Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Juli 2023

Die Liebe zu Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Liebe zu Gott steht im Beginn und am Ziel aller Gebote. Sie ist die Erfüllung aller Gebote. Das Gebot Gott zu lieben steht auf unseren Straßen, in unseren Werkstätten und in unseren Eisenbahnen nicht angeschrieben. Aber es steht unsichtbar hinter allen Geboten. Doch da erhebt sich die Frage, das Bedenken: Kann man die Liebe überhaupt befehlen wie ein Gebot? Liebe ist doch etwas Freiströmendes, wie eine geschenkte Gnade. Und kann man Gott überhaupt lieben, den Unendlichen, Allmächtigen, Ewigen? Ja, fürchten kann man ihn, anbeten kann man ihn, dienen kann man ihm, aber lieben? Ist er nicht zu fern, zu unerforschlich, zu rätselhaft für uns, kann man zu ihm so zutraulich werden, wie es im Wesen der Liebe liegt? Ist er nicht der Unsichtbare – wie sollen wir da lieben? Und doch können wir Gott wirklich lieben, können ihn sehr leicht lieben, müssen wir ihn lieben. Warum sollten wir gerade zu Gott keine Liebe haben können? Was ist es, das unsere Seele bewegt und erschüttert, wenn ihr Gott begegnet? Er begegnet uns in dreifacher Gestalt: als unser großes Geheimnis, als unser ewiges Licht, als unser persönliches Du.

1. Gott ist unser großes Geheimnis. Aber er ist nicht das einzige Geheimnis. Ein Geheimnis ist unser Leben, unsere Seele, unser Nächster, selbst unser liebster Mitmensch. Ein Geheimnis ist unsere Zeit, unsere Ewigkeit, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft. Ein Geheimnis ist die ganze Welt, in der wir leben. Diese Geheimnisse sind uns unbegreiflich und unfassbar durch die Größe und den Reichtum, die in ihnen liegen. Gerade das Große in unserer Welt ist auch stets das Geheimnisvolle. Alles, was unsere Herzen höher schlagen lässt, ist um so geheimnisvoller. Alles, was uns begeistert, ist im letzten Grunde auch unbegreiflich. Alles, was uns ans Herz greift, ist geheimnisvoll wie das Auge eines Kindes. Alles, was unsere Kleinheit emporreißt und unsere Alltäglichkeit sprengt, ist geheimnisvoll wie das Schicksal. Die letzte Tiefe und der fernste Hintergrund all dieser Geheimnisse – siehe, das ist Gott. Der Inbegriff alles Entzückenden, alles Sturmgewaltigen, alles Grenzenlosen und alles Wunderbaren und darum auch alles Geheimnisvollen, das hinter unserem Weltgeheimnis steht – das ist Gott.

Wenn uns ein Geheimnis begegnet, das Geheimnis unseres Daseins, das Geheimnis unserer Sehnsucht, das Geheimnis unserer Berufung, das Geheimnis unseres nächsten Menschen, dann steht in unserer Seele die Liebe auf. Sie ist freilich ein Zittern, eine Ehrfurcht, ein Staunen, sie ist ein Nichtbegreifenkönnen, und darum ist sie schweigend und wortlos. Aber das ist das Urelement aller Liebe. Wem in seiner Liebe nicht ein Geheimnis begegnet, der hat noch keine wahre Liebe. Wem aber schon das Geheimnis aller Geheimnisse begegnet ist, der Unendliche, Unbegreifliche, Unsagbare, Gott – dem ist die Liebe selbst und an ihrer Quelle begegnet. Er kann nicht anders als auf die Knie fallen und die Arme ausstrecken in Ehrfurcht und Sehnsucht. Das ist die Liebe zu allererst: in die Knie fallen und zugleich die Arme ausbreiten. Gott ist für jeden geschaffenen Geist unbegreiflich. Der Seinsreichtum und der Lebensabgrund Gottes kann von keiner geschaffenen Erkenntniskraft erschöpfend durchschaut werden, kann durch keinen menschlichen Begriff umgriffen werden, kann durch keine menschliche Vorstellung umspannt werden. Er ist ein undurchdringliches Mysterium. Auch wenn sich Gott dem Menschen erschließt, bleibt er der Unbegreifliche. Die Offenbarung hebt das Geheimnis nicht auf, sondern stellt es ins Licht. Der Mensch kann nicht in die Tiefe des Persongeheimnisses Gottes eindringen, weil er Gott sein Bei-sich-sein nicht entreißen kann. Um dies zu können, müsste er Gott selbst sein.

2. Gott ist unser großes Geheimnis, weil er so reich, so unerforschlich, weil er unendlich tief ist, unnahbar, weil er lauter Licht ist. Er ist das Licht einfachhin, das ewige Licht. Das ist die zweite Gestalt, in der Gott unserer Seele begegnet: Licht. Licht nennen wir alle Kraft des Erleuchtens, alles, was unser Leben hell macht, was uns hilft, zu sehen und zu verstehen, was unserem Leben und unserer Welt einen Sinn, einen Zusammenhang und also auch einen Bestand gibt. Licht ist die aufbauende Kraft, die schöpferische Kraft, das Erlösen und Befreien. All das meinen wir, wenn wir von Licht sprechen. Der Evangelist Johannes ist der Herold dieses Lichtes: Das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und Finsternis ist in ihm überhaupt nicht (1 Joh 1,5). Der Begriff „Licht“ steht für die Wirklichkeit Gottes, und zwar nicht im Sinne der Offenbarung, sondern der göttlichen Wesensfülle und sittlichen Heiligkeit. Die Aussage „Gott ist Licht“ gehört zu den großen Wesensaussagen über Gott neben den beiden anderen „Gott ist Geist“ (Joh 4,24) und „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,16). Das Licht ist Sinnbild alles Guten und Reinen. Es ist vor allem das Sinnbild sittlicher Reinheit. So will die Aussage von Gott jede Trübung ausschließen. Gott ist der vollkommen Gute (Mt 19,17); er ist unberührt vom Bösen (Joh 1,13). „Und Finsternis gibt es keine bei ihm.“ Das göttliche Wesen ist schattenlose Helligkeit. Die Fülle des göttlichen Seins duldet kein anderes, von ihm getrenntes, real existierendes Reich des Bösen.

Gott ist das ewige Licht, das Licht, das im Anfang ist und das kein Ende nimmt; das erste, was je gewesen ist, das war das Licht, und das letzte, was je einmal sein wird, ist wiederum das Licht. Das Höchste, was es gibt, und das Tiefste ist das Licht, und damit auch die Ruhe, die Sicherheit, das Wohltun, die Wärme. Im Anfang ist das Wort, und das Wort leuchtet in der Finsternis, und wenn die Finsternis es auch nicht erkennt, es ist doch da. Und wenn es auch eine Qual gibt, das Glück ist doch größer; und wenn es auch eine Sünde gibt, das Heilige ist noch mächtiger; und wenn es auch eine Hölle gibt, der Himmel ist weiter. Nicht das Leid und das Nein und die Finsternis ist das Letzte und Stärkste, sondern das Glück, das Ja, das Licht. Kann man nun etwas anderes als diesen Gott lieben, dieses unauslöschbare Licht? Kann in unseren Herzen, wenn ihnen Gott begegnet, etwas anderen aufstehen als jenes unsagbare Frohsein, das in allen lichthungrigen Geschöpfen aufsteht, wenn sie aus der Finsternis ans Licht treten? Kann etwas anderes in uns laut werden als die hinreißende Danksagung: Wir danken dir, dass du bist, Gott, unser Licht! Wir danken dir, dass du Licht bist. Wir danken dir für deine große Herrlichkeit! Das aber ist Liebe: ein Frohwerden und ein Aufatmen und ein Danksagen, wenn das geliebte Licht kommt, wenn es einfach nur da ist.

3. Endlich begegnet uns Gott als das persönliche Du. Als Persönlichkeit tritt er zu uns. Gott ist nicht eine dumpfe Kraft, nicht ein lebloses Weltgesetz. Er ist Person. Person ist die Substanz, welche die Vollkommenheit der Geistigkeit besitzt. Nach Boethius ist Person die einzeln für sich bestehende Substanz der vernünftigen Natur. Die Anwendung dieser Begriffe auf Gott kann selbstverständlich nur analogisch geschehen. Gott ist weder Natur noch Person im geschöpflichen Sinne, sondern nur im ähnlichen, aber eminenten Sinn, der alle Unvollkommenheiten ausschließt. In Gott gibt es keine Zusammensetzung von Natur und Persönlichkeit. Zwischen Gottheit und Gott besteht eine vollkommene Gleichheit. Die Gottheit ist Gott und Gott ist die Gottheit. Gott ist ein Ich. Ein Ich ist das Wunder des geistigen Fürsichseins und das Wissen um dieses Fürsichsein. Das Ich ist das Wunder, dass ein ganzes Dasein in einem einzigen Punkt zusammenströmt, der alles umschließt. Das ist auch in Gott. Das Geheimnis des Personalen, das schon unter Menschen besteht, verdichtet sich, wenn wir von dem sprechen, der die Fäden der menschlichen Geschichte knüpft und ein alles Menschenmaß überschreitendes reiches Leben lebt. Wenn wir ihn Gott heißen, so ist das nur ein Wort unserer Hilflosigkeit, auf dass wir nicht ganz von ihm schweigen müssen.

Wenn ein Ich zum anderen kommt, dann wird das Ich zum Du. Alles höhere Leben schon unter uns Menschen, alle Kultur und alles Geistesleben, aller Fortschritt und alles Wachstum der Seele ist gegründet auf persönliche Beziehungen, auf Gemeinschaft, auf das Dusagen. So besteht auch in Gott alles göttliche Leben und Glück in einem persönlichen Zusammensein, in einem Dusagen. Auch in den möglichen Zeiträumen, in denen kein Geschöpf existiert und in denen doch Gott da ist, ist Gottes Leben und Glück ein persönliches Leben. Es findet in dem Strombett einer Zweisamkeit nicht Platz; es breitet sich aus in einem dritten Du. Gott ist ein dreifaches Ich und Drei sind in ihm, die einander Zeugnis geben, die einander ein göttliches Du sagen: der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Wenn dieses dreifache Du uns begegnet, wird es uns zur Erfüllung alles Dusagens, wird es uns zum Du einfachhin, zum Du, in dem alles Du und alles Ich mündet. Das Du, das wir zu Gott sprechen: Mein Gott bist du!, wird uns zum Urgebet, zum Liebeswort aller, die das Antlitz der Persönlichkeit tragen. Weil aber Gott das Licht ist, das ewige Licht, darum ist dieses göttliche Ich ein gütiges Ich, ein warmes und wohltuendes Ich. Das Du, das wir zu ihm sagen, wird zum Ausdruck allen Vertrauens. Wir können vertraulich zu ihm sein, weil wir ihm schon anvertraut sind, bevor wir um uns selbst wissen. Das aber ist Liebe. Das ist nicht bloß Urliebe, sondern auch Endliebe, die heimgekommene, die erwartete, die erwachsene Liebe: Vertraulichkeit ohne Vorbehalt, ein Zueinanderkommen, ohne dass etwas zurück bleibt, das ist die Liebe schlechthin, die Liebe zu Gott. Die Liebe zu Gott ist also eine Selbstverständlichkeit, weil die Liebenswürdigkeit Gottes etwas so Sieghaftes ist, das uns überwältigt. Gott kann man nur liebhaben, Gott darf man liebhaben, Gott muss man liebhaben. Das ist der erste und eigentliche Sinn des größten aller Gebote: Du sollst Gott lieben. Es hat zuerst den Sinn einer Erlaubnis und einer Verheißung, so wie wenn uns gesagt würde: Seid nur getrost, ihr sollt groß werden, ihr sollt glücklich sein, ihr sollt etwas Vollkommenes sein. Ihr sollt leben und überfließend leben und ewig leben, darum sollt ihr lieben.

Es ist also die Liebe zu Gott etwas Leichtes und Schweres zugleich: leicht für die Liebenden, aber schwer für den, der sie nicht hat; leicht für große Menschen, aber schwer für kleine und enge. Denn Liebe ist auch immer ein Aufstieg, also auch eine Aufgabe. Sie ist ein Nahesein, aber ein Nahesein beim Meer und beim Gebirge, ein Wohnen beim Blitz, das ist die Liebe. Darum gehört zu ihr auch ein großer Mut und eine große Tat. Sie birgt in sich auch ein Leid und ein Opfer. Blitze zucken um Sinai, den Berg der Gebote. Und aus den Blitzen heraus kommt die Stimme: Du sollst keine fremden Götter neben mir haben! Aber das erschreckt uns heute nicht. Mit strahlenden Augen schauen wir in die Blitze und antworten: Wir wollen auch keine anderen Götter neben dir haben, denn keiner ist dir gleich. Unser Gott, unseres Herzens Gott bist du und unser Anteil in Ewigkeit!

Amen. 

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