16. Februar 2025
Dogma, Sitte und Kult in der Kirche
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die katholische Kirche ist das Reich Christi. Sie ist im Kleid des Vergänglichen die neue, von Christus auf die Erde gebrachte übernatürliche Wirklichkeit, die in irdischen Hüllen sich begnügende göttliche Wahrheit und Gnade. Die Kirche ist der von den Heilandskräften Jesu durchwirkte Leib. Christus ist das Haupt des Leibes. Als Haupt macht er den kirchlichen Organismus erst ganz und fertig. Christus und die Kirche lassen sich so wenig voneinander getrennt denken wie das Haupt und sein Leib. Die Überzeugung von der Christusdurchlebtheit, von der Wesensverbindung der Kirche mit Christus ist ein Grundstück der christlichen Verkündigung. Diese Wahrheit kann durch die Schwäche und die Fehlbarkeit der Menschen in der Kirche verdunkelt und getrübt werden; ausgelöscht kann sie nicht werden. Die übernatürliche Wesenheit der Kirche wirkt sich in erster Linie in ihren ursprünglichsten Schöpfungen aus, in Dogma, Sitte und Kult.
Das Dogma ist die von der Kirche in unfehlbarem Lehrentscheid zu glauben vorgestellte Offenbarungswahrheit Christi. Die Dogmen der Christologie beschreiben die Person des Gottmenschen, das Aufstrahlen der „Herrlichkeit Gottes“ auf dem Antlitz Christi. Die Dogmen von der Erlösung beschreiben sein Erlöserwirken im Leben, Leiden und Sterben und zur Rechten des Vaters. Die Dogmen von der Dreifaltigkeit führen zum Quellgrund des göttlichen Lebens und verfestigen die Erscheinung Jesu in den ewigen, innergöttlichen Ausgängen. Die mariologischen Dogmen beschreiben die leiblichen natürlichen Zusammenhänge der Menschheit Jesu und sein Erlöserwirken gegenüber seiner gebenedeiten Mutter. Die Dogmen von der Gnade sichern das Ungeschuldetsein, die Gottesverdanktheit des Erlösertums Jesu und begründen die Grundstimmung der Erlösten: Liebe, Friede, Freude im Heiligen Geist. Die Dogmen von der Kirche und den Sakramenten beleuchten die Vermittlung des neuen Lebens an die Menschen. Die Dogmen von den letzten Dingen beschreiben Jesus als den Richter und Vollender. So tragen alle Dogmen der katholischen Kirche den Namenszug Christi. Sie wollen alle Seiten seiner Verkündigung ausprägen, sie wollen den lebendigen, erlösenden, regierenden Christus nach allen Weiten seiner geschichtlichen Entfaltung uns vor Augen führen. Die Dogmen bergen göttliche Wahrheit in menschlicher Aussage. Im Dogma setzt sich die Selbstentäußerung Gottes in das Menschliche fort. Das Dogma ist eine Weiterführung der Menschwerdung Gottes, gewissermaßen ihre Verlängerung durch die auf Christus folgenden Jahrtausende hindurch. Die Dogmen sind eine Verleiblichung der uns zuteil gewordenen göttlichen Selbstmitteilung. In ihnen begegnen wir dem sich uns zuwendenden Gott in der Gestalt eines bestimmten Wortes. Gott ist es, der durch das Dogma sein Volk und den einzelnen Menschen anruft. Im Dogma legt die Kirche Zeugnis ab von Christus. In ihm bekennt sich das Volk Gottes zu seinem Herrn. Sie sind der verhältnisentsprechende (inadaequate), unähnlich-ähnliche (analoge), aber wahre und zutreffende Ausdruck der geheimnisvollen Wirklichkeit Gottes. Sie haben daher unwandelbaren und unantastbaren Geltungswert. Es gibt ein Wachsen im Verständnis, in der Durchdringung der Dogmen; es gibt eine Dogmenentwicklung. Wir haben heute weitere und tiefere Kenntnis vom Wesen Christi, Marias und der Kirche als die Gläubigen, die vor uns gelebt haben. Doch der Christus, an den wir glauben, die Jungfrau Maria, die wir verehren, die Kirche, zu der wir uns bekennen, sind dieselben Wirklichkeiten wie in den früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden.
Dogmen, unverbrüchliche Wahrheiten gibt es nicht nur im Gebiet des Seins, sondern auch im Gebiet des Sollens. Gott hat nicht nur geoffenbart, wie die göttliche Wirklichkeit beschaffen ist; er hat auch gelehrt, wie die Menschen ihre Welt und ihr Leben gestalten sollen. Es gibt immer gültige Gebote, Gesetze des sittlichen Handelns. Zum Beispiel: Dass wir verpflichtet sind, Gott zu lieben, ist nicht minder eine Glaubenswahrheit, als dass Gott das höchste Gut ist (dogmata fidei und dogmata morum). Die Offenbarung enthält das Sittengesetz. Das geoffenbarte Sittengesetz findet sich in der Heiligen Schrift und in der Überlieferung. Was die Kirche als in der göttlichen Offenbarung enthalten ausspricht, ist Ausdruck des göttlichen Willens und in Wahrheit Sittennorm. Das Sittengesetz soll im Gläubigen einen zweiten Christus gestalten, ihn christusförmig machen. Die Nachfolge Christi steht im Mittelpunkt der christlichen Sittenlehre. Mit tiefem Ernst und heldischer Kraft ringt die Kirche aller Jahrhunderte nach der Verwirklichung des Bildes Christi, nach der Umsetzung seines Geistes in jedem einzelnen Menschen. Die katholische Sittenlehre ist von einer Vollständigkeit, Erhabenheit und Einsehbarkeit wie keine von Menschen geschaffene Moral. Sie stimmt mit der Vernunft und mit der Natur des Menschen überein. Es ist ein unmögliches Verfahren, sie unter Berufung auf sogenannte Ergebnisse der Humanwissenschaften aus den Angeln heben zu wollen. Psychologie und Soziologie vermögen keine sittlichen Normen aufzustellen. Ihre Widersprüchlichkeit ist notorisch. Ein Beispiel. Bis vor einigen Jahrzehnten herrschte in den Humanwissenschaften die allgemeine Ablehnung der Homosexualität als krankhaft oder pervers. Der Professor der Psychiatrie an der Universität München Oswald Bumke schrieb im Jahre 1952: „Die Homosexualität ist zu allen Zeiten eine der bedenklichsten Entartungserscheinungen gewesen, die wir unter den Symptomen einer niedergehenden Kultur mit großer Gesetzmäßigkeit antreffen.“ Im Zuge der Auflösung der Normen geschlechtlicher Sittlichkeit ist man heute beinahe überall dazu übergegangen, diese Verirrung als normal hinzustellen.
Die Dogmen der Moral sind nicht eine Belastung und eine Einengung des Menschen; sie sind vielmehr seine Befreiung von Trieb und Verführung. Sie lehren die Christen Achtung vor Gottes Willen, ermöglichen das friedliche Zusammenleben der Menschen und dienen der Bewahrung der Würde des Menschen. Angesichts der heutigen Verwirrung sei ausdrücklich hervorgehoben: Die Gebote der geschlechtlichen Sittlichkeit, deren Übertretung das authentische kirchliche Lehramt als schwer sündhaft einstuft, sind moralische Dogmen. Jeder Geschlechtsverkehr vor der Ehe und außer der Ehe ist schwer sündhaft. Die Einheit und die Unauflöslichkeit der Ehe sind ausnahmsloses Gesetz für die gültige, leiblich vollzogene Ehe. Die direkte, d.h. absichtlich verursachte oder mit freier Lust gebilligte geschlechtliche Selbstbefriedigung ist schwer sündhaft. Unkeuschheit ist immer schwere Sünde. „Täuschet euch nicht; weder Hurer noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder werden das Reich Gottes erlangen“ (1 Kor 6,9; vgl. Gal 5,19). Es ist ein unerhörter Vorgang, wenn der unselige Synodale Prozess den Versuch unternimmt, schwer sündhafte Verfehlungen gegen Gottes Ordnung in der Geschlechtlichkeit als erlaubt hinzustellen. Die Mehrzahl der deutschen Bischöfe hat sich in ihren Abstimmungen gegen moralische Dogmen der Kirche gestellt.
Dieselbe Christuserfülltheit wie die kirchliche Sittlichkeit atmet der kirchliche Kult. Jede gottesdienstliche Handlung vom Messopfer bis zur letzten Gebetsgeste ist ein Hinweis auf Christus, ein Erinnern an ihn. Ja, mehr noch: Der kirchliche Kult ist ein in sichtbaren Zeichen erfolgendes Teilhaben an Christus und seiner Erlöserkraft, ein befreiendes Berühren seiner heiligen Wunden. Das ist der tiefste Sinn der kirchlichen Liturgie: den Erlösersegen Christi gegenwärtig, anschaulich und fruchtbar zu machen. Im Vorgang der Taufe reinigt Christi Opferblut die Seele von der Erbschuld und durchtränkt sie mit seinen heiligen Lebenskräften, auf dass ein neuer Mensch daraus werde, der wiedergeborene Mensch, der Mensch der Gotteskindschaft. Im Sakrament der Firmung sendet Jesus den Geist des Starkmuts in das erwachende religiöse Bewusstsein, um aus dem Kind Gottes einen Kämpfer Gottes zu bilden. Im Sakrament der Versöhnung vergibt der Heiland der reuigen Seele die Sünden. Nach dem Willen Gottes sollte zwar der in der Taufe wiedergeborene Mensch in der Gnade, in der Christusverbindung verharren. Aber wer durch eine schwere Sünde aus dieser Verbundenheit herausfällt, soll nicht für alle Zukunft verloren sein. Im Bußsakrament hat Christus eine zweite Planke nach dem Schiffbruch bereitgestellt. Wie tröstlich ist es, dass Gottes Erbarmen den gefallenen Menschen nicht aufgibt! Es ist eine unerhörte schmerzliche Tatsache, dass die Beichte in Deutschland zum verlorenen Sakrament geworden ist. Im Sakrament der Krankensalbung träufelt der barmherzige Samaritan neuen Lebensmut und Opfergeist in das wunde Herz. Er vermittelt dem Kranken Kraft zum Sterben oder Geduld, sein Leiden zu tragen. Aber aufgepasst: Es ist ein Missbrauch dieses Sakramentes, es in eine Gesundensalbung oder in eine Altensalbung zu verwandeln. Derartig missbrauchte Spendungen sind ungültig. Im Sakrament der Ehe verwurzelt der Herr die Liebe von Mann und Frau in seiner eigenen tiefen Liebe und in seiner Treue bis zum Tod. In der Priesterweihe überträgt er seine messianische Vollmacht, seine Sendegewalt an die von ihm erwählten Jünger, um durch sie die neuen Menschen aus dem Reich des Todes zu erwecken. Christus ergreift sie, gestaltet sie nach seinem Bilde und rüstet sie bleibend für den Dienst an ihren Brüdern aus. Die dogmenwidrigen Äußerungen deutscher Bischöfe und die klerusfeindlichen Änderungen in Ausbildung und Dienst der Priester haben den Nachwuchs im Priestertum erstickt. Die Sakramente sind die sichtbare Gewähr, dass Jesus mitten unter uns wirkt. An allen bedeutsamen Wendepunkten unseres kleinen Lebens steht in der verhüllenden Form des sakramentalen Gnadensegens Jesus da als Freund und Tröster, als Wundarzt der Seele und des Leibes, als Seligmacher. Der Herr lässt die Menschen, die seine Brüder und Schwestern geworden sind, in keiner Lage allein. „Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“
Aber das Tiefste und Heiligste sind die Sakramente nicht. Der Herr macht sich als persönliche Gnadenwirklichkeit in den Gläubigen gegenwärtig. Sein Innerstes teilt er den Seinen mit, seine gottmenschliche Persönlichkeit. So sehr liebt Jesus seine Gemeinde, dass er sie mit seinem wahrhaften gottmenschlichen Ich durchlebt; dass er in Fleisch- und Blutgemeinschaft mit ihr tritt. Unter den Gestalten von Brot und Wein lebt der Meister unter seinen Jüngern, der Herr inmitten seiner Gemeinde. Das Altarsakrament ist das stärkste, tiefste, innerlichste „Erinnern“ an den Herrn, bis er wiederkommt. Und darum können wir Jesus nicht vergessen, ob die Jahrhunderte und Jahrtausende dahingehen. Immer ist er in unserer Mitte, in unserem Bewusstsein, in unserem Herzen, der lebendige, der ewige Christus. Wir sehen: In den Sakramenten, zumal im Sakrament des Altares, spiegelt sich der Grundgedanke der Kirche am leuchtendsten wider: die Wahrheit von der Eingliederung der Gläubigen in Christus. Die kirchlichen Sakramente sind der getreueste Ausdruck und Niederschlag der urchristlichen Botschaft vom unzertrennlichen Verbundensein mit Christus, vom dauernden Sein in Christus. In der katholischen Sakramentsmystik wird Christus als der Herr der Gemeinde, als ihr geheimer Kraft- und Segensquell gläubig bejaht und erfahren. In ihr prägt sich das Grundwesen der Kirche aus, das Fortleben Christi in ihr.
Amen.