Predigtreihe: Werke der Barmherzigkeit (Teil 3)
21. Dezember 1986
Über Zweck und Ziel der guten Werke
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Wir haben an den vergangenen Sonntagen die Werke der Barmherzigkeit uns vor Augen geführt. Es sind die sieben Werke der leiblichen und die sieben Werke der geistlichen Barmherzigkeit. Wir haben heute noch zwei abschließende Fragen zu beantworten, nämlich
1. Wie sollen wir diese Werke verrichten?
2. Was erlangen wir aufgrund dieser Werke?
Erstens: Wie sollen wir die Werke der Barmherzigkeit verrichten? Wir sollen diese Werke so verrichten, daß wir keinen Lohn von Menschen suchen. Wir sollen sie also nicht in der Absicht tun, von den Menschen gesehen und gelobt zu werden, oder in der Absicht, daß die Menschen sie uns wiedervergelten. Nein, „deine linke Hand soll nicht wissen, was die rechte tut,“ d.h. du sollst die Werke der Barmherzigkeit so verrichten, als ob du gar nicht darum wüßtest. Wenn wir Lob von den Menschen suchen, dann erfüllt sich an uns das Wort des Heilandes: „Ihr habt eueren Lohn schon davon,“ nämlich von den Menschen. Ihr braucht also keinen göttlichen Lohn mehr zu erwarten. Und wenn wir nur denen Gutes tun, von denen wir ebenfalls wieder Gutes erwarten, dann ist das ja nur ein Tauschgeschäft. Nein, wir sollen denjenigen Gutes tun, von denen wir nichts erwarten können, und wir sollen es unbemerkt tun, wie es die Heiligen getan haben. Vom heiligen Bischof Nikolaus wird berichtet, daß er zur Nachtzeit seine Gaben in die Häuser brachte oder durch die Fenster warf. Ebenso wird erzählt von König Wenzel von Böhmen, daß er in die Hütten der Armen zur Nachtzeit ungesehen eingetreten ist, um sie zu beschenken.
Wir sollen die guten Werke tun um Gottes willen, weil wir im Nächsten den Bruder Jesu sehen. „Hast du den Nächsten gesehen, so hast du Gott gesehen,“ schreibt einmal der heilige Clemens von Alexandrien; und die heilige Magdalena von Pazzi hat sogar die Werke der Barmherzigkeit dem Gebet vorgezogen, denn sie sagte: „Wenn ich bete, hilft mir Gott, aber wenn ich Almosen gebe, helfe ich Gott.“ Also wir sollen im Nächsten Christus sehen und ihm dienen, damit sich an uns erfüllt die Verheißung beim letzten Gerichte: „Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
Wir sollen die Werke der Barmherzigkeit auch freudigen Sinnes und schnell verrichten, nicht mürrisch. „Einen freudigen Geber hat Gott lieb,“ so heißt es im Evangelium, einen freudigen Geber; also nicht gezwungen, nicht unter dem Druck der dauernden Flehrufe des Armen und des Beladenen, nein, vom eigenen Herzen, aus eigenem Antrieb, und schnell. Wer schnell gibt, gibt doppelt! Also nicht lange zögern, nicht das Almosen in der Hand schwitzen lassen, sondern rasch zur Hilfe bereit sein, heute, und es nicht auf morgen verschieben.
Selbstverständlich dürfen wir uns die Menschen ansehen, denen wir Almosen geben, ob sie bedürftig, und vielleicht auch, ob sie würdig sind. Aber wir sollen hier nicht strenger sein als unser Herr. Lieber fehlen in der Freigebigkeit als fehlen durch Knauserigkeit. Wir dürfen durch Almosen nicht Trunkenbolde und Verschwender ermutigen, natürlich nicht, sonst machen wir uns ja mitschuldig an deren Sünde. Aber dem Sünder dürfen und sollen wir Werke der Barmherzigkeit erweisen.
Wir können nicht allen Menschen helfen. Wem sollen wir dann die Hilfe zuteil werden lassen? Die Heilige Schrift und die Kirchenväter geben uns Auskunft. Im Galaterbrief schreibt der Apostel Paulus: „Tut Gutes allen, vor allem den Glaubensgenossen!“ Also, wenn wir nicht allen Gutes tun können – das ist ja unmöglich –, dann haben jene, die uns näherstehen, einen Vorzug. So sagt auch der heilige Augustinus: „Wenn du nicht allen helfen kannst, dann springe denen bei, die enger mit dir verbunden sind!“ Das sind sicher zuerst die Blutsverwandten, das sind unsere Nachbarn, das sind unsere Glaubensgenossen, also die mit uns in der einen heiligen katholischen Kirche leben. Wenn wir es ermöglichen können, sollen wir selbstverständlich darüber hinaus allen Menschen Gutes tun. Wir dürfen niemanden ausschließen wegen seiner Rasse oder seiner Nationalität oder wegen seines abweichenden Glaubens.
Vor einigen Jahren, meine lieben Freunde, haben jüdische Kreise einmal untersucht, wer in der Zeit des Dritten Reiches am meisten den Juden, den verfolgten Juden, beigestanden hat. Sie kamen zu dem überraschenden Ergebnis: Am meisten Hilfe hatten die Juden zu erwarten von den praktizierenden Katholiken. Das ist ein Ruhmesblatt für unsere Kirche und für unseren Glauben. Am meisten Hilfe haben den verfolgten Juden die praktizierenden Katholiken geleistet.
Wie sollen wir Werke der Barmherzigkeit verrichten? Das war die erste Frage. Die zweite: Was erlangen wir für die Werke der Barmherzigkeit? Nun, wir erlangen erstens die Vergebung der Sünden. Der schwere Sünder erlangt durch die Werke der Barmherzigkeit die Gnade der Bekehrung. Cornelius, ein heidnischer Hauptmann in Cäsarea, der wegen seiner Freigebigkeit bekannt war, wurde von Gott gewürdigt einer Botschaft des Engels und des Besuches des heiligen Petrus, des Glaubensboten, der ihn zum heiligen Glauben führte. Im vorigen Jahrhundert gab es einen Mann namens Clemens Brentano, der ja als Dichter bekannt ist. Dieser Clemens Brentano war zwar katholisch, aber ganz vom Glauben abgewichen und sittlich verkommen. Er war aber ein freigebiger Mann geblieben; und wir dürfen überzeugt sein, daß diese Freigebigkeit es war, die ihm die Gnaden erwirkt hat, daß er die Katharina Emmerich in Dülmen kennenlernte, diese weise Frau, die wunderbare Weissagungen von sich gegeben hat, und daß er durch diese Frau bekehrt wurde.
Wer nicht in schwerer Sünde ist, der erlangt durch Werke der Barmherzigkeit die Verzeihung der läßlichen Sünden und der Sündenstrafen. „Ich glaube nicht,“ sagt der heilige Hieronymus einmal, „daß jemand, der Werke der Barmherzigkeit verrichtet hat, verloren geht.“ Nein, an ihm wird sich das Wort erfüllen: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“
Das ist nämlich die zweite Wirkung, der zweite Nutzen, der zweite Gewinn, den man, ohne ihn zu suchen, von Werken der Barmherzigkeit hat. Die Barmherzigen erlangen das ewige Leben. Ihre Werke der Barmherzigkeit werden von Gott in ein Buch eingetragen – das ist bildlich gesprochen –, und sie werden einmal beim Gericht für sie sprechen. Dann werden diejenigen, denen man Gutes getan hat, aufstehen und sagen: „Ja, zu mir war er gut. Mir hat sie geholfen!“ Sie werden dann für uns sprechen und für uns eintreten. Wir geben Zeitliches, und wir empfangen Ewiges. Wir geben Vergängliches, und wir empfangen Unvergängliches. „Gib, was du nicht behalten kannst, damit du empfängst, was du nicht verlieren kannst,“ schreibt einmal in einem wunderbaren Wortspiel der heilige Augustinus.
Der dritte Nutzen vom Almosen: Wir erlangen zeitlichen Gewinn. Das ist ja merkwürdig. Das ist ein erstaunliches Gesetz, daß man, wenn man weggibt, zeitlich gewinnen kann. Aber so ist es. Wer gern freigebig ist um Gottes willen, dem füllt Gott wieder die Hände. Ich könnte Ihnen, meine lieben Freunde, Beispiele, selbsterlebte Beispiele von Menschen erwähnen, die außerordentlich mildtätig und freigebig waren und die mir gestanden haben: „Ich habe kaum etwas weggegeben, dann bekomme ich schon wieder etwas.“ Ja, so ist Gott. Er läßt sich an Großmut nicht übertreffen. Der Knauserige, der alles festhält und der nichts weggibt, dem wird auch niemand etwas geben. Aber derjenige, der unter Verzicht auf eigenes Gut seine Hände und sein Herz dem Nächsten öffnet, dem wird von Gott wiedervergolten.
Schließlich – und das ist die letzte Wirkung – erlangt der Freigebige Erhörung seiner Gebete. Die Almosen und überhaupt jedes Werk der Barmherzigkeit steigen gleichsam wie ein Gebet, wie Weihrauch zu Gott empor und stimmen Gott gnädig, unsere Gebete zu erhören. Das ist von Cornelius bezeugt. „Dein Gebet und dein Almosen sind emporgestiegen,“ heißt es in der Apostelgeschichte. Ja, sie haben sich gleichsam auf Wanderschaft begeben und sind vor den Thron Gottes gekommen und haben dort die Erhörung der Gebete erwirkt.
So wollen wir also, meine lieben Freunde, in dieser vorweihnachtlichen Zeit den heiligen Entschluß fassen, dem Christkinde unsere Vorsätze zu Füßen zu legen, vor allem den Vorsatz, die Werke der Barmherzigkeit zu üben, die geistlichen Werke der Barmherzigkeit und die zeitlichen Werke der Barmherzigkeit. Erinnern wir uns, was einmal ein Heide – ein Heide! –, der Kaiser Titus, gesagt hat. Wenn er einen Tag verbracht hatte, an dem er nichts Gutes getan hatte, dann sagte er: „Diem perdidi – den Tag habe ich verloren.“
Wir wollen keinen Tag verlieren, sondern jeden Tag gewinnen, indem wir die Liebe, von der wir leben, liebend an andere weitergeben.
Amen.