Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Februar 2024

Er wurde versucht wie wir

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Nicht aus dem Lärm der Großstadt, sondern aus der Einsamkeit der transjordanischen Wüste kamen die großen Gestalten der alttestamentlichen Geschichte. Von Moses und Elias, dem Politiker und dem Propheten des israelitischen Volkes wissen wir, dass sie zur Vorbereitung ihrer Mission erst über den Jordan in die Wüste gingen. Von dort nahmen sie den Anlauf ihres neuen Berufes. Die Wüste liegt zwischen Jerusalem und Jericho und reicht bis auf fünf Kilometer an Jerusalem heran. Dort hielt sich Jesus vor Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit auf. Der Herr brachte vierzig Tage, der Tradition der jüdischen Geschichte entsprechend, in der Wüste zu. Sie waren dem Gebet und dem Fasten gewidmet. Wer ihn dahin führte, war der Geist Gottes. Der Sinn dieser Exerzitien war die Versuchung des Herrn. Matthäus und Lukas bringen einen ausführlichen Bericht über den in drei Akten verlaufenden Kampf zwischen Satan und Jesus, der eben die Weihe zum Messias empfangen hat. Dieser Kampf spielt sich in Form einer schriftgelehrten Debatte ab, bei der sich Jesus als der bessere Schriftkenner erweist. Zwischen der Taufe Jesu und der Versuchung besteht ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang. Bei der Taufe war der Geist auf Jesus herabgekommen; er ist es, der ihn in die Wüste treibt. Damit ist gesagt, dass diese Versuchung gottgewollt ist. Ebenso wie nach dem Alten Testament die Frommen von Gott versucht, d.h. erprobt werden, so soll auch Jesus als der Messias einen Angriff des „Versuchers“ bestehen. Die Auseinandersetzung mit dem Satan war notwendig, ja unentbehrlich. Im Kampf mit dem Fürsten dieser Welt sollen der Charakter und der Sinn seines messianischen Königtums deutlich herausgestellt werden. Die irdische Weisheit Satans soll widerlegt werden. Was er über die Regierungskunst der Könige und über den Unwert der Masse vorträgt, sind typische Bilder orientalischer Könige: den König der verlockenden Hoffeste, den König der zirzensischen Zauberkünste, den König der imperialistischen Weltmacht.

Die Gottessohnschaft Jesu (die Satan von der Himmelsstimme bei der Taufe Jesu erfahren hat) ist die selbstverständliche Voraussetzung für alle drei Versuchungen. Indem Satan nun Jesus zunächst dazu veranlassen will, sucht er ihn zum Ungehorsam gegen den Willen des Vaters, zu egoistischem Missbrauch seiner Vollmacht zu verleiten. Diese Versuchung hat messianischen Charakter; denn es ist der „Sohn Gottes“, der die ihm verliehene Wundermacht zu seinem eigenen Nutzen gebrauchen soll.

Jesus fastete 40 Tage und Nächte, während er in der Wüste umherwanderte. Erst nach Ablauf dieser Zeit hungerte ihn. Und jetzt tritt der „Versucher“ an ihn heran. Sein erster Angriff knüpft an das durch das lange Fasten bewirkte Nahrungsbedürfnis Jesu an. Weil er in Gefahr ist, in der Wüste zu verhungern, soll er, wenn er Gottes Sohn ist, die ihm verliehene Wundermacht in den Dienst der Selbsterhaltung stellen. Die erste Vision schildert, wie sich mancher die beste Methode des Regierens denkt: Aus diesen Steinen Brot machen. Die Günstlinge und den Hof und die Massen zu Gastmahl und Gelage einladen, ja das ganze Volk satt machen. Dann erübrigt sich jede weitere Kunst. Die Magenfrage entscheidet alles. Stimmen von einst, Stimmen von jetzt. So regiert man. So gewinnt man Wahlen. So triumphiert man über seine politischen Gegner. Satan schaltet in seine flimmernde Vision Zitate aus der Heiligen Schrift ein, das Wort, das er vor den vierzig Tagen bei der Taufe erlauscht hat: Gottes Sohn. „Wenn du Gottes Sohn bist, dann sprich, dass diese Steine Brot werden.“ Jesus bedient sich desselben Mittels. Auch er bringt, eine ihm sonst ungewöhnliche Methode, Zitate aus der Schrift: „Nicht vom Brote allein lebt der Mensch, sondern von jedem Worte, das aus dem Munde Gottes kommt!“ Mit dem Schwert des Geistes erringt Jesus den Sieg über den Widersacher. Gott kann den Menschen durch sein Wort, das der Ausdruck seines allmächtigen und gütigen Willens ist, auch ohne Brot am Leben erhalten. Darum bedarf es für Jesus nicht des Gebrauchs seiner Wundermacht, um sein Leben zu erhalten. Zur Selbsthilfe ist sie ihm nicht gegeben. Für sich selbst will er vielmehr ganz auf Gottes Hilfe angewiesen sein. Jesus weigert sich, zur eigenmächtigen Selbsthilfe zu greifen; er wirkt kein demonstratives Wunder und vertraut sich ganz Gott an.

Der Schauplatz der zweiten Versuchung ist die „heilige Stadt“, und zwar der Rand des Tempeldaches. Jesus soll sich auf den Tempelplatz hinabstürzen oder vielmehr von Engeln hinabtragen lassen. Er soll eine Gefahr herbeiführen, um durch diese ein Wunder von Seiten Gottes herauszufordern. Die zweite Vision proklamiert eine zweite Regierungsmethode. Auch diese ist alt wie die Welt. In dem römischen Leitmotiv „Panem et circenses“ tritt sie als Ergänzung der ersten auf: Brot und Zirkusspiele waren nach Juvenal der Anspruch des Volkes auf Lebensunterhalt und Vergnügen, den die römischen Kaiser zu erfüllen hatten, wollten sie sich seine Gunst bewahren. „Gebt den Massen Unterhaltung!“ Bei der ersten Versuchung war der Teufel durch ein Schriftwort geschlagen worden. Deswegen begründet er diesmal seine Aufforderung selbst durch ein solches. Was in Ps 91 von jedem Frommen gesagt ist, dass er nämlich in Gottes Schutz steht, das muss umso mehr beim messianischen Gottessohn Geltung haben. Der Teufel will Jesus zum Missbrauch des göttlichen Schutzes reizen und so mit Gott entzweien. „Nazarener, steige mit mir auf das Plateau des Sionsberges. Siehst du, wie sich die jüdischen Männer vor dem Tempel drängen. Steig mit mir auf diese Zinne, die zur Rechten ausladet, und springe im Gleitflug hinab!“ Solche Fürsten sind amüsant und wirksam; sie kommen an bei den Massen. Fürsten im Sattel der arabischen Pferde. Fürsten im Trapez des hochgezimmerten Zirkus. Fürsten, die aus dem Kabinett des Zauberers Gold und Licht bis in die Straßen streuen. Solchen Übermenschen erwartet die Menschheit. Einen Flieger, der sich aus eigener Kraft erhebt und der in sanfter Kurve über den Köpfen der Masse irgendwo zwischen den Ölbäumen am Kidron niedergeht. Wieder greift Satan zur Bibel, zum 91. Psalm: „Er hat seinen Engeln deinetwegen befohlen, und sie werden dich auf den Händen tragen, dass du deinen Fuß nicht an einen Stein anstoßest.“ Die zweite Versuchung besteht darin, die Verheißung Gottes für die Gerechten selbst zu testen. Dem entspricht die Antwort Jesu. Wiederum weist er den Angriff Satans durch Berufung auf Gottes in der Schrift ausgesprochenen Willen zurück. Jesus antwortet mit einem Zitat aus dem Buch Deuteronomium: „Du sollst den Herrn deinen Gott nicht versuchen.“ Jesus weigert sich, Gott zu Wundern zu provozieren, um sich selbst zu bestätigen. Was Satan will, ist eine frevelhafte Herausforderung Gottes. Jesus aber soll nach Gottes Willen seine Messianität nicht durch eine verwegene Forderung eines Wunders für sich ausnutzen, sondern sich in vollkommenen Gehorsam gegen den Vater bewähren.

Die dritte Versuchung überbietet die vorangehenden weit durch ihre Kühnheit. „In einem Augenblick“ (Lk 4,5) zeigt Satan Jesus alle Reiche der Welt mit allem, was die Herrschaft darüber an äußerem Glanz, an berauschendem Machtbewusstsein, Reichtum und Genuss bieten kann. Und er bietet ihm all das zum Besitz an in der Erwartung, dass Jesus der verführerischen Macht dieses Angebots nicht widerstehen könne. Der Teufel kann dies, weil ihm diese Welt übergeben ist und er darüber verfügen kann (Lk 4,6); er ist ja der Fürst, der Gott dieser Welt (Joh 12,31; 14,30; 16,11; 2 Kor 4,4). Aber Satan stellt die Bedingung, dass Jesus vor ihm niederfällt und ihm als Vasall huldigt. Was im Ps 2,6-8 dem Messias von Gott verheißen ist, das bietet hier Satan Jesus von sich aus an, weil er Macht besitzt, es ihm zu geben. Damit hat er nun seine wahre Absicht enthüllt: Jesus soll seine Messianität nicht als die des leidenden Gottesknechts, sondern im Sinne politischer Macht und irdischen Glanzes und Genusslebens verstehen; also eine Messianität weltlicher Art und von Teufels Gnaden. Das letzte Ziel dieser Versuchung ist, dass derjenige, dessen Aufgabe es ist, „die Werke des Teufels zu zerstören“ (1 Joh 3,8), sein Vasall werden und sein Werk fördern soll. Jesus weigert sich, vor dem Idol der Macht in die Knie zu sinken. So will er nicht regieren. Er zerschlägt die letzte Vision mit einem weiteren Zitat aus dem Buch Deuteronomium: „Den Herrn, deinen Gott, sollst du anbeten und ihm allein dienen.“ Jesus weist auch den dritten Angriff Satans ab durch den Hinweis auf den für sein Handeln allein bestimmenden Willen Gottes, der in der Schrift ausgesprochen ist.

Die Versuchungen Satans finden in Jesu Seele kein Echo. Sie wecken in Jesu Seelenleben keinen Zwiespalt. Mit ruhiger Bestimmtheit werden sie abgewiesen. Damit ist für die kommende Zeit der Weg freigeschlagen für die Offenbarung, für den Dienst am Reiche Gottes, für die Aufrichtung der Kirche. Die Lawinen sind weggeräumt. Das Geröll der Moränen ist beiseitegeschafft. Ganz gerade geht nun der Weg zur religiösen Auffassung des Reiches, in das Christus, abseits aller militärischen, aller politischen, aller äußerlichen Herrschaftsgedanken, eintritt.

Der Evangelist Markus schildert das Ende der Versuchungen mit einem lapidaren Satz: „Er lebte unter den wilden Tieren und die Engel bedienten ihn.“ Die kurze Bemerkung ist von hohem Aussagewert. Der alte Adam hat durch sein Versagen in der Versuchung das Paradies verwirkt. Der neue Adam hat es durch sein Bestehen in der Versuchung wieder zugänglich gemacht. Jesus stellt als der neue Adam den Frieden mit den (wilden) Tieren wieder her, der nach dem Sündenfall zerbrochen war. Dazu gehört auch das Dienen der Engel. Jesus wird dafür jetzt von Engel bedient, d.h. mit Speise versorgt (Mk 1,13), und so erfüllen sich an ihm die beiden Schriftworte 4,4.8.

Satan hat nun die Angriffe, durch die er Jesus zum Abfall seiner messianischen Aufgabe bewegen wollte, erschöpft. Er lässt darum von ihm ab „bis zu gegebener Zeit“ (Lk 4,13). Fritz Tilmann übersetzt die Stelle aus dem Lukas-Evangelium: Er ließ von ihm ab „auf einige Zeit“. Das heißt: Die Angriffslust Satans war ungebrochen. Er hat auch nach der Abwehr seiner Attacken nicht aufgehört, den Messias zu bedrängen, ja, zu versuchen. Als der Herr im Ölgarten zitterte und zagte, mag er ihm das Bild von Legionen vorgestellt haben, die ihn aus seiner verzweifelten Lage befreien konnten. Als er am Kreuze hing, empfahlen ihm die Umstehenden: „Steig herab vom Kreuze, dann werden wir glauben.“ Was wäre das eine Sensation gewesen! Ein am Kreuze Hängender löst seine Glieder von den Nägeln und wandert wie vorher gesund und munter unter seinen Peinigern. Das waren Versuchungen; doch der Herr widerstand ihnen.

Wie Satan Christus versucht hat, so versucht er auch seine Kirche. Er träufelt den Bischöfen ein: Macht es den Menschen bequem in der Kirche. Schafft die strengen Gebote der Sexualmoral ab. Lasst die Gläubigen sich miteinander vergnügen vor der Ehe, in der Ehe und außerhalb der Ehe. Damit werdet ihr Erfolg haben. Das wollen die Menschen haben. Dann laufen sie auch nicht mehr fort! Die deutschen Bischöfe sind auf diese Versuchung hereingefallen. Sie wollen Satan folgen mit ihrem Synodalen Prozess. Der Unterschied zwischen Jesus und den mehrheitlichen deutschen Bischöfen ist fundamental. Jesus hat Satan überwunden, die deutschen Bischöfe sind ihm erlegen.

Die Versuchungen Jesu sind ein geschichtliches Ereignis am Beginn des öffentlichen Wirkens. Sie waren ein einsamer Vorgang ohne Zeugen. Als Quelle des Berichtes kommt nur Jesu eigene Mitteilung zur Belehrung der Jünger über das Ziel und die Aufgabe des Messiasberufs in Frage. Für die behauptete Entstehung aus Mythus und Spekulation fehlen die Voraussetzungen. Die Herleitung aus angeblichen religionsgeschichtlichen Parallelen (Buddha, Zarathustra) scheitert am Inhalt. Der Hauptsinn, weshalb die Versuchungen Jesu berichtet werden, ist ein messianisch-christologischer. Der mit dem Geist ausgerüstete Messias und Gottessohn widersteht den Versuchungen zu einem diesseitigen, irdisch-politischen Messiastum nach jüdischer Erwartung. Er erweist sich als der hoheitsvolle Sohn Gottes, als den ihn die Gottesstimme bei der Taufe bezeichnete. Der menschgewordene Gottessohn wollte in allem den Menschen gleich sein, ausgenommen die Sünde, aber nicht ausgenommen die Versuchung zur Sünde. Der Brief an die Hebräer konnte deswegen schreiben: „Er wurde versucht wie wir“ (Hebr 4,15). Es waren wirkliche Versuchungen, denn der innere Kampf zwischen Begierde und Pflicht gehört nicht notwendig zum Wesen einer Versuchung. Die Erzählung berichtet Fakten, nicht Erfindungen. Das äußerlich Erzählte ist lediglich der Rahmen für den Vorgang im Inneren Jesu. So hat es schon Origenes gesehen, der darauf hinweist, dass die Welt von keinem noch so hohen Berge zu überblicken ist. Wir brauchen kein körperliches Erscheinen des Teufels und keine Ortsveränderungen Jesu (Tempelzinne, hoher Berg) anzunehmen. Es ist nicht gefordert, die Versuchungsgeschichte als ein äußeres Geschehen zu verstehen, bei dem Satan in sichtbarer Gestalt an Jesus herantrat. Es handelt sich bei der Versuchung Jesu durch den Teufel um einen geistigen Vorgang. Der Teufel hat Jesus das Bild der größten irdischen Herrlichkeit vorgezaubert. Satan will Jesus vom leidvollen Weg des messianischen Berufes abdrängen und ihn unter geschickter Ausnutzung der Umstände zur Anpassung an die dem Willen Gottes widersprechenden zeitgenössischen Messiaserwartung bewegen: Missbrauch der Wunderkraft, Gewinnung der Massen durch ein Schauwunder, Annahme eines glanzvollen Messiasreiches aus der Hand des „Fürsten der Welt“. Unser Herr ist nicht zu Fall zu bringen. Er bleibt Sieger.

Amen.

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