Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. November 2024

Erziehung zur Treue gegen Gottes Willen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir wollen bedenken, wie wir uns selbst zur Treue gegen Gottes Willen erziehen. Dazu sind Selbstberatung, Selbstüberwachung und Selbsterziehung nötig.

I. Selbstberatung

Wir müssen es dahin bringen, dass wir die Schwächen und Gefahren unserer Seele erkennen. Es gibt eine entferntere und eine nähere Gefahr. Die entferntere Gefahr ist die schlimmere, wenn die Sünde sich so allmählich einschleicht, wenn die Gefahr zur Sünde eine chronische ist, wenn es Stufe um Stufe abwärts geht. Eine akute, einmalige starke Versuchung überwinden wir leichter. Die entferntere Gefahr ist der Zustand religiöser Lauheit oder Gleichgültigkeit. Es fängt an mit einer Nachlässigkeit auf irgendeinem Gebiet; man macht etwas schlampig und bleibt dabei. Dann kommt noch eine Nachlässigkeit dazu. Eine religiöse Übung um die andere fällt immer mehr weg ohne jeden ersichtlichen Grund. Zuerst ist das Morgengebet weggefallen, dann das Abendgebet, schließlich der Rosenkranz. So geht eines um das andere über Bord, mit der Zeit auch wichtigere Dinge. Dies ist der Anfang. Dann kommen Fehler dazu, aus denen man sich nichts macht. Kleine Sünden, aber schon freiwillig, besonders dort, wo sie am meisten fassbar sind: Worte, vorlaute Reden, kritisierende Reden, böse Worte. Allmählich entsteht eine Stimmung, die alles nicht mehr tragisch nimmt. Man leidet nicht mehr darunter. Solange der Mensch noch unter dem Rückgang leidet, ist es noch nicht Lauheit. Sie setzt da ein, wo man sagt: Ich sehe nicht ein, weswegen ich mich aufregen soll. Da kommt die Selbstzufriedenheit, und sie ist immer das Bedenklichste. Wenn einer gar nicht mehr sieht, dass ihm etwas fehlt, dass er etwas leisten müsste, wenn er anfängt, in die Starre zu fallen, in die Totenstarre der Selbstzufriedenheit. Das ist die größere Gefahr. Darum von Anfang an sich überwinden, sich wachhalten! Soviel wie möglich beibehalten von dem, was man sich vorgenommen hat. Nicht leicht etwas aufgeben von geistlichen Dingen, Übungen und Werken!

Die nähere Gefahr der Sünde ist die Versuchung. Versuchungen sind nicht zu verwechseln mit Zwangsgedanken. Gedanken gegen den Glauben (bei der hl. Kommunion), Gedanken gegen die geschlechtliche Reinheit: das sind keine Versuchungen, sondern Zwangsideen; das ist eine Plage, ein Kreuz. Davon kann einem nichts geschehen, außer dass man die Nerven verliert. Wenn man diese zwanghaften Vorstellungen als Versuchung ansieht und dagegen ankämpft, wird es schlimmer. Solche Dinge soll man ignorieren, nicht erforschen, soll tun, als ob sie gar nicht da wären, es auch nicht beichten. Lass es bleiben, solange es will. Wenn es stundenlang bleibt oder tagelang, das ist ganz egal. Die Versuchung unterscheidet sich von den Zwangsvorstellungen wesentlich. Die Zwangsvorstellungen haben etwas Lästiges, Erschreckendes, die Versuchung hat etwas Verlockendes, Entzückendes, Süßes. Man möchte das gern tun, man fühlt sich hingezogen. Es gibt Versuchungen, die dem modernen Menschen näherliegen als die anderen, denen jeder Mensch ausgesetzt ist. Da sind zunächst die Versuchungen gegen den Glauben. Viele heutige Menschen werden von solchen ergriffen. Denn wir leben in einer Welt, die mit glaubensfeindlichen Gedanken erfüllt ist. Man atmet das ein in den Zeitungen, im Rundfunk, im Fernsehen, im Kino, in Gesprächen, durch Beobachtungen. Da drängt sich einem die Versuchung auf. Was soll man dagegen tun? Man muss die glaubenswidrigen Reden und Schriften ins Auge fassen, sie überdenken und überlegen. Das Denken ist an sich niemals Sünde. Sünde ist immer Sache des Willens. Gedanken sind Sache des Verstandes. Wenn wir eine Schwierigkeit haben, suchen wir sie zu lösen. Man denkt nach: Wie soll man das erklären? Wie lässt sich das einfügen in den Zusammenhang meines Wissens? Man kann nachschlagen in guter Literatur, man kann gläubige, vertrauenswürdige, religiös gebildete Menschen befragen. Wenn sich keine Lösung findet, wartet man. Manche Vorstellungen vergehen, verflüchtigen sich mit der Zeit. Manche Schwierigkeiten lösen sich von selbst. Wenn sie sich nicht lösen, sollen sie bleiben. Es gibt überall ungelöste Schwierigkeiten, auf allen Gebieten. In der Physik gibt es zwei Theorien über das Licht. Beide sind rechnerisch bestätigt, experimentell bewiesen, doch widersprechen sie sich. Scheinbar kann nur eine wahr sein, aber es müssen beide wahr sein. Deshalb fällt es keinem Physiker ein, alle Physik über den Haufen zu werfen. Mir persönlich hilft bei Glaubensschwierigkeiten der Satz aus dem Buch der Nachfolge Christi: Wären die Werke Gottes nur so groß, dass sie von der Vernunft des Menschen leicht begriffen werden könnten, so wären sie eben darum nicht wunderbar, nicht unaussprechlich, nicht göttlich zu nennen.

Dann zweitens Versuchungen gegen die Reinheit, die Keuschheit. Sicher ist, dass unsere heutige Welt mit aufreizenden geschlechtlichen Dingen erfüllt ist. Aber wir sind ihnen nicht ausgeliefert. Wir können uns abwenden. Wir können für die Urheber der Sexualisierung beten um ihre Bekehrung. Um rein zu bleiben, ist notwendig, dass wir etwas Großes in unserer Seele tragen, eine Aufgabe, die uns beherrscht, die uns einen Lebensinhalt gibt. Der Mensch braucht etwas, was ihn in die Höhe hebt, was ihn fesselt, was ihm eine Vision gibt. Der Schlamm der geschlechtlichen Sünde ist so abscheulich, dass es uns nicht schwerfallen sollte, ihn zu verabscheuen. „Ich bin für Höheres geboren!“

Eine dritte Art der Versuchung ist die Lieblosigkeit; sie ist sehr groß. Denn Liebe erweisen, liebreich sein ist schwer, fordert Aufmerksamkeit, Verzicht auf Bequemlichkeit und Behaglichkeit. Liebe erweisen strengt an. Darum muss man sich vor der Versuchung, kalt und gleichgültig zu sein, hüten. Die vierte Versuchung ist die Bitterkeit, die Verbitterung: gegen Menschen, gegen das Leben, gegen das Schicksal, gegen den Beruf, selbst gegen Menschen, die uns wohltun wollen. Die Verbitterung schadet uns selbst am meisten. Nur nichts nachtragen! Nicht an früher erfahrenem Unrecht sich verbeißen!

II. Die Selbstüberwachung

Man muss sich selbst bis zu einem gewissen Grad kontrollieren. Die Selbsterforschung kann eine doppelte sein. Man kann sich prüfen im Allgemeinen oder über einen besonderen Fehler. Das Letztere besteht darin, dass man einen Fehler schon in der Frühe im Auge hat und die ganze Woche darauf achtet. Sünden, Eigentümlichkeiten, Sonderbares, alles was Gott oder anderen mit Recht an uns missfällt, das muss man beachten, bekämpfen, meiden, wegbringen. Wenn ein äußerer Fehler beseitigt ist, kommen die inneren Felder dran. Wir erkennen ihn selbst oder erfahren ihn aus den Urteilen anderer, besonders unserer Feinde; diese sind meist aufrichtig und sagen es uns oder hinter unserem Rücken. Wenn es die Freunde uns sagen, ist es noch besser. Unsere Tugenden haben die Eigentümlichkeit, einen Buckel zu besitzen; das ist unser Charakterfehler. Da ist ein Mensch sehr energischen Willens, aber auch hart, unfreundlich, rücksichtslos. Ein anderer ist sehr sanftmütig, aber auch widerstandslos, schwankend, haltlos. Einer ist sehr hilfsbereit, hat aber auch überall seine Finger drin. Ein anderer ist sehr ernst, ist aber auch unnahbar, streng. Manche sind sehr heiter, lustig, aber sie sind auch leicht, oberflächlich. Andere sind sehr schnell bei der Hand im Arbeiten, aber es ist auch danach. Wieder andere sind ungeheuer gründlich, aber sie werden nie fertig vor lauter Gründlichkeit. Wenn man einen solchen Fehler nicht gerade hat, kann man einen positiven Vorsatz stets vor Augen haben. Z. B. in der Frühe und während des ganzen Tages gleichmütige Stimmung zu bewahren. Das ist eine gute Übung, immer von gleichmäßiger Ruhe, Gesetztheit, Gefälligkeit, Höflichkeit, entgegenkommend zu sein. Die allgemeine Gewissenserforschung besteht darin, dass man jeden Tag abends einen Rückblick auf den vergangenen Tag wirft: Was war heute? Was ist gelungen, was ist zersprungen? Was habe ich unterlassen? Dann tritt man vor Gott hin, bittet um Verzeihung, bedankt sich für seinen Beistand, macht den Vorsatz für den nächsten Tag.

Von größter Bedeutung ist die regelmäßige gute Beicht. Erstens ist sie eine sehr gute Selbstkontrolle. Man prüft sich ganz anders, wenn man sich einem anderen offenbaren muss. Man hat auch eine Kontrolle durch den Beichtvater. Ein guter Beichtvater erkennt die Gefahren und Schwierigkeiten einer Seele, warnt und mahnt, rät und weist hin. Der zweite Grund für die Notwendigkeit zu beichten ist die heilige Eucharistie, die Ehrfurcht vor dem Messopfer und vor dem Empfang des Herrenleibes. Wir sollen uns möglichst rein halten und rein machen vor der heiligen Kommunion. Der dritte Grund für den Empfang des Bußsakramentes ist die Bekehrung, die Besserung, die Buße. Die Beichte ist kein Vergnügungsausflug. Wer sie als unangenehm empfindet, hat wahrscheinlich Sinn und Zweck des Beichtens begriffen. Man kommt leichter über einen Fehler hinweg, wenn wir uns immer wieder anklagen.

III. Selbsterziehung

Wir sind darauf aus, andere zu erziehen, müssen uns aber auch selbst erziehen, und zwar zuerst. Jeder Mensch bleibt etwas unerzogen, manchmal sogar ungezogen; da muss man eingreifen. Was ist das Ziel der Erziehung? Eine harmonische Ausbildung aller Kräfte im Menschen, besonders der Kräfte, die am meisten gebraucht werden, aber oft am schwächsten entwickelt sind; sie sollen in besonderem Maße herausgearbeitet werden. Die unter allen Kräften notwendigste und leider oft schwächste Kraft ist der Wille. So ist das Ziel aller Erziehung die Ausbildung des Willens. Das beste Mittel der Willensbildung ist die Willensübung. Man übt den Willen durch das Tun. Das wichtigste Erziehungsmittel ist die Tat, das Leben selbst, nicht das Lesen, nicht das Denken über die Willensbildung. „Ich will es schaffen, ich muss es tun.“ Das Beste ist die freiwillige Tat, nicht die gezwungene Tat: dass man freiwillig etwas tut, was einem zuwider ist. Die Selbstüberwindung, die Härte gegen die eigene Neigung. Wir müssen immer etwas haben, woran wir das üben; freiwillig etwas auf uns nehmen und vollbringen, was nicht nötig wäre, was ich aber tue. Es gibt aber auch viele Dinge, die nötig sind, die zu vollbringen aber Anstrengung, Überwindung fordert. Unsere Selbstverleugnung muss sich beziehen auf die Pflicht. Wir müssen die Pflichten unseres Berufes pünktlich, genau, gewissenhaft erfüllen. Wer das tut, hat schon ein gewaltiges Willenstraining. Die ungeordneten Seelenbewegungen, die Neigungen, die Leidenschaften: Zorn, Gereiztheit, Bitterkeit, Traurigkeit niederzudrücken, zurückzudrängen, zu überwinden, durch andere, bessere zu ersetzen. Das Ziel der Selbsterziehung ist, ein gewisses Gleichmaß in unseren inneren Bewegungen zu gewinnen gegenüber den Stimmungen und Launen; eine möglichst gleichmäßige Gemütslage gegenüber Gott und den Menschen zu bewahren. Die gewöhnlichen Schwierigkeiten liegen im Umgang mit den Mitmenschen. Die Mitmenschen sind das beste Mittel zum geistlichen Fortschritt durch die zahllosen Akte der Geduld, zu denen sie Anlass bieten. Sie bringen uns am meisten voran. Schwierigkeiten, die von Gott kommen, Heimsuchungen Gottes, müssen wir mit unserem Willen zu bestehen versuchen: innere und äußere Leiden, Schwächen des Körpers, Krankheiten, innerer Zustand der Dunkelheit, des Zweifels, des Missmutes. All das gilt es zu tragen und recht zu gebrauchen. Gerade die inneren Leiden können wichtige Mittel des Fortschrittes sein. Auch die äußeren Sinne sollen erzogen werden. Man braucht nicht alles zu sehen, was es zu sehen gibt, muss nicht alle Bilder, alle Filme, alle Reportagen anschauen. Man muss nicht alles hören, was gesagt wird, was über die Medien ausgestrahlt wird. Man kann auch darauf verzichten, selbst etwas zu erzählen. Die Zunge ist ein sehr wichtiges Organ, nicht bloß zum Reden, sondern auch zum Schweigen. Man soll nicht alles sagen, was man weiß. Aber was man sagt, soll notwendig oder nützlich sein. Zur Selbsterziehung gehört, die Gaumenlust im Essen und Trinken zu beherrschen. Dass man zufrieden ist, genügsam ist, keine Ansprüche stellt, nicht über die Kost meckert. Dass wir freiwillig Überwindungen auf uns nehmen, einmal in der Woche, an einem bestimmten Tag, vor allem den Freitag halten. Wir wollen die Persönlichkeit werden, die Gott in uns sehen will. Wir wollen die Tugenden erwerben, welche die Menschen an uns suchen. Wir wollen die Erwartungen erfüllen, die Gott und die Menschen an uns haben.

Amen.

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