Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Juni 2024

Zwei sich ausschließende Weltanschauungen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Begriff Weltanschauung ist eine Sammelbezeichnung für die Leitauffassungen vom Leben und von der Welt als einem Sinnganzen. Weltanschauungen sind Deutungsversuche in der Form persönlicher Überzeugungen von der Grundstruktur, Modalität und Funktion des Weltganzen. Gewöhnlich gehören dazu Menschenbilder und Weltbilder, Wertanschauungen, Lebensanschauungen und Moralanschauungen.

I.

Es gibt zwei fundamentale Weltanschauungen, zwei Möglichkeiten, das Entstehen des Weltalls, der Naturgesetze, des Lebens und des (menschlichen) Geistes zu erklären, die sich gegenseitig ausschließen. Sie lauten: Entweder Gott existiert oder Gott existiert nicht. Nur eine dieser beiden Möglichkeiten kann mit der Wirklichkeit übereinstimmen, kann wahr sein. Die einen teilen den Glauben an die Alleinexistenz der Materie und folglich den Glauben an blinde, materielle Zufallsprozesse als einzige Ursächlichkeit und Gestaltungsmacht des Weltalls. Es sind dies die Darwinisten. Sie machen aus ihrem Denkmodell, der Evolution, eine Weltanschauung. Sie ersetzen den Schöpfergott durch die Entwicklung. Die anderen halten fest an dem Glauben an eine intelligente Planung und ein schöpferisches Wirken und folglich an die Existenz, die Vernunft und das Wollen eines personalen Schöpfers, der alle Materie transzendiert und jeder Evolution voraus ist. Aus der Frage nach Gott ergeben sich Konsequenzen für das Denken und Handeln.

Wir wollen an erster Stelle die atheistische Weltanschauung und ihre Folgen uns vor Augen führen. Wenn es keinen Schöpfer gibt, dann gibt es keine Wirklichkeit außer dem materiellen Weltall. Dieses ist dann notwendigerweise aus sich selbst. Diese Auskunft ist freilich keine befriedigende Antwort auf die Frage, warum es einen Kosmos gibt. Nichts und niemand kann sich selbst hervorbringen. Aber dieser Einwand stört die Atheisten nicht. Sie stellen ihr Axiom nicht in Frage und setzen auf diesem fragwürdigen Ausgangspunkt ihre Denkbemühungen fort. Die angenommene Höherentwicklung vom Wasserstoffatom des Urknalls bis zum Menschen ist dann zwingend die Konsequenz rein materieller und somit blinder Prozesse. Erkennen und Planen, Handeln und Gestalten hat es vor dem Auftreten des Menschen niemals gegeben. Da die Menschen restlos aus identischen materiellen Bausteinen bestehen, unterscheiden sie sich allein durch deren verschiedene Zusammensetzung. Es gibt folglich nur Individuen der Spezies Mensch, wie es Individuen der Spezies Hund gibt, aber keine wirklich einzigartigen, unaustauschbaren Personen. Da es nach der oben beschriebenen Ansicht keine Wirklichkeit und keine Ursächlichkeit gibt, die nicht Materie oder Wirkung von Materie wäre, kann auch der Mensch mit Leib und Seele, mit all seinen Vermögen und Lebensäußerungen nichts anderes als Materie sein. Der Mensch und alles, was er denkt, fühlt und tut, ist zwingend und ausschließlich auf die Summe seiner Zellen und auf deren Funktionen zurückführbar. So etwas wie eine reale „Seele“ gibt es nicht. Der biologische Tod mit den ihm eigenen Verwesungsprozessen ist das unumstößliche, absolute Ende des konkreten Menschen. Wenn die Materie die ganze Realität und folglich der einzige Ursprung der gesamten existierenden Wirklichkeit ist, sind auch alle sogenannten geistigen Fähigkeiten und Phänomene des Menschen notwendig aus der einzig existierenden Ursächlichkeit, der Materie, ableitbar und auf sie zurückführbar. Tatsächlich vertreten Leute wie Konrad Lorenz diese Ansicht.

Auch das Gesamt des menschlichen Verhaltens muss dann logischerweise auf die einzig real existierenden materiellen Ursächlichkeiten zurückführbar sein. Das, was restlos aus einem anderen ableitbar ist, ist auch restlos durch diese andere festgelegt, determiniert. Da es keine andere Realität und keine andere Kausalität gibt, muss sich prinzipiell jedes konkrete Verhalten jedes konkreten Menschen vollständig aus den materiellen Faktoren und aus deren zufälligem Zusammenwirken erklären lassen. So der primitive Satz der Atheisten: Der Mensch ist (von Sein), was er isst (von Essen). Im Rahmen einer geschlossenen materiellen Kausalkette von Erbmasse, Erziehung und Umwelt ist Freiheit, Selbstverfügung des Menschen begrifflich ausgeschlossen.

Reale Verantwortung für sein Tun und Lassen besitzt nur derjenige, der so und auch anders handeln kann. Wer determiniert ist und nicht die Freiheit besitzt, sich auch anders zu verhalten, kann gerechterweise für sein Verhalten nicht verantwortlich gemacht werden. Wenn keine dem Menschen vorausgehende, ihm wesenhaft übergeordnete sittliche Instanz existiert, der er Antwort schuldet, bleibt Verantwortung eine leere Worthülse. Denn verantworten kann man sich immer nur vor einem anderen. Ein Abgeordneter des französischen Parlaments aus den Pyrenäen mietete in einem Gasthof in Paris einige Zimmer. Als er die hohe Monatsmiete im Voraus bezahlte, fragte ihn der Wirt, ob er eine Quittung wünsche. „Nicht notwendig“, meinte der Abgeordnete, „Gott ist Zeuge.“ Der Wirt lächelte: „Sie glauben an Gott?“ „Natürlich. Sie doch auch?“ „Nein“, antwortete der Wirt, „ich nicht.“ Da besann sich der Abgeordnete: „Ja, wenn das so ist, dann stellen Sie bitte eine Quittung aus.“ Auch von Schuld kann man sinnvollerweise nur dann sprechen, wenn der Mensch, der ein als böse empfundenes Geschehen verursacht, tatsächlich anders hätte handeln können und müssen. Wenn er dazu mangels Freiwilligkeit nicht in der Lage ist, kann es Schuld nicht geben.

Der Mensch, der nichts als die Spitze einer blinden, evolutiven Höherentwicklung rein materieller Faktoren ist, hat nichts und niemanden über sich. Dann kann es auch keinen dem Menschen vorgegebenen, ihn wirklich bindenden ‒ eben verbindlichen – Maßstab für Gut und Böse geben. Die einzige Richtschnur des Verhaltens ist dann das, was der Mensch selbst will. Ethos und Moral, Pflicht und Gewissen werden hinfällig. Ohne einen allgemeingültigen, unbedingt verbindlichen Maßstab für Gut und Böse gibt es kein objektives Unrecht, keine rechtswidrigen Gesetze. Zu Ende gedacht, fällt ohne den göttlichen Gesetzgeber die gesamte Rechtsordnung und ebenso die gesamte Sittenordnung dahin. Die Geschichte beweist es: Die Leugner der Majestätsrechte Gottes waren auch die Totengräber der Menschenrechte. Der Mensch braucht Gott, um Mensch zu bleiben und nicht zum Unmenschen zu entarten.

Erschreckend sind die Auswirkungen der Gottlosigkeit für die unausrottbare religiöse Anlage des Menschen. Von ihr schreibt der Heide Plutarch vor 2000 Jahren: „Du kannst Städte sehen ohne Mauern, ohne Gesetze, ohne Münzen, ohne Schrift. Aber ein Volk ohne Gott, ohne Gebet, ohne religiöse Übungen und Opfer hat noch keiner gesehen.“ So war es vor 2000 Jahren. Wenn Plutarch heute noch lebte, würde er den Gottlosen nicht mit Friedrich Nietzsche fragen: „Du wirst niemals beten, niemals anbeten, niemals in unendlichem Vertrauen ausruhen? Du versagst es dir, vor einer letzten Weisheit, letzten Güte, letzten Macht stehen zu bleiben und deine Gedanken abzuschirren? Du hast keinen Wächter, keinen Freund für deine sieben Einsamkeiten, du lebst ohne den Anblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupt und Gluten in seinem Herzen trägt? Deinem Herzen steht keine Ruhstatt offen, wo es nur zu finden und nicht mehr zu suchen hat? Du wehrst dich gegen einen letzten Frieden? Mensch der Entsagung, in alledem willst Du entsagen? Wer gibt dir die Kraft dazu? Noch fand niemand diese Kraft.“

II.

Die Lage ist total anders, wenn ein allmächtiger Jemand existiert, der aller Zeit und aller Materie voraus ist, der das All und die Entwicklung der Welt bis hin zum Menschen gedacht, gewollt und ins Dasein gerufen hat: Wenn es einen einzigen, allmächtigen, alle materielle Entwicklung transzendierenden und ihr vorausgehenden Gott gibt, dann gibt es einen realen und überzeugenden Seinsgrund sowohl für die Existenz des materiellen Kosmos als auch für die Naturgesetze und für die Evolution bis zum sich selbst erkennenden Menschen. Dann ist nicht ein Etwas, ist nicht blinde Materie und ihr fundamentales Werkzeug, der statistische Zufall, das tragende Fundament der Welt, sondern es ist ein des Erkennens, Wollens und Gestaltens fähiger Jemand. Dann gibt es eine befriedigende Antwort auf die Frage, warum es das Weltall gibt, nämlich deswegen, weil der allmächtige Gott es hervorgebracht hat, ohne irgendetwas anderes, drittes, zu benutzen, allein durch seinen allmächtigen Willen. Dann existiert in der rein geistigen Materie, Raum und Zeit transzendierenden Wesenheit und Allmacht Gottes eine wirkliche und adäquate Seinsgrundlage für die reale Existenz von geistigen, in keiner Weise auf die Materie zurückführbare und aus ihr abzuleitende Wirklichkeiten.

Dann (und nur dann) ist es möglich, dass auch der Mensch mehr ist als die Summe seiner Zellen, dass er nicht nur Leib ist, sondern auch Seele. Allein in der gottgeschaffenen Geistseele hat das einzigartige körperlich-geistige Personsein jedes Menschen ein reales Fundament. Und allein dieses Personsein lässt den Menschen unendlich viel mehr sein als ein weiteres Individuum der Gattung homo erectus. Es macht ihn absolut einmalig in der gesamten Geschichte des Universums. Wenn Gott im Moment der elterlichen Zeugung den geistigen Personkern, die unsterbliche Geistseele jedes einzelnen Menschen schafft und so – für alle Ewigkeit – diesen unaustauschbaren Jemand ins Leben treten lässt, dann gibt es kein einziges Leben, das ein Irrtum oder Betriebsunfall wäre. Und weil er hinsichtlich seiner Seele ebenso unmittelbar Geschöpf Gottes ist wie hinsichtlich seines Leibes Kind seiner Eltern, ist jeder Mensch und sind seine Menschenwürde, seine unveräußerlichen Menschenrechte und speziell sein Recht auf Leben unter allen Umständen und für alle Menschen absolut unantastbar. Niemand auf der Welt, kein Machthaber und kein Gesetzgeber kann in diese Rechte eingreifen, sie „gewähren“ oder nehmen.

In der Geistseele des Menschen gibt es ein reales Fundament für das ganze spezifisch menschliche Erkennen, Wollen, Fühlen und Lieben, wodurch der Mensch sich wesensmäßig und nicht nur graduell vom Tier unterscheidet. Die seelische Geistigkeit des Menschen bildet eine reale, objektive Seinsgrundlage für eine wirkliche Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen. Sie allein macht es möglich, dass das menschliche Handeln nicht ausschließlich von Erbanlage, Trieb uns Umwelt verursacht und determiniert wird, sondern dass der Mensch wirklich in der Lage ist, frei zu handeln, d.h. dem Gesamt aller determinierenden Fremdeinflüsse auf sein Tun und Lassen Widerstand zu leisten und diese womöglich umzustürzen. Nur wenn es diese reale, personale Freiheit gibt, ist die unausrottbare Anlage des Menschen, nach Gut und Böse zu fragen, das Gewissen, kein absurder, anerzogener Schuldkomplex, sondern ein zutiefst sinnvolles Geschenk, durch das der Mensch hellhörig wird für das Wahre, das Gute und das Schöne.

Nur wenn es den ewigen Schöpfergott gibt, existiert eine Raum und Zeit transzendierende Ewigkeit. Und nur dann kann es, wurzelnd in der von Gott geschaffenen Geistseele des Menschen, für den Menschen ein ewiges Leben geben: eine reale Existenz, welche die Grenzen seiner Biologie und deren unausweichlichen Tod überlebt. Und nur, wenn es dieses ewige Leben gibt, besitzt das zeitliche Leben des Menschen ein wirkliches Ziel und einen letzten Sinn, der auch durch das Leid, durch Unglück, Armut, Hunger, Krankheit, Unrecht und Tod nicht verloren geht. Dann – und nur dann – ist auch alles Böse, alles Unrecht auf der Welt nicht das definitiv Letzte und Endgültige, sondern Leid, Schuld und Unrecht sind in letzter Instanz nur das Vorletzte. Es gibt eine letzte, endgültige Verantwortung des Menschen für sein Tun und Lassen auf Erden, eine endgültige Gerechtigkeit, ein definitives Gericht. Jeder Mensch entscheidet mit diesem seinem einen Leben auf Erden unausweichlich über seine Ewigkeit. Darin liegt die letzte Bedeutsamkeit und Würde eines jeden Menschenlebens auf der Erde.

Die Gegenüberstellung der beiden sich ausschließenden Möglichkeiten, die Welt zu sehen, zeigt, dass sowohl das Nein als auch das Ja zur Existenz Gottes bedeutsame Konsequenzen in sich schließt. Es ist alles andere als gleichgültig, ob Gott existiert oder nicht. Die Gottesleugnung vermag nichts aufzubauen, nur zu zerstören. Sie löst nicht ein einziges Problem der Wissenschaft. Sie erklärt kein einziges Rätsel der Natur. Sie bietet keine Stütze, weder dem öffentlichen noch dem privaten Leben. Sie bietet keinen Ansporn für irgendeine Kunst, keinen Antrieb für irgendeine Tugend. Dagegen zerstört sie die Basis der Gerechtigkeit, das Gefühl der Verantwortlichkeit und der Pflicht, nimmt den Leidenschaften jeden Zaum, dem Leiden jeden Trost, zersetzt die Fundamente der Familie und des sozialen Lebens, lässt den Menschen ohne Wahrheit im Denken, ohne Ziel im Wollen, ohne Richtschnur im Leben. Der britische Freidenker Collin traf einen ihm bekannten Arbeiter, der zum Gottesdienst ging. Er fragte ihn: „Ist dein Gott groß oder klein?“ Der Arbeiter antwortete: „Gott ist so groß, dass Ihr Kopf ihn nicht fassen kann, und so klein, dass er in meinem Herzen wohnen kann.“ Nur der real existierende, der lebendige Gott (Dan 6,27) kann der tragende Seinsgrund der menschlichen Existenz sein. Der Grundakt jeder christlichen Existenz besteht daher in dem radikalen Glauben. Im Glauben an Gott, den Allmächtigen, Schöpfer Himmels und der Erde, besteht die christliche Antwort auf die Frage nach Ursprung, Sinn und Ziel der Welt sowie meines ganzen Lebens.

Amen.

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