7. Mai 2023
Ordnung und Unordnung der Geschlechtlichkeit
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Herr kündigt im Evangelium des heutigen Sonntags die Sendung des Parakleten, des Beistandes, des Trösters, genauer des Heiligen Geistes an. Er wird der Welt beweisen, dass es eine Sünde, eine Gerechtigkeit und ein Gericht gibt. Der Nachweis, dass es eine Sünde gibt, ist auf keinem sittlichen Gebiet so notwendig wie dem der geschlechtlichen Sittlichkeit. Hier ist die Leugnung der sündhaften Unordnung weit verbreitet. Die Menschen suchen im geschlechtlichen Tun Befriedigung. Um nicht darin gestört zu werden, bestreiten sie, dass es strenge Gebote Gottes für das geschlechtliche Verhalten gibt und dass ihre Übertretung sündhaft ist. Daher muss der Herold Gottes ihnen entgegentreten.
Der Geschlechtstrieb mit seiner Lust ist vom Schöpfer zu hochernstem, erhabenem Zweck in die Menschennatur gelegt: die Art soll erhalten, die Kinder sollen in der Familie von den durch rechtmäßige Ehe verbundenen Eltern erzogen und die Familien zu Pflanzstätten edler Menschentugend ausgestaltet werden. Das ungeordnete Verlangen nach Geschlechtslust heißt Unkeuschheit. Die sittliche Ordnung des Geschlechtstriebes fordert die Unterwerfung dieses Triebes unter den Geist und seine sittlichen Zwecke, die Hinordnung der Geschlechtskraft auf das Ziel der Fortpflanzung, seine ausschließliche Befriedigung in der Ehe. Es gilt der Grundsatz: Jede außerhalb der Ehe direkt gewollte geschlechtliche Lust ist Sünde.
Es gibt geschlechtliche Sünden, die in Einsamkeit einer Person geschehen. Die Masturbation ist die volle geschlechtliche Selbstbefriedigung. Ihre Wurzel ist eine verkehrte Selbstliebe. Wer sie übt, vermeint sich selbst einen Genuss zu verschaffen. Er handelt gegen die von Gott festgelegte Weise, die Geschlechtskraft zu gebrauchen. Die Selbstbefriedigung wird häufig durch vorausgegangene und nicht bereute unzüchtige Gedanken sündhafter Art hervorgerufen. Sie kann auch ein Ersatz für den ehelichen Verkehr nach Scheidung oder Tod des Gatten sein. Sie ist vor allem in der Pubertät junger Menschen häufig. Die Selbstbefriedigung kann ausarten, wenn ihr nicht Einhalt geboten wird. Dann wird diese Sünde zum Laster. Die lasterhafte Gewöhnung macht den Menschen zum Sklaven seiner Sucht.
Vorehelicher und außerehelicher Geschlechtsverkehr ist eine schwere Verletzung der Keuschheit. Was angeblich oder wirklich liebende Menschen vor dem Eheabschluss in geschlechtlicher Hinsicht miteinander tun, ist ein Raub an der geplanten Ehe. Vorehelicher Ge-schlechtsverkehr entzieht der Ehe im Voraus einen Teil der Kraft, das eheliche Leben nach Gottes Willen und zum eigenen Segen zu gestalten. Werden Personen, die sich vor Eingehung der Ehe nicht beherrschen können, imstande und gewillt sein, ihre eheliche Beziehung nach Gottes Gesetz zu gestalten? Der außereheliche Geschlechtsverkehr zwischen ledigen Personen ist Unzucht. Der außereheliche Verkehr eines Verheirateten ist Ehebruch, ist Untreue gegen den anderen Ehegatten. Er beeinträchtigt das gegenseitige Verhältnis der Gatten, führt zu Spannungen, zum Verlust der Liebe und in vielen Fällen zur Trennung.
Der Wille zur Fruchtbarkeit ist insofern der Ehe wesentlich, als der Ehevertrag, der nicht das volle Recht zur Beiwohnung und zur Kinderzeugung einschließt, keine Ehe begründet. Die Ausübung dieses Rechts untersteht der freien gemeinsamen Entschließung der Gatten. Die künstliche Vermeidung der Fortpflanzung beim Geschlechtsverkehr, also die absichtliche, widernatürliche Verhinderung der Empfängnis beim ehelichen Akt, steht im Widerspruch zur Natur der Ehe. Sie macht die Ehe zum Werkzeug der Lust, trübt das Familien- und Glaubensleben und zerstört auf die Dauer die Kraft des Volkslebens. Eheleute, die sich aus gewichtigen Gründen keine Vermehrung der Kinderzahl wünschen, sind auf die volle Enthaltsamkeit oder die periodische Enthaltung zu verweisen. Die natürliche und kirchliche Moral kennt nur einerseits den naturgemäßen Vollzug der Ehe und anderseits den Verzicht auf den Geschlechtsakt. Wir Priester wissen, wie schwer es ist, in einer Ehe volle Übereinstimmung zwischen Mann und Frau in Bezug auf das Geschlechtsleben zu finden. Wir Priester wissen auch, wie schwer es vielen Menschen fällt, zeitweise oder immer auf den geschlechtlichen Verkehr zu verzichten. Aber es gilt: Was Gott befiehlt, kann nicht unmöglich sein. Ein Gesetz wird auch nicht dadurch falsch, dass es den, der es auf Anruf verkündet, nicht trifft.
Sterilisation ist das operative Herbeiführen der Unfruchtbarkeit (Sterilität).Im Unterschied zur Kastration bleiben die Keimdrüsen und die Geschlechtsorgane erhalten. Das Sexualleben (Libido, Ausübung des Geschlechtsverkehrs) ist nicht beeinträchtigt. Als Methode der Empfängnisverhütung ist die Sterilisierung unzulässig. Sie ist als erlaubt anzusehen, wenn sie sich zur Rettung des Lebens oder der Gesundheit als notwendig erweist.
Homosexualität ist die geschlechtliche Hinneigung zu Personen des gleichen Geschlechts, der unzüchtige geschlechtliche Verkehr zwischen Personen desselben Geschlechts. Die Verfehlung beruht meist auf Verführung, lasterhafter Verrohung oder perverser Triebanlage. Es existiert keine genetische Bedingtheit von Homosexualität. Die Entschuldigung, Verteidigung oder Empfehlung homosexuellen Verhaltens in heutiger Zeit gehört zu den Zeichen des Zurücksinkens in heidnische Sittenlosigkeit. Sie ist widernatürlich, weil sie dem Hauptzweck des Geschlechtsverkehrs, der Erhaltung der Art, zuwider ist. Homosexualität wird in der Heiligen Schrift als Greuel (Lev 18,22), als todeswürdig (Lev 20,13), als widernatürliche Verirrung (Röm 1,26f.), als der gesunden Lehre widerstreitend (1 Tim 1,10f.) gekennzeichnet und an Sodoma und Gomorrha mit Vernichtung durch Feuer und Schwefel bestraft (Gen 19,24).
Abtreibung oder Tötung der Leibesfrucht ist die freiwillig durch eine Handlung oder Unterlassung verschuldete Vernichtung des menschlichen Embryos in der Zeit von der Empfängnis bis zur Geburt. Das Kind im Mutterleib ist nichts anderes als ein Mensch im frühesten Stadium seiner Entwicklung. Der Embryo entwickelt sich nicht zum Menschen, sondern er entwickelt sich als Mensch. Vom Zeitpunkt der Verschmelzung der elterlichen Keimzellen trägt er eine einzigartige menschliche DNA in sich. Das Kind im Mutterschoß ist von seinen Anfängen an (Embryo, Fötus) ein menschliches Wesen. Es ist Träger einer unsterblichen Seele und eines unantastbaren Lebensrechtes. Die Abtreibung beraubt das Kind der Taufgnade, schädigt oder gefährdet die Mutter, belädt sie häufig mit lebenslangen seelischen Wunden. Die absichtliche Einleitung einer Fehlgeburt (abortus), d.h. die Abtreibung der noch nicht lebensfähigen Frucht und erst recht die gewaltsame, operative Tötung des ungeborenen Kindes ist in jedem Fall unzulässig. Die Carolina, das Reichstrafgesetzbuch von 1532) setzte auf die Abtreibung durch die Mutter die Strafe des Lebendigbegrabenwerdens. Im Gegensatz zu irrigen Darstellungen sei bemerkt: Die Pille hat die Zahl der Abtreibungen nicht vermindert. Der vermehrte Verbrauch von empfängnisverhütenden Mitteln hat eine Zunahme der Abtreibungen zur Folge. Die vorgeburtlichen Diagnosen werden oft zum Anlass genommen, die Abtreibung anzuraten oder vorzunehmen. Sogenannte „überzählige Embryonen“ werden umgebracht oder für Forschungszwecke verwendet, die unter dem Vorwand des wissenschaftlichen oder medizinischen Fortschritts in Wirklichkeit das menschliche Leben zum bloßen „biologischen Material“ degradieren, über das man frei verfügen könne.
Die Anhänger der Euthanasie erklären die Tötung eines Menschen für erlaubt oder geboten, wenn sein Leben nutzlos, qualvoll oder gemeingefährlich sei. Bei jedem unheilbar Kranken soll auf seinen Wunsch, aber grundsätzlich auch ohne Verlangen die schmerzlose Tötung bewirkt werden können. Tötung aufgrund von Euthanasie untergräbt die allgemeine Sicherheit und Sittlichkeit. Sie ruft in den Einzelnen die schlimmsten Instinkte wach, erstickt alle echte Humanität, alle christliche Stärke und Geduld. Die Nationalsozialisten führten ein Programm zur systematischen Tötung missgebildeter Kinder und erwachsener Geisteskranker durch. Soweit sind wir heute noch nicht. Aber das Bundesverfassungsgericht hat 2020 entschieden, ein Sterbewilliger könne die Hilfe Dritter zum Sterben verlangen. In den Niederlanden geht man weiter. Die Zahl der Menschen, die dort aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen, hat 2022 ein Rekordniveau erreicht. 8720 Menschen haben sich auf eigenen Wunsch von Ärzten töten lassen. Die direkte Tötung eines Menschen ist schwer sündhaft. Das fünfte Gebot Gottes verbietet jede ungerechte Tötung. Ungerecht aber ist die Euthanasie selbst auf Wunsch des Kranken, da das Leben einer so selbstherrlichen Verfügung des Menschen entzogen ist. Nichts steht der indirekten Sterbehilfe entgegen, die zur Linderung unerträglicher Schmerzen narkotische Mittel anwendet, auch wenn als ungewollte Nebenwirkung eine Beschleunigung des Sterbens eintreten sollte.
Hochhaltung der Keuschheit und Reinhaltung der Ehe sind Gradmesser des sittlichen Standes eines Volkes. Die Unzucht hat für den Einzelnen, aber auch in sozialer Hinsicht die verderblichsten Folgen. Die Libido, die Wollust, ist unersättlich, sie wird um so mehr gesteigert, je mehr man ihr nachgibt (usu crescit, nunquam satiatur: Hieronymus Ep 123,14). Die ungeordnete Geschlechtslust wird der Vorherrschaft der Vernunft am gefährlichsten. Unzucht bedroht Gesetz und Urteil sowie die gedeihliche Entwicklung eines Menschenlebens; sie stellt eine Entweihung des Tempels Gottes dar. Die mit unreinen Vorstellungen erfüllte Phantasie beeinflusst den Geist des Menschen in verhängnisvoller Weise. Das ganze Denken wird missleitet und korrumpiert. Die Tugend der Klugheit wird von Grund aus zerstört. So führt die Unzucht leicht zu Unbeständigkeit und Übereilung, zur Gleichgültigkeit gegen wahre Ehre, zu mangelhafter Sorge für Hab und Gut, zu Unlust und Verdrossenheit, zur Furcht vor der Ewigkeit, zum Hass gegen Gott, der die Unzucht verbietet und bestraft, zum Trotz gegen alle Autorität, zur geistlichen Unempfänglichkeit; sie kann mit Irrglauben, Unglauben, Verblendung und Selbstmord enden.
Die Kirche konnte sich bei ihrem Bemühen, die Bevölkerung zur Beobachtung des Sittengesetzes anzuhalten, lange Zeit auf die staatliche Gesetzgebung stützen. Doch hierin hat sich ein tiefgehender Wandel vollzogen. Der Staat hat Wort und Sache der Sünde aus seinem Katalog gestrichen. Er macht immer mehr Konzessionen an die in der Gesellschaft dominierenden Bestrebungen zu Erleichterung, Freizügigkeit und Ungebundenheit im Bereich des Geschlechtlichen, häufig oder meistens in Verbindung oder Übereinstimmung mit Ansichten des Protestantismus. Die Regierenden haben daher viele, fast alle lästigen Strafbestimmungen gegen Unzucht und Missbrauch der Geschlechtskraft aus dem Strafrecht entfernt. Ich erwähne einige. Das 1. Strafrechtsreformgesetz vom 25.6.1969 hob u.a. die Strafbarkeit des Ehebruchs und der einfachen Homosexualität auf. Das 4. Strafrechtsreformgesetz vom 23.11.1973 reformierte das Sexualstrafrecht und schränkte die früheren Sittlichkeitsdelikte im Wesentlichen auf Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ein. Das 29. Strafrechts-Änderungsgesetz vom 31.5.1994 hob den §175 StGB auf und schaffte die besondere Strafbarkeit homosexueller Handlungen ab. Ein ähnlicher Rückzug aus der Strafbarkeit hat sich auf dem Gebiet des menschlichen Lebens vollzogen. Der Schutz des keimenden Lebens, des kleinen Menschen im Leib der Mutter wird immer mehr abgebaut. Der Schutz des Lebens von Alten und Kranken wird immer mehr eingeschränkt, die straflose Beihilfe zur Selbsttötung wird ständig erweitert. Die Straffreiheit für die Abtreibung wird gefordert und vermutlich bald durch Gesetz eingeführt werden. Die Beseitigung der Strafbarkeit für viele Sittlichkeitsvergehen wird von der Bevölkerung dahin verstanden, dass die entsprechenden Taten erlaubt seien, erlaubt in der Gesellschaft und erlaubt vor Gott.
Eine unheilvolle Entwicklung wurde eingeleitet mit dem Grundsatz: Geschütztes Rechtsgut ist nicht mehr die allgemeine Sittlichkeit, sondern die Freiheit der Entscheidung über die geschlechtliche Betätigung. Mit dieser Einschränkung verzichtet der Staat auf die Normierung des geschlechtlichen Tuns und stellt es in das Belieben des Einzelnen. Bestraft wird nicht mehr die geschlechtliche Verirrung, sondern die Beeinträchtigung der Selbstbestimmung, die Verirrung vorzunehmen. Es kann einer so abwegig und pervers sein, wie er will. Nach diesem Grundsatz ist er strafrechtlich nicht zu belangen, sofern sein Komplize seinem lasterhaften Tun aus freien Stücken zustimmt. Dieser Ansatz ist verfehlt. Die Männer und Frauen, die das Strafrecht bearbeiten, sollten zweierlei bedenken. 1. Dem Strafrecht ist nach richtiger Ansicht zu seinem Teil auch der Schutz der allgemeinen Sittlichkeit aufgetragen. Der sittliche Stand des Volkes hängt von der sittlichen Einstellung und vom sittlichen Verhalten des Einzelnen ab. Die Verfehlungen des Einzelnen auf diesem Gebiet schaden auch der Gemeinschaft. Der Mensch, der sich im sittlichen Schlamm bewegt, verliert etwas von seinem Wert und seinem Nutzen für die Gesellschaft. Die Gesellschaft leidet Schaden von seinem Tun. 2. Der Mensch ist versuchlich; er muss vor sich selber geschützt werden. Eine ungemessene Freiheit überfordert ihn. Die mit dem Geschlechtsverkehr verbundene Lust ist vom Schöpfer zur Sicherung des Zweckes der Ehe, der Fortpflanzung des Menschengeschlechtes, beigegeben. Wenn diese Lust zum Hauptzweck erhoben wird, folgt man einer materialistischen Lebensanschauung, die nur ein irdisches Dasein kennt und dieses möglichst genussreich und bequem zu gestalten sucht. Mit einer solchen Einstellung lassen sich Gemeinsinn, Uneigennützigkeit, Selbstlosigkeit und Opferwilligkeit nicht vereinen. Aber diese Haltungen benötigt das Volk.
Wir Seelsorger und Beichtväter wissen um die Gefahren und die Nöte, die von der Sexualität ausgehen. Für die meisten Menschen besteht zeitweise oder lebenslang ein sexuelles Problem. Dem erbsündigen Menschen ist es angesichts der Stärke des Geschlechtstriebes im Allgemeinen nicht möglich, jede, auch die entfernte Gefahr zur Sünde ganz zu meiden. Das gilt besonders heute in einer weithin sexuell entarteten Öffentlichkeit. Die Sünden gegen das sechste Gebot sind gewiss ungleich in Schwere und Häufigkeit. Eines aber haben sie gemeinsam: Sie sind ausnahmslos gefährlich, weil sie auf Wiederholung, Abwechslung und stärkere Dosierung drängen. Die sexuelle Gefahr und die sexuelle Not werden nicht durch Nachgiebigkeit und Zugeständnisse überwunden. Die Rettung kommt nur von einem: vom unerbittlichen Widerstand gegen die geschlechtliche Unordnung auf allen Gebieten, in jeder Form, in jedem Alter, unter allen Umständen. Es gibt nicht für jede Not ein irdisches Heilmittel. Es gibt Not, die nur transzendent gelöst wird. Christ sein, Katholik sein heißt: solche Not in Gebet, in Entsagung, in Opfer lösen. Opfer, tausend Opfer, deine und meine Opfer sind nötig, damit die Gesamtheit leben kann.
Amen.