Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. März 2025

Worte der Verteidigung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Jesus hat die einzelnen Geschehnisse seiner Passion mit denkendem Geist aufgenommen und demnach auch eine verschiedene Stellung eingenommen. Wir wollen heute die Worte der Verteidigung erwägen, die er gesprochen hat, die Worte und Gebärden der Abwehr. Er hat erstens den Knecht verteidigt, über den Petrus hergefallen war. Er hat zweitens die Jünger verteidigt, die in Gefahr waren, mit ihm verhaftet zu werden. Er hat drittens sich selbst verteidigt.

Zuerst, gleich im Beginn seiner Passion, hat er den Knecht Malchus in Schutz genommen. Er war einer der Häscher, die den Herrn gefangennehmen sollten. Petrus, ohne lange zu warten, hieb mit dem Schwerte drein, traf den Malchus und schlug ihm das Ohr ab. Vielleicht war Malchus ganz vorn gewesen, vielleicht war er der eifrigste, der lauteste von allen gewesen, jedenfalls war er am meisten exponiert, so dass er dem blind dreinschlagenden Petrus zum Opfer fiel. Was tut der Herr? Er nimmt ihn in Schutz und verteidigt ihn und sagt den Aposteln: „Lasst das! Nicht weiter!“ Ganz kurz und herrisch. Dann berührt er die verwundete Stelle und heilt den armen Malchus. Er tut ein Liebeswerk an ihm; offenbar ist er von Mitleid gerührt gegenüber diesem Knecht, der doch sein Feind war. Jesus hat Erbarmen mit ihm. Warum wohl? Ist ihm vielleicht das große furchtbare Welt- und Lebensgesetz vor Augen gestanden, nach dem die Menschen einander wehtun müssen, auch wenn sie gar nicht wollen, auch wenn sie gar keine Schuld daran haben? Offenbar hat Malchus keine Schuld gehabt. Er hat einfach seinen Beruf ausgeübt, in dem es gelegen war, dass er anderen wehtun musste, dass er sogar dem menschgewordenen Sohn Gottes wehtun musste.

Ist es nicht so, dass wir alle unwillkürlich, auch wenn wir den besten Willen haben, einander wehtun müssen? Der eine denkt über den Staat, die Wahlen, die Parteien, die Wirtschaft so, der andere so; es ist unausbleiblich, dass ihre Ansichten sich widersprechen. Und doch folgt jeder seiner besten Meinung, seinem besten Wissen und Gewissen. Sodann widersprechen die Interessen des einen notwendig den Interessen des anderen. Was dem einen ein Vorteil ist, ist für den anderen eine Schädigung. Wodurch der eine vorankommt, ist dem anderen notwendig eine Konkurrenz. In dieser Welt herrscht eben der Kampf ums Dasein, und es ist auch beim allerbesten Willen unvermeidlich, dass wir zuweilen den liebsten Menschen entgegen sind. Ist das nicht ein schweres Gesetz, das auf uns allen lastet? Wir sollten miteinander Erbarmen haben, weil wir alle unter dem gleichen Joch seufzen. Können wir nicht sagen, wie der Heiland hier im Falle des Malchus sich wohl gesagt hat: Dieser Malchus steht nun einmal an der Stelle, an der er mir wehtun muss; von Seiten der Weltordnung, von Seiten der Erlösungsordnung ist es so geordnet. Aus der Verteidigung, die der Heiland seinem Gegner Malchus angedeihen ließ, sollen wir lernen, Erbarmen zu haben mit den Menschen, die uns entgegen sein müssen, mit den Menschen, die uns missverstehen, mit den Menschen, die uns Eintrag tun. Vielleicht seufzen sie unter einem schwereren Joch als wir selbst.

Dann hat der Herr die Jünger verteidigt. Sie waren in Gefahr, mitverhaftet zu werden. Besonders, da sie selbst tätlich geworden waren gegen die Diener des Hohen Rates. Vielleicht hat schon der eine oder andere Miene gemacht, auch die Apostel gefangen zu setzen. Da sagt der Herr: „Wenn ihr mich sucht, dann lasst diese gehen.“ Er verteidigt sie. Aber hatte er nicht kurz vorher gesagt: „Kommt. Wir wollen zusammen gehen, zusammen in das Leid, zusammen in den Tod.“ Will er also jetzt doch nicht mit ihnen zusammen gehen? Sollen sie ausgeschlossen bleiben von der Schicksalsgemeinschaft mit ihm? O nein, sie werden es schwer genug haben in diesen Tagen, in diesen Stunden, und sie werden es noch schwer genug bekommen in den folgenden Jahrzehnten. Und eines Tages wird man sie schon gefangen setzen, fesseln und zum Tode führen. Aber jetzt ist noch nicht ihre Stunde. Seine Stunde ist gekommen. „Das ist die Stunde der Finsternis für mich“ (Lk 22,53). Sie stehen erst am Anfang; er steht schon an der letzten Station. So gehen sie tatsächlich mit ihm, aber hinter ihm, nach ihm, alles zu seiner Zeit. Sie könnten auch jetzt noch nicht alles tragen, wie er ihnen selbst sagte und wie das die Erfahrung des Petrus in dieser Nacht noch lehren sollte. Darum erspart er ihnen, was sie noch nicht tragen können; er erspart ihnen, was die Stunde noch nicht verlangt. Er lenkt also ihre Passion, er verfügt über die einzelnen Stationen ihres Kreuzwegs. Er weiß genau, an welchem Tag, zu welcher Stunde sie bei einer bestimmten Station ankommen müssen. Er lenkt sie so, dass sie alles zu ihrer Zeit leiden. Aber für jetzt nimmt er sie in Schutz vor den Menschen.

Einstmals, in vergangenen Tagen, nahm er sie in Schutz vor dem Seesturm. Doch es ist viel schwerer, einen Menschen vor den Menschen zu schützen als vor einem Sturm. Wenn einmal eine Menschenmenge hinter uns her ist, wer kann ihr Einhalt gebieten, wer kann der Flut von Hass, von Missverstehen, von Blindheit gebieten? Er kann es. Er braucht nur zu sagen: „Ihr sucht jetzt mich. Also lasset diese gehen.“ Und sie lassen die Apostel gehen. Es geschieht, wie er sagt. Einmal freilich wird eine Zeit kommen, wo er sie nicht mehr gehen lässt, wo er ihren Feinden freien Lauf lässt, wo er nicht mehr sagt: „Lasset meine Jünger gehen.“ Dann ereignen sich jene furchtbaren, erschütternden Verfolgungen, mit denen die Menschen seine Jünger einfangen, sie peinigen, quälen und töten. Da nimmt er sie nicht mehr in Schutz. Aber das ist dann auch von ihm berechnet, das ist dann von ihm gewollt. Er trägt ihr Schicksal in seiner Hand, jeden Augenblick. Ja, wenn diese Jünger das doch immer wüssten und gegenwärtig hätten! Wie leicht werden sie immer wieder verzagen und sagen: Jetzt lässt Gott meine Feinde über mich triumphieren, jetzt lässt er alles Leid über mich kommen. Warum erhört er meine Gebete nicht? Warum werde gerade ich so geduckt, verfolgt? Es gibt solche Menschen. Aber sie dürfen darum doch nicht sagen: Also hat Gott mich vergessen, oder: Er ist mir ferne, oder: Er hat keine Macht mehr oder keine Liebe mehr. Nein. Er ist uns dann gerade so nahe wie in der Stunde der Verteidigung. Ob er den Feinden sagt: Lasst meine Jünger gehen, oder ob er ihnen sagt: Nun sollt ihr sie sieben wie man den Weizen siebt, immer ist er nahe; immer trägt er ihr Schicksal in seiner Hand.

Endlich hat der Herr sich selbst verteidigt. Zweimal hat er die Gelegenheit ergriffen, sich selbst in Schutz zu nehmen. Zunächst beim ersten Verhör. Da fehlte es den Feinden an Anklagematerial. Sie wussten wohl, mit ihren Zeugen ist es schlecht bestellt. Daher wollten sie aus ihm selbst das Anklagematerial herausholen. Sie befragten ihn über seine Lehre und seine Jünger. Da sagte er: „Ich habe überall öffentlich gelehrt und nirgends im Verborgenen. Alle haben mich gehört. Fragt doch das Volk, das mich gehört hat. Sie können Zeugnis ablegen.“ Er verweigert also die Aussage. Er will ihnen die Zeugen nicht ersparen. Nochmals hat er sich verteidigt, als der Knecht, der neben ihm stand, auf diese Verteidigung hin ihm einen Backenstreich gab wider alles Recht und ihm sagte: „So antwortest du dem Hohenpriester?“ Da erwiderte Jesus: „Wenn ich unrecht geredet habe, dann beweise es; wenn ich aber recht geredet habe, warum schlägst du mich?“ Aus dieser Selbstverteidigung des Herrn lassen sich drei Lehren ableiten. 1. Jesus fühlt das Recht und das Unrecht. Es ist eine große Bitterkeit in seiner Klage. „Wenn ich recht geredet habe, warum schlägst du mich?“ Er fühlt die Pein, die das Unrecht einem Menschenherzen zufügt. Wie er hier sein Unrecht gefühlt hat, so fühlt er auch das Unrecht, das durch die Welt geht und jeden Tag aufgehäuft wird, das himmelschreiende Unrecht gegen Kinder, gegen Frauen, gegen Arme, das Unrecht gegen Schwache, das Unrecht gegen Völker. Das ist der Zorn und die Traurigkeit des Herzens Jesu, soweit er sie noch jetzt empfinden könnte. Und das ist vielleicht einer der stärksten Gründe, der ihn zwingt, jeden Tag, jede Stunde, jahrtausendelang die Opferaltäre aufs Neue zu besteigen und sein Blut auszugießen, dieses Blut, das lauter redet als das Blut des ungerecht ermordeten Abel. 2. Jesus fordert das Recht. Auch für sich. In diesem Falle, bei der Zeugenvernehmung gegenüber dem Knecht, hat er sein eigenes Recht gefordert. Also ist es erlaubt, also steht er auch hinter dem grandiosen Kampf, den die Gerechtigkeit führt, und in ihrem Namen die Menschen, denen an der Gerechtigkeit etwas liegt. Es ist dem Heiland, der hinter der Forderung des Rechts steht, wirklich gelungen, viele Menschen als Kämpfer für das Recht aufzurufen. Es hat doch Päpste gegeben, die mit Gregor VII. sprechen konnten: „Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und das Unrecht gehasst; darum sterbe ich in der Verbannung.“ Er hat doch viele Priester gefunden, die gegen Sklaverei und Hexenwahn kämpften, die unerachtet der Verbote und der Strafen polnischen Kriegsgefangenen die Beichte gehört und den Leib des Herrn gespendet haben. Er hat doch viele Menschenfreunde gefunden in seiner Kirche, die sich der Schwachen, der Unterdrückten, der Rechtlosen angenommen haben, auch wenn es noch so aussichtslos war.

3. Jesus überschreitet das Recht. Er hat keine Gewalt angewendet, sein Recht durchzusetzen. Er hätte es gekonnt. Er hätte seinen Vater bitten können, ihm zwölf Legionen Engel zu schicken. Er hat es nicht getan. In einem entscheidenden Augenblick hat er sein Recht nicht durchgesetzt, noch weniger mit Gewalt durchgesetzt. Warum nicht? Weil er der Sohn ist und weil er weiß, was dem Vater wohlgefällig ist. Ich könnte den Vater bitten, aber ich tue es nicht. Denn ich weiß: Er wünscht es anders. Soll ich den Kelch nicht trinken, den der Vater mir reicht? Hier sehen wir, wie die Gerechtigkeit überschritten wird. Jesus hat in seiner Passion die Gerechtigkeit in seiner eigenen Sache dahinter gelassen und auf sein Recht verzichtet. Er ist in den Tod gegangen, weil er die Gerechtigkeit in Liebe überboten hat. Die Gerechtigkeit ist heilig, die Gerechtigkeit ist eine Tochter Gottes. Aber größer noch als jede Gerechtigkeit ist die opfernde, die hingebende, die selbstvergessene Liebe. Es gibt Menschen, die berufen sind zu dieser opfernden Liebe; die sich vergessen dürfen; die auf sich selbst verzichten dürfen. Das sind die liebsten Kinder Gottes.

Amen.

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