20. Oktober 2024
Euthanasie
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Das Wort Euthanasie ist mehrdeutig. Es stammt ursprünglich aus der griechischen Sprache und besagt von Hause aus: einen schönen Tod sterben. Inzwischen ist der Begriff jedoch verwirrend geworden. Das Wort schillert zwischen einem Sterbebeistand, der dem Sterbenden einen leichten, unbeschwerten, schmerzfreien Tod ermöglichen soll, und einer aktiven, bewussten Tötung lebensunwerten Lebens. Im 19. Jahrhundert erfolgte der Übergang von der Begleitung und Schmerzlinderung beim Sterben zur Lebensverkürzung. Euthanasie bedeutet heute die direkte Tötung eines Menschen mit seiner Zustimmung oder ohne sie zu dem Zweck, ihm die Schmerzen seines Leidens abzukürzen oder darum sein Leben zu beenden, weil es aus anderen Gründen als lebensunwert betrachtet wird.
Das Leben ist eine Gabe Gottes. Über sie darf vom Menschen nicht selbstherrlich verfügt werden. Deshalb verpflichtet der Lebensschutz in allen Lebenslagen. Schwerkranke und Sterbende haben Anspruch auf rechtlichen Schutz vor gezielter Tötung. Eine medizinisch herbeigeführte Lebensverlängerung um jeden Preis ist moralisch nicht geboten. Eine Lebensverkürzung als Nebenfolge der Linderung und Bekämpfung unerträglicher Schmerzen ist zulässig (actio cum duplici effectu). Die aktive Tötung eines Menschen ist ein Verstoß gegen das Tötungsverbot des Dekalogs und duldet keine Ausnahme. Die Tötung angeblich „lebensunwerter“, jedoch lebensfähiger und lebenswilliger Menschen ist, juristisch und moralisch bewertet, Mord. Kein Mensch kann eine sittlich berechtigende Zustimmung zur Euthanasie geben.
Wenn man die Frage stellt, wie Menschen, auch gebildete und hochgestellte Menschen dazu kommen konnten, eine ganze Kategorie von schuldlosen Menschen einem gewaltsamen Tode zu überliefern, so ist darauf zu antworten: Sie wurden dazu veranlasst durch Aufstellungen von Naturwissenschaftlern. Die Wurzel der Tötungsvorgänge liegt in einer Wissenschaft, der Biologie. Die darwinistische, materialistische Biologie hat ein Bild vom Menschen hervorgebracht, wonach dieser nichts anderes ist als ein Stück hochdifferenzierter Materie, ein Säurefaden von bestimmter Länge und Struktur (Joshua Lederberg) oder eine Ansammlung von Atomen, die bald auseinanderfällt. Diese Irrlehren gewisser Naturforscher haben weiteste Kreise des Volkes in den atheistischen Materialismus hineingeführt. Die Ärzte haben während ihrer Schulzeit und ihrer universitären Ausbildung den Darwinismus gelehrt bekommen. Viele von ihnen waren davon beeindruckt und nicht wenige davon überzeugt. Bis heute wird in den Schulen eine darwinistisch ausgerichtete Biologie gelehrt. Bald wurden von der als seriös geltenden Wissenschaft Folgerungen aus der darwinistischen Irrlehre für die Praxis des Umgangs mit Geisteskranken gezogen. Der Jurist Karl Binding und der Psychiater Alfred Hoche an der Universität in Freiburg im Breisgau veröffentlichten 1920 die Schrift „Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“. Sie empfahlen die Tötung „leerer Menschenhülsen“ und von „Ballastexistenzen“, deren Pflege der menschlichen Gemeinschaft nicht zugemutet werden könne. „Ballastexistenzen“ waren für den Psychiater Hoche nicht nur „absolut wertlose, sondern negativ zu wertende Existenzen“. Die Sache hat brisante Bedeutung gewonnen in der Regierung Adolf Hitlers über Deutschland. Dieser „Führer und Reichskanzler ordnete mit einem rückdatierten Befehl vom 1. September 1939 an: Es könne „bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken der Gnadentod gewährt werden“. Dementsprechend führte die nationalsozialistische Regierung von 1940 bis 1945 ein Programm zur systematischen Tötung missgebildeter Kinder und erwachsener Geisteskranker durch. Nach Protesten der Kirche und aus der Bevölkerung wurde die Tötungsaktion offiziell beendet, aber im geheimen fortgesetzt. Ihr fielen in ihren zwei Phasen etwa 100000 geistig oder psychisch kranke Menschen zum Opfer. Die Sache selbst ist seit geraumer Zeit wieder ins Gespräch und in die ärztliche Praxis mehrerer Länder gekommen, wie ich gleich berichten werde. Es wäre weit gefehlt, wollte man annehmen, der überwiegende Teil der deutschen Bevölkerung habe die Maßnahmen zur Tötung sogenannten lebensunwerten Lebens energisch abgelehnt. Das Gegenteil ist der Fall. Die Mehrheit der entchristlichten und entkirchlichten Menschen hat sie gebilligt oder begrüßt. Der Gedanke, sich scheinbar nutzloser, pflegebedürftiger Esser zu entledigen, fiel bei der Menge auf fruchtbaren Boden. Die Einstellung der Bevölkerung ist heute nicht anders.
Ich wende mich nun der rechtlichen und der moraltheologischen Beurteilung der Euthanasie zu. Suizid ist die bewusste und zielgerichtete Selbsttötung eines Menschen durch aktives Tun, indem er entweder Hand an sich legt oder eine auf seinen Tod hinzielende Ursachenkette in Gang setzt. Suizidversuche und Beteiligung daran sind in Deutschland nicht strafbar. Die katholische Lehre lautet anders. Der Mensch kann eine sittlich berechtigende Zustimmung zur Euthanasie nicht geben. Der Mensch ist nicht Herr über sein Leben. Der Selbstmord oder Freitod ist ihm untersagt. Die Beihilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland straflos. Ärzte können ein todbringendes Mittel für einen assistierten Selbstmord verschreiben. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 2020 hat das Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Suizidhilfe aufgehoben und ein weitreichendes Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert. Anders die Lehre der Kirche. Freiwillige Beihilfe zum Selbstmord verstößt gegen das sittliche Gesetz.
Passive Sterbehilfe ist das Unterlassen spezifisch lebensverlängernder Maßnahmen unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Basisversorgung. Der Abbruch einer lebensverlängernden Behandlung, die lediglich den natürlichen Ablauf des Sterbens verzögert, ist sittlich zulässig. Eine dementsprechende Verfügung ist zu beachten. Indirekte aktive Sterbehilfe, ist die Gabe schmerzlindernder Mittel unter Inkaufnahme einer möglichen Lebensverkürzung. Im allgemeinen wird ein entsprechender mutmaßlicher Wille des Patienten, eine notstandsähnliche Situation oder ein erlaubtes Risiko angenommen. Dieses Vorgehen ist sittlich nicht zu beanstanden. Direkte aktive Sterbehilfe ist das gezielte und tätige Herbeiführen des Todes. Sie ist nach deutschem staatlichem Recht heute noch unzulässig und als Tötungsdelikt strafbar. Hat der Täter auf ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen des Betroffenen gehandelt, so berücksichtigt das deutsche StGB dies lediglich strafmildernd (Tötung auf Verlangen §216 StGB).
Tötung auf Verlangen ist die Tötung eines Menschen, zu welcher der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Ersuchen des Getöteten bestimmt wurde. Sie ist in Deutschland noch ein Tötungsdelikt, das nach §216 StGB betraft wird. Anders steht es in den Niederlanden und in Belgien. Die Niederlande lassen die aktive Tötung zu. Die Strafverfolgung der aktiven Sterbehilfe wurde 1993 ausgesetzt. Eine Prüfungskommission (Arzt, Jurist, Ethiker) trifft eine Entscheidung und spricht eine Empfehlung aus. Die Staatsanwaltschaft sieht von einer Strafverfolgung ab, wenn folgende Voraussetzungen gegeben sind: Der Patient muss sich in der Schlussphase seines Lebens oder in einer ausweglosen Notlage befinden; ein zweiter Arzt muss konsultiert werden, der Patient muss wiederholt und ausdrücklich den Wunsch nach Sterbehilfe geäußert haben. Diese Bestimmung ist das erste Euthanasiegesetz der Erde seit der Nazizeit. Ähnlich ist die Lage in Belgien. Im Jahre 2023 trugen sich dort 3423 Fälle von Patienten zu, die ihrem Leben auf der Grundlage des Gesetzes über den assistierten Suizid ein Ende setzten. Diese Zahl ist seit Jahren stetig gestiegen und macht nun 3,1% aller Todesfälle in Belgien aus. Das ist eine Dunkelziffer. Zu den gemeldeten Fällen müssen etwa 25 bis 30% weitere hinzukommen. Die gesetzliche Erlaubnis der aktiven Sterbehilfe (welche die Niederlande als erste eingeführt haben) ist ein abschüssiger Weg, an dessen Ende droht: Niemand darf seines Lebens mehr sicher sein. Der Berliner Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762-1836) lehnte jede Lebensverkürzung als unvereinbar mit dem ärztlichen Ethos kategorisch ab. Würde der Arzt sich zur aktiven Sterbehilfe bereitfinden, so seien die Folgen unabsehbar und würde der Arzt „der gefährlichste Mann im Staate“. Damit nicht genug. Es gibt heute bereits Stimmen, die dafür eintreten, bestimmte Menschen zu töten, die keinen Willen geäußert haben, ihr Leben zu beenden. Der Philosoph Peter Singer (Praktische Ethik, 1994) tritt für die direkte, unfreiwillige Tötung bei nicht mehr äußerungs- und entscheidungsfähigen Patienten schon vor dem Eintreten des Sterbevorgangs ein. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sich diese Meinung durchgesetzt haben wird.
Wie man sieht, ist es entscheidend für den Umgang mit dem Sterben, welche Auffassung die Bevölkerung vom Menschen hat. Wer an der Offenbarung Gottes und der Lehre der Kirche festhält, wird es ablehnen, dem Menschen die Entscheidung über sein Leben oder Sterben zu überlassen. Wer sich aber das darwinistische Bild vom Menschen zu eigen gemacht hat, wird es dem Menschen einräumen, nach Gutdünken über sein Leben zu verfügen. Naturforscher waren es, die dem Menschen zuriefen: Durch reinen Zufall bist du Mensch aus dem Affen geworden. Du bist nichts weiter als eine komplizierte Maschine. Das materialistische Weltbild wurde namentlich von dem Jenaer Zoologen Ernst Haeckel in dem Buch „Die Welträtsel“ vertreten, das in zahlreichen Auflagen unter das Volk geworfen wurde. Er vertrat eine biologistische Ethik der Rasse. Als erster formulierte er den Gedanken der Kontraselektion und propagierte Maßnahmen wie die Tötung Geisteskranker; er sprach sich wiederholt für die Vernichtung „unwerten“ Lebens aus. Das mechanistische Bild vom Menschen ist die notwendige Folge der Darwinschen Lehre, die bis heute in unseren Schulen gelehrt wird. Jede bloß biologische Betrachtung des Menschen zerstört, sobald sie auf die Ethik übertragen wird, alle wahre Menschlichkeit. Die Schreibtischtäter haben den Weg zu den Massenmorden gezeigt. Wann wird es bei uns so weit sein?
Amen.