Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
3. September 2023

Unsere Kinder

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Welches sind die Gedanken Gottes, als er zwei Menschen ein Kind gab? Gott hat es ihnen gegeben, damit sie ihm helfen, über das langsame und mühevolle Werden der Kindheit und Jugend hinwegzukommen und leiblich und seelisch erwachsene Menschen zu werden. Die Kinder sind den Eltern als Aufgabe gegeben, nicht als Genussmittel und nicht als Spielzeug. Wir sollen Spielkameraden der Kinder sein, geduldige und ernst zu nehmende Spielkameraden, aber die Kinder sollen uns nicht selbst Spielzeug sein. Auch nicht als Eigentum sind uns die Kinder gegeben, dass wir sie unser Leben lang etwa für uns behalten können. Auch nicht als Arbeitskraft, als billige Arbeitskraft, sind uns die Kinder gegeben. Eine Aufgabe sind die Kinder, und zwar für Wohl der Kinder. Auf ihr Wohl, auf ihre Entwicklung, auf ihr zeitliches und ewiges Schicksal kommt es an. Dazu sind die Eltern da, dass es die Kinder gut bekommen, hienieden und in der Ewigkeit. Daraus ergibt sich die entscheidende Seelenhaltung zu den Kindern: die Selbstlosigkeit. Die Natur oder besser: deren Schöpfer hat der Elternliebe schon den ergreifenden Zug der Selbstlosigkeit eingeprägt. Aber dieses kostbare Naturgeschenk muss geistig geläutert und gefestigt werden. Es muss zu dem bewussten Willen werden, nur an das Wohl der Kinder zu denken. Die erleuchtete Selbstlosigkeit der Erzieher wird alles, Güte und Strenge, Gewähren und Versagen, Lob und Tadel, Mahnung und Nachsicht, Befehl und Strafe, nur von dem einen Gedanken abhängig machen: Was tut dem Kinde, seinem Leib und seiner Seele, seinem Charakter und seiner Zukunft gut? Je vollkommener es dem Erzieher gelingt, gegenüber den Kindern die eigene Person, die eigene Laune, die eigene Gereiztheit, die eigene Sehnsucht und die eigene Klage zurückzustellen, um so leichter und vollkommener wird er seine Aufgabe an ihnen lösen.

Der schwierigste Teil der Aufgabe der Eltern ist nicht das Aufziehen, sondern das Erziehen, die Bildung der Kinderseele, des kindlichen Charakters. Was heißt erziehen? Erziehen heißt, die naturgegebenen Fähigkeiten des Kindes bei ihrer natürlichen Entwicklung unterstützen und die ebenso naturhaften Mängel in seinen Anlagen nach Möglichkeit ausgleichen. Erziehung ist also eine Hilfe, zunächst im positiven Sinne: das, was im Kind schon da ist, gesund, gut und brauchbar, das gelten und bestehen lassen. Erziehung ist Hilfe für das, was schon vorhanden ist, also Anpassung an das Gegebene. Erziehung ist Hilfe zusammen mit anderen Helfern. Es wäre verwegen und geradezu gefährlich, alle anderen Einflüsse ausschalten zu wollen. Zur Erziehung des Kindes tragen auch seine Geschwister bei, ja, es kann sein, dass die Geschwister geschicktere Erzieher sind als Vater und Mutter. Das einzige Kind wird oft ein verzogenes Kind, weil ihm die geschwisterlichen Miterzieher fehlten. Zu den Erziehern gehören auch die Kameraden, die Freunde und die Spielgenossen. Eine wesentliche Hilfe bei dem Erziehungswerk sind auch die Schule und die Kirche, wenn man versteht, ihre Hilfe anzunehmen und sich ihr anzupassen. Erziehung ist sodann eine Hilfe für das Kind, um die Schwächen der natürlichen Begabung auszugleichen. Jedes Kind hat solche Schwächen, vor allem des Willens, des Charakters. In jedem Kind sind tierische Neigungen, brutaler Egoismus, Grausamkeit, Bequemlichkeit, Launenhaftigkeit, Trägheit, Rechthaberei und Sinnlichkeit. In jedem Kind sind auch die Mängel des Gemütslebens vorhanden: Minderheitsgefühle und Angst. Keine fehlerhafte Anlage ist ein Grund zum Verzweifeln, wohl aber zum Arbeiten. Über jede angeborene Hemmung kann der Mensch mit eigener Kraft und mit Hilfe Gottes, aber auch mit Hilfe der Erzieher sich hinausheben.

Die wichtigsten Hilfen, die Eltern ihrem Kind gewähren können, sind Autorität, Beispiel, Vertrauen. Die Eltern sind dem Kind die ersten Stellvertreter der objektiven Wirklichkeit, also auch die ersten Stellvertreter Gottes. Ihre Autorität muss etwas Gottähnliches, etwas Geistiges, etwas Persönliches sein, folglich nicht bloße Gewalt. Man kann dem Kind seine Fehler nicht ausprügeln. Aber etwas anderes als physische Gewalt ist der entschiedene Wille des Erziehers; die Kraft seiner Persönlichkeit, die sich gegenüber den Fehlern und ungeordneten Trieben des Kindes durchzusetzen weiß; das ist Autorität. Erziehung ist nicht schwächliches Geschehenlassen, sondern zielbewusste Führung. Die Arbeit ist eines der wichtigsten Erziehungsmittel, ein Prinzip geistiger Gesundheit und menschlichen Fortschritts. Freilich die Arbeit, die den einzelnen Stufen der Kindheit angemessen ist, nicht die Arbeit der Erwachsenen, nicht die freudlose oder bloß erzwungene Arbeit, aber doch Arbeit. Arbeit ist zielbewusste und zweckstrebige Beschäftigung, ist durch Zwecke, also auch durch Mittel, also auch durch Aufwand von Zeit und Mühe bestimmt. Wehe dem Kind, das nicht arbeiten lernt, das nicht ein gestecktes Ziel durch geduldiges Ausharren und durch Aufwendung von Mühe erreichen lernt. Ja erreichen, nicht bloß erstreben, denn erfolglose Arbeit ist nicht erzieherisch. Gerade das Kind muss auch den angestrebten Erfolg in beglückender Weise und in lobenswerter Weise erreichen. Gib ihm keine Ziele, die nicht erreichbar sind! Aber die erreichbaren muss es auch erreichen, und der Erzieher muss seine ganze Unerbittlichkeit, ja vielleicht seine Härte einsetzen, dass das Kind nicht, von Überdruss oder Langeweile oder Laune verlockt, seine Ziele immer wieder fallen lässt.

Die dem Kind gestellten Forderungen müssen ihm als sinnvoll und wertvoll erscheinen. Das geschieht am besten, wenn die Person des Erziehers ihm sinnvoll und wertvoll erscheint. Das ist die zweite große Hilfe, die Eltern dem Kind gewähren können, das eigene persönliche Beispiel. Kinder sind scharfsinnige Beobachter. Wie die Eltern wirklich und innerlich sind, so werden sie vom Kind, früher oder später, durchschaut. So werden sie vom Kind gewertet, so werden sie vom Kind angenommen oder abgelehnt. Darum ist es der schönste Erfolg, den Vater und Mutter haben können, wenn ihre Kinder es ganz selbstverständlich finden, zu werden wie Vater und Mutter. Wenn ihnen das Ideal aufgeht am lichten Bilde von Vater und Mutter. Wenn sie sogar das Bild ihres Gottes formen nach dem Bild ihres Vaters. Wenn sie die leuchtende Vision gewinnen an dem süßen Schein, der von ihrer Mutter Antlitz ausgeht. Dann wird die elterliche Autorität nicht aufreizend und verbitternd wirken. Eltern führen dann am leichtesten und wirksamsten ihre Kinder, wenn sie ihnen um ihres persönlichen Wesens willen folgen können. Wenn sie ihnen vertrauen können, Vertrauen in ihre Ehrlichkeit, in ihre Sachlichkeit, in ihre selbstlose Liebe setzen können.

Dieses Vertrauen ist wohl das wichtigste Erziehungsmittel. Man kann es freilich nicht anbefehlen, noch weniger erzwingen, es ist eine Gabe und eine Gnade der Persönlichkeit. Aber Eltern dürfen sich des Vertrauens wenigstens nicht unwürdig machen. Auch die Strenge und selbst die notwendige Strafe darf dieses Vertrauen nicht erschüttern. Beschämung des Kindes vor anderen Menschen, ungerechte Herabsetzung seines guten Willens, Ungerechtigkeit und Parteilichkeit, leidenschaftliche Aufgeregtheit und vor allem launenhafte Willkür zerstören alles Vertrauen in den Kindern. Wenn man das Vertrauen aufwachsen sieht, wenn das Kind einem Elternteil heimlich etwas ins Ohr flüstert, muss man es so ernst nehmen, wie es gesagt wird, als ein Geheimnis, streng zu halten. Man muss es vor allem geduldig aufnehmen. Wenn das Kind etwas gesteht, darf man nicht hart, nicht hochmütig, nicht einmal erstaunt tun. Das Kind muss fühlen, dass man zwar nicht alles hingehen lassen und billigen, aber alles verstehen und auch verzeihen kann. Vertrauen gewinnt aber nur der Mensch, der auch Vertrauen schenkt. Darum muss man auch vertrauensvoll zu den Kindern sein. Dieses Vertrauen muss mit den Jahren wachsen. Der ist ein guter Erzieher, dessen Kinder selbst noch als Erwachsene ihnen am liebsten und leichtesten sagen können, was sie bewegt, bedrückt und beschämt. Der Weg mit einem Menschen, dem man wirklich zutiefst vertrauen kann, ist immer ein guter Weg. Denn es ist ein guter Mensch, mit dem man geht.

Amen.     

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