Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
23. April 2023

Die österliche Zeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Christus, der gute Hirt, geht durch die Osterzeit. Er sucht und sammelt die verlorenen Glieder seiner Herde. Er hofft, dass sie ihn an seiner Stimme erkennen und dass sie zu ihm zurückkehren. „Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, und sie hören meine Stimme.“ Was predigt sie uns?

I. Österliche Zeit ist Erinnerung an die heilige Taufe

Wer erweist dem leidenden, sterbenden und wiedererstandenen Christus seine Verehrung, als wer mit ihm leidet, stirbt und aufersteht? Bei allen Gläubigen hat diese Teilnahme begonnen mit der wunderbaren Wiedergeburt. Durch die Tilgung der Sünde ersteht hier der Mensch zu neuem Leben. In den ersten christlichen Zeiten wurde die Tauffeier am Osterfest feierlich begangen. Sie war in aller Wirklichkeit die Auferstehung der Seelen zum neuen Leben. „Begraben wurden wir mit Christus durch die Taufe auf seinen Tod, damit wir, gleich wie Christus von den Toten auferweckt wurde durch die Herrlichkeit des Vaters, in der Neuheit des Lebens wandeln sollen“ (Röm 6,4). Bis zum Weißen Sonntag gingen die Getauften im weißen Gewand der Freude einher. Sie waren ganz und gar von dem Glück des Getauftseins, der Gotteskindschaft und der Gottesgnade erfüllt. Die innere Beglücktheit trugen sie durch ihre Gewandung nach außen.

Osterzeit ist Taufzeit. Sie will in unserer Seele die Erinnerung an diese größte aller Gnaden des guten Hirten Jesus Christus erwecken. „Seht, welch eine große Liebe der Vater uns geschenkt hat, dass wir Kinder Gottes heißen und sind“ (1 Joh 3,1). Wir sind es durch die heilige Taufe. „Ihr waret einst irrende Schafe, jetzt aber habt ihr heimgefunden zu eurem Hirten und dem Bischof eurer Seelen“ (1 Petr 2,25). Diese Heimfindung geschah durch die heilige Taufe. Erinnern Sie sich an die Zeremonien, in denen Sinn und Wesen des Taufgeschehens zum Ausdruck kam. Der das Sakrament spendende Priester sprach: Nimm hin das weiße Gewand und bringe es unversehrt vor den Richterstuhl unseres Herrn Jesus Christus, damit du das ewige Leben habest. Der taufende Priester sprach sodann: Nimm hin das brennende Licht und bewahre ohne Tadel, was du in der Taufe empfangen hast. Der Priester knüpfte gemäß der Weisung des Herrn daran die Ermahnung: Halte treu die Gebote Gottes, auf dass du, wenn einst der Herr zur Hochzeit kommt, ihm mit allen Heiligen im Himmel entgegenziehen darfst, die ewige Seligkeit erlangest und in alle Ewigkeit lebest. Darauf folgte der Dialog zwischen Täufer und Täufling bzw. Taufpaten: Widersagst du dem Satan? Ich widersage. Und allen seinen Werken? Ich widersage. Und all seiner Pracht? Ich widersage. Erinnern wir uns in dieser österlichen Zeit unserer Taufe? Gedenken wir der Taufgnade? Haben wir sie rein und unbefleckt bewahrt? Können wir das brennende Licht und das weiße Gewand der Taufstunde unversehrt vor den Richter tragen? Sind uns die Gebote Gottes zur Leitlinie unseres Lebens geworden?

II. Österliche Zeit ist Beichtzeit

Das Vierte Laterankonzil (1215) hat das Kirchengebot aufgestellt: Alle Gläubigen beiderlei Geschlechts sollen (nachdem sie zu den Jahren der Unterscheidung gelangt sind) alle ihre Sünden wenigstens einmal im Jahre gewissenhaft dem zuständigen Beichtvater bekennen und sich bemühen, die ihnen auferlegte Buße nach Kräften zu erfüllen, und wenigstens an Ostern ehrfürchtig das Sakrament des Altares empfangen. Bei diesem Gebot liegt die Betonung nicht auf dem Wort „einmal“, sondern auf dem Wort „wenigstens“. Man sagt, das sei ein Zwang, ein Joch. Als ob auch der Wegweiser am Straßenrand einen Zwang ausübte. Als ob auch die Sterne am Himmel, zu denen der Seemann Ausschau hält, einen Zwang bedeuteten. Das Bußsakrament wird nicht aufgezwungen; es wird angeboten. Die Ablegung der Osterbeicht ist ein Zeichen der Treue gegenüber dem Ruf des Guten Hirten. „Meine Schafe hören auf meine Stimme.“ Wer zur Osterbeicht hintritt, hört seine Stimme und kommt zu ihm.

Osterzeit ist Beichtzeit. Da will der Gute Hirt mit seiner Erlösungsgnade jede einzelne Seele erlösen. Die Beichte ist das Sakrament der Erlösung im Blute Jesu: „Selig sind, die ihre Kleider rein gewaschen haben im Blute des Lammes“ (Apk 7,14). Durch Reue über unsere Sünden, durch Bekenntnis unserer Schuld wird die Erlösungsgnade der Taufe erneuert. Wie beglückend ist es, auf die demütige Anklage unserer Sünden hin das Wort der Erlösung, die heilige Lossprechung im Namen Jesu zu empfangen: „Gehe hin, deine Sünden sind dir vergeben“ (Mt 9,5). Wie beglückend ist es, die bereuten und bekannten Sünden auszustoßen und auszuscheiden. Dann kommen Osterfriede und Osterfreude in unser Herz.

Die österliche Zeit ist kirchenrechtlich die Zeit zur Erfüllung der österlichen Pflicht der Osterbeicht und der Osterkommunion. Nach allgemeinem Recht reicht sie von Palmsonntag bis zum Weißen Sonntag. Um jedem Christen Gelegenheit zur Ablegung der Osterbeicht zu geben, dehnt die Kirche die österliche Zeit vom Aschermittwoch bis zum Pfingstfest aus. In besseren Zeiten der Kirchengeschichte wurde das Gebot der österlichen Beicht und Kommunion ernst genommen. Wie hat sich die Kirche einst bemüht, möglichst alle Christen zum Empfang des Bußsakramentes zu bewegen! Die Bischöfe mahnten ihre Diözesanen, sich zur Osterbeicht einzufinden. Die Priester luden ihre Anvertrauten ein, das große Geschenk der Erneuerung und Versöhnung anzunehmen. In den Fastenpredigten wurde versucht, die Zuhörer zu Reue und Zerknirschung zu bewegen, sie zur Bekehrung zu führen. Um die Erfüllung der Osterpflicht zu erleichtern, gaben die Pfarrer Gelegenheit, bei einem fremden Beichtvater das Bußsakrament zu empfangen. Wer in der österlichen Zeit das Bußsakrament empfing, erhielt vom Beichtvater ein Bild, das seine heilige Beicht bezeugte. Dieses Bemühen der Kirche war nicht vergeblich. Es zeitigte unbestreitbare Erfolge. Vor dem Weißen Sonntag fand mancher Vater wieder den Weg zum Beichtstuhl, den er jahrelang nicht gefunden hatte. „Ich komme, weil mein Kind morgen zur ersten heiligen Kommunion geht.“ Wenn die Beichtstühle erzählen könnten vom Herzensfrieden des Weißen Sonntags! Die Beicht gibt mir Frieden mit Gott, die Freude des reinen Gewissens, Kraft für die Stunde der Versuchung und Hilfe im Kampf gegen meine Fehler. Sie hilft mir, mich besser kennenzulernen und in der Nachfolge Christi voranzukommen. Nach jeder Beicht bin ich froh und habe neuen Mut.

Das größte Hindernis, gut zu leben, ist das Aufschieben der Bekehrung. Mancher muss bekennen: Ich habe die Osterbeicht aufgeschoben, immer wieder aufgeschoben, von Woche zu Woche, von Jahr zu Jahr. Je länger einer das Beichten aufschiebt, desto schwerer fällt es ihm. In Kanada war es üblich, dass am Schluss der österlichen Zeit das Totenglöckchen nach dem abendlichen Gebet des „Engel des Herrn“ doppelt so lange läutete als sonst. Dann betete man für die geistig Toten, welche die Osterzeit ungenützt hatten verstreichen lassen, dass auch sie zur Kirche finden und nicht im Tod der Sünde verharren. Es ist gefährlich, die Gnadenzeit vorübergehen zu lassen, ohne Gottes und der Kirche Angebot zu benutzen. Der Augenblick wird kommen, wo du dir einen einzigen Tag oder eine Stunde wünschen wirst, um dich zu bessern. Aber ich weiß nicht, ob du sie erlangen wirst. Vor kurzem las ich den Spruch: „Es ist später, als du denkst!“ Für keinen, der guten Willen hat, ist es jedoch zu spät. So groß und schwer sind keine Sünden, dass sie nicht Gottes Nachlass finden. Die spät, in der letzten Minute kommen, haben einen herrlichen Patron. Es ist der Schächer, der zur Rechten Jesu gekreuzigt wurde. Das Wort des sterbenden Heilands „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein“ ist das große Wort des Trostes für Ungezählte. Nach einem Leben der Irrwege und der Abkehr von Gott fand der rechte Schächer heim. Wenn auch sehr spät, so doch nicht zu spät.

III. Osterzeit ist Kommunionzeit

Wenn wir der Stimme des Guten Hirten folgen, wenn wir uns durch ihn von unseren Sünden befreien lassen, dann können wir eins mit ihm werden in der österlichen Kommunion. Der Herr lädt uns ein, dringend und eindringlich. Er weist uns auf die Notwendigkeit der sakramentalen Verbindung mit ihm hin. Er ist der Weinstock, wir sind die Reben. Weinstock und Rebe müssen miteinander verbunden sein. Losgelöst vom Weinstock verdorrt die Rebe. Losgelöst von Christus, zerfällt das Christenleben. „Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, so habt ihr das Leben nicht in euch. Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mit und ich bleibe in ihm“ (Joh 6,53f.). Am Weißen Sonntag stand ein Mann ganz hinten unter dem Orgelchor. Er sah die Kinder aus den Bänken heraustreten. Im festlichen Kleid mit brennenden Kerzen schritten sie zum Altar. Er dachte an seine erste heilige Kommunion. Es ist schon lange her. Auch du warst mit Jesus aus Galiläa.

IV. Die österliche Zeit ist die Zeit der Erinnerung

Der christliche Apologet Aristides schrieb in seiner Schutzschrift für die Christen an Kaiser Hadrian: Wahrhaft neu ist dieses Volk, eine göttliche Mischung ist in ihm. Die Christen sind neue Menschen. Sie haben das Bad der Erneuerung empfangen (Tit 3,5). Sie haben den neuen Menschen angezogen (Kol 3,10). Die in der Taufe geschehene Erneuerung muss immer wieder bekräftigt und aufgefrischt werden. Was soll erneuert werden? Das Leben der Gnade, das Leben im Heiligen Geiste, das ganze Christenleben. Wodurch geschieht die Erneuerung? Durch Gehorsam gegen Gottes Willen. „Bleibet in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe“ (Joh 15,9). „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote“ (Mt 19,17). Die Gebote Gottes sind die Grundschule für jede sittlich geordnete Lebensführung. Wenn Gottes Gebote nicht mehr gelten, dann werden zehntausend Staatsgesetze keine sittliche Ordnung aufrichten. Es war immer die Überzeugung aller wahrhaft weisen Männer, dass das Sittengesetz nicht etwas von Menschen Erdachtes, sondern etwas Ewiges ist (Cicero). Halten wir Gottes Gebote! Halten wir die Gebote der Kirche! O meine lieben Freunde! Lassen Sie die österliche Zeit nicht vorübergehen, ohne in Christus innerlich erneuert zu werden. Es kann die letzte österliche Zeit unseres Pilgerlebens sein. Nutzen wir sie!

Amen.

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