Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
Wunder
14. April 2024

Der Blindgeborene und der gute Hirt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Erzählung vom guten Hirten, die das Evangelium des heutigen Sonntags abgibt, ist eingebettet in den Bericht von der Heilung des Blindgeborenen. Zum Laubhüttenfest kommt Jesus, nahe dem Tempel, an einem Blinden vorbei. Im Schatten der Tempelsäulen hat er seinen Stand genommen und sich polizeilich angemeldet; eine Tafel auf der Brust: „Seit Geburt blind“. Für die jüdische Theologie bedeutet das eine Strafe Gottes. Die Jünger quälen sich und diskutieren die Frage, ob er die Strafe verschuldet hat oder die Eltern. Sie richten die Frage an den Meister. Jesus antwortet: „Was die Sache angeht, so haben weder er noch seine Eltern gesündigt. Aber was braucht ihr die theoretische Lösung all dieser Fragezeichen; die Rätsel der Natur sollen nicht zu müßiger Diskussion, sondern zu schöpferischer Hilfe anregen. Auch dieses furchtbare Menschenschicksal hat seinen Sinn. Es löst sich in der Wunderheilung des Messias. Er wird seinem Beruf, das Licht der Welt zu sein, durch den Blindgeborenen zur Evidenz bringen.“ Christus wirkt das Wunder. Er mischt Speichel und Staub. Er streicht den Teig auf die Augen des Blinden. Er schickt ihn zum Teich Siloam. Dort soll er sich waschen. Der geht fort, wäscht sich und kommt sehend zurück.

Es folgt eine überaus anschauliche Szene mit der Bevölkerung. Die einen sagen: „Er ist es.“ Die anderen sagen: „Er sieht ihm nur ähnlich.“ Er selbst sagt: „Ich bin es wirklich.“ Da fragen sie ihn: „Wie bist du sehend geworden?“ Jener antwortet: „Der Mann, der Jesus heißt, strich mir den Teig auf die Augen und schickte mich zum Teiche mit der Aufforderung, mich zu waschen. Ich bin hingegangen, habe mich gewaschen und bin sehend geworden.“ Dann fragen sie ihn: „Wo ist der Mann?“ Er antwortet: „Ich weiß es nicht.“ So bringen sie ihn zu den Pharisäern. Da es Sabbat war, als die Heilung geschah, regen sie sich über das Wunder auf und bedeuten ihm: „So etwas kann nur ein Gesetzesverächter tun, der den Sabbat schändet. Wundertäter können nicht Sünder sein.“ Sie reden auf den Blindgeborenen ein: „Was sagst du selber von ihm?“ Er antwortet: „Der mich geheilt hat, ist zum wenigsten ein Prophet.“ Die Antwort ist ihnen peinlich, und sie zweifeln erneut an seiner Identität. Zur Beglaubigung rufen sie seine Eltern und fordern ihr Zeugnis: „Ist das hier euer Sohn, von dem ihr behauptet, er sei blind geboren worden? Wie kann er denn jetzt sehen?“ Die Eltern antworten: „Das ist bestimmt unser Sohn, und er ist auch bestimmt blindgeboren. Wieso er jetzt sieht, wissen wir nicht. Wir wissen auch nicht, wer ihm das Gesicht gegeben hat.“ Den Eltern wird das Verhör lästig. Ihr Sohn sei alt genug, sie sollen sich an ihn halten.

Unterdessen sind die Juden einig geworden, dass dieser Überläufer zum Christentum exkommuniziert werden muss. Vorher noch ein letztes Verhör. Er solle Gott die Ehre geben und gegen Christus entscheiden. Sie wüssten bestimmt, dass dieser Heiler ein Sünder sei. Jener antwortet prachtvoll mit der naiven, schlagenden Logik der Landstraße und des kleinen Volkes: „Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass ich blind war und jetzt sehe.“ Nun soll er noch einmal die Einzelheiten erzählen. Darauf entgegnet er: „Ich habe euch doch alles das schon im Detail gesagt. Oder wollt ihr etwa seine Jünger werden?“ Da beschimpfen sie ihn und sagen: „Du bist sein Jünger. Wir halten uns an Moses. Wir wissen, dass Moses der große Mann Gottes war. Woher der andere kommt, wissen wir nicht.“ Da antwortet der Geheilte wiederum in seiner ganzen Ursprünglichkeit: „Das ist doch wunderbar, dass ihr nicht wisst, woher er kommt, da er mich doch sehend gemacht hat. Gott bedient sich nicht der Sünder. Nur wenn einer gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er. Das ist doch eine unerhörte Sache, einen Blindgeborenen sehend machen. Wenn der nicht von Gott wäre, könnte er es nicht schaffen.“ Dann schneiden sie gereizt die Debatte ab und erklären: „Deine Blindheit ist Zeugnis genug, dass du in Sünden geboren bist. Nun nimmst du dir gar heraus, uns zu belehren.“ Da exkommunizieren sie ihn, stoßen ihn aus der Synagoge.

Den Ausgestoßenen trifft der Herr. „Glaubst du an den Sohn Gottes, der Gott gleich ist, der die Wunderkraft Gottes selber hat, dem Jahwe sie nicht wie einem Propheten erst leiht?“ Jener antwortet: „Ich bin bereit zu glauben, aber sage, wer ist das, o Herr?“ Da sagt Jesus: „Der mit dir spricht, der ist es.“ Darauf jener: „Ich glaube, o Herr“, und er wirft sich vor ihm nieder. Jesus sagt, zu den Pharisäern gerichtet: „Ich bin in die Welt gekommen, dass die Blinden sehend werden. Mit den körperlichen Augen öffnen sich die geistigen. Meine Wunder sind Propaganda für das neue Christentum. Die Sehenden aber, die sich sehend dünken, bleiben blind.“ Ein paar Pharisäer beziehen diese Bemerkung auf sich. „Gehören wir etwa zu den Blinden?“ Der Herr entgegnet: „Ach, wäret ihr blind, dann wäre eure Haltung vielleicht entschuldbar. Nun aber sagt ihr von euch, dass ihr sehet, so tragt ihr die Verantwortung.“

Auf die Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen folgt im Evangelium des Johannes die Selbstdarstellung des Herrn als des guten Hirten. Zum Anfang schildert er die jüdischen Religionsführer: „Ihr seid schlechte Hirten. Ihr tragt die Verantwortung für dieses im Grunde tüchtige Volk, das eine heilsgeschichtliche Mission hat; ihr verkehrt sie in das Gegenteil. Ihr führt eure Herde, anstatt in den Saft der Alm, in das Gestrüpp der Wüste.“ Danach beschreibt der Herr seinen eigenen Hirtendienst. „Ich bin der gute Hirt. Er kennt und liebt seine Herde. Er steht morgens an der Hürde und ruft die Namen seiner Schafe. Einen jeden Namen weiß er. Morgens recken sie ihre Köpfe und springen auf ihn zu. Er kümmert sich um jeden einzelnen. Ihre Sorgen, ihre Aufgaben, ihre Gefahren gehen ihm nach. Kein Glied der Herde ist ihm zu gering. Die tiefste Intimität, die er kennt, sein Verhältnis zum Vater, ist ihm Maß und Umfang seiner Beziehung zur Herde und zu jedem einzelnen Glied derselben. Das gilt nicht nur für die Herde, die zwischen Kapharnaum und Jericho in Galiläa und Judäa weidet, für die in die Härte des mosaischen Gesetzes eingeengte Herde. Es gilt auch für Samaria. Es gilt für Phönizien. Es gilt für Ägypten und Babylon. Es gilt für den Erdglobus. Und wenn es auf dem Mars und auf dem Saturn Menschen gibt, so umfasst sein Hirtenblick auch sie, alles was Menschenantlitz trägt.“ Er kennt sie, er liebt sie, bringt für sie ein Maß von Güte, Sorge und Opfer auf, das sich in der Weltgeschichte nicht wiederholt. Es ist kein realer Fall, dass Hirten für ihre Herden sterben; Hirten wollen ihre Herden führen. Aber er darf sagen, dass seine Sorge um die Herde bis zur Selbstaufopferung geht. Er ist der große Hirt, dessen ganze Liebe aus der durchbohrten Seite des Gekreuzigten fließt. Es gibt für das jüdische Volk und die Völker der Erde nur einen Hirten, dem sie folgen können. Das ist er.

In seiner Hirtenrede stellt der Herr zwei Gleichnisse vor. Das erste Gleichnis steht unter dem Thema: Der Hirt und der Dieb und Räuber. Das zweite Gleichnis setzt den Hirten und den Mietling nebeneinander.

I.

Mit dem Hirten meint Jesus sich selber. Unter den Schafen sind die für den Glauben und für das Heil bestimmten Menschen, also die Auserwählten zu verstehen. Unter dem Dieb und Räuber sind alle diejenigen gemeint, welche die Auserwählten verderben. Sie treten mit dem gleichen Anspruch auf, den Jesus erhebt. Doch der Herr streitet ihnen die Rechtmäßigkeit ihres Anspruches ab. Er beschuldigt sie, dass sie die zum Glauben Berufenen ihrem rechtmäßigen Besitzer entreißen und verderben wollen. Er und sonst niemand ist von Gott gesandt, um den zum Heil Erwählten das ewige Leben zu bringen. Wenn Jesus mit den vor ihm Gekommenen bestimmte Konkurrenten im Auge hat, so werden darunter die falschen Messiasse, deren es damals viele gab, insbesondere die Führer der Zeloten, zu verstehen sein. Sie fanden im jüdischen Volk Anhänger, aber die „Schafe“, d.h. die Seinen, hörten nicht auf ihre Stimme und folgen ihnen nicht. Jesus und er allein vermittelt (als Tür zu den Schafen) die Zugehörigkeit zur Gemeinde der Heiligen, der Auserwählten, und den Empfang der Heilsgüter, Rettung im Gericht und ewiges Leben. Nur diejenigen sind rechtmäßige Hirten der Schafe, die ihre Sendung von ihm empfangen. Alle anderen, die sich als Hirten ausgeben, sind in Wirklichkeit Zerstörer der Herde.

II.

Das zweite Gleichnis der Hirtenrede Jesu stellt den Hirten und den Mietling nebeneinander. Der gute Hirte ist der rechte, seines Namens würdige Hirt. Der Mietling, d.h. der Schäferknecht, der bezahlte Hüter der Schafe, ist das nicht. Der gute Hirt lebt ganz für die Schafe. Das offenbart sich am deutlichsten in der Situation, in der das Hirtentum seine Probe bestehen muss, in dem gefahrvollen Augenblick, wo der Wolf in die Herde einbricht. Der echte Hirt setzt dann alles, sogar sein Leben für die Schafe ein. Der Mietling lässt die Schafe im Stich und flieht, um sein eigenes Leben zu retten. Sein Verhalten hat darin seinen Grund, dass er nicht der Eigentümer der Schafe ist und ihm deshalb nichts an ihnen liegt. Jesus als der gute Hirt kennt seine Schafe. Es ist dies nicht bloß ein Erkennen verstandesmäßiger Art, sondern es schließt die gegenseitige Liebe in sich. Den Lebenseinsatz für die Schafe hat er in seinem Tod bewiesen. Äußerlich betrachtet war es ein gewaltsamer Tod, aber in Wirklichkeit ist sein Sterben eine freiwillige Lebenshingabe. Niemand kann ihm das Leben entreißen; er gibt es von sich aus hin. Diese Hingabe hat ihren letzten Grund in dem Willen seines Vaters. Von ihm hat er die Vollmacht bekommen, sein Leben hinzugeben und es wieder zu nehmen (in der Auferstehung). Er handelt auf das Geheiß des Vaters. Um die Sünde der Welt endgültig wegzutragen, muss sein Opfer ein sündloses, d.h. ein Gott wohlgefälliges und ein von Gott gewolltes sein. Ginge Jesus eigenmächtig in den Tod, so versündigte er sich gegen Gottes Willen. Ginge er diesem Geschick aus dem Wege, so täte er das gleiche. Da in dem göttlichen Heilsplan der Tod Jesu das Mittel zur Erlösung der Welt ist, so ist es nur folgerichtig, dass der Vater ihn liebt, weil er weisungsgemäß sein Leben hingibt. Wegen der Hirtenrede Jesu entstand eine Spaltung unter den Juden. Viele sagten: Er hat einen bösen Geist und ist wahnsinnig. Warum hört ihr ihn an? Andere bemerkten: Das sind nicht Worte eines Besessenen. Ein böser Geist kann nicht Blinden die Augen öffnen. Nur der gute Hirt vermag es. Erneuern wir unser Vertrauen auf Jesus unseren Hirten. Das gläubige Volk singt in dem Kirchenlied: „Gelobt sei Jesus Christus in alle Ewigkeit, der als der gute Hirte uns nährt zur rechten Zeit. Er schützet Leut’ und Land durch seine starke Hand. Gelobt sei Jesus Christus.“

Amen.

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