Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2024

Allerheiligen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Allerheiligen ist der Erntetag der Kirche. Wir halten Ausschau auf die selige Schar derer, die niemand zählen kann, die bekannten und unbekannten Heiligen. Es greift uns ans Herz, wenn der Allerheiligentag den Vorhang wegzieht, der uns von drüben trennt. Allerheiligen steht hoch über allem irdischen Gehen und Vergehen. Allerheiligen ist die strahlende Vision eines ewigen, unverwelklichen Friedens, dem jedes Jahr uns einen Schritt näherführt. Gerade die sterbende Natur mit ihrer Botschaft vom Welken und Vergehen ist die dunkle Kulisse, hinter der sich der leuchtende Feiertag nur umso heller abhebt. Die Kirche lehrt uns aus der vergänglichen Natur die Hände ausstrecken nach dem Land der Unsterblichkeit, in dem die Sonne der Liebe und der Wonne nie mehr untergeht. Lasst uns Ausschau halten nach den Brüdern und Schwestern in der Vollendung. Wer sind sie denn, welche die Kirche am Feste Allerheiligen feiert? Wir wollen sie fragen. Ihre Antwort wird uns den Weg zeigen, den sie gehen mussten und den auch wir gehen müssen, um die Herrlichkeit des ewigen Gottes schauen zu dürfen. Wir stellen an die Heiligen des Himmels die doppelte Frage: Woher kamen sie? Wohin gingen sie?

Woher kamen sie? Wie ein stimmgewaltiges Brausen klingt die Antwort uns ins Ohr: Wir kamen aus der großen Trübsal. Das vergessen wir zu leicht. Wir stellen uns die Heiligen des Himmels meist vor als Menschen, die von der Gnade Gottes wie auf Flügeln getragen wurden und mit Jubelgesängen über dieser Erde schwebten. Nein. Sie kamen alle mehr oder minder aus großer Trübsal. Sie aßen wie wir das Brot der Tränen und trugen wie wir das Kleid der Trübsal. Die Heiligen waren Kinder ihrer Zeit und ihrer Umwelt. Und wer immer über die Erde geht, muss ihre Bitterkeit kosten und um die ewige Krone ringen.

Die Heiligen des christlichen Altertums mussten gegen die heidnischen Verfolger auftreten und ihren jungen Christenglauben hindurchretten durch die blutgetränkte Arena. Der römische Schriftsteller Tacitus spricht für die neronische Verfolgung von einer „ungeheuren Menge“ (ingens multitudo) Verfolgter. Das war die Zeit der Martyrer. Sie verströmten ihr Blut und folgten dem Herrn und drangen vor zu himmlischen Reichen. Später mussten sich die Christen wehren gegen die große Zahl der Irrlehrer. Das war die Zeit der Bekenner. Nicht nur der Einsatz des Blutes gilt als Bekenntnis; auch der makellose Dienst eines Gott hingegebenen Herzens ist ein tägliches Martyrium. Die Krone des Blutzeugen ist aus Rosen geflochten, die Krone des Bekenners aus Lilien. Immer gab es Zeiten der Not, der sittlichen oder der leiblichen Not. Die Hungersnot machte Elisabeth zum Engel der Armen und Vinzenz von Paul zum Anwalt der Enterbten des Lebens. In die Not hineingestellt haben sich die Heiligen durchgerungen zum Glanz ihrer Größe. Das macht sie uns so sympathisch und bringt sie uns menschlich nahe.

Auch das eigene Ringen um die unverwelkliche Siegeskrone war niemand erspart. Wenn wir in den Himmel hineinblicken, sehen wir da nicht nur Johannes-Naturen und Nathanael-Seelen, Menschen ohne Falsch und Fehl, die den geraden Weg der Liebe zu Gott gingen. Nein, wir sehen unter diesen Unzählbaren auch Jonas-Naturen, Menschen, die Gott entliefen wie jener Prophet von Ninive, bis herauf zum rechten Schächer, dem Spätheimkehrer Gottes in letzter Minute. Wir sehen unter ihnen auch Petrus-Seelen, solche, die erst Verleugner waren, dann aber Bekenner wurden. Menschen, die erst die tiefe Bitterkeit erfahren mussten, was es heißt, mit einem unglücklichen Temperament ringen zu müssen, was es heißt, schwach zu sein aus Menschenfurcht. Da sehe ich eine unzählbare Schar von Paulus-Seelen, solche, die der Kirche Wunden schlugen, dann aber Apostel wurden in der Damaskusstunde ihrer Bekehrung. Ich sehe auch sündige Seelen, die viel gesündigt, aber auch viel geliebt haben. Menschen, auf die man mit dem Finger deutete, denen aber die Begegnung mit Jesus zur großen Sonnenwende ihres Lebens wurde. In den dunklen Stunden der Versuchung wird der Heilige geboren. Weiter sehe ich unter den Gefeierten des Allerheiligenfestes auch Augustinus-Seelen, Irrende, die Gott suchten, bis sie ihn endlich fanden und mit dem Heiligen von Hippo selig klagten: „Ach, dass ich dich so spät erkannte, o hochgelobte Schönheit du!“ Wenn in einer Seele Wissenschaft und Tugend Hand in Hand gehen, dann entsteht darin himmlische Klarheit und Vollkommenheit. Danach zeigten sich Risse im Bau der Kirche. Die Guten mussten sich gegen den Zerfall stemmen. So entstanden die Heiligen der evangelischen Armut und Reinheit im Gewand der Orden. Vom heiligen Franz von Assisi wurde richtig gesagt: Auf Erden ward er uns gezeigt zu unserem Vorbild; zum Himmel ward er erhoben zu unserem Schutz. In der Neuzeit schenkte uns Gott die apostolischen Heiligen unter den entchristlichten Massen, die Don-Bosco-Seelen. Mit dem Einsatz ihrer ganzen Kraft, im rücksichtslosen Verbrauch ihrer Gesundheit und ihres Lebens suchten sie die Verirrten und Verlorenen zurückzuführen zu dem, für den zu leben allein lohnt. Wir vergessen nicht die große Schar der Jungfrauen wie die beiden Theresien und Katharina von Siena und Rosa von Lima. Sie haben Freude und Leid von Ehe und Familie ausgeschlagen, um sich allein dem himmlischen Bräutigam zu übergeben. Wie wurden sie alle Heilige? Sie haben sich zu Christus bekehrt, sie haben sich in seiner Gnade umgewandelt; sie haben ihre Kleider gewaschen im Blute des Lammes. So wurden sie Meister des Lebens, Nachfolger Christi, Virtuosen des christlichen Kampfes gegen Not und Sünde. Mit Ausnahme der Gebenedeiten unter den Frauen, der Königin aller Heiligen, waren sie alle sündige Adams-Söhne, schwache Evas-Töchter. Sie haben mit dem Fleisch gerungen wie wir. Den Heiligen hat es noch nicht gegeben, dem Schmerz nicht wehe tat und Lust nicht wohl. Aber in der Kraft des Geistes sind sie Herr geworden über Verlockung und Versuchung, Sieger im harten Streit.

Woher kamen sie? So fragten wir. Als zweites fragen wir: Wohin gingen sie? Da klingt es uns entgegen: „Wir folgen dem Lamm, wohin es geht.“ Wie sie dem Lamm hienieden folgten, dürfen sie ihm nun folgen im Himmel. Und wohin geht das Lamm? Es durchmisst die Tiefen der Gottheit. Es führt sie von Schönheit zu Schönheit, von Klarheit zu Klarheit, von Erkenntnis zu Erkenntnis bis in die endlose Ewigkeit der Ewigkeiten. Licht, Liebe, Leben! Das ist der heilige Dreiklang der jenseitigen Wonne. Ewiges Licht nach dem Dunkel der Zeit, ewige Liebe nach dem Hass dieser Welt, ewiges Leben nach dem Todesschatten dieser Erde. Nach der allgemeinen Anordnung Gottes sind die Seelen aller Heiligen im Himmel. Sie sind im himmlischen Paradies eingereiht in die Gemeinschaft der heiligen Engel. Sie schauen das Wesen Gottes in eindringender Schauung von Angesicht zu Angesicht, ohne dass irgendein Geschöpf sich dazwischen stellte, vielmehr so, dass sich die göttliche Wesenheit unmittelbar, unverhüllt, klar und offen ihnen zeigt. In dieser Schau haben sie den innigsten Anteil an Gottes Wesen. Und so sind sie wahrhaft selig und erfreuen sich ewigen Lebens und ewiger Ruhe. Auch wir müssen an das ewige Leben glauben und um das ewige Leben ringen. Jesus will uns teilnehmen lassen an der ewigen Siegesfeier drüben „am Ende ohne Ende“. Die Heiligen sind keine Schleichwege gegangen, sie haben keine Umwege benutzt, sie waren nicht ohne Christus, sie waren nicht ohne Kirche oder gar gegen sie. Der Glaube an das Jenseits ist kein Narkotikum der Erde, kein Opium des Volkes, kein Traumbild und kein Trugbild. In Jesus, dem Sohn Gottes, leuchtet uns der Hoffnungsstrahl der Auferstehung und des ewigen Lebens. „Alle Übel der Welt sind des guten Christen Anteil. Der Himmel aber ist reich genug, alles zu vergelten“ (Joh. Vianney). Allerheiligen ist der Tag der offenen Tür, an dem wir unsere Brüder und Schwestern in der Vollendung grüßen. Dort suchen wir aber auch unsere lieben Angehörigen, die uns vorausgingen im Zeichen des Glaubens. Sie sind schon dort, wohin nichts Unreines eingehen kann. Oder vielleicht doch nicht? Haften ihnen noch Schlacken des Erdenwandels an? Sind sie noch nicht vollends gereinigt und gerüstet, um Gott zu schauen und in die Schar der Vollendeten eingereiht zu werden? Müssen sie noch warten und büßen im Reinigungszustand, im Lazarett der Ewigkeit, bis sie den letzten Heller irdischer Schuld bezahlt haben? Helfen wir ihnen durch den Allerseelenablass. So führt von selbst der Jubel des Allerheiligentages zur Klage des Allerseelentages. Wir können den Heimgegangenen helfen, aus dem Zustand der jenseitigen Buße zum Zustand der seligen Ewigkeit überzugehen. Wodurch? Durch den Allerseelenablass. Vom 1. bis 8. November kann täglich einmal ein vollkommener Ablass, also die Nachlassung aller Sündenstrafen, für die Verstorbenen gewonnen werden. Man muss sich entschieden von der Sünde abkehren, das Bußsakrament empfangen, die hl. Kommunion empfangen, beten in den Anliegen des Heiligen Vaters, eine Kirche besuchen und das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis beten.

Im Magdeburger Dom steht im oberen Chor der Martyrer Mauritius, neben ihm der Martyrer Innocentius. Daneben Johannes der Täufer. Weiter Petrus, Paulus und Andreas. Wuchtige romanische Statuen, über zwei Meter groß. Unter jedem dieser sechs Standbilder eine gebückte Gestalt, auf die ihr Fuß tritt. Das, sagt man, sind Cäsaren, die diese Männer zu Tode marterten. Was für ein wunderbares Leitmotiv dieser mittelalterlichen Welt, die Heiligen über die Cäsaren zu stellen. Gilt das nicht auch heute? Dass nicht die Cäsaren, die Machtmenschen, die Militärbefehlshaber, die Demagogen die Reiche aufbauen. Sondern die Heiligen, die Männer der Idee, der Tugend, der Aszese.

Amen.

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