Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Februar 2024

Es ist der Herr

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Sie kommen von Caesarea Philippi, den See entlang. Dieser spiegelblanke und wieder wellengetürmte See ist es, um dessen Ufer sich zahlreiche Begebnisse des Lebens Jesu abspielen. Sie gehen mit dem Meister bis an die Schlucht des Berges der Verklärung. Der hohe Berg lag wohl in der Gegend von Caesarea Philippi im Hermongebirge. Origenes, der Schriftsteller des dritten Jahrhunderts, meint, es sei der Berg Tabor. Seit Cyrill von Jerusalem wurde die Annahme, der Tabor sei der Berg der Verklärung, allgemein akzeptiert. Dann bleiben die anderen zurück. Mit dreien nur steigt Jesus durch das Dunkel der Nacht die Schlucht entlang zur Höhe des Plateaus: Petrus, Jakobus und Johannes. Es sind dieselben, die er mit sich nahm, als er im Garten Gethsemane den Leidenskampf mit dem himmlischen Vater ausfocht (Mk 14,33). Im Winkel des aufstrebenden Waldes, abseits der Jünger kniend, betet Jesus die feierlichen Stunden. Die Apostel ruhen, wie am Ölberg, irgendwo am Rande der Schlucht. Sie sind von der Wanderung und von den Ereignissen der letzten Tage übermüdet und träumen in die galiläische Nacht. Lukas berichtet: „Petrus und seine Begleiter waren in tiefen Schlaf gesunken“ (Lk 9,32).

Als der Morgen anbricht, trifft die gesenkten Lider der Apostel ungewöhnliches Licht. So strahlend hat sie nie die Sonne des Ostens geweckt. Hinter ihr ist eine andere Sonne aufgegangen, die ihnen die Augen öffnet. Sie blicken auf. Es ist der Herr. Er ist es selber. Verwandelt steht er da. Sein Angesicht ist wahrhaftig leuchtend wie die Sonne. Dieser Glanz ist auf seine Kleider übergesprungen und leuchtet schneeweiß in ihren Augen. Seine Gestalt erstrahlt in übernatürlichem, nicht von außen an ihn herangebrachtem Lichtglanz, der Daseins- und Erscheinungsform der himmlischen Wesen, die er nach seiner Auferstehung für immer besitzt. In diesem Ereignis bricht für einen Augenblick die himmlische Welt in das Leben des irdischen Jesus herein. Die Herrlichkeit des auferstandenen Christus kommt zur Anschauung. Jesu Verklärung ist somit eine kurze Vorwegnahme seiner Eschatologie. Markus, der sich auf die Handwerke seiner Heimat versteht, findet keinen Vergleich. Er schreibt: Die Gewänder leuchteten in glänzendem Weiß, „wie sie kein Walker (Gerber) auf Erden so leuchtend machen kann“. Thomas von Aquin nimmt ein oberflächliches Leuchten an. Hieronymus denkt an eine vollständige vorübergehende Umgestaltung des Leibes in den Zustand der Verklärung. Von göttlicher Natur kündet dieses Leuchten nichts, denn Moses und Elias leuchteten ähnlich (Lk 9,31). Es soll vielmehr die Herrlichkeit andeuten, in die Christus durch sein Leiden eingehen wird.

Jesus steht nicht allein vor seinen auserwählten Aposteln. Zwei Gestalten schweben um ihn. Sie wissen nicht, wer das ist; ehrwürdige Gestalten, aus den Gräbern aufgestiegen, aus grauer Vorzeit ihres Volkes erweckte. Nun horchen sie auf das Gespräch der beiden Gestalten mit ihrem Herrn. So wird ihnen klar, dass das die beiden Heroen der vorchristlichen Judengeschichte sind: der prominente Organisator Israels, Moses, der Gesetzgeber, der politische Führer, der „Vater des Vaterlandes“, der das Volk aus Knechtschaft zur Freiheit geführt und aus Anarchie zur Gesetzmäßigkeit gehämmert hat, und der unvergleichliche Prophet Elias, der das Geheimnis der religiösen Berufung dieses Volkes am allertiefsten, ganz aus dem Brunnen seiner Vergangenheit und seines Mysteriums, erfasst und formuliert hat. Moses und Elias galten als Vorläufer des Messias. Ihr Erscheinen beweist, dass Jesus der Messias ist. Gesetz und Propheten finden in ihm ihre Erfüllung.

Bald ist auch das Thema des Gespräches erraten. In Caesarea Philippi hat Petrus im Auftrag des Jüngerkreises den Glauben an den Messias offen proklamiert. Aber über die Schwelle dieses Glaubens reicht sein Auge nicht. Er bleibt in den Grenzen befangen, die der Literatur des letzten Jahrhunderts vor Christus in Palästina gezogen sind. Sie bejahen den Davidssohn und biegen ihn nationalistisch um. Die tiefe Schau des Gottesknechtes, der misshandelt am Boden liegt, den Geißel und Kreuz treffen, ist in ihren Seelen nicht angekommen. Das ist jetzt anders. Moses und Elias, die größten Gottesmänner der Vergangenheit, sprechen mit Jesus über seinen Ausgang in Jerusalem (Lk 9,31) und finden diesen dem Willen Gottes entsprechend. So umspannt das Gespräch der drei Verklärten diese letzte Tiefe seines Wesens. Aus dem Mund des Elias strömt noch einmal die dunkle Prophetie, die jetzt auf der letzten Stufe ihrer Verwirklichung steht. Auch Moses, der kühle politische Genius des geknechteten und befreiten Volkes, erschöpft sich nicht in der blendenden Vision des jüdischen Endkönigs. Er neigt sich vor dem mystischen Dornengekrönten der Welt. Die Jünger folgen diesem Gespräch nur in äußerer Gegenwart. Petrus, ihr Wortführer, erfasst die Zusammenhänge überhaupt nicht. Seine höchste Weisheit ist die familiäre Bemerkung, es treffe sich doch gut, der Frühlingsmorgen dieses Tages sei so wunderbar, man könne nichts Besseres tun, als hierbleiben und Hütten bauen: „Dir eine, dem Moses eine, dem Elias ein.“ Petrus glaubt, dass nun die messianische Herrlichkeit angebrochen sei, und bietet sofort seine Dienste an. Der Vorschlag zur Errichtung dreier Hütten entspringt dem Wunsch, die himmlischen Männer zum Bleiben zu veranlassen und die selige Stunde festzuhalten, um sie dauernd zu genießen. Petrus bedenkt nicht, dass sein Vorschlag Jesus seinem messianischen Beruf entziehen würde und dass Gestalten, die in himmlischer Herrlichkeit vor ihm stehen, seine gutgemeinten Dienste nicht mehr brauchen.

Die Szene nimmt unterdessen ihren Fortgang. Eine Wolke umschwebt das leuchtende Bild. Die Wolke ist das Zelt Gottes, das Symbol und die Offenbarung seiner Gegenwart. Wo Wolken aufstehen, ist Nähe Gottes, wie einst auf der Wanderung ins gelobte Land, wie einst bei der Einweihung des Tempels durch Salomon. So fehlt auch die Stimme nicht, die aus der Wolke spricht: „Dieser ist mein geliebter Sohn.“ So hatte die himmlische Stimme auch bei der Taufe Jesu gesprochen. Sie horchen auf. So bekennt sich der ewige Vater zum palästinensischen Sohn. Er bezeugt, dass er sein Wohlgefallen findet, er und seine Messiasidee. Er will ihn nicht anders. Er soll sich weigern, auf den Marmorsesseln der Cäsaren zu sitzen. Er soll sich weigern, das blendende Schloss der tafelnden Fürsten zu beziehen. Er soll sich weigern, mit Heeresmacht in Jerusalem einzureiten. Er soll auf des Esels Rücken mit ostentativer Geste des unpolitischen Königs in sein Volk einziehen. Die Himmelsstimme spricht, zu ihnen gewandt. „Ihn sollt ihr hören“: Das heißt: Höret, ihr tauben, ihr unverständigen, ihr ausgelaugten Tagesmenschen, ihr journalistisch Verbildeten die Stimme aus der Wolke. Gott der Herr mahnt die drei Jünger, Christus auch dann zu hören, wenn er vom Leiden spricht. Jedes andere Wort des Herrn hatten sie ohnedies willig aufgenommen, nur dieses eine war ihnen unfassbar. Jetzt gebietet ihnen der himmlische Vater, sich zu dem leidenden Gottesknecht zu bekennen. In der Anbetung dieser Stimme fallen die Jünger auf ihr Angesicht. Die Größe des Erlebten erfüllt ihre schmalen Seelen mit grenzenloser Ehrfurcht. Wie lange dieser Zustand gedauert hat, weiß niemand. Da tastet irgendwer an ihre Schulter, erweckt sie aus dem langen Traum. Der Herr ist es, der hinzutritt und sie berührt. „Ihr sollt euch nicht fürchten.“ Gott bekennt sich zu seinem Gesalbten. Das ist kein Anlass zu Furcht. Als sie ihre Augen erheben, steht er allein vor ihnen. Er ganz allein, und seine Begleiter sieht niemand mehr.

Sie wandern den Berg hinab. Sie reden den ganzen Nachmittag noch von diesem Ereignis, von diesem Thema, von dieser Offenbarung. Es war eine Epiphanie Gottes und nicht eine Vision der Jünger. Dann versinken sie in nachdenklichem Schweigen. Es dämmert ihnen, was der Sinn dieses Geschehens ist. Die Verklärung geschah, damit das Ärgernis des Kreuzes in den Herzen der Jünger behoben würde. Bald werden sie den Meister gefangen und gebunden erleben, den Leib zerrissen von Geißelhieben, das Antlitz entstellt mit einem Dornenkranz. Dann sollen sie sich erinnern, wer er ist und wofür er bestimmt ist. Das Leuchten am Tabor soll die Herrlichkeit andeuten, in die Christus durch sein Leiden eingehen wird. Es ist das Aufleuchten und die Antizipation der Osterherrlichkeit. Als sie sich der Ebene nähern, wo die anderen Apostel und das Volk und die Frauen auf den Herrn warten, befiehlt er ihnen, wie vor acht Tagen in Caesarea Philippi, von dem Gesicht zu schweigen. Die Zeit sei noch nicht reif. Erst wenn die letzten großen Ereignisse – die Auferstehung des Menschensohnes von den Toten – geschehen sind, sollen sie reden. Das ausdrückliche strenge Schweigegebot Jesu verschließt den drei Jüngern den Mund bis zu der Stunde, da Jesu ganzes Lebenswerk abgeschlossen vor ihnen steht und den wahren Charakter seiner Messianität endgültig offenbar macht. Dann werden sie sich erinnern und von dem Geschehen auf dem Berg Tabor erzählen. Die Verklärung signalisiert die Identität des irdischen mit dem erhöhten Christus. Der Auferstandene ist derselbe wie der Verklärte, und der Verklärte ist derselbe wie der Gekreuzigte und lebendig Gewordene. Es gibt nur einen Christus, der mit seinen Jüngern Galiläa und Judäa durchwandert hat, der nie dagewesene Taten verrichtet hat, der sich klaglos misshandeln und töten ließ, der aber auch strahlend aus dem Grabe erstand: Christus der Sohn des lebendigen Gottes, gepriesen und angebetet in alle Ewigkeit.

Amen.

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