21. April 2024
Ohne Gott alles Spott
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Am 4. März 2024 beschlossen die französische Nationalversammlung und der französische Senat mit überwältigender Mehrheit, das Recht auf Abtreibung in die französische Verfassung aufzunehmen. Jedes Mädchen und jede Frau in Frankreich kann künftig verlangen, dass die Frucht ihres Leibes getötet, zerstückelt oder erdrosselt wird. Der Staat hat sich verpflichtet, ihnen zu Diensten zu sein. Der Erzbischof von Paris Michel Aupetit erklärte dazu: „Das Gesetz setzt sich gegen das Gewissen durch und zwingt zur Tötung. Frankreich hat den Tiefpunkt erreicht. Es ist zu einem totalitären Staat geworden.“ Es ist dies in der Tat der Abschluss einer Entwicklung, die im 18. Jahrhundert begonnen hat. Seit dieser Zeit steht Frankreich unter dem Einfluss von Leuten wie Voltaire und Rousseau, der Aufklärung, den Enzyklopädisten und dem Materialismus eines Helvétius und Holbach, von Atheisten wie Zola und Sartre. Unsittliche, kirchenfeindliche und religionsfeindliche Schriften verbreiteten sich seitdem über das ganze Land und vergifteten die öffentliche Meinung. Ihre Frucht waren die Französische Revolution und die folgenden Revolutionen des 19. Jahrhunderts. Die Feindseligkeit gegen die Kirche führte bald zum Hass gegen das Christentum. Seit 1793 sagte sich das Regime von jeder christlichen Überlieferung los. Die Entchristlichung nahm ungeheuerliche Ausmaße an. Die christliche Zeitrechnung wurde aufgehoben und durch den republikanischen Kalender verdrängt. Zuletzt schaffte der Konvent durch Dekret vom 7./10. November 1793 das Christentum ab und proklamierte die Religion der Vernunft und der Natur, d.h. den Atheismus. Die Schäden, welche die Revolution zu verantworten hatte, konnten niemals beseitigt werden. Die Revolution ist das Erbübel Frankreichs bis zur heutigen Stunde. Die religiöse Gleichgültigkeit (der Indifferentismus), der ausgesprochene Unglaube und die Religionsfeindschaft behaupten seitdem ein weites Feld. Die Revolution hinterließ eine tiefgehende Spaltung im französischen Volk. Die Entchristianisierungswelle hat den künftigen Dauerkonflikt zwischen einem katholischen und einem antikatholischen Frankreich vorbereitet.
Frankreich und die Kirche in Frankreich kamen im ganzen 19. Jahrhundert nicht zur Ruhe. Die religionsfeindliche Propaganda arbeitete unermüdlich. Die Werke Voltaires und Rousseaus erschienen in hohen Auflagen. Zeitungen verspotteten die Religion und ihre Diener. Weite Kreise des Volkes wurden dauerhaft mit Abneigung und Hass gegen Christentum und Kirche erfüllt. Die Julirevolution von 1830 brachte neue Feindseligkeiten gegen Kirche und Klerus, die Verwüstung von Gotteshäusern und die Plünderung bischöflicher Wohnungen. Die Februarrevolution von 1848 führte die Zweite Republik herauf, die bald durch die Staatsstreiche Napoleons III., eines skrupellosen, sittenlosen Mannes, überwunden wurde. In der zweiten Hälfte seine Regierung setzte eine scharfe antikatholische Politik ein. 1870 wurde die Dritte Republik ausgerufen. Die Kommune von 1871 brachte kirchenfeindliche Ausschreitungen: Plünderung von Kirchen, Ermordung von Priestern und des Erzbischofs von Paris Georges Darboy. 1876 kamen die Republikaner und Freimaurer an die Regierung. Sie eröffneten sofort den Kampf gegen die Kirche gemäß der Parole: „Der Klerikalismus ist der Feind.“ Klerikalismus ist ein täuschender Begriff. Er besagt mitnichten die Abwehr ungebührlicher Rechte der Geistlichen. Was sich unter ihm verbirgt, ist Religionsfeindschaft und Kirchenhass. Unter dem jüdischen Politiker Léon Gambetta wurde das öffentliche Leben systematisch entchristlicht. Eine religionsfeindliche Verordnung folgte der anderen. Der Religionsunterricht wurde vom Lehrplan der staatlichen Volksschulen gestrichen, dem staatlichen Lehrpersonal verboten, ihn zu erteilen. Klöster wurden geschlossen, die Militär- und Spitalseelsorge aufgehoben, Friedhöfe und das Gerichtswesen laisiert, die Ehescheidung erleichtert, die öffentliche Sonntagsruhe abgeschafft. Der Schriftsteller Emile Zola schrieb 1902 in seinem Roman „Wahrheit“: „Frankreich muss die Kirche töten, wenn es nicht von ihr getötet werden will.“ Georges Clemenceau, ein jakobinisch-republikanischer Nationalist, war die stärkste politische Persönlichkeit der Dritten Republik. Er trug nicht umsonst den Namen „der Tiger“. Sein Hass gegen die Kirche konkurrierte mit seiner Feindseligkeit gegen Deutschland. Sein Werk ist der Vertrag von Versailles. Er gilt bis heute als verehrungswürdiger Staatsmann. Einer der zwei französischen Flugzeugträger trägt den Namen Clemenceau. Daran sieht man, dass sich die französische Regierung bis heute zu ihrem revolutionären Erbe bekennt. Das Endziel der Kirchenfeinde war die gänzliche Entchristlichung von Staat und Gesellschaft. 1905 erfolgte die volle Trennung von Kirche und Staat, die bis heute in Frankreich anhält. Die Protestanten begrüßten das Gesetz. Zehntausende religiöse Schulen, Krankenhäuser und andere Einrichtungen mussten schließen. Die Kirche wurde zu einem Privatverein herabgedrückt. Das gesamte inventarisierte Kirchengut (Wohnungen der Bischöfe, Seminargebäude und Pfarrhäuser) wurde beschlagnahmt. Die Kirche verlor alle ihre Güter. Sie muss seitdem von der Mildtätigkeit ihrer Glieder leben. Großer Priestermangel breitete sich in vielen Diözesen aus. Ein Drittel der Pfarreien hatte keinen Seelsorger. Der ererbte Antiklerikalismus, d.h. die Kirchen- und Religionsfeindschaft, blieb in weiten Kreisen des französischen Volkes tief eingewurzelt. Geringfügige Milderungen, die später getroffen wurden, konnten an dem grundsätzlich auf Zerstörung des Christentums angelegten System nichts ändern. Nach der militärischen Niederlage von 1940 wählte das französische Parlament den Marschall Philippe Pétain zum Staatsoberhaupt. Er vertrat das Konzept einer Wiederaufnahme traditioneller Werte (Gott, Familie, Vaterland). Doch seine gutgemeinten Versuche Frankreich moralisch zu erneuern, verliefen im Sand. Er selbst wurde nach dem Krieg zum Tode verurteilt.
Die Verfassung der Fünften Republik von 1958 bestätigte die Trennung von Kirche und Staat. Es heißt darin ausdrücklich, dass Frankreich ein laizistischer Staat sei. Der Laizismus ist ein Grundpfeiler der französischen Republik. Laizismus bezeichnet die grundsätzlich ablehnende Haltung gegen jeglichen kirchlichen Einfluss auf staatliche Belange. Darüber hinaus verweigert der Laizismus der Kirche jede öffentliche kirchliche Einflussnahme. Das Prinzip des Laizismus, die Religion müsse Privatsache bleiben, verkürzt die Entfaltung religiöser Freiheit um ihre äußeren Betätigungsformen im gesellschaftlichen Raum. Der Staat, der gesellschaftlichen religiös motivierten Lebensäußerungen die Förderung vorenthält, verkehrt seine religiöse Indifferenz in eine Diskriminierung der Religion. Der Laizismus, der es dem Staat verbietet, der religiösen Freiheit auch in dem vorstaatlichten öffentlichen Leben (wie der Schule) Raum zu geben, führt ihn in eine weltanschauliche Parteinahme hinein. In ganz Frankreich existieren Zusammenschlüsse von Gegnern des Christentums, die darüber wachen, dass die Öffentlichkeit frei bleibt von religiösen Erinnerungen. Die Absichten und Ziele der Französischen Revolution wurden von den meisten politischen Parteien des Landes übernommen und bilden bis heute ihre ideologische Basis. Dies gilt von Sozialisten und Kommunisten, der Bewegung der Linksradikalen, der Radikalen und Radikalsozialistischen Partei und der Sozialdemokratischen Partei sowie den meisten Liberalen.
Das Bekenntnis zur Französischen Revolution ist festgeschrieben durch den französischen Nationalfeiertag am 14. Juli, der an die Erstürmung der Bastille erinnert. Dass ein Volk ein derartiges Ereignis zu seinem höchsten Festtag machen und daran bis heute festhalten konnte, ist nicht nur ein Skandal, sondern eine Ungeheuerlichkeit. Solange diese Bindung besteht, steht der französische Staat in Abwehr gegen die Religion. Viele katholische Franzosen halten nichts von diesem Feiertag. Ich kenne eine französische Familie, die an diesem Tage die Jalousien herunterlässt und die Vorhänge zuzieht, um auf diese Weise ihre Abneigung gegen die jakobinische Republik kundzutun. Auch nur die Erinnerung an die Religion, Gott und die Gebote Gottes ist aus der französischen Öffentlichkeit verdrängt. Ein Beispiel. Am 21. Dezember 2021 entschied das Verwaltungsgericht von Nantes, die Statue des heiligen Erzengels Michael in der Stadt Les Sables-d`Olonne müsse entfernt werden, weil sie nicht dem Trennungsgesetz von 1905 entspreche.
Die Schule ist der Ort, an dem die geistigen Erben der Revolution die stärkste Energie einsetzen. Die künftige Generation soll religionslos bleiben. Wer die Religion von der Schule ausschließt, handelt nicht neutral, sondern religionsfeindlich. Die Einheitsgewerkschaft der Lehrer steht in der Tradition des Laizismus. Als in dem Gymnasium der Stadt Lagny-sur-Marne vor Weihnachten eine kleine Tanne ohne Schmuck aufgestellt wurde, erhob sich Protest; die Tanne musste entfernt werden. In andauernden schweren Kämpfen haben die französischen Katholiken um die Möglichkeit gerungen, nichtstaatliche Schulen zu errichten. Das freie Schulwesen besteht zu über 93% aus schulgeldpflichtigen katholischen Privatschulen. Ihre Gründung und ihr Unterhalt erklärt sich aus der Feindschaft oder der Gleichgültigkeit der Lehrer an den staatlichen Schulen gegen Religion und Kirche.
Frankreich ist kein christliches Land mehr. Offizielle Zählungen der Religionszugehörigkeit finden nicht statt. 1997 erklärten 24 Prozent der Franzosen, weder religiöse Weltanschauung noch Praxis zu haben. Die 15-40-Jährigen lösen sich immer mehr von der Religion. Nach der jüngsten Umfrage des Kantar-Instituts gaben 52 Prozent der jüngeren Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren an, keiner Religion anzugehören. Nur 18 Prozent sagten, sie seien katholisch. Die Zerstörung des Christentums ist stets begleitet vom Niedergang des sittlichen Verhaltens. Die Verdrängung der Religion aus der Öffentlichkeit nährt sich auch aus dem Verlangen großer Teile der Bevölkerung, nicht in ihrer unmoralischen Lebensweise durch die Verkündigung der christlichen Moral gestört zu werden. Das gilt vor allem von dem geschlechtlichen Gebiet. 40 Prozent der Ehen werden geschieden. In jedem Jahr werden in Frankreich 200000 Kinder im Mutterleib getötet. Von mehreren Präsidenten, also den höchsten Repräsentanten der französischen Republik, ist bekannt, dass sie unsittliche oder ehebrecherische Beziehungen unterhalten oder Bordelle besuchen.
Die Französische Revolution ist eines der folgenschwersten Ereignisse der neueren Geschichte nicht nur für Frankreich. Unser Nachbarland besteht in seinem Inneren aus zwei Nationen, einer starken, ja übermächtigen, weltlichen, areligiösen Nation und einer schwachen, niedergehaltenen, katholischen Nation. Bruce Marshall, der viele Jahre in Frankreich verbracht hat, schreibt in seinem Roman „Keiner kommt zu kurz“: „Vielleicht war das größte Übel für Frankreich, dass kein Mensch mehr wagte, seinen Glauben öffentlich zu bekunden.“
Amen.