Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
29. September 2024

Körper und Geist

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Dass zwischen Körper und Geist ein gewisser Gegensatz herrscht, lehrt schon die alltägliche Erfahrung. Die bequemen und behaglichen Genießer, die Feinschmecker, die aus ihrem Küchenzettel ein Lebensstudium machen, haben noch kaum je etwas Namhaftes beigetragen zu dem Ideenschatz und dem Geistesleben der Menschheit. Sie leiden auch nicht unter der Spannung zwischen Körper und Geist, weil sie vom strengen Dienst des Geistes nichts wissen. Anderseits sehen wir, dass die großen Diener des Geistes, die Menschen mit lodernden Seelen, die einen Feuerbrand in sich trugen, unter diesem Dienst ihr leibliches Leben verzehrten und oft vorschnell aufbrauchten. Die Körper waren nicht stark genug, die inwendige Glut des Geistes zu ertragen. Katharina von Siena trat mit 18 Jahren den Dominikaner-Terziarinnen bei. Sie war Beraterin von Königen und Päpsten; sie war Friedensstifterin zwischen Verfeindeten. Aufopfernd pflegte sie Kranke und Sterbende. Als die Pest in Pisa ausbrach, nahm sie sich der Opfer der Epidemie an, zog sich selbst die Krankheit zu. Mit 33 Jahren ging sie in die Ewigkeit. Sie ist die Patronin von Italien. Was hat Wolfgang Amadeus Mozart aus seinem kurzen Leben von 35 Jahren herausgeholt? Ebenso Franz Schubert mit 31 Jahren? Die Menschen, die am tiefsten in die Geheimnisse des Daseins hineingeschaut haben, sie haben immer das Zusammensein von Stoff und Geist, von Leib und Seele als ein schmerzliches Rätsel und als eine Tragik empfunden. Wir wissen, dass ein gewisses Maß von Körperpflege zu einem wirklich menschenwürdigen Dasein gehört. Das schließt nicht aus, dass gerade die besten Menschen den täglichen Frondienst, den sie ihrem Körper leisten müssen, als harten und niederdrückenden Zwang empfinden. Das Christentum hat zu allen Zeiten die Spannung zwischen Körper und Geist stark gespürt. Es hat aber auch zu gleicher Zeit nach einem Ausgleich und einer gütlichen Vereinbarung gestrebt. Es war immer der Meinung, dass alles Körperliche in Dienstbarkeit und Unterordnung unter den Geist gehalten werden müsse. Wir wollen heute die Grundsätze betrachten, von denen unser katholisches Glaubensleben sich leiten lassen muss, wenn es die gottgewollte Eintracht zwischen Körper und Geist verwirklichen will. Die eigentliche Schwierigkeit liegt im Körperlichen. Darum muss sich unser praktisches Verhalten auf die rechte Ordnung des Körperlichen einstellen. Diese Ordnung beruht auf der Anerkennung dieser drei Sätze: Der Körper hat erstens einen eigenen Willen, zweitens eine eigene Macht, drittens einen eigenen Wert.

1. Unser Körper hat seinen eigenen Willen. Es sind Anlagen, Triebe, Leidenschaften, Bestrebungen in ihm, die in ihrer eigenen Richtung gehen und sich auswirken wollen. Und das ohne Rücksicht auf die Gesamtheit des Lebens und der Lebensaufgaben und vor allem ohne Rücksicht auf die Forderungen des geistigen Lebens. Die Einfügung dieser Kräfte muss der Mensch leisten durch die Kraft seines Geistes und seiner Vernunft. Der Mensch muss die körperlichen Bedürfnisse (Nahrungsaufnahme, Selbsterhaltung, Fortpflanzung) mit den Regeln und Gesetzen des Geistes umgeben. Ein wildes, geistloses Gewährenlassen würde uns schnell in verderblichen Zwiespalt bringen mit den Gesetzen des gesamten Lebens, mit allen übrigen Geschöpfen und vor allem mit den Mitmenschen. Und dieser Zwiespalt würde unseren Untergang bedeuten. Der Mensch kann auch körperlich nur dann bestehen bleiben, wenn er geistig lebt, geistige Regeln und Gesetze erfüllt, mit denen er die Willkür und Selbstsucht seiner körperlichen Triebe formt und sie einordnet. Dazu kommt, dass wir nicht bloß körperlich leben. Die bedeutungsvollsten Gebiete unseres Daseins liegen im Geistigen. Das körperliche Leben muss also dem Geistigen untergeordnet und dienstbar werden. Wir müssen die körperlichen Kräfte einsetzen, dass wir geistig erleuchtete und sittlich geformte Wesen werden. So ergibt sich die Aufgabe, dass wir die engstirnigen und selbstsüchtigen Triebe und Instinkte unseres körperlichen Lebens einfangen, umformen und einordnen in unsere höheren Lebenszwecke. Die Erhaltung des körperlichen Lebens, der Gesundheit, der Schönheit, der Kraft hat nur dann einen vollen Sinn, wenn wir damit dem Bedürfnis des Geistes dienen. Wir sind nur soweit Menschen, als wir geistig leben.

2. Der eigene Wille des körperlichen Lebens ist mit einer großen Kraft begabt. Unser Körper hat auch eine eigene Macht der Lockung und Verführung, die imstande ist, auch einen starken Geist zu vergewaltigen. Die beiden großen Mächte des körperlichen Lebens heißen Lust und Angst, Lebenslust und Todesangst in allen möglichen Formen. Die Menschheit hat von jeher mit Entsetzen gesehen, bis zu welchen Gräueln sich diese beiden Mächte austoben können. Bis zu diesen Gipfeln der Verirrung führt eine schnurgerade Straße empor; sie beginnt mit den kleinsten Regungen des körperlichen Triebes. Darum hat die christliche Moral von Anfang an gelehrt, dass wir schon die allerersten Regungen des körperlichen Lebens streng überwachen und formen müssen; dass jeder eigenmächtige Schritt des körperlichen Lebens mit wachsendem Zwang zu immer neuen und immer größeren Schritten führt; dass jeder Fall sich mit beschleunigter Geschwindigkeit fortsetzt. Das körperliche Leben hat die Eigenart der Unersättlichkeit. Je mehr man dem körperlichen Trieb gewährt, umso größer werden seine Ansprüche. Je mehr man ihm aus Schwäche nachgibt, umso stärker wird seine Macht, bis er den Geist in unlösbare Fesseln schlägt. Allbekannt ist die fortschreitende Versklavung durch alle berauschenden und betäubenden Genüsse, die man widerstandslos dem Körper gewährt. Noch mehr, spricht er, noch mehr! Der geniale russische Komponist Modest Mussorgski (1839-1881) litt an Alkoholismus und starb vereinsamt und arm. Seine angefangenen Werke haben andere vollendet. Dieser Aufdringlichkeit des Körperlichen gegenüber sind alle Geistesmenschen und Geistesdiener auf eine möglichst große Anspruchslosigkeit ihrer leiblichen Bedürfnisse ausgegangen. Die großen Geistesarbeiter und Bahnbrecher, die großen Forscher und Helden, die großen Heiligen und Helfer der Menschheit waren alle auch große Meister der Enthaltsamkeit. Sie hatten nicht viel Zeit und nicht viel Interesse, für ihr leibliches Wohl zu sorgen. Und darum haben viele von ihnen ihr körperliches Leben vorzeitig aufgerieben im Dienst ihrer geistigen Ziele. Dominikus zog Tag für Tag durch die Städte und Ortschaften Südfrankreichs, wo die abgefallenen Albigenser herrschten, gekleidet wie armselige Bettler, heroisch im Fasten, auf die Hilfsbereitschaft der treugebliebenen Katholiken angewiesen. Seine ergreifenden Predigten und sein Vorbild führten viele den Irrlehren verfallenen Gläubige wieder zurück zum Glauben. Bereits am 6. August 1221 starb er, etwa 50 Jahre alt, während einer Missionsreise in Bologna. Antonius von Padua ist einer der begeisterndsten Prediger der Kirchengeschichte. Er predigte auf den Kanzeln der Kirchen, auf den großen Plätzen der Städte und an den Stränden des Meeres. Manchmal strömten bis zu 30 000 Zuhörer gleichzeitig herbei. Stark geschwächt und ausgezehrt, starb er mit 35 Jahren. Karl Borromeo war Erzbischof von Mailand. Er führte ein streng asketisches Leben, unterzog sich schweren Bußübungen, fastete oft und schlief wenig. Unermüdlich widmete er sich dem Wiederaufbau seiner Diözese nach Maßgabe der Beschlüsse des Konzils von Trient, bereiste seinen ausgedehnten Sprengel und besserte die Sitten von Klerus und Volk, im Pestjahr 1576 nahm er sich monatelang der Kranken an, lebte fast nur von Wasser und Brot, so dass sich jedermann fragte, woher der sowieso schon schmächtige Mann die Kraft für seine rastlose Arbeit nahm. Aufgezehrt, erschöpft und von Krankheit gezeichnet gab Karl Borromeo mit 47 Jahren seine Seele dem Schöpfer zurück.

Viele unserer Menschen meinen, nichts vom Leben zu haben, wenn ihr Leib nicht hat, was er genießen könnte. Wie viele von den hungernden und frierenden und arbeitslosen Menschen der Gegenwart suchen sich für alle Entbehrungen irgendwelchen Ersatzgenuss, und wären es auch nur armselige Betäubungsmittel. Aber das ist es gerade, dass so viele unserer Menschen meinen, nichts vom Leben zu haben, wenn ihr Leib nicht hat, was er genießen könnte. Das ist es eben, dass sie vergessen haben, nicht vom Brot allein, und nicht vom Genuss allein, nicht von der Lust allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt. Ein geistiger Mensch, der geistige Ziele und Ideale hat, der einer Idee dient, der einen Gott hat, mit dem er verbunden ist, der einen Erlöser kennt, dessen Kreuzbild er verehrt, der einen oder ein paar Menschen um sich hat, denen er liebend und selbstvergessen dient, ein solcher Mensch hat etwas vom Leben, auch wenn sein Leib hungern muss. Ja, die Erfahrung lehrt, dass die Ansprüche des Körperlichen zurückgehen, wenn die Kraft und der Glanz des geistigen Lebens wächst. Die leistungsfähigsten Menschen waren zu allen Zeiten nicht die behaglichen Genießer, sondern die Geistesmenschen, die für einen Gedanken oder für ein geliebtes Du oder für ihr Volk und Vaterland oder für ihren Gott und Heiland glühten. Denken Sie an Michelangelo Buonarroti, den Maler, Bildhauer, Baumeister und Dichter von einziger Größe. Er hat sein rastloses Leben der Kunst verschrieben, lebte selbst völlig asketisch.

3. Das körperliche Leben erhält seinen Sinn und seine Erfüllung, wenn wir dem Geiste leben. Durch den Geistesdienst erhält auch die Körperkultur ihren höchsten Glanz, weil dann der eigene Wert offenbar wird, den der Körper hat. Der Körper ist und soll sein der gute Kamerad der Seele, ihr getreuer Diener, ihr wundervolles Werkzeug. Der menschliche Körper ist das feinstorganisierte, das geistvollste Gebilde, das wir im ganzen Bereich der Körperwelt kennen. Er ist mit einer Kraft und Leistungsfähigkeit begabt wie sonst kein irdischer Körper. Kein Tier vermag so viel an Arbeit, an Strapazen, an Entbehrung und Widerwärtigkeiten in jedem beliebigen Klima der Erde zu ertragen wie der menschliche Körper. Es ist diesem Körper ein unermesslicher Reichtum von Werten verliehen, den wir verwalten, vermehren und verschenken können. Den höchsten Ansprüchen des Geistes, der Freiheit und sogar der Liebe können wir genügen, wenn wir unseren Körper in den Dienst dieser Ansprüche stellen. Es gibt sogar eine große Provinz der Liebe, die den Körper zu gebrauchen vermag als ihr Symbol, als ihren Ausdruck, als ihr Geschenk und ihre Vertrauensgabe. Ich denke an die schenkende Liebe in der Ehegemeinschaft. Und auch die dienende Liebe vermag den Körper zu gebrauchen als Gefäß und Werkzeug ihrer kostbarsten Dienste. Sie vermag ihn zu opfern in ihrem reinen Feuer. „Eine größere Liebe hat niemand“, sagt Jesus, „als wer sein Leben, sein leibliches Leben hingibt für seine Freunde.“ Der schönste Segen, der je über einen Leib gesprochen wurde, war der Segen der eucharistischen Hingabe, als Christus seinen eigenen Leib hingab als Nahrung der Seelen. Und diesem wunderbarsten und vollkommensten Gebrauch, der je von einem menschlichen Leibe gemacht wurde, hat er sein ganzes Leben von Anfang an entgegengelebt. Schon bei seinem Eintritt in die Welt sprach er zum Vater: „Siehe, einen Leib hast du mir bereitet. Ich komme, ihn zu opfern dir und für meine Brüder.“ Sooft wir in der Weihnachtszeit den Kinderleib des Gottmenschen in der Krippe liegen sehen, müssen wir uns erinnern, dass in diesem gottmenschlichen Leib der höchste Geistesdienst vereinigt wurde mit der vollendetsten Körperkultur. Und die Vereinigung bestand in seinem Opferdienst: Nehmet hin und lebet von mir! Das ist mein Leib. Er bedeutet die Erlösung der Welt, weil er für euch hingegeben wird.

Amen.

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