen dessen, der stärker als er.“ Und schließlich beim Propheten Ezechiel: „Denn so spricht der allmächtige Herr: 'Siehe, ich selbst werde mich meiner Herde annehmen und nach ihr suchen. Wie der Hirt nach seiner Herde sieht, wenn er unter seiner zerstreuten Herde weilt, so werde auch ich nach meiner Herde sehen und sie aus allen Orten befreien, wohin sie zerstreut wurden.'„ Im Neuen Testament, im Johannesevangelium, bezeichnet sich der Herr selbst als den Hirten, als den guten Hirten. „Meine Schafe hören meine Stimme. Ich kenne sie, und sie folgen mir. Ich gebe ihnen ewiges Leben, sie werden ewiglich nicht zugrunde gehen, und keiner wird sie aus meiner Hand entreißen.“

Diese Texte aus den Offenbarungsurkunden des Alten und Neuen Testamentes machen uns gewiß: Der Herr ist ein Hirt, ein ganz idealer Hirt. Er übertrifft jeden irdischen Hirten. Wir müssen uns den besten irdischen Hirten vorstellen und dann seine Tugenden in eminenter Weise erheben, dann bekommen wir einen Begriff von dem guten Hirten, der Gott ist.

Die Vorsehung Gottes wird uns aber auch gewiß gemacht durch die Fügungen und Führungen in dem Leben der Patriarchen. Im Weisheitsbuch etwa ist im 10. Kapitel davon die Rede, wie Gott die Patriarchen geleitet hat. Schon den Adam. „Sie hat den ersterschaffenen Vater der Welt, als er allein geschaffen war, beschirmt und ihn aus seinem Fall errettet.“ Dann Abraham: „Als um der allgemeinen Bosheit willen die Völker sich getrennt hatten, war sie es,“ – die Weisheit nämlich – „die den Gerechten ausfindig machte, ihn unsträflich vor Gott bewahrte und ihn stark machte gegenüber der Liebe zu seinem Kinde“ (Opfer des Isaak). Dann von Jakob: „Sie führte den Gerechten, der vor dem Zorn seines Bruders floh, auf ebenen Pfaden, zeigte ihm Gottes Reich, gab ihm heilige Dinge zu Kenntnis, verschaffte ihm Wohlstand.“ Und schließlich Josef: „Sie verließ auch nicht den Gerechten, den man verkaufte, sondern bewahrte ihn vor der Sünde und stieg mit ihm in den Kerker.“ Im Leben dieser Patriarchen, so will uns das Weisheitsbuch erläutern, sieht man Gottes Fügung und Führung. Die Weisheit, die unendliche Weisheit Gottes mit ihrer Vorsehung hat die Patriarchen geführt und gelenkt.

Und schließlich können uns auch die Eigenschaften Gottes seiner Vorsehung gewiß machen, seine Güte, seine Treue, seine Gerechtigkeit, seine Liebe; sie alle machen uns gewiß, daß die Vorsehung Gottes über uns waltet.

Die dritte Frage lautet: Wie haben wir uns Gottes Vorsehung vorzustellen? Nun, erstens kraftvoll waltend. Gott ist kein Spottkönig, er hat das Zepter in der Hand, auch wenn der Anschein dagegen zu sprechen scheint, der Anschein, meine lieben Freunde. Die Wirklichkeit besteht darin, daß Gott die Welt regiert durch alle Wechselfälle, durch alle Schicksalsschläge, durch alle Katastrophen hindurch. Kraftvoll waltend ist seine Vorsehung.

Sie ist zweitens wohlwollend und gütig. Gott läßt sich an Wohlwollen und Güte von keinem Menschen übetreffen. „Du sorgst für mich weit besser, als ich für mich selbst sorgen kann.“ So spricht seine Überzeugung der Verfasser der „Nachfolge Christi“ aus. „Du sorgst für mich weit besser, als ich selbst für mich sorgen kann.“ Und an einer anderen Stelle sagt er: „Was du mit mir tust, das kann nicht anders als gut sein.“ Was du mit mir tust, das kann nicht anders als gut sein, freilich auch: Was du mit mir tust, das kann nicht anders als gut sein. Und schließlich die dritte Eigenschaft: Unfehlbar sicher ist die Vorsehung. Sie kommt zu ihrem Ziel. Sofern sich der Mensch willig in die Hände der Vorsehung begibt, führt die Vorsehung unfehlbar zu ihrem Ziele. Wir dürfen uns ihrer Führung anvertrauen und können gewiß sein: Wir kommen an! Wir kommen zu dem Ziele, für das Gott uns bestimmt hat.

Die vierte Frage lautete: Was baut Gott in die Pläne seiner Vorsehung ein? Die Antwort muß lauten: Alles. Was immer in unserem Leben geschieht, nach Gottes Willen dient alles der Hinführung zu dem letzten Ziel. Die Lasten, unter denen wir stöhnen, die Kreuze, die wir tragen, die Zusammenbrüche, Enttäuschungen und Niederlagen, die Mißerfolge unseres Lebens, sie sind nach Gottes Willen Bausteine für das Gebäude unseres von der Vorsehung gelenkten Lebens. Gott ist ein Baumeister, der auch mit fallenden Steinen bauen kann.

Diese Überzeugung verschafft uns der Glaube. Der Glaube, meine lieben Freunde, ist kein Rechenexempel. Er darf kein Rechenexempel sein. Wenn wir es in der Erfahrung nachprüfen könnten, daß der Vorsehungsglaube unfehlbar durch die irdischen Wechselfälle hindurchträgt, wenn es jedem offenbar wäre, daß, wenn man nur an die Vorsehung glaubt, man von allem Beschwerlichen bewahrt bleibt, dann wäre der Glaube zu Ende, dann wäre der Glaube zu einem Geschäft geworden, dann wäre das Christentum eine Berechnung, und dann wäre die Treue und die Ergebung gegen Gottes Willen ein reines Rechenexempel. Nein, es muß so sein, daß wir die Fäden auf dieser Erde nicht entwirren können. „Der Glaube ist die Überzeugung von dem, was man nicht sieht, die zuversichtliche Erwartung auf das, was man erhofft.“ So formuliert es der Brief an die Hebräer. Und weil es so ist, deswegen kann der Apostel Paulus im Römerbrief sein Siegeslied auf die Vorsehung anstimmen, wenn er schreibt: „Was sollte uns trennen von der Liebe Christi?“ Gibt es überhaupt etwas, was uns von dieser Liebe trennen kann? Und jetzt zählt er auf: „Trübsal, Bedrängnis, Verfolgung, Hunger, Blöße, Gefahr oder das Schwert? Es steht ja geschrieben: 'Deinetwegen sterben wir den ganzen Tag. Wie Schlachtschafe werden wir angesehen.' Aber in alledem bleiben wir Sieger um dessentwillen, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf uns trennen kann von der Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn.“

Wenn es so ist, meine lieben Freunde, wie der Apostel Paulus schreibt, dann muß unsere Antwort auf die Offenbarung der Vorsehung sein: Vertrauen, Geduld, Ergebung. Vertrauen, daß die Führung Gottes uns geleitet. Nicht irre werden, nicht irre werden an der Führung Gottes, so schwer es über uns kommen mag. Geduld: Man muß warten können. „Gott,“ so hat einmal Heinz Waggerl geschrieben, „Gott kommt häufig eine Viertelstunde später als wir meinen, daß er kommen müßte, um unseren Glauben zu erproben.“ Geduld haben, warten können, bis sich sein machtvoller Arm zeigt. Und schließlich Ergebung. Das heißt, sich mit dem, was Gott verfügt hat, nicht bloß abfinden, sondern in das, was Gott verfügt hat, sich hineinbegeben, jasagen dazu.

Als die heilige Hedwig von Schlesien am 9. April 1241 über das Schlachtfeld von Wahlstatt bei Liegnitz ging, da suchte sie ihren letzten Sohn. Vier Söhne hatte sie; der letzte war im Kampfe gefallen. Und als sie ihn dann fand, da sagte sie: „Uns muß gefallen, was Gott gefallen hat.“ So sprach die heilige Hedwig von Schlesien. Sie war ergeben in Gottes Willen. Und ein Dichter hat das, was wir angesichts der Vorsehung zu tun haben, in wunderbare Verse gefaßt:

„Lasset, Christen, Gott nur walten, betet seine Vorsicht an!

Liebreich wird er uns erhalten, wandeln wir nur seine Bahn.

Wer auf ihn sich ganz verläßt, dessen Heil steht felsenfest.

Gott weiß alles wohl zu lenken, sein ist Weisheit und Verstand.

Warum sollten wir uns kränken? Sind wir nicht in seiner Hand?

Er ist Vater, der uns liebt, wenn er nimmt und wenn er gibt.

Führt er uns auf rauhem Wege, schickt er uns auch Leiden zu,

treffen uns gleich harte Schläge, nichts trübt uns're Seelenruh.

Duldend denken wir daran: Was Gott tut, das ist wohlgetan!

Gott weiß alles, was uns fehlet, was hienieden uns gebricht.

Er, der jede Träne zählet, die uns fließt vom Angesicht.

Unerwartet sendet er Hilfe uns vom Himmel her.

Alle Arbeit und Beschwerden, alle Leiden dieser Zeit,

wenn sie Gott geweihet werden, führen uns zur Seligkeit.

Wohl getan ist's, was er tut. Baut auf ihn, habt frohen Mut!“

Amen.

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