Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2022

Stephanus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wie passen die Menschwerdung Gottes und die Steinigung ihres Bekenners Stephanus zusammen? Wie vertragen sich der Gesang der Engel auf den Halden von Bethlehem und das wütende Geschrei der Verfolger des heiligen Diakons? Die Kirche weiß, warum sie die Feste der Herabkunft des Gottessohnes auf die Erde und das Martyrium seines Zeugen nebeneinanderstellt. Die erlösende und umgestaltende Kraft der ersten Ankunft des Erlösers ist nicht vollständig erkannt ohne den Kampf seiner Anhänger mit den Mächten der Finsternis.

In der Jerusalemer Urgemeinde war es zum Streit gekommen zwischen zwei Gruppen von Christen, den Hellenisten, den nur griechisch sprechenden Judenchristen, und den Hebräern, den gesetzesstrengen Judenchristen. Aufgrund dieser Auseinandersetzung werden sieben Männer bestellt, um die Apostel zu entlasten. Einer von ihnen ist Stephanus. Unter den sieben Diakonen der Jerusalemer Urgemeinde ist er der Mann ihres Vertrauens. Stephanus ist ein außergewöhnlicher Christ. Er ist ein Mann „voll Glauben und Heiligen Geistes“. Er steht in „gutem Ruf“ und besitzt „Weisheit“. Stephanus ist von Gott begnadigt als Wundertäter. Er wirkt voll Gnade und Kraft. Er besitzt die geistgeschenkte Weisheit, die zur kraftvollen Verkündigung des Gotteswortes, zum Zeugnis, auch zum überlegen geführten Disput befähigt.

Stephanus gerät mit Mitgliedern der hellenistisch-jüdischen Synagogen in Streit. Mit Hilfe eines inszenierten Volksaufstandes wird er vor den Hohen Rat gebracht. Dort treten Zeugen gegen ihn auf. Stephanus wehrt sich. Die Apostelgeschichte gibt seine Verteidigungsrede vor dem Hohen Rat wider. Ein Augen- und Ohrenzeuge dürfte sie Lukas überliefert haben. Stephanus ist ein geschulter Theologe. Er überblickt die gesamte Geschichte Israels, die Heilsgeschichte Gottes mit seinem Volk. Er preist die wunderbaren Führungen Gottes, spricht aber auch die Widerspenstigkeit des Volkes an. Die Israeliten haben das Gesetz Gottes empfangen, aber es nicht gehalten (7,53). Dann geht er zum Angriff über. Er verkündet, dass das Heil nicht durch das Gesetz des Alten Bundes, sondern durch Jesus Christus kommt. Der gläubige Anschluss an ihn führt zur himmlischen Seligkeit. Wir werden gerettet durch Gottes Gnade vermittels des Glaubens. Diese Wahrheit hat Konsequenzen. Gottes Gegenwart ist weder an sein Bundesvolk noch an den Tempel gebunden. Gott selbst hat sein Urteil über den Tempel gesprochen beim Tode Christi. Das Heilige und das Allerheiligste des Tempels waren über die ganze Breite des Hauses durch einen Doppelvorhang getrennt. Beim Tode Jesu ist dieser Vorhang zerrissen von oben bis unten. Dieser Vorgang ist ein göttliches Zeichen. Es zeigt an, dass die Scheidewand zwischen Heiligem und Allerheiligstem niedergelegt ist. Damit wird angedeutet, dass nun der Zugang ins Allerheiligste, d.h. zu Gott selbst, das bisher nur der Hohepriester am Versöhnungstag betreten durfte, frei ist. Jesu Tod hat die Versöhnung der Menschen mit Gott bewirkt. Stephanus verkündet, dass sich der Jerusalemer Tempel überlebt hat. Der Kult des Neuen Bundes ist nicht an einen einzigen Ort gebunden. Das neue Opfer wird gemäß der Weissagung des Propheten Malachias allerorten dargebracht. Stephanus verkündet das Ende des Alten Bundes, für den Moses und der Berg Sinai stehen. An seine Stelle tritt der Neue Bund, begründet im Blute Jesu Christi. Gott hat seinen Sohn, den Gerechten (7,52), gesandt. Die Juden aber machen das Maß ihrer Halsstarrigkeit voll und schlagen ihn ans Kreuz. Die Verkündigung der Heilsbotschaft wendet sich daher an die Heiden. An Stephanus erfüllt sich die Verheißung Jesu: „Wenn sie euch vor die Synagogen und die Obrigkeiten und die Machthaber führen, so sorgt euch nicht darum, wie oder womit ihr euch verteidigen oder was ihr sagen sollt. Denn der Heilige Geist wird euch zu eben der Stunde lehren, was ihr sagen sollt“ (Lk12,11f.).

Viele der Zuhörer im Prozess gegen Stephanus sind erregt und empört. Sie werfen ihm „Lästerreden wider Moses und Gott“ sowie „Reden wider die heilige Stätte und das Gesetz“ vor. In der Tat bricht er mit dem Judentum, wie es sein Meister Jesus Christus getan hat. Stephanus ist ein Visionär. Er blickt, voll Heiligen Geistes zum Himmel empor und sieht die Herrlichkeit Gottes und Jesus zur Rechten Gottes stehen. „Ich sehe die Himmel geöffnet und den Menschensohn zur Rechten Gottes stehen“ (7,56). Die christliche Verkündigung spricht von Jesus, der zur Rechten Gottes sitzt. Stephanus aber sieht ihn zur Rechten Gottes stehen. Das heißt: Der Richter im Himmel hat sich erhoben, er steht auf, bereit und gewillt, seinen Bekenner aufzunehmen. Stephanus wird zum Tode verurteilt. Die Verurteilung erfolgt nicht in streng juristischem Verfahren, sondern tumultuarisch. Nur die Hinrichtung wird nach Gesetzesvorschrift (Lev 24,11ff.) vollzogen. Die Zeugen legen dabei ihre Kleider zu den Füßen des Saulus nieder. Stephanus betet sterbend für seine Verfolger: „Herr, rechne ihnen diese Sünde nicht an.“ So ist er im Tode seinem Meister und Herrn ähnlich geworden, der dieses Gebet zuerst gesprochen hat. Der wahre Zeuge, der seinem Herrn im Sterben so sehr gleicht, ruft nicht vergeblich: „Herr Jesus, nimm meinen Geist auf“ (7,59).

An der Gestalt und der Botschaft des Stephanus scheiden sich grundsätzlich und endgültig die Geister in Israel. Sein Tod leitet die Lösung der Kirche aus der Bindung an das Judentum, an Gesetz und Tempel ein. Der Vorfall bringt die Wende in der Urkirche. Die blutige Verfolgung der Christen beginnt. Die Jerusalemer Gemeinde zerstreut sich. „Die Versprengten aber zogen umher und verkündeten das Wort“ (8,4). Der Tod des Stephanus ist die heilsgeschichtliche Wende, die zur Ausbreitung der jungen Kirche nach ganz „Judäa und Samaria“ (1,8) und zur Mission unter den Heiden führt. Fromme Männer bereiten dem Gesteinigten, jüdischer Strafrechtsbestimmung sich entgegenstellend, ein ehrbares Begräbnis.

Stephanus war zum Dienst berufen und hat in den Fußstapfen des Herrn seinen Dienst getan: als vollmächtiger Verkünder, als getreuer Bekenner, als wahrer Zeuge, ja als Blutzeuge seines Herrn. Das sind die großen Heiligen der Kirche, deren Person ganz hinter ihrem Dienst zurücktritt. Der wahre Jünger folgt seinem Herrn, wohin er ihn ruft – auch ins Martyrium.

Amen.

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