Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. Februar 2024

Die Saat und die Ernte

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die palästinensische Landschaft ist eine treffliche Illustration für das Thema, das Christus vor dem zusammengeströmten Volk behandelt. Er spricht im Angesicht von Kapharnaum. Da ziehen die Halden um den melancholischen See. Das Ufer säumt der harte Pfad, über den die Esel des Volkes und die Pferde der Soldaten schreiten. Dann folgt, wie an den Rebenhügeln des Rheins, der blanke Felsstein mit ganz dünner Ackerschicht; er ist der Gefahr ausgesetzt, weggeschwemmt zu werden und außerdem der Trockenheit der täglichen Sonne ausgesetzt. Dazwischen liegen Hecke und Dorngestrüpp; sie stehen in den Rissen der Felsen und zäunen die Grenzen der schmalen Äcker. Dann erst beginnt auf die Höhe zu dunkleres, tieferes Land, auf dem die Saat gedeiht. Vierfach geschichtet ist dieses Land an den Halden des See Genesareth. Der Herr hebt an zu einem Gleichnis. Es gilt der gesamten Zuhörerschaft der aus der Nordprovinz zugeströmten Galiläer. Aber es gilt besonders den wachen Jüngern und den in der Vorbereitung auf das Priestertum nachdenklichen Aposteln. Die Parabel ist eine Vorlesung aus dem Lehrplan des wandernden Priesterseminars, dessen Leiter der Herr ist. Sie sollen und wollen wissen, von welchen Bedingungen die Ernte ihrer Saat abhängt.

Es ist die Parabel vom verschiedenen Ackerboden. Denn darauf, nicht auf die Tätigkeit des Säenden, kommt es darin an. Die Parabel gibt die landwirtschaftlichen Verhältnisse Palästinas mit vollkommener Naturwahrheit wieder; sie ist nicht eine Häufung seltener Ausnahmefälle. Der Sämann schreitet über das seit der Ernte brachliegende, nur durch den Winterregen aufgeweichte Stoppelfeld dahin und streut hier den Samen aus. Die Person des Sämanns wird nicht gedeutet, weil der Ton nicht auf ihm liegt, sondern auf dem verschiedenen Boden, den der Same findet. Der Sämann wird überhaupt nur deshalb genannt, weil er zur Saatparabel notwendig gehört. Man denkt bei ihm an erster Stelle an Jesus selbst. Sämänner sind aber auch die Apostel und alle jene, die aufgrund der Sendung Jesu das „Wort“ säen. Der Same ist Gottes Wort. Seine Qualität ist sicher und bleibt ewig gleich. Jedes Korn trägt in sich hundert Körner Frucht – wenn nicht der Boden wäre. Man hört heute von Männern und Frauen der Kirche Reden wie: das Wort Gottes komme nicht mehr an, sei nicht zeitgerecht, sondern überholt, man müsse den Inhalt der christlichen Verkündigung ändern, ihn der Denkweise der Menschen von heute anpassen. Solche Reden gehen in die Irre. Das Evangelium Jesu Christi ist zeitlos gültig, passt für jede Zeit, kann allen Menschen nahegebracht werden. Gott ändert seine Offenbarung ebenso wenig wie seinen Willen.

Dass der Boden stellenweise steinig ist und nur von einer ganz dünnen Humusschicht überdeckt ist, entspricht der normalen Wirklichkeit. Der Samen wird mit der Hand ausgeworfen. Es lässt sich nicht vermeiden, dass ein Teil des Samens auf den Weg fällt und von den Vögeln gefressen wird. Umgepflügt wird der Boden erst unmittelbar nachdem gesät ist. So wird es verständlich, dass ein Teil des Samens auf den Weg fällt, das heißt auf einen Fußpfad, der von den quer über den brachliegenden Acker gehenden Menschen ausgetreten worden ist, und dass auf dem Acker auch ein paar Dornsträucher gewachsen sind. Ein anderer Teil des Samens fällt auf solche Stellen des Ackers, an denen steiniger Untergrund mit einer ganz dünnen Erdschicht bedeckt ist. Infolge der Seichtheit dieser Schicht geht der Same zwar um so schneller auf. Aber die in Palästina schon am Morgen einsetzende Sonnenhitze lässt ihn, weil er keine tiefe Wurzeln schlagen kann, ebenso rasch verdorren. Dieser Teil des Samens geht zwar auf, kann aber nicht weiterwachsen. Anderer Samen fällt unter Dornen, wozu auch die Disteln zu rechnen sind. Sie werden auch durch das nachfolgende Umpflügen des Ackers nicht vollends ausgerottet. Ihre Wurzeln entfalten ein kräftigeres Wachstum als das gesäte Getreide. Die Folge ist, dass dieser Teil des Samens zwar zum Wachstum gelangt, aber hernach von den Dornsträuchern erstickt wird und es nicht zum Fruchttragen bringt. Ein letzter Teil des Samens fällt auf wirklich fruchtbaren Boden und kann sich entsprechend entfalten. Nur dieser Teil des Samens erreicht seine Bestimmung. Der Ertrag, auch der hundertfache, ist keine Übertreibung, sondern hält sich im Rahmen dessen, was bei der Landesnatur Palästinas wirklich vorkommt.

Der verschiedenartige Boden in dem Gleichnis bedarf der Erklärung oder besser der Übersetzung auf die unterschiedlichen Gattungen der Menschen. Bei der ersten Menschenklasse ist das Wort Gottes erfolglos. Satan, der Widersacher Gottes und des Heils der Menschen, kann bei ihrer Beschaffenheit verhindern, dass die Heilsbotschaft überhaupt in ihr Herz eindringt. Sie bleiben unempfänglich gegenüber der Wahrheit. Gott ist mächtig. Er ist allmächtig. Aber auch für seine Macht gibt es eine Grenze. Diese Grenze ist der böse Wille des Menschen. Selbst die stärkste Einwirkung Gottes kann sie nicht überwinden. Es gibt harte Herzen, die weder die Wahrheit noch die Güte erreicht. Für die Wahrheit haben sie nur Spott, die Güte sehen sie als Schwäche an. Jede Andeutung, die man von der Religion macht, beugen sie ab, lenken das Gespräch auf einen anderen Gegenstand. Es gibt Menschen, die sich gegen jeden Versuch, sie an Gott zu erinnern, ihr Gewissen zu reizen, sperren. Ein unfruchtbarer Acker sind alle die Menschen, die sich der Aufnahme moralischer und religiöser Normen von einer autoritativen Instanz verweigern.

Bei der zweiten Klasse kommt es wenigstens zum Anfang der Heilsentwicklung. Diese Menschen nehmen die Heilsbotschaft mit bereitwilligem Herzen auf. Aber sie sind Augenblicks- und Stimmungsmenschen. Sie lassen diese Botschaft nicht zu kraftvoller Entwicklung kommen. Sie bemühen sich nicht, in die Religion einzudringen, Wissen zu sammeln, mit der Kirche zu leben. Ihr Glaubenswissen wächst nicht mit der Zeit. Sie lesen, aber keine Schriften, die sie im Glauben festigen. Es ist ihnen lästig, täglich zu beten, regelmäßig zu beichten, den Sonntag zu heiligen. Es ist ihnen zuwider, den Neigungen zu widerstehen, Überwindung zu üben, Verzicht zu leisten. Sie werden von Bekannten scheel angesehen, weil sie am Sonntag den Gottesdienst besuchen. Sie wollen nicht auffallen als religiöse Menschen, als Kirchgänger. Sie möchten beliebt sein. Sie meinen, es zu werden, wenn sie sich ihrer gottlosen Umgebung anpassen. Das Evangelium führt mit Notwendigkeit eine Krise in ihrem Leben herbei. Es führt zu inneren Erschütterungen und setzt sie Verfolgungen aus, in denen sie sich bewähren müssten. Aber all dem sind diese Menschen nicht gewachsen. Sie fallen ab (Lk 8,13). Sie sind kein geeigneter Boden, in dem das Wort Wurzel schlagen kann.

Bei der dritten Gruppe kommen die Ursachen, welche die Heilsentwicklung hemmen und zerstören, nicht von außen, sondern von innen. Das „Wort“ kommt hier in Konflikt mit dem Geist der Welt. Die Sorgen um die irdischen Angelegenheiten bewirken eine Geteiltheit des Herzens. Die Karriere, das Ankommen und das Fortkommen in der Welt ist ihnen wichtiger als die Religion und der Glaube. Das Verfallensein an Äußerlichkeiten, an jene falschen Paradiese, weniger Arbeit mit mehr Lohn, die Gier nach immer größerem Luxus, immer mehr Wohlbehagen, immer hemmungsloseren Konsumwünschen verzehren das bisschen Religiosität, das sie sich angeeignet haben. Sport und Vergnügen werden der religiösen Übung wie Gebet und Gottesdienst vorgezogen. Der Reichtum verblendet die Menschen durch seinen Scheinwert. Er schafft Sorgen und bietet Genüsse, durch welche die im Menschen vorhandenen Begierden befriedigt und gekräftigt werden (10,26). Alles das bringt, ähnlich wie die Dornen, durch seine größere, brutalere Lebenskraft das Wort zum Ersticken.

Die vierte Klasse endlich stellt die echten Christen dar. Bei ihnen kommt die gottgewollte Frucht des Heils wirklich zustande. Ihr Herz ist der geeignete Boden, auf dem das „Wort“ die in ihm liegende göttliche Lebenskraft zu ihrer vollen Entfaltung bringen kann (Kol 1,6). Die Wirkung bringt der Same des Wortes hervor, nicht der „Boden“, der nur die Voraussetzung schafft. Der Schwerpunkt des Gleichnisses liegt auf der Ernte. Sein Grundgedanke ist: Die Offenbarung der Königsherrschaft Gottes kommt, trotz aller das Gedeihen der Saat hemmender Hindernisse, zum Erfolg, wenn auch nur bei wenigen. Die Erlösten lassen die ihnen geschenkte Gnade zur Wirksamkeit kommen. Sie sind offen für das Kommen der aktuellen und heiligmachenden Gnade. Sie lassen die Gnade den ganzen Menschen durchherrschen und durchheiligen. Sie bringen die Früchte des neuen Lebens in den guten Werken. Dass die Frucht nicht bei allen gleich reich ist, liegt an der Verschiedenheit der den einzelnen Menschen von Gott gegebenen Gaben wie am freien Willen des Menschen. Der Grundgedanke der Deutung der Parabel ist der: So wie die Ernte von der Beschaffenheit des Bodens abhängt, auf den die Samenkörner fallen, so hängt die Wirkung des Wortes Jesu von der Verfassung derjenigen ab, die es hören. Die Deutung spricht mit großer Kraft die Wahrheit aus, dass es nicht genügt, das „Wort“ anzuhören. Es ist in die Macht und Verantwortung des Menschen gelegt, ob es auch Frucht bringt. Das Erdreich ist das Herz, der Sitz des Denkens und Wollens.

Das Gleichnis vom Säen und vom Sämann ist von unvergänglicher Aktualität. Solange diese Weltzeit läuft, wird das Wort Gottes ausgesät werden und wartet auf die Aufnahme der Menschen. Die vorzüglichsten Säleute des göttlichen Wortes sind die Priester. Jeder priesterliche Sämann muss sich zuerst immer fragen: Bin ich ein lauterer, gütiger, geschickter Sämann? Was fehlt meinem Säen? Arbeite ich selbstlos, selbstvergessen? Oder suche ich meine Befriedigung, meine Anerkennung, das Lob der Menschen, die Anerkennung der Gemeinde? Die Arbeit der Säleute begegnet zahlreichen Hindernissen, die in dem Gleichnis genannt sind. Die wirkliche oder scheinbare Erfolglosigkeit des Säens kann Priester zu Entmutigung und Verzagtheit bewegen. Einer sagte mir: „Es kommt mir vor, als wenn ich Erbsen gegen eine Wand werfe.“ Ein deutscher Missionar in der Millionenstadt Bombay in Indien sagte einem Besucher aus Deutschland: „Wir sind allmählich müde geworden, und das Vergebliche unseres Tuns liegt manchmal auf uns wie ein böser Traum.“ Er fuhr fort: „Wir sind von tiefer Resignation erfasst, gleichen dem Sisyphos, der unermüdlich seinen Stein auf den Berg wälzt und ihn immer wieder ins Tal rollen sieht.“ Woher kommen die Hindernisse? Im 19. Jahrhundert waren es die Bücher von Ernst Haeckel, die Millionen Menschen um ihren Glauben gebracht haben. Einer von ihnen ist Adolf Hitler. Haeckel an die Seite zu stellen ist Ludwig Feuerbach, ehemaliger lutherischer Theologe; er zersetzte alle Religion und vor allem das Christentum. „Christen sollen wir sein? Ach, wären wir lieber gesünder. Nur Medizin und Chemie bringen uns einst noch das Heil.“ Das war sein „Credo“. Im 20. Jahrhundert war der französische Schriftsteller André Gide ein wahres Verhängnis. Er propagierte die grenzenlose Freiheit des Menschen. Er protestierte gegen jegliche moralische, soziale und religiöse Normen. Seine zerstörerischen Ansichten wurden von zahllosen Jugendlichen in Europa aufgenommen. Heute sind es Leute wie Konrad Lorenz, die unter Missbrauch der Wissenschaft den Menschen den Glauben zerstören. Sie machen aus der richtigen Beobachtung, dass es in der Natur Entwicklung, Evolution gibt, die Weltanschauung des materialistischen Evolutionismus. Danach gibt es nur Materie und nichts als Materie. Nun sehen Sie die Aufgabe, die uns, den Priestern und dem ganzen Volk Gottes gestellt ist: das gute Erdreich zur Aufnahme des Glaubens in den Seelen herzustellen. Wir müssen die Aufnahmefähigkeit und die Aufnahmebereitschaft für das Wort Gottes und die Lehre der Kirche in den Seelen erwecken und fördern, soweit dies menschlicher Anstrengung möglich ist.

Amen.

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