Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Der Heilsplan Gottes (Teil 5)

22. Februar 1987

Der Sündenfall

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Die ganze Welt kündet einen verlorenen Gott und eine gefallene Natur,“ hat einmal der französische Philosoph Blaise Pascal geschrieben. Die ganze Welt kündet einen verlorenen Gott und eine gefallene Natur!

Die ersten Menschen waren, wie wir am vergangenen Sonntag gesehen haben, glücklich. Sie lebten im Einklang mit sich selbst und in Harmonie mit ihrer Umwelt. Sie waren im Frieden mit Gott und im Glücke der heiligmachenden Gnade. Dennoch sind  sie gefallen. Wie kam es dazu?

Gott hat den ersten Menschen ein Gebot gegeben, ein Gebot, das sie beobachten sollten. Die heilige Schrift schildert dieses Gebot unter dem Bild eines Baumes, eines Baumes, von dem die ersten Menschen nicht essen sollten. Die Gelehrten der heiligen Schrift sind sich nicht einig, welcher Art das Gebot gewesen ist, was nun genau den ersten Menschen verboten war und was sie eben dann nicht beachtet haben. Ein starker Strang unter den Exegeten des Alten Testamentes ist der Ansicht, es handle sich bei der Ursünde um eine Sünde gegen die geschlechtliche Ordnung, daß die ersten Menschen also entweder zu früh oder auf die falsche Weise das getan haben, was sie hätten tun dürfen, wenn sie gewartet oder wenn sie die Ordnung in ihrer Ehe gewahrt hätten. Das ist eine Meinung, das ist kein Glaubenssatz. Aber wenn diese Meinung zutreffen würde, würde sich vieles erklären, was die Menschheit heute belastet und bedrückt.

In jedem Falle war ein Gebot gegeben und dieses Gebot diente dazu, den Menschen klarzumachen, daß sie einen Herrn über sich hatten. Die Menschen lebten  noch nicht in endgültiger Erfüllung, sie waren  noch in der Vorerfüllung. Sie sollten sich die endgültige Seligkeit auch verdienen, so sehr diese Seligkeit Geschenk Gottes war. Und sie sollten sie auch verdienen durch den Gehorsam gegen Gottes Willen. Und so stand da ein Gebot zwischen den Menschen und ihrer endgültigen Vollendung. Die Menschen haben dieses Gebot übertreten. Der Anreiz zur Übertretung kam nicht von innen, denn ihre Natur war heil. Die Versuchung kam von außen. Die Heilige Schrift schildert den Versucher unter dem Bild einer Schlange. Die Schlange ist für den einfachen Menschen das unheiligste, das listigste, das giftige, das boshafte Tier, und so ist dieses Bild vorzüglich geeignet, den abzubilden, der sich hinter der Schlange verbarg, nämlich den Verführer, den Satan, den Teufel.

In einer nicht zu überbietenden, meisterhaften Psychologie schildert die Heilige Schrift, wie die Schlange es anfing, den Menschen zu verführen. Der Heiland nennt einmal den Teufel den Lügner von Anbeginn. Und tatsächlich: Mit zwei Lügen sucht der Satan die ersten Menschen zu verführen.

Die erste Lüge: „Hat euch Gott wirklich geboten, von keinem Baum im Garten zu essen?“ Ja, das hat er ja gar nicht! Von keinem Baum – so hat er ja gar nicht geboten, und so stellt auch die Eva richtig: „Wir dürfen von allen Bäumen essen, nur von dem nicht, der in der Mitte des Paradieses steht.“ Das war die erste Lüge. Und Eva gibt die Begründung an: „Wenn wir von dem Baum essen, dann müssen wir sterben!“ Da kommt die zweite Lüge: „Keineswegs werdet ihr sterben, sondern es werden euch die Augen aufgehen, und ihr werdet sein wie Gott!“

Die erste Lüge richtet sich gegen Gottes Gerechtigkeit, die zweite gegen Gottes Wahrhaftigkeit. Gott hat den Menschen ein Gebot gegeben und Folgen daran geknüpft, die gar nicht zutreffen, so sagt der Teufel. Gott ist selbstsüchtig, er will die Menschen davor bewahren, daß sie seinesgleichen werden, er gönnt ihnen nicht das Wissen um Gut und Böse. So weckt die Schlange, so weckt der Satan Mißtrauen gegen Gott und Unglaube. Und dann, unter dieser Verheißung, die die Schlange macht, sieht Eva die Früchte in einem ganz anderen Licht. Sie hatte den Baum schon oft geschaut, aber jetzt erblickte sie ihn, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Die heilige Schrift drückt das mit drei verschiedenen Sätzen aus: „Jetzt erst sah die Frau, wie köstlich die Früchte des Baumes munden müßten, welch lieblichen Anblick sie darboten, wie begehrenswert die Früchte des Baumes sind.“ Drei Sätze schildern den neuen Eindruck, den Eva von den Früchten des Baumes, den sie ja oft gesehen hatte, bekam. Und unter diesem Eindruck ergreift sie die Frucht und genießt sie. Und sie gibt sie ihrem Manne, und er nimmt sie, und beide essen von dem Baum, dessen Früchte zu genießen ihnen verboten war.

Die erste Sünde, die Ursünde, ist geschehen! „Was hast du getan, o Adam! Was hast du getan, o Eva!“ „Die ganze Welt kündet einen verlorenen Gott und eine gefallene Natur!“ Wiederum in meisterhafter Psychologie schildert die Heilige Schrift die Folgen ihrer Tat. Jetzt entdecken die ersten Menschen, daß sie nackt sind und sie schämen sich. Sie verstecken sich vor Gott. Diese Erkenntnis, daß sie nackt sind, ist offensichtlich schon eine Wirkung der Sünde. Sie haben die Unbefangenheit des Herzens verloren. So ist es immer und bei jeder Sünde. Wenn einmal die Todsünde geschehen ist, dann ist die innere Freiheit, dann ist die innere Ruhe, dann ist die innere Sicherheit dahin.

Und dann richtet Gott drei Fragen an den ersten Menschen. Er ruft den Adam: „Wo bist du?“ Ja, Adam muß zugeben, daß er sich versteckt hat, daß er sich verborgen hat, weil er nackt war. Aber das weckt nur die zweite Frage: „Ja, woher weißt du denn, daß du nackt bist? Hast du etwa von den Früchten des Baumes gegessen?“ Adam tut nun das, was der Sünder so gern tut: Er sucht die Schuld auf andere abzuwälzen. „Die Frau hat mir davon gegeben.“ Gott wendet sich an die Frau: „Warum hast du das getan?“ Die Frau verfährt ebenso wir ihr Mann: „Die Schlange hat mich verführt.“ So reicht der Sünder die Schuld immer weiter, er will sie von sich abwälzen auf den anderen, er will die Umstände oder die Zeit oder die Nachbarn dafür verantwortlich machen.

In meisterhafter Psychologie schildert also die Genesis diesen Vorgang, den wir ja nur allzu gut aus dem eigenen Leben kennen. Und da bricht sogleich das Unheil über den Sünder Adam und seine Frau herein. Gott beginnt die Strafenfolge bei dem Urheber der Sünde, bei dem Teufel. Aber er schreitet dann fort zu Eva, die sich vom Teufel betrügen ließ, und zu Adam, der seiner Frau folgte. Die Folgen der Sünde sind natürliche und übernatürliche. Die Menschen verloren durch die Sünde die übernatürlichen Gaben. Sie gingen der heiligmachenden Gnade verlustig, sie verloren die Seligkeit der Gottesfreundschaft. Die Vollendung, die sie in klagloser Weise erwerben sollten, entschwand vor ihren Augen. Sie verloren aber nicht nur die übernatürlichen Gaben, sondern sie wurden auch in ihrer natürlichen Verfaßtheit verwundet. Ihr Leib, ihr Geist litt Schaden. Der Leib: Nun, sie wurden auf einmal sterblich, denn der Baum des Lebens, er war ihnen nicht mehr zugänglich, weil sie aus dem Paradies vertrieben wurden. Sie wurden sterblich, und so klang das furchtbare Wort auf, das wir am kommenden Aschermittwoch wieder hören werden: „Staub bist du, und zum Staube wirst du zurückkehren!“

Mit dem Tod kommen die Krankheiten, die Vorboten des Todes. Die Erde, die der Mensch bearbeiten soll, steht nun auf gegen ihn. Sie ordnet sich nicht mehr willig dem Menschen unter, sondern sie bereitet ihm Widerstand. Deswegen sagt der Herr: „In Mühsal sollst du die Erde bearbeiten.“ Also die Erfolglosigkeit, die Mühsal, die Plackerei, die der Arbeit jetzt anhaften, das ist die Folge der Ursünde. „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen.“ Die Arbeit ist keine Lust, keine Freude, kein Vergnügen mehr, sondern eben behaftet mit großen Mühen und Schwierigkeiten. Die Erde, die dem Menschen geschenkt war, steht jetzt gegen ihn auf. Sie ordnet sich ihm nicht mehr willig unter. Deswegen die Tücke des Objekts, von dem gesprochen wird, deswegen die Katastrophen und die furchtbaren Zusammenbrüche in der Natur, die dem Menschen vergilt, was er mit ihr getan hat, indem er das Unheil über sie gebracht hat.

In der Seele vollzieht sich ein ähnlicher Zusammenbruch. Der Verstand des Menschen wurde verdunkelt. Er erkannte nicht mehr leicht Gott, Gottes Sinnen und sein eigenes Ziel;, sein Verstand wurde geschwächt. Sein Wille wurde gelähmt. Es ist nicht mehr so, daß der Mensch leicht und mit  Unbeschwertheit das Gute zu tun vermag, sondern jetzt setzt der Widerstreit ein zwischen sinnlicher und geistiger Kraft im Menschen. Wie es der heilige Paulus einmal so wunderbar ausdrückt: „Das Gesetz in meinen Gliedern widerstreitet dem Gesetz meines Geistes, es gelüstet das Fleisch wider den Geist.“ Jetzt ist die Harmonie im Menschen beseitigt. Jetzt ist der Zwiespalt zwischen seinem geistigen und seinem sinnlichen Vermögen programmiert.

Es ist nicht so, wie Martin Luther lehrte, daß der Mensch die Willensfreiheit nun verloren hat und entweder von Gott oder dem Teufel geritten wird. Das ist eine seiner üblichen Übertreibungen. Aber die Willensfreiheit ist geschwächt. So hat die Kirche immer gegen diese falsche Lehrmeinung festgehalten. Und das ist die Folge der Ursünde, die Adam begangen hat.

„Die ganze Welt kündet einen verlorenen Gott und eine gefallene Natur!“ Die Ursünde Adams ist nicht folgenlos geblieben. Diese Folgen haben ihn getroffen, aber da er eben die Menschheit darstellte, da in ihm die ganze Menschheit gegenwärtig war, ist auch die Menschheit davon getroffen worden. Was das für seine Nachkommen bedeutet, was also die Erbsünde ausmacht, das wollen wir am kommenden Sonntag überlegen.

Amen.

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