Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
20. Mai 2024

Die Früchte des Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Judas Thaddäus, nicht der Iskariot, fragte Jesus bei seiner Abschiedsrede, warum er sich nur vor den Juden offenbare und nicht vor der Welt. Er meinte damit, warum er nicht feierlich den davidischen Thron besteige. So fragte er noch am Gründonnerstag. Immer wieder dieselbe bürgerliche Auffassung des neuen Reiches, mit Thronbesteigung und Hofgesinde, mit Königsprunk und Militärdemonstration; ihre Augen waren immer noch von der Karriere gehalten, die sie selbst bei der Proklamation des neuen Reiches machen würden; jeder dieser Galiläer rechnete mit einem Ministerposten. Die Antwort des Herrn: „Keine Thronbesteigung zwischen den Paukenschlägen der nach Sion aufziehenden Garden; nur eine Thronbesteigung in den Seelen der Menschen; sie vollzieht sich in allen christlichen Herzen; der Vater und der Sohn werden zu diesen Menschen kommen und in ihnen Wohnung nehmen; dazu braucht man die Liebe zu Christus und die Beobachtung seines Gesetzes; des Gesetzes Christi und Gottes zugleich; wer dieses Gesetz hält, in dem schlägt Gott seinen Thron auf; so ist es in jedes Menschen Herz gelegt, ob Gott in ihm wohnt.“ Aus dieser Gemeinschaft des Menschen mit Gott brennen drei wunderbare Feuer. Die Erkenntnis, der Friede, die Freude; das sind die Gaben des Pfingstfestes; denn der Paraklet ist das Siegel des Innewohnens Gottes im Menschen; er durchflutet mit der Kraft der Schöpfung und mit der Gnade der Erlösung die ewigkeitsoffene, aufhorchende, gottesdurstige Menschenseele; der Paraklet ist der Frühlingssaft, der die Reiser zu Knospen und Frucht schwellen lässt.

Der Paraklet bringt den Menschen die große religiöse Erkenntnis. „Er wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was immer ich euch gesagt habe.“ Er gibt die fernen Perspektiven philosophisch-theologischer Weltanschauung. Dass die Kirche die Lehre Jesu 2000 Jahre lang unverkürzt und unverfälscht bewahrt hat, ist zuerst und zuoberst dem Wirken des Heiligen Geistes in dieser Kirche zu verdanken. Die Kirche kann nur fortbezeugen, was sie von Christus in der apostolischen Generation gehört und in ihr als zum Glauben gehörig anerkannt hat. Die Kirche bekennt die Selbigkeit des Glaubens in einer wirklichen Geschichte des Glaubens und der Offenbarung auch nach Christus. Das Beharren der Kirche auf Erkenntnissen, die ihr einstmals aufgegangen sind, ist nicht der Geistesschwäche oder der Trägheit der Theologen und Bischöfe zuzuschreiben, sondern der Treue zur Wahrheit. Die Wahrheit veraltet nicht, wird nicht überholt, weicht nicht angeblich neuen Erkenntnissen. Die Wahrheit bleibt. Der katholische Christ spricht mit dem Apostel Paulus: „Wir vermögen nichts wider die Wahrheit, sondern nur für die Wahrheit“ (1 Kor 13,8).

Jedermann weiß, dass der Schatz des Glaubens, die Summe der Glaubenswahrheiten in der katholischen Kirche umfangreicher ist als in den Gemeinschaften, die sich von ihr getrennt haben. Dieser Überschuss ist nicht der Leichtgläubigkeit oder der wuchernden Phantasie von Klerus und Volk zuzuschreiben; er erklärt sich daraus, dass diese Kirche auf das Wehen des Heiligen Geistes hört, der ihr neue Erkenntnisse der alten Wahrheit zuspricht. Analogien aus der Biologie (Kind-Mann, Same-Baum) machen anschaulich, wie trotz äußerer Verschiedenheit eine wesenhafte Gleichheit bestehen kann. Die erwachsene Eiche unterscheidet sich von der Eichel, aus der sie hervorgegangen ist. Dennoch sind Eiche und Eichel miteinander identisch. Das Dogma ist wesenhaft konstant oder unveränderlich. Die unfehlbare Festsetzung dogmatischer Formeln ist das Werk des Heiligen Geistes. Die sprachliche Formulierung und autoritative Vorlage des Offenbarungsgehaltes hat im Laufe der Geschichte Entfaltungen und Fortschritte erlebt. Die Lehrentwicklung in der Kirche ist ganz überwiegend dem Wirken des Heiligen Geistes zu verdanken. Das Walten des Heiligen Geistes vollzieht sich im Denken der Theologen, in den Seelen der Gläubigen und in den Entscheidungen des Lehramtes.

Der Paraklet bringt den Menschen den tiefen religiösen Frieden. „Meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt ihn gibt.“ Friede ist Ruhe in der Ordnung, Einssein mit Gott und Eingeführtsein in die von ihm gesetzten Ordnungen. Der Frieden ist in gleicher Weise Gabe des Vaters wie des Sohnes. Paulus nennt ihn geradezu „Frieden Christi“ (Kol 3,15). Nur in der Gemeinschaft mit Christus wird er gewonnen und bewahrt (Jo 16,33; Phil 4,7; 1 Petr 5,14). Jesus vermittelte den Frieden mit Gott durch seine Versöhnungstat (Eph 2,14-17). Seine Geburt bedeutete „Frieden auf Erden“ für die guten Menschen (Lk 2,14). Der Gottesfriede (Phil 4,7) heißt darum auch der Friede Christi (Kol 3,15). Dieser Friede ist die Frucht der Rechtfertigung (Röm 5,1) und Wirkung des Heiligen Geistes (Röm 8,6; Gal 5,22). Aus dem Frieden zwischen Gott und Mensch (Röm 5,1; Kol 1,20) folgt der Frieden von Mensch zu Mensch (Eph 2,13-19; 4,3-6). Die messianischen alttestamentlichen Prophezeiungen künftigen Glückes betonen vor allem das Geschenk des Friedens (Is 2,2-5; 11,1-9). Der Messias ist „Friedensfürst“ (Is 9,5). Sie finden ihre Erfüllung in dem „Evangeliums des Friedens“ (Eph 6,15; Apg 10,36). Von dem letzten Frieden der Seele mit ihrem eigenen Gewissen und im eigenen Gewissen mit Gott hat die Welt keine Ahnung. Solange man zu ihr gehört, ist jeder Friede Schiebung, Drapierung, Umschichtung. Irgendwo steht noch der blasse Horizont des Kompromisses. In den Teichen gärt noch brodelnde Hefe. Solange dein Auge noch bei der Sünde steht, wird in deiner Seele kein voller Friede. Den wirklichen Frieden gibt nur der Paraklet. Den Frieden, mit dem du sterben kannst.

Der Paraklet bringt den Menschen die religiöse Freude. Freude ist die Befriedigung dank des Besitzes eines erstrebten Gutes. Sie ist um so größer, je höher das Gut und je vollständiger der Besitz ist. Das Streben nach Glück ist ein Grundtrieb der menschlichen Natur. Daher gehört die Freude wie eine Art Erfüllung zum menschlichen Leben. Sie erhöht Lebenskraft und Arbeitslust, überwindet geistige und körperliche Hemmnisse, verlängert das Leben. Das Christentum anerkennt das Recht auf Freude, verlangt aber das rechte Maß nach Gegenstand und Genuss. Es empfiehlt in erster Linie die geistlichen Freuden. Sie entspringen aus der gläubigen Hingabe an Gott und aus wahrem Tugendstreben. Christus sieht die Quelle der Freude in der Willenseinheit mit Gott (Jo 4,34). Die wahre Freude ist eine „Frucht des Heiligen Geistes“ (Gal 5,22). Der in seine Heimat zurückkehrende Herr mahnt seine Jünger zur Freude. „Euer Herz soll nicht aufgehen in dem Gedanken des Abschieds. Ich selber bin der Vollendung des Werkes und der Heimkehr in die Herrlichkeit des Vaters froh.“ In die Gottheit heimzukehren ist dem aus der Welt Wiedereinwandernden ein Genuss. Das Evangelium ist Freudenbotschaft, weil Jesus die (im Alten Testament verheißene) Gottesherrschaft heraufgeführt und sein Erlösungswerk die beglückende Gemeinschaft mit Gott wiederhergestellt hat.

Das sind die Gaben des Pfingstfestes, die der Paraklet an den Fruchtbäumen der jungen Kirche reifen lässt. Das Wissen um die ganze Pracht dieses späten Herbstes soll sie erfüllen und froh stimmen. Wir empfangen diese Gaben in unserer Kirche. In ihrer Verkündigung, in ihren Sakramenten. Was ist es eine Freude zu wissen: Ich lebe in einer religiösen Gemeinschaft, in der nicht menschliche Aufstellungen, sondern göttliche Wahrheit gelehrt und geglaubt wird. Die Kirche ist unfehlbar oder sie ist nicht. Ich zahle keine Kirchensteuer für Kirchen, die in ihrem Fachgebiet nicht einmal unfehlbar sind. Ich verlange von ihr das letzte Wort.

Amen.

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