Predigtreihe: Die Gebote Gottes (Teil 15)
12. Oktober 1986
Pflichten gegen das eigene Leben
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Du sollst nicht töten!“ So lautet das 5. Gebot Gottes. In diesem Gebot hält uns Gott an, das eigene und das fremde Leben zu schonen. Wir wollen am heutigen Sonntag Gedanken über die Pflichten gegen das eigene Leben uns vornehmen, und in 14 Tagen die Pflichten hinsichtlich des fremden Lebens.
Die Kirche umgibt, wenn sie die Sakramente spendet, diese Feier mit heiligen Zeremonien, die auf den Wert und die Würde des Körpers hindeuten. Sie will uns mit diesen heiligen Handlungen Ehrfurcht vor dem Körper lehren. Ehrfurcht müssen wir vor dem Körper haben, weil er erstens die Wohnung der Seele und weil er zweitens das Werkzeug des Heiles ist.
Der Körper ist die Wohnstatt der Seele. Das Beste im Menschen, das Feurigste, ist das geistige Element, das ist im Körper anwesend ist und dem der Körper eine Wohnstatt bietet. Lassen Sie sich nicht irre machen, meine lieben Freunde, durch materialistische Äußerungen, die sagen, man habe bei der Untersuchung des Körpers eine Seele noch nicht gefunden. Man kann sie nicht finden, weil die Methoden der Naturwissenschaft das Geistige nicht fassen können! Was nicht materiell ist, das kann auch von der Naturwissenschaft nicht erfaßt werden. Es ist gar nicht zu erwarten, daß man bei Untersuchungen des Körpers die Seele sieht oder hört oder tasten kann. Die Seele ist ein geistiges Element, das im Körper anwesend ist, solange der Körper ein taugliches Werkzeug für die Seele ist. Wenn er zerfällt im Tode, dann wird die Seele frei und besitzt eine eigene und eigentümliche Existenz.
Der Körper ist aber auch das Werkzeug der Seele. Sie bedient sich seiner, um den Willen Gottes zu tun, ihre Aufgaben auf Erden zu erfüllen, um Verdienste für den Himmel zu erwerben. Im Leibe wirken wir unser Heil. Im Leibe schaffen wir uns aber auch das Unheil!
Wegen dieses hohen Wertes des Körpers hat uns Gott Pflichten auferlegt hinsichtlich des leiblichen Lebens, positive und negative, Bestimmtes, was wir tun sollen, anderes, was wir nicht tun dürfen. Was sollen wir tun? Wir sollen unseren Körper gesund erhalten und durch die geeigneten Maßnahmen für Heilung sorgen, wenn er krank ist. Man erhält seinen Körper gesund durch Mäßigkeit, Reinlichkeit, Ordnung und Arbeitsamkeit. Mäßigkeit: Der Körper kann, auch wenn er schwach ist, durch einen maßvollen Gebrauch von Speise und Trank für ein hohes Alter bereitet werden. Im Buche Daniel im Alten Testament wird uns berichtet, daß die israelitischen Jünglinge, die in die Gefangenschaft der Babylonier gekommen waren, aus der königlichen Tafel genährt wurden. Diese Tafel war üppig. Daniel und seine drei Gefährten baten den Speisemeister, er solle doch ein Experiment machen, er solle ihnen nur einfache Speisen geben und einmal abwarten, wer dann besser aussähe, sie, die sich aus einfachen Speisen nährten, oder die anderen, die von den üppigen Speisen des Königs verköstigt wurden. Zögernd ließ sich der Speisemeister auf diesen Vorschlag ein, und nach zehn Tagen schon sah man, daß die israelitischen Jünglinge, die sich genügsam ernährten, viel besser ausschauten als die anderen, die üppig mit Speisen sich vollstopften. Mäßigkeit dient der Erhaltung der Gesundheit.
Dann aber auch Reinlichkeit. Im heutigen Zeitalter der Hygiene braucht man darüber nicht viel zu sagen. Reinlichkeit des Körpers, Reinlichkeit der Kleidung, Reinlichkeit der Wohnung, das sind eigentlich – jedenfalls in unseren Breiten – Selbstverständlichkeiten geworden. Ordnung dagegen ist auch heute noch ein Desiderat für viele, Ordnung im ganzen Leben, im Aufstehen, im Sich-Niederlegen, Ordnung in der Nahrung, Ordnung in der Kleidung, das alles sind wichtige Dinge, um das gesunde Leben des Körpers zu erhalten. Der preußische Generalfeldmarschall Moltke erreichte ein Alter von 91 Jahren. Er hat das ganze Leben ein außerordentlich geordnetes Leben geführt. Um 6 Uhr in der Frühe erhob er sich, um 10 Uhr am Abend legte er sich nieder.
Auch die Arbeitsamkeit dient der Erhaltung des Lebens und der Gesundheit, natürlich im rechten Maße. Man darf sich nicht tot arbeiten, was ja auch vorkommt. Aber Arbeit nach Maßgabe der Kräfte ist ein wichtiges Element zur Erhaltung der Gesundheit. Der Müßiggang dient der Gesundheit nicht. Der Mensch ist von Gott zum Arbeiten geschaffen wie der Vogel zum Fliegen, und der Mensch, der sich von dieser Pflicht befreit, nützt sich nicht, sondern fügt sich Schaden zu. Wir haben auch die Pflicht, eine angeschlagene Gesundheit wiederherzustellen. Wir sind gehalten, den Arzt aufzusuchen, die Medikamente einzunehmen – das ist uns von Gott auferlegt. Nicht jeder tut das. Es gibt Sekten, die verbieten zum Beispiel ihren Angehörigen, sich eine Blutübertragung machen zu lassen. Lieber lassen sie die Menschen zugrunde gehen, als daß sie fremdes Blut aufnehmen. Diese Weigerung ist sicher nicht im Sinne Gottes.
Das sind die positiven Pflichten, die wir gegenüber unserem leiblichen Leben haben. Sie dürfen nicht so ausarten, daß wir nur noch Leib sein wollen, denn der Leib dient der Seele, und wer seinen Leib zu sehr hätschelt und pflegt, der kann darüber das seelische Leben vergessen. Viele Menschen halten es mit Friedrich Nietzsche, der gesagt hat: „Leib bin ich ganz und gar.“ Nein, du bist auch Seele, und eine Seele braucht Pflege und Sorge und noch viel mehr als der Leib. Vergiß nicht über dem leiblichen Leben, vergiß nicht über der Pflege des leiblichen Lebens deine Seele, deine unsterbliche Seele, die für das ewige Leben bei Gott geschaffen ist.
Wir haben sodann negative Pflichten gegenüber unserem Leibe. Wir dürfen ihn nämlich erstens nicht leichtsinnig in Gefahr bringen, wir dürfen ihm zweitens nicht schaden, und wir dürfen drittens unser Leben nicht wegwerfen im Selbstmord.
Wir dürfen uns nicht leichtsinnig in Gefahr begeben. Doch wie oft geschieht das, meine lieben Freunde! Die Zeitungen sind fast jeden Tag voll davon, wie Menschen sich leichtsinnig, ohne Not, in Gefahr begeben. Waghalsige Bergsteiger versuchen in Turnschuhen oder Halbschuhen hohe Berge zu besteigen. Im Straßenverkehr benehmen sich viele Menschen in einer unverantwortlichen Weise. Tausende von Toten, Hunderttausende von Verletzten jedes Jahr allein in unserem Lande. Man kann sein Leben auch leichtfertig in Gefahr begeben durch Albernheiten, zum Beispiel durch Wettessen. In manchen Gegenden werden Wettbewerbe veranstaltet, wer am meisten oder am längsten essen kann. Das alles sind Torheiten, die zweifellos Sünden, schwere Sünden darstellen. Wir dürfen unser Leben nicht leichtsinnig in Gefahr bringen. Wir dürfen aber auch unserem Leben nicht schaden durch Ergötzlichkeiten und Vergnügungen. Eine ganze Nacht durchtanzen ist sicher nicht im Sinne Gottes. In dem, was wir unserem Körper zuführen, müssen wir Verantwortung beobachten. Genußmittel, Lebensmittel im Übermaß zu sich nehmen, das kann uns schaden. Der große Wiener Prediger Abraham a Santa Clara hat einmal von der Kanzel des Stefansdomes in Wien ausgerufen: „Die meisten Krankheiten stammen aus Frißland.“ Auch die Kleidung, auch das Schuhwerk kann eine Sünde darstellen gegen unsere leibliche Befindlichkeit. Vor einiger Zeit kam einmal ein Mädchen zu einem Arzt und sagte, sie habe ständig Husten und Schnupfen. Der Arzt schrieb ihr ein Rezept aus. Sie ging zum Apotheker. Der Apotheker sah sich das Rezept an. „Ja,“ sagte er, „da müssen Sie nebenan gehen in das Wollwarengeschäft.“ „Ja, wieso? Wieso?“ „Der Arzt hat Ihnen aufgeschrieben 'Ein Paar warme Strümpfe'.“ Sie sehen, meine lieben Freunde, daß die Menschen sich häufig selbst die Krankheiten erzeugen, über die sie sich dann bitter beklagen.
Und am schlimmsten ist es natürlich, wenn Menschen meinen, ihr Leben wegwerfen zu sollen. Es sind fast immer Menschen in Not, in körperlicher oder seelischer Not, die meinen, es nicht mehr aushalten zu können auf Erden, die an Gottes Hilfe und an Gottes Barmherzigkeit verzweifeln und deswegen Hand an sich selber legen. Im Alten Bunde wird uns berichtet, daß der König Saul nach einer verlorenen Schlacht sich in das Schwert stürzte. Und im Neuen Bunde wissen wir, daß einer der Apostel des Herrn, der unglückliche Judas, einen Strick nahm und sich erhängte: „Ich habe unschuldig' Blut verraten.“
So gibt es auch heute viele Menschen, die sich das Leben nehmen aus Kummer, aus Verzweiflung, aus Angst. In der Bundesrepublik sind es im Jahre gewöhnlich 12.000 bis 13.000 Selbstmörder. Und daß der Selbstmord etwas mit der Religion zu tun hat, das sieht man daraus, daß in Ägypten, das ja fast ganz mohammedanisch ist und vierzig Millionen Einwohner zählt, im Jahr nur 63 Selbstmörder gezählt werden. Im soganennten christlichen Deutschland 12.000, im mohammedanischen Ägypten 63! Wir müssen uns schämen angesichts einer solchen Zahl. Und das ist tatsächlich so: Mit dem Schwinden der Religion wächst die Selbstmordquote. Je mehr die Menschen von Gott lassen, um so eher verzweifeln sie, verlieren den Lebensmut und die Hoffnung. Schreckliche Selbstmordorgien haben wir erlebt am Ende des letzten Krieges. Wie viele Männer haben sich schon, als die Schlacht von Stalingrad zu Ende ging, selbst den Tod gegeben! Und noch viel mehr, und dann aber auch Frauen, haben am Ende des Krieges, also im April, Mai 1945 Selbstmord begangen.
Der Selbstmörder begeht großes Unrecht gegenüber Gott. Der Mensch ist nicht Herr seines Lebens, Gott ist der Herr des Lebens. Gott hat ihm das Leben geschenkt, Gott hat ihn geschaffen, Gott hat ihn erlöst. Er ist der Herr des Lebens. Der Mensch ist nicht Eigentümer, er ist nur Mieter, er ist nur Verwalter, er ist nur Nutznießer. Und deswegen darf er nicht sagen: „Mein Bauch gehört mir!“ Aber er darf auch nicht sagen: „Mein Leben gehört mir!“ Nein, Bauch und Leben, das ganze irdische Sein ist Gottes Eigentum. Der Selbstmörder begeht auch großes Unrecht gegenüber der Gemeinschaft. Er fügt ihr Schaden zu, der er hätte dienen sollen, er bringt Unglück über die Familie, der er ein schlechtes Beispiel gibt. In jedem Falle, so groß die Not auch sein mag, ist es den Menschen verwehrt, Hand an sich selbst zu legen. Die Kirche urteilt freilich im allgemeinen milde über die Selbstmörder. Sie weiß, daß Angst und Verzweiflung und Erregung im Menschen häufig eine Minderung der Schuld verursachen.
Wir haben also zwei Dinge zu tun, einmal daran festzuhalten, daß der Selbstmord absolut verboten ist, ohne Ausnahme, andererseits milde zu sein, wenn wir davon hören, daß ein unglücklicher Mensch sich das Leben genommen hat. Wir wissen nicht, was in seiner Seele vor sich gegangen ist, wir kennen nicht seine letzten Augenblicke, wir dürfen, ja wir sollen ihn der Barmherzigkeit Gottes empfehlen.
Das sind die positiven und negativen Pflichten gegenüber unserem Körper. Es gibt aber durchaus die Möglichkeit, daß man seinen Körper opfert, etwa, um das ewige Leben zu gewinnen. „Wer das Leben verliert um meinetwillen, der wird es gewinnen,“ sagt der Heiland. Und so haben eben viele Missionare sich aufgebraucht und aufgezehrt in der Sorge um Seelen. Vom heiligen Franz Xaver wird berichtet, daß er den Tag über so viel getauft und gepredigt hat, daß er am Abend den Arm nicht mehr heben konnte und seine Stimme versagte. Im Dienste des Nächsten dürfen wir unser Leben aufopfern. Der heilige Aloysius und der heilige Karl Borromäus, zwei wunderbare Gestalten des 16. Jahrhunderts, haben sich im Dienste der Kranken aufgebraucht. Wer sein Leben für den Nächsten opfert, der tut Großes. „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben gibt für seine Freunde.“
Wir wollen, meine lieben Freunde, das Leben zu erhalten versuchen. Wir wollen unseren Körper kräftigen und gesund erhalten, soweit es an uns ist. Wir wollen aber immer im Bewußtsein behalten: Noch wichtiger als das Leben des Körpers ist das Leben der Seele, ist der Dienst am Nächsten, ist der Dienst an unserem Gott und Heiland.
Amen.