Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. Mai 2025

Das Kreuz des Christus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Frohbotschaft von der Auferstehung Christi ist zugleich die Frohbotschaft vom Heilstod Jesu. Das Osterlicht fällt verklärend auf Golgotha und auf das Kreuz. Erst in diesem Licht vermögen wir das Geheimnis des Kreuzes, das den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit war (1 Kor 1,23), zu deuten. Es handelt sich nicht bloß um die heroische Tat eines heiligen Menschen, der dem himmlischen Vater Gehorsam bis zum Tode bewies. Es handelt sich um das Sterben eines Menschen, der Gott ist. Es handelt sich um das Sterben unseres Herren, um das Sterben des Weltenrichters, um einen Vorgang, so über alle Begriffe unerhört, entsetzlich, dass die Sonne am Himmel erbleicht (Mt 27,45), dass die Erde bebt und der Vorhang des Tempels zerreißt (27,51). Hier begibt sich eine Weltkatastrophe. Ein Mensch stirbt, der Gott ist. Wohl wissen wir, dass Gott selbst nicht sterben kann. Nicht Gott stirbt, wohl aber ein Mensch, der Gott ist. Was der Sohn Gottes in freier Hingabe dem Vater weiht, ist nicht die eigene göttliche Natur, sondern eine fremde, geschaffene Natur, die Natur des Menschen, die er in sein Selbst aufgenommen hat. Es ist jene Natur, die einst von ihrem ersten Träger Adam, dem Stammvater des Menschengeschlechtes, aus ihrer ursprünglichen übernatürlichen Gottverbundenheit herausgerissen wurde und seitdem die Makel der Gottesferne, der Erbschuld trug und daraus Sünde um Sünde hervortrieb. Darum traf sie Gottes Gericht. Der Sohn Gottes zog sie an wie ein Opfergewand, um in ihr und durch sie Genugtuung zu leisten. Freilich, so gewiss es ist, dass damals, als der Sohn Gottes starb, nicht seine göttliche, sondern seine menschliche Natur litt und starb, so gewiss war es doch der Sohn Gottes, der sich auf Golgotha dahingab. Es ist ein Mensch, der Gott ist, der menschgewordene Gott. Das ewige Wort Gottes hatte sich die menschliche Natur so innig zu eigen gemacht, dass diese ihr Fürsichsein verlor.

Jesu freiwillige Hingabe auf Erden ist die Verwirklichung jenes ewigen Erlösungsratschlusses im Himmel, der aus dem unendlichen Abgrund der göttlichen Liebe hervorquillt. Das Drama von Golgotha ist Wille und Werk des dreifaltigen Gottes, vollbracht durch den eingeborenen Sohn, ist Enthüllung der Wesensherrlichkeit Gottes. Am Kreuze leuchtet Gottes Allmacht, Weisheit und Liebe empor: eine Allmacht, die sich selbst entäußert, eine Weisheit, die sich zur Torheit erniedrigt, eine Liebe, die sich dahingibt. Wie der Dreifaltige von Ewigkeit her freie schöpferische Tat ist, so ist er nicht weniger von Ewigkeit her in derselben unendlichen Kraft seines freien Wollens Hingabe bis zum Äußersten. Als der wesensgleiche Sohn des Vaters die menschliche Natur annahm, holte sich sein menschliches Bewusstsein und sein menschliches Wollen aus dem unendlichen Reichtum göttlicher Selbsthingabe die tiefsten entscheidenden Antriebe. Sein menschliches Leben wurde ein Leben vollendeter Hingabe an den Vater, des äußersten Gehorsams gegen dessen heiligen Willen. Weil er dieses Leben für die Schuld der gefallenen Menschheit dahingab, ward es freilich in seinem Höhepunkt zum entsagungsvollen, leiderfüllten Opfer. Das Geheimnis des Kreuzes Christi steht also mit dem Geheimnis der heiligsten Dreifaltigkeit in innigstem Zusammenhang.

Der letzte, tiefste Sinn des Kreuzestodes Christi kann kein anderer sein als Gott selbst, die Offenbarung seiner Liebesherrlichkeit. Die Selbsthingabe des Gottessohnes ist in sich selbst die erhabenste Verherrlichung des göttlichen Wesens und der vornehmste Akt aller Gottesverehrung, ob die Menschen daran glauben oder nicht, ob sie dadurch erlöst werden oder nicht. Tatsächlich sind sie durch diese Hingabe erlöst. Es ist die abschließende Tat des Christus, das, worin er sich vor allem als den Heiland der Menschen erweist.

Jesus unterließ es nicht, das Auszeichnende seines Opfertums ausdrücklich und nachdrücklich hervorzuheben. Es ist ihm ein Anliegen, den Jüngern zu zeigen, dass er ein leidender und sterbender Christus sein werde und dass gerade in diesem seinem Leiden und Sterben die gottgewollte Aufgabe des Christus beschlossen liege. So ernsthaft ist es Jesus um diesen Hinweis zu tun, dass er denselben Petrus, den er kurz vorher zum Fels seiner Kirche bestellt hatte, nunmehr, da er sich gegen die Vorstellung eines leidenden Christus zur Wehr setzt, mit der gleichen Schroffheit und Entrüstung zurückweist, mit der er sonst den Teufel (Mt 4,10) von sich stößt: „Weiche von mir, Satan, du bist mir ein Ärgernis, denn du sinnst nicht, was Gottes, sondern was des Menschen ist“ (Mt 16,23). Es ist für Jesus etwas Teuflisches, die Leidensaufgabe des Christus zu verkennen oder zu leugnen. Das Leiden ist ihm ein Wesensstück seiner Sendung, weshalb er in drei großen Weissagungen immer wieder darauf zu reden kommt (Mt 16,21; 17,22f.; 20,17ff.). Es ist ein heiliges Müssen, von dem man nicht absehen kann. Der Menschensohn „muss in die Hände der Menschen überantwortet werden“ (Mt 17,22). Dieses Müssen ist nicht das tragische Ergebnis geschichtlicher Verwicklungen oder grausames Naturverhängnis. Es ist vielmehr vom Vater auferlegt, ein heilsgeschichtliches Müssen. Im Wissen um die gottgesetzte Notwendigkeit seines Leidens verwendet Jesus das Bild des Isaias vom Gottesknecht, um damit seine eigene Erlöseraufgabe anschaulich zu machen. Indem Jesus erklärt, sein eigenes Leben als „Lösegeld“ für die Vielheit der Menschen einsetzen zu wollen, bezeugt er unzweideutig, dass er seinem Tod einen Heilswert für die Menschen, und zwar einen sühnenden, genugtuenden, stellvertretenden Wert zueignet. Paulus sprach von dem „hohen Preis“, um den die Christen erkauft sind (1 Kor 6,20).

Es ist der vergleichenden Religionsgeschichte nicht gelungen, auch nur eine einzige durchschlagende außerchristliche Parallele zum christlichen Erlösungsglauben aufzuweisen. In der ganzen antiken Mysterienlegende sucht man vergebens nach einer Erlösergestalt, die wie Jesus in freier Bewusstheit den Sühnetod für die Menschen auf sich nimmt. Zwischen hellenistischer und christlicher Erlösungsreligion klafft ein unendlicher Gegensatz. Keines der Worte Jesus ist so aus der Mitte seines Sendungsbewusstseins entsprungen wie dies, dass er, der Menschensohn, der Weltenrichter, der Eingeborene des Vaters zu nichts anderem als zum Dienen gekommen ist und dass er sein Leben als Lösegeld für viele hingeben wird. Nicht dazu ist er letzten Endes erschienen, um Kranke zu heilen, Wunder zu wirken und das Reich Gottes zu predigen. Alles dies ist nur die Außenseite seines messianischen Wirkens. Darin ist vielmehr der innerste Kern seines Erlösertums gelegen, dass er mit seinem Tod unser Leben erkaufte. Dieser Wille zur Hingabe drängte in jener Abschiedsstunde beim letzten Abendmahl zu sichtbarer Veranschaulichung und Gegenwart. Das geschah in jenem geheimnisvollen Akt, der in der menschlichen Geistesgeschichte schlechthin einzigartig und unerfindlich ist und der auf die wahrhaft göttliche Wirklichkeit verweist, aus der Jesu erlösendes Wirken hervorquillt. „Und Jesus nahm das Brot, segnete und brach es und gab es seinen Jüngern mit den Worten: Nehmet hin, das ist mein Leib. Und er nahm den Kelch, dankte und reichte ihn den Jüngern mit den Worten: Das ist mein Blut des Neuen Bundes, das für viele vergossen wird“ (Mk 14,22ff.). In der schlichten Gestalt des zerbrochenen Brotes und des vergossenen Weines nimmt Jesus mit schöpferischer Allmacht sein Selbstopfer, seine eigene Hingabe am Kreuz, seinen zerschundenen Leib und sein verrinnendes Blut vorweg, setzt es gegenwärtig und gibt es seinen Jüngern zu eigen, um sie dadurch in die Gemeinschaft seines Opfers und Opfersegens zu erheben. Indem Jesus dies tut und seinen Jüngern gebietet, das Gleiche immerfort zu seinem Andenken zu tun (Lk 22,29; 1 Kor 11,24f.), stellt er sein blutiges Opfer am Kreuz in unblutiger Gestalt mitten in die Gegenwart und macht es zum eigentlichen und einzigen Quell aller Erlösung und allen Segens. Indem Jesus mit der Hingabe seines Fleisches und Blutes in Brots- und Weinsgestalt das Kreuzopfer und seinen Segen vorwegnimmt, spricht er zugleich auch sein letztes, sein entscheidendes Wort über die Heilsbedeutung seines Todes auf Golgotha. Von da aus gesehen ist Christentum nichts anderes als die Botschaft von unserer Erlösung durch das Kreuz des Herrn, durch den Heilstod des Christus, durch sein sühnendes Blut. So lautet denn auch das erste Bekenntnis zum Christus, von dem wir wissen, jenes, das der Alte Bund durch den Mund des Täufers an den Neuen Bund übergeben hat: „Siehe, das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt“ (Joh 1,29). So predigt auch Petrus: „Ihr wisst ja, dass ihr nicht mit vergänglichen Gütern, mit Silber oder Gold von eurem Wandel losgekauft wurdet, sondern durch das kostbare Blut Christi, dieses makellosen und unbefleckten Lammes“ (1 Petr 1,18f.). So bezeugt es Paulus: „In ihm besitzen wir die Erlösung durch sein Blut“ (Eph 1,7). Und dasselbe verkündet der heilige Johannes: „Das Blut Christi reinigt uns von allen Sünden“ (1 Joh 1,7). Und immer wird das hohe Lied der Seligen im Himmel davon singen: „Heil unserem Gott, der auf seinem Throne sitzt, und dem Lamme“ (Apk 7,10).

Amen.

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