Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. März 2025

Worte der Kraft

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben die Worte der Not betrachtet, die der Heiland in seiner Passion gesprochen hat. Dennoch war in seiner Seele jene geheimnisvolle Kraft, das Leiden zu tragen, so dass er von dem Leid nicht erdrückt, nicht zerbrochen, nicht verbittert, nicht verhärtet wurde. In ihm war die Leidenskraft ebenso groß wie die Wucht des Leidens, das auf ihn gehäuft wurde. Diese Leidenskraft war es, die aus seiner Passion die größte Leistung seines Lebens machte, kraft der wir erlöst worden sind. Wir wollen diese Leidenskraft betrachten und sie zu erschließen suchen aus den Worten der Kraft, die er sprach. Es war eine dreifache Leidenskraft in ihm: die Kraft zum Opferwillen, die Kraft zur Opfertat und die Kraft zum Opfertod.

I.

Die Kraft zum Opferwillen. In dieser Kraft sprach er das wunderbare, ja erschreckende Wort: „Vater, nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Wie ist dieses Wort voll von Geheimissen, von Unbegreiflichkeiten. Also ist ein Gegensatz zwischen dem Willen Gottes und seinem Willen; diese beiden Willen widersprechen einander; er will etwas anderes als sein Vater. Wie ist es möglich, dass der Wille Jesu Christi, des Sohnes Gottes, ein anderer ist als der Wille des Vaters? Doch er sagt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Das heißt: Er betet nicht: Lass meinen Willen dem deinen gleichförmig werden; mache, dass ich das gleiche wolle wie du. Nein, so sagt er nicht, sondern er sagt: Dein Wille geschehe und nicht der meine. Über meinen Willen sollst du hinweggehen, mein Wille soll nicht geschehen, mein Wille soll unberücksichtigt bleiben, auf meinen Willen sollst du nicht achten. Du sollst einfach handeln, als ob ich gar nicht da wäre, auf mich kommt es gar nicht an, auf meinen Willen. Das ist in der Tat Opferwille. Das ist der Wille, ausgelöscht zu werden, nicht berücksichtigt zu werden, übersehen zu werden von Gott. Gegen ihn komme ich nicht auf. Vor ihm habe ich und hat mein Wille nichts zu bedeuten.

Es ist ihm furchtbar ernst mit dieser Erklärung. Er weiß, dass er beim Wort genommen werden wird. So ist Gott. Er ist imstande, über den Willen seines Sohnes hinwegzugehen, so wie er über den Willen seiner besten Diener, seiner Mägde und Knechte, seiner Heiligen hinweggeht. Dieses Opfer wird angenommen werden, aber Jesus bleibt dabei, so soll es sein. Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.

Es kommt vor, dass auch ein armer schwacher Mensch das furchtbare Geheimnis dieses Opferwillens in seiner ganzen Tiefe erlebt. Es war einmal ein junger Mann schwer krank und sollte sterben. Aber er wollte nicht sterben. Er begehrte auf gegen das Sterben. Jedes Wort der Ergebung, das der Priester ihm vorsprach, reizte ihn zum Widerspruch. Da kam dem Priester ein Gedanke; er sagte: „Mein Freund, wir wollen zusammen einmal das Vaterunser beten; ich spreche es Ihnen vor; und Sie sprechen es mir nach, Wort für Wort.“ „Ja“, sagte der Kranke, „das wollen wir tun.“ Dann fing der Priester an: „Vater unser.“ Und der Kranke wiederholte: „Vater unser.“ – „Der du bist in dem Himmel.“ „Der du bist in dem Himmel.“ – „Geheiligt werde dein Name.“ „Geheiligt werde dein Name.“ „Geheiligt werde dein Name.“ – „Zu uns komme dein Reich.“ „Zu uns komme dein Reich.“ – „Mein Wille geschehe, wie im Himmel, so auf Erden.“ Da stutze der Kranke und schaute den Priester an. Dann brach er in ein Schluchzen aus: „Nein, nein, nein, so darf es nicht heißen, so ist es nicht recht, es muss heißen: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden.“ Da hatte er ihn gefunden, den Opferwillen.

Wie ist Jesus zu dieser Kraft des Opferwillens gekommen? Er hat noch ein Wort der Kraft gesprochen, das uns hineinschauen lässt in sein innerstes Geheimnis. Er sprach zu den Schergen und zu seinen Jüngern: „Soll ich den Kelch nicht trinken, den mein Vater mir reicht?“ Das ist genug. Es ist der Vater, also ist die Frage entschieden. Es ist der Vater, also braucht es keine Prüfung, keine Überlegung mehr. Du bist es, Vater, der mir den Kelch reicht, und weil du es bist, darum trinke ich ihn. Das ist vollkommene Hingabe, das ist vollkommenes Vertrauen, das ist letzte Anbetung, das ist vollste Liebe: weil es der Vater ist.

II.

Nun erhob sich der Herr und begann die Opfertat. Vom Opferwillen zur Opfertat ist ein sehr weiter Weg. Von den heiligsten Vorsätzen bis zu ihrer Ausübung braucht es viele neue Kraft. Jesus aber hatte diese Kraft. Er erhob sich und begann seinen Weg, dem Leiden entgegen, den Henkern entgegen. Und er wird nicht mehr anhalten, nicht mehr stille stehen, nicht mehr zur Ruhe kommen, bis er ans Ende gekommen ist. Aus dieser Kraft heraus spricht er zu den Jüngern zwei inhaltsschwere Worte: „Stehet auf! Wir wollen gehen.“ Stehet ihr auf! Denn er steht schon. Er ist immer bereit, er ist immer frei. Er ist immer willig, er ist immer wach. Er braucht nicht erst aufzustehen. Aber die Jünger müssen aufstehen. Und es ist seine Kraft, dass er auch andere aufstehen lassen kann. Es ist ihm gelungen, die Jünger zum Aufstehen zu bringen, aus ihrer Schläfrigkeit; sie aus ihrer Gleichgültigkeit, aus ihrer Bequemlichkeit, aus ihrer Alltäglichkeit herauszureißen. Nur noch wenige Wochen wird es dauern, dann werden diese schläfrigen Jünger wirklich aufstehen und wie ein Sturmwind in die Welt fahren. So kraftvoll wirkt sein Wort in ihnen: Stehet auf!

Andere bedürfen des Aufstehens vom Tode. So spricht er zu dem Jüngling von Naim: „Ich sage dir: Steh auf!“ Und so befiehlt er der Tochter des Jairus: „Mägdlein, steh auf!“ So wird er einmal allen Toten der Erde zurufen: „Stehet auf! Das Gericht ist gekommen!“ Und sie werden aufstehen.

Andere Menschen bedürfen des Aufstehens von Bequemlichkeit, Annehmlichkeit, vom Sichgehenlassen, Sichtreibenlassen, von der Halbheit, der Feigheit, der Unehrlichkeit. Ihnen allen sagt er: „Stehet auf!“ Ihr müsst euch einmal zusammenraffen, ihr müsst einmal einen Willen aufbringen, ihr müsst einmal das eine Notwendige tun! Stehet auf! So könnt ihr euch nicht weiter treiben lassen. So könnt ihr nicht fernerhin alles liegen und stehen lassen. Stehet auf!

Andere Menschen bedürfen des Aufstehens von der Erstarrung, von der Vereisung, von der Fesselung der Gewohnheit und der Leidenschaft. Ihnen allen sagt er: Stehet auf! Ihr müsst eure Fesseln brechen, ihr müsst wieder frei werden. Stehet auf! Jeder Mensch bedarf in seinem Leben eines solchen Aufstehens von der Leidenschaft, von der Sünde, von der Gewohnheit, von der Trägheit, von der Feigheit, von der Gleichgültigkeit, wo er alles zurücklässt, wo er einen neuen Anfang macht, wo er sich losreißt. Stehet auf!

Und dann sagt er: „Lasst uns gehen!“ Hier spricht er: Wir. Wir wollen gehen. Er schließt sich mit ein: Wir wollen zusammen gehen. Ihr, meine Freunde, wenn ihr nur einmal aufgestanden seid, dann wollen wir gemeinsam wandeln, unseren Weg, ich mit euch und ihr mit mir. Und wohin sollen wir gehen, guter Meister? Nun, er geht zunächst ans Kreuz, in den Tod, in die Verkennung, in die Schmach, in das Leid, und die Jünger sollen mit ihm gehen. Dieses Wort der Kraft wird jetzt nicht mehr verstummen, es steht von nun an über der Welt: Lasst uns gehen. Das heißt: Geht mit mir. Christus geht immer noch seinen Weg durch die Welt, den Weg seines Kampfes, den Weg der Verkennung, den Weg des Unverstehens, des Unverständnisses, den Weg der Verhüllung und der Schwäche. An alle seine Jünger ist dieses Wort gerichtet: Wir wollen gehen, zusammen gehen. So sollen auch diese Jünger gehen, sollen ihren Weg beginnen. Von dieser Leidensnacht an werden sie nicht mehr zur Ruhe kommen. Von dieser Leidensnacht an wird ihr Leben ein ununterbrochenes Wandern, Kämpfen, Mühen, Sorgen sein. Aber Jesus sagt: Lasst uns gehen! Ich gehe mit euch. Jetzt ist es erst eine kleine Schar, drei, elf Jünger. Aber sie wird wachsen. Es wird eine ganze Gemeinde, es wird eine Kirche, es wird eine Christenheit daraus. Sie geht einen unglaublich schweren Weg durch die Weltgeschichte. Aber Jesus sagt: Wir wollen gehen. Ein Wort der Kraft. Ihr geht mit mir, und ich gehe mich euch. O katholische Kirche, jetzt sehe ich dein Geheimnis. Du bist eine arme kleine Schar. Du bist eine Unzulänglichkeit. Du bist ein Anstoß, du bist ein Ärgernis. Man sagt dir: Du bist ein Hemmnis des Fortschritts, du bist ein Hindernis der Freiheit, du bist eine Bremse der Selbstbestimmung der Frau. Aber Jesus hat dir gesagt: Wir wollen zusammen gehen. Er geht mit dir. So wollen auch wir mit dir gehen, wollen dich nicht verlassen, wollen nicht irre werden an dir; wollen deinen Weg, deinen Gott, deine Opfer, deine Leiden, deine Schwächen teilen. Lasst uns miteinander gehen! So beginnen sie denn ihren Weg zusammen, Christus und seine Gemeinde, Christus und seine Kirche. Und es ist Zeit, dass sie gehen. Denn es steht ihnen ein weiter Weg bevor; ein Weg, an dessen Ende sie nie gelangen werden, ein Weg bis hinein in die Ewigkeit. Immerfort wird dieses Wort der Kraft tönen: Wir gehen zusammen, immer und immer, und in alle Ewigkeit, wir, ich und ihr, meine Jünger.

III.

Die Opfertat, der Opferweg führt endlich zum Opfertod. Es braucht eine Kraft, und eine besondere Kraft auch zum Sterben. Denn das Sterben ist nicht leicht. Auch für Jesus war es schwer. Vielleicht schwerer als für uns. Als er den Tod nahen fühlte, warf er einen Rückblick auf sein Leben und sprach mit triumphierender Stimme, laut und gewaltig: „Es ist vollbracht.“ Ja, fragen wir, was ist vollbracht? Vollbracht ist viel Mühe, unsäglich viel Kampf, Leid und Not, vollbracht ist das schwerste Leben, das je gelebt worden ist. Aber ich glaube nicht, dass er daran denkt. Was ist denn noch vollbracht? Vollbracht ist sehr wenig. Wenn man es von außen ansieht, dann sind einige Jahrzehnte Handarbeit in Nazareth vollbracht, und zwei, drei Jahre öffentlicher Predigt sind vollbracht. Aber was ist das! Viele Helden dieser Welt haben Größeres vollbracht als er, von außen gesehen. Aber auch daran hat er nicht gedacht.

Ja, was ist dann vollbracht? Er würde uns antworten: Vollbracht ist der Auftrag meines Vaters, vollbracht ist mein Beruf, vollbracht ist meine Sendung, vollbracht ist mein Lebenszweck, zu dem ich gesandt worden bin. Das ist vollbracht, und nun kann ich gehen. Vollbracht ist der Auftrag meines Vaters, der Wille meines Gottes, die Sendung meines Lebens. Das ist vollbracht, und nun kann ich gehen. Vollbracht ist das Trinken des Kelches, und nun kann ich den Kelch absetzen. Er würde keinen Augenblick früher diesen bitteren Kelch niedergestellt haben, er würde keinen Augenblick vorher den Kampfplatz verlassen haben. Aber nun ist es vollbracht, nun darf ich gehen. Welche Kraft, welche Freude und welche Befriedigung in diesem Wort liegt, das werden wir vielleicht dann erst imstande sein zu ahnen und zu ermessen, wenn wir selbst einmal dieses Wort sprechen möchten: Es ist vollbracht. Wenn wir selbst einmal zurückschauen von der letzten Stunde unseres Lebens auf unser vergangenes Leben, ob wir dann auch sagen können: Es ist vollbracht, der Auftrag meines Vaters, der Wille meines Gottes, die Sendung meines Lebens? Ach, wir sehen es schon voraus: Wir können es nicht sagen, so vieles bleibt ungetan, bleibt liegen, bleibt in Trümmern, so vieles verfehlt, versäumt, verdorben. Jetzt schon sehen wir in der Rückschau auf unser Leben, dass so vieles immer noch nicht vollbracht ist und dass es nie vollbracht werden wird.

Dann schaut Jesus hinein in die Zukunft. Was kommt nach dem Tode? Ja, was kommt dann erst? Das macht uns ja das Sterben noch schwerer als der Rückblick auf die Vergangenheit, dieser Ausblick in die Zukunft. Da kommt das große Geheimnis, hinter das noch kein Lebender geschaut hat. Da kommt das große Geheimnis, in das niemand geblickt hat. Da kommt das große Nichtwissen. Da kommt die große Dunkelheit. Da kommt die Pforte, von der niemand zurückkehrt. Aber freilich, was hinter dieser Zukunft steht, das wissen wir oder vielmehr das glauben wir: Gott ist da, der uns erwartet. Aber ist das nicht ein neuer Grund zu zittern und zu zagen? Gott, vor den ich treten werde, der unendlich heilige, der allmächtige, der allwissende, der furchtbare Gott, der das Feuer geschaffen hat, der Gott, der die Blitze sendet, der Gott, der die Verdammnis in den Händen hält. In diese Zukunft schaut Jesus hinein und sagt mit dem schönsten Wort und mit unsagbarer Innigkeit: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!“ Das ist das Wort, das den Tod überwindet. Das ist das Wort, das unendliche Ruhe in die Seele trägt. Das ist das Wort ewigen Friedens. Wer ihm das nachsprechen könnte in der letzten und schwersten Stunde seines Lebens: Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist!

Freilich, werden wir sagen, das kann ihm nicht schwer geworden sein. Denn er kannte den Vater, er liebte den Vater, er wusste, dass der Vater ihn mit offenen Armen erwartet. Jawohl, das wusste er. Aber warum wusste er das? Dass Gott die Güte ist, dass der Vater ihn liebt, woher wusste er das? Er wusste es, weil er vorher schon sich diesem Vater anvertraut und übergeben hatte, weil er vorher schon und vom ersten Augenblick seines Daseins gesprochen hatte: „Siehe, ich komme, deinen Willen zu tun.“ O meine Christen, dass Gott die Liebe ist, das kann man nicht aus Büchern oder Predigten lernen. Dass Gott gut ist, das kann nur der Mensch wissen, der sich Gott anheimgibt. Das kann nur der Mensch wissen, der zuerst sagt: „Muss ich nicht den Kelch trinken, den du mir reichst?“ Dass Gott gut ist, das kann nur der Mensch wissen, der aus Herzensgrund erklärt: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine.“ Zuerst müssen wir hineingehen in das große Geheimnis, in den Abgrund, in die Dunkelheit der Fügungen Gottes. Zuerst müssen wir Gott unser ganzes Vertrauen entgegentragen, unseren ganzen Willen ihm aufopfern, unser Leben ihm zur Verfügung stellen, dann erst werden wir inne, dass er unser Vater ist, und gut ist, und dass es süß ist, in Gott hineinzusterben. In Gott hineinzusterben, das wird leicht für einen Menschen, der in Gott hineingelebt hat. Wer den Mut hat, für Gott zu leben, der hat auch die Kraft, in Gott hinein zu sterben. Wer die Kraft hat, im Leben auf Gott zuzuschreiten, der wird auch im Tode auf ihn zugehen wollen und können. Das ist ein und dasselbe. O meine Christen, das ist das gleiche, beides ist gleich leicht und gleich schwer: in Gott und für Gott leben und in Gott und zu Gott sterben. Ein und dasselbe ist es zu sagen: „Nicht mein Wille geschehe, sondern der deine“, und „Herr, Gott, unendlicher, allmächtiger, gerechter und gütiger Gott und Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“

Amen.

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