Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. März 2024

Fünftausend Männer

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nun hat der Täufer geendigt. Das Haupt des gedankenvollen, des ernsten, des überragenden Propheten ist der Leichtfertigkeit der Herodias zum Opfer gefallen. Seine Predigt erschüttert nicht mehr, den Jordan auf und ab, die Gemüter des Landes. Wird Herodes sich jetzt an den Nazarener wagen?

Die Volksmenge folgt Jesus von Dorf zu Dorf. Seine Wunder und die Heilungen, die er an den Armen Galiläas wirkt, mehren diese Menge von Tag zu Tag. Er steht auf dem Höhepunkt seiner galiläischen Wirksamkeit; er weiß sich ihrem Zustrom nicht mehr zu entziehen. So besteigt er das Boot und fährt vom Osten zum Westen der Küste, auf Bethsaida Julias zu. Ein paar Tage, jenseits des Sees, in den Schluchten des Ufers, sicher vor Herodes, in der Einsamkeit zu beten und die Apostel in die Tiefe ihrer Zukunftsarbeit einzuführen. Aber die Menge lässt ihn nicht. Sie wandert um das Halbrund des Sees und erreicht ihn drüben wieder. Fünftausend Männer. Das Osterfest ist nahe. So ist die Halde mit grünem Gras bestanden. Der Herr steigt auf die Anhöhe und lässt sich dort mit den Jüngern nieder. Wie viele Menschen, die ihm gefolgt sind! Zu Philippus sagt Jesus: „Woher sollen wir Brot kaufen, dass diese essen können?“ Philippus ist in dem nicht allzu weit entfernten Bethsaida beheimatet, wo man das nötige Brot kaufen könnte, um die Leute zu speisen. Die Frage ist aber nicht ernst gemeint. Denn Jesus hat von vornherein die Absicht, die Menge auf wunderbare Weise zu sättigen. Er will mit ihr nur seine Jünger auf die Probe stellen, ob sie aus dem bisherigen Wirken ihres Meisters gelernt hätten, dass er durch ein Wunder dem Hunger des herbeiströmenden Volkes abhelfen könne. Philippus bemerkt die Absicht Jesu nicht und bekennt seine Ratlosigkeit, da 200 Denare (über die vielleicht ihre gemeinsame Kasse verfügte) nicht ausreichten, um auch nur die unbedingt nötige Menge Brotes zu beschaffen. Die Jünger rechnen aus. Was sind zweihundert Denare, die sie bei sich führen, damit ein jeder auch nur ein wenig bekomme? Andreas, der Bruder des Simon Petrus, meldet: „Es ist ein Knabe hier mit fünf Gerstenbroten und zwei getrockneten Fischen. Allein, was ist das für so viele?“ Das Gerstenbrot ist die palästinensische Volksnahrung. Die getrockneten Fische sind die Zukost am See Genesareth. Wie genau sich der Evangelist Johannes auch der kleinen Züge erinnert. Also zweihundert Denare, fünf Gerstenbrote, zwei getrocknete Fische. Was ist das für fünftausend Männer, die Frauen und Kinder nicht mitgerechnet. Durch die Frage Jesu und die Feststellung der Ratlosigkeit der Jünger wird schon im Voraus die Größe des Wunders ins rechte Licht gestellt.

Sie sollen sich niedersetzen. Jesus nimmt die Brote in die Hand. Als jüdischer Hausvater spricht er den Segen, das Tischgebet. Dann teilt er aus, indem er die Brote bricht. Er hat das immer mit einem typischen Gestus getan. Diese Art, mit dem Daumen und der Hand zuzufassen, war ihm eigentümlich. Die Emmausjünger erkennen den fremden Gast am Brotbrechen. Er nahm die Brote, „er teilte sie aus“. Nicht nur die Gerstenbrote, sondern auch die Fische. Und sie alle, die Fünftausend, die Siebentausend wurden satt. Und wie wenn nichts geschehen wäre, sagte er seinen Jüngern, den Zwölfen: „Nun nehmt jeder einen Korb und sammelt die Reste ein.“ Es soll auch nicht eine Kruste verkommen; heilig ist das Brot. Da sammelten sie, und ihre Körbe stauten sich von den Brosamen, die umherlagen. Die zwölf Körbe stellen die Größe des Wunders noch einmal anschaulich dar. Erst als sie diese Körbe sahen, sind die hungrigen, nun gesättigten Menschen nachdenklich geworden, haben sich an die Stirn gefasst und haben zueinander gesprochen: „Das ist doch ein fabelhaftes Wunder, das hier geschehen ist.“ „Seit den Zeiten der Propheten ist ähnliches Israel nicht begegnet.“ „Wahrhaftig, das ist der größte Prophet, der je auf diese Welt stieg.“ Das Wunder macht auf die Volksmenge einen gewaltigen Eindruck. Die bei den Galiläern leicht entzündbaren messianischen Hoffnungen werden lebendig. Sie schließen aus dem Wunder, dass in Jesus der durch Deuteronomium 18,15 angekündigte Prophet erschienen sei, der in die Welt kommen und die Heilszeit heraufführen soll. Sie verstehen also unter dem Propheten von Deut 18,15 offenbar den Heilsbringer selbst, den messianischen König. Diese Rede steigt wachsend bis zur Anhöhe, auf der sich Jesus niedergelassen hat. Er kennt die Sprache seines Volkes wie selten einer, der ihn geistig fasst. Er weiß, was sie von ihm denken: Er ist der Volkstribun, der Heerführer, der Herrscher, mit dem sie Pontius Pilatus schlagen wollen. Jesus merkt die Absicht des Volkes. Ach, das ist nicht sein Beruf. „Als Jesus erkannte, dass sie kommen und ihn mit Gewalt fortführen würden, um ihn zum König zu machen, floh er auf den Berg, er ganz allein.“ Er nimmt die Apostel nicht mit. Er geht tief ins Gebirge. Er ganz allein.

Die Berichte aller vier Evangelien über die von Jesus vorgenommene Brotvermehrung geben eine geschichtliche Begebenheit, und zwar ein Wunder, wieder. Die Stillung des leiblichen Hungers ist aber nicht der Hauptzweck des Geschehens. Dieser liegt vielmehr in der Offenbarung der göttlichen Machtfülle Jesu. Er gibt denen, die ihm nachfolgen, das zum Leben Notwendige, so dass sie bei ihm in jeder Hinsicht geborgen sind.

Nun gehen liberale und ungläubige Theologen daran, das Wunder der Brotvermehrung wie alle anderen Wunder Jesu zu bestreiten. Sie weisen sie der Erfindung seiner Anhänger und der wuchernden Legende zu. Die Leugnung der Wunder Jesu beruht auf der vorgefassten Meinung, dass sie unmöglich seien. Die Leugner derselben halten dafür, dass es in der Welt und in der Geschichte allezeit und ausnahmslos gewöhnlich, alltäglich zugeht gestern wie heute. Wunderbare, einzigartige Ereignisse könne es nicht geben. Zu dieser Ansicht muss man kommen, wenn man nur mit Menschen rechnet. Was bei diesen einmal geschieht, ist immer möglich. Allerdings geschehen auch durch Menschen unvorhergesehene Taten. 1913 stellte der Breslauer Chemiker Friedrich Bergius aus Kohle Benzin her. Die Entdeckung von Bergius war kein Wunder, aber eine hochbedeutsame wissenschaftliche Leistung mit ungeahnten wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Sache sieht anders aus, wenn Gott ins Spiel kommt. Er ist der absolute Herrscher und Schöpfer. Seine Allmacht und Weisheit überragt alle menschlichen Möglichkeiten. Gott ist für Überraschungen gut. Schon seine Schöpfung verblüfft das menschliche Denken. Warum hat er etwas außerhalb seiner Gottheit geschaffen? Warum ist das Nichts nicht das Nichts geblieben? Die Schöpfung ist einmalig und einzigartig. Kein Mensch hätte sie ausdenken können. Noch viel überraschender ist, dass Gott die zweite Person in der Dreieinigkeit bestimmte, sich mit einer menschlichen Natur zu verbinden und ein menschliches Leben zu führen. Die Menschwerdung Gottes ist unerhört. Das Erscheinen Gottes auf Erden ist einmalig und einzigartig. Es wiederholt sich nicht. Gott ist gut für Überraschungen. Dass dann in dem Leben des Gottmenschen außerordentliche Dinge, nie dagewesene und niemals wiederholte Geschehnisse sich ereigneten, ist alles andere als undenkbar. Es war von einem solchen Wesen zu erwarten.

Wundertaten bilden nach allen Evangelien einen wesentlichen Bestandteil des öffentlichen Wirkens Jesu. Es ist unmöglich, sie als Schöpfung des urchristlichen Gemeindeglaubens hinwegdeuten zu wollen. Es hat nie eine Überlieferung von Jesus ohne Wunder gegeben. Wir kennen Jesus als Wundertäter oder wie kennen ihn überhaupt nicht. Seine Lehrtätigkeit und seine Wunder bilden nach der gesamten Evangelienüberlieferung eine untrennbare Einheit. „Jesus zog umher durch alle Dörfer und Städte, lehrte in den Synagogen, verkündigte die Frohbotschaft vom Reiche und heilte jegliche Krankheit und jegliches Gebrechen“ (Mt 9,35; Mk 1,39). Jesus selbst weist in seinen Reden immer wieder auf die Wunder als die Bestätigung, als das göttliche Siegel seiner Sendung und Messiaswürde, als ein zum Glauben verpflichtendes Zeugnis Gottes über ihn hin. Manche Reden Jesu, wie die Beelzebulrede (Mk 3,22-30), sind ohne die Voraussetzung der Wunder gar nicht denkbar. Die Wunder sind ein Beweis der Messiaswürde und Gottessohnschaft Jesu. Sie bestehen aus Krankenheilungen aller Art, Dämonenaustreibungen, Totenerweckungen und Naturwundern (wie das Speisungswunder und das Wandeln auf dem See). Aus der Fülle der von Jesus gewirkten Wunder haben die Evangelisten eine Auswahl getroffen. Danach wirkte er 16 Krankenheilungen, 3 Totenerweckungen, 6 Dämonenaustreibungen, 8 Naturwunder. Die Versuche, Jesu Wunder wegzudeuten, scheitern zweitens an den Umständen mehrerer Heilungen (Mk 2,1-12): nicht der Glaube des Gelähmten, sondern der Glaube des anderen ist die Voraussetzung des Wunders, namentlich der aus der Ferne gewirkten Wunder. In zahlreichen Wundererzählungen erscheint der Glaube, das Vertrauen des zu Heilenden als Vorbedingung für das Wunder. Dabei handelt es sich nicht um eine psychische Verfassung, die als notwendige Voraussetzung für das Gelingen des Wunders zu verstehen ist. Denn in vielen Fällen tritt an die Stelle des Glaubens der Kranken der Glaube anderer. Insbesondere bei den Heilungen von Besessenen ist es klar, dass Jesu Wunderkraft von der seelischen Verfassung derer, an denen das Wunder gewirkt wird, gänzlich unabhängig ist. Jesu Wunder unterscheiden sich von den angeblichen hellenistischen Wundern durch das Fehlen aller Zaubermittel. Jesu Wunder werden durch sein krafterfülltes Wort gewirkt, nicht durch die Anwendung von Zauberformeln. Das Eigentümliche an Jesu Wundern ist ihr Zeichencharakter. Sie sind – ebenso wie seine Predigten – Offenbarungen der im Anbruch befindlichen Gottesherrschaft. Gott ist es, der in beiden zum Glauben aufruft. Nie hat Jesus für sich selbst ein Wunder gewirkt weder zur Selbsthilfe noch als Schauwunder. Die stärkste Stütze ihrer Geschichtlichkeit empfangen die Wunder Jesu aus seinem Selbstbewusstsein. Sie sind Taten, Selbstoffenbarungen des Gottessohnes.

Man hat versucht, die Wunder Jesu natürlich zu deuten, nämlich durch Psychotherapie (Suggestivheilmethode), aus der von Jesu außergewöhnlicher Persönlichkeit ausgehenden seelischen Wirkung auf die Kranken. Diese Versuche scheitern erstens an dem Charakter verschiedener, in den Evangelien genannten Krankheiten. Aussatz und Lähmung spotten jeder suggestiven Einwirkung. Außerdem hat Jesus von den Mitteln der Suggestivheilmethode nachweislich keinen Gebrauch gemacht. Er hat Kranke nicht durch Gebet noch durch Sprechen von Zauberformeln gesund gemacht, sondern durch sein Machtwort, durch einen bloßen Willensakt. Und das nicht in entlegener Vorzeit, sondern in geschichtlicher Zeit, nicht an entfernten Orten, sondern inmitten von Städten und Dörfern, nicht im Geheimen, sondern vor vielen Zeugen. Über die Quelle der Wunderkraft Jesu sagt Petrus (Apg 10,38), dass er von Gott mit besonderer, göttlicher Kraft ausgerüstet war. Das gleiche bezeugt Jesus selbst: „Wenn ich durch den Geist Gottes die Dämonen austreibe“ (Mt 12,28). Jesus tat seine Wunder vermöge der Kraft, die er als Messias und Gottessohn besaß. So kann er (Joh 2,11) sagen: „Er offenbarte (durch seine Wunder) seine (göttliche) Herrlichkeit.“ Für die prüfende Vernunft besteht kein Zweifel an ihrer Tatsächlichkeit. Die Brotvermehrung bestätigt die Menschwerdung Gottes. Der Schöpfer ist auf seine Erde niedergestiegen und beweist seine Schöpfungskraft. Die Brotvermehrung ist nicht anders als die Weltschöpfung das Erschaffen aus dem Nichts. So ist auch die Brotvermehrung keine Zumutung an den Verstand, sondern ein Ausfluss und eine Bestätigung der gottmenschlichen Macht des Jesus von Nazareth. Wir können uns den Teilnehmern an dem Mahl nur anschließen und sprechen: „Wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater.“ Amen.

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