Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Oktober 2022

Die Welt ist nicht Gott

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wenn nur Gott und meine Seele da wären, so wäre das eine wundervolle Zweisamkeit. Das Verhältnis wäre sehr beglückend und ohne jede Komplikation, vorausgesetzt, dass meine Seele ihren guten Willen bewahrt. Aber da sind noch so viele andere Geschöpfe; sie umgeben mich, sie umringen mich und machen das Leben verwickelt und schwer. Die Welt, in der wir leben, die uns umgibt, wozu ist sie da? Was soll ich mit ihr anfangen? Die Welt ist schuld, dass uns der Dienst Gottes so schwer wird. Die Welt ist aber auch die einzige Möglichkeit, sich im Dienste Gottes zu bewähren. 1. Die Welt ist nicht Gott. 2. Sie kommt aber von Gott. 3. Und sie führt zu Gott. Die Welt ist nicht Gott, sagen wir Christen. Aber es gibt Menschen, viele Menschen, die sehen die Welt als Gott an. Es sind die Darwinisten. Nach ihnen existiert die Welt schon immer. Es ist müßig, nach einem Schöpfer zu fragen. Die Welt ist unerschaffen. Sie selbst aber bringt alles hervor, was existiert, auch das Leben, die Lebewesen. Die Entwicklung, die Evolution tritt bei den Darwinisten an die Stelle des überweltlichen Schöpfers. Diese Ansicht ist für uns Gottgläubige unannehmbar. Der Pantheismus trägt die Beschränktheit und Veränderlichkeit der Welt in die Gottheit ein. Der pantheistische Gott ist eine mit innerer Notwendigkeit sich entfaltende Naturkraft, d.h. er ist letztlich gar kein Gott, denn ihm fehlt die höchste Eigenschaft des Geistes, das Ichsein, die Selbstmacht, die Persönlichkeit. Deshalb ist der Pantheismus außerstande, das religiöse Sehnen der Menschenseele zu stillen. Zum pantheistischen Gott kann der Mensch weder Vertrauen noch Liebe haben, zu ihm kann er nicht betend und hoffend aufschauen. Von ihm kann keine sittliche Verpflichtung ausgehen. Er stellt keine moralische Autorität dar. Wir sind keine Pantheisten. Wir wissen, dass die Welt nichts Absolutes ist; dafür ist sie zu unvollkommen, zu vergänglich, zu wandelbar. Wir können nicht denken, dass sie mit dem absoluten Wesen identisch ist. Sie ist nicht Gott. Also ist auch die Welt nicht mein absolutes Ziel; also kann sie mir Gott nicht ersetzen. So erklärt sich, dass sie mich nie ganz ausfüllt und befriedigt. Es ist ein Glück, dass wir das schon in diesem Leben empfinden.

Die Dinge dieser Welt fehlen uns, wenn wir sie brauchen. Es ist so viel, was nützlich wäre, aber es wird uns nicht gegeben. Unerfüllte Wünsche leben in unserer Brust. Für viele Menschen ist das Leben ein einziges Verzichten, eine lebenslängliche Entsagung, selbst auf heiligste und schönste Wünsche. „Entbehren sollst du, sollst entbehren. Das ist der ewige Gesang, der jedem an die Ohren klingt, den, unser ganzes Leben lang, uns heiser jede Stunde singt“ (Faust). Man muss immer wieder sagen: Es war nicht für mich und wird nie für mich sein. Diese wachsende Selbstbescheidung ist ein Stück Lebensweisheit. Dass wir auf Dinge, die wir nicht haben werden, auch verzichten und dass wir diesem Verzicht ins Auge sehen und ihn ertragen können, ohne zu zerbrechen, ohne bitter zu werden, ohne einen törichten Ersatz zu suchen. Die Dinge fehlen uns. Das ist die eine Seite. Die andere lautet: Wenn wir sie haben, belasten und quälen sie uns. Alle Dinge können eine Last werden; alle Menschen, alle Geschöpfe können eine Last werden. Das ist das eigentümlich Tragische an den Geschöpfen, dass sie alle getragen werden wollen, dass sie Forderungen stellen. Es gibt nichts, was nicht einen Anspruch erhebt. Jedes Lebensverhältnis, und wäre es mit dem besten Menschen, stellt Ansprüche. Es verlangt immer eine gewisse Selbstüberwindung, Selbstlosigkeit, Geduld. Und wären wir mit einem Heiligen zusammen – er wäre eine Belastung. Wir müssten Geduld üben, auf ihn Rücksicht nehmen, in seine Seele uns einfühlen. Immer eine Belastung.

Und dann verlassen uns die Geschöpfe. Sie gehen fort. Sie sind in gewissem Sinn treulos. Wir dürfen ihnen keinen Vorwurf machen – wir sind selbst so. Wir werden gezogen, gerissen, alles ist in Bewegung, wir wachsen über alles hinaus, über jede Stunde, über jeden Menschen, über jedes Glück. Wir wachsen über uns selbst hinaus. Es kann keine Rückkehr geben. Wir wachsen über jeden Augenblick hinaus. Alles muss uns verlassen, und wir selbst müssen alles verlassen. Die meisten Lieder der Seele sind Abschiedslieder, und die meisten Stunden sind Abschiedsstunden. Immer wieder muss man auseinandergehen, immer wieder. Das sind die Geschöpfe. Sie belasten uns und verlassen uns. Sie sind uns auch eine Quelle von Leiden. Wir tun uns gegenseitig weh, wir fügen uns Unzuträglichkeiten, Schmerzen zu. Gewollt oder ungewollt bereiten wir uns gegenseitig Kummer und Betrübnis, Gram und Weh. Es gibt weder Dinge noch Menschen, die nicht dann und wann uns belasten und beschweren.

Die Geschöpfe sind uns schließlich sogar eine Gefahr. Es ist die Gefahr, dass man bei ihnen stehen bleiben möchte, sie umklammern möchte. Es ist die Gefahr, dass der Pilger seines Weges überdrüssig wird und sich an den Rand der Straße setzt und da verharren möchte. Und gerade die wertvollen Geschöpfe können uns am ehesten eine Gefahr werden. Wir sind nicht mehr so unerfahren, dass wir uns an etwas Törichtes, etwas Minderwertiges anklammern. Wir sind wählerisch, wir sind wissend geworden. Aber wenn uns einmal etwas ganz Großes, ganz Leuchtendes begegnet, dann geht es uns wie Johannes in dem Buch der Apokalypse: Kaum sah er eine leuchtende Gestalt auf sich zukommen, gleich fiel er nieder und betete sie an; und diese musste immer wieder sagen: „Tu das nicht, ich bin nicht Gott!“ Das wird unsere Gefahr. Selbst die größten, die heiligsten Dinge können uns eine Gefahr werden, wenn man sich mit ganzer Seele an sie klammert.

Die Welt kann uns eine Gefahr werden, da sie nicht Gott ist. Was folgt daraus? Dass wir uns innerlich von ihr lösen müssen. Das ist nun das Schwere: die innerliche Freiheit, die innere Losgelöstheit zu gewinnen. Zuweilen ist eine äußere Loslösung erforderlich. Man muss sich äußerlich von einem Geschöpf trennen, das uns zur Gefahr wird, indem man jede Beziehung aufgibt. Ich habe strenger denken gelernt von den Verhältnissen der Menschen. Wenn man mitfühlend und mitleidig ist, möchte man ihnen die äußere Trennung ersparen. Aber es gibt Beziehungen, wo man einem Menschen mit drakonischer Strenge sagen muss: „Nur fort! Nicht mehr zurückschauen! Kein Wort mehr, kein Brief mehr! Kein Wiedersehen! Gar nichts. Sonst ist alles verloren.“ Es ist manchmal die einzige richtige Maßnahme. Man bewundert die Lebenskunde Christi, der es für nötig hielt zu sagen: „Wenn dein Auge dich ärgert, dann reiß es aus!“

Nun ist das immerhin eine Lage, die nicht so häufig ist. Und schließlich würde die äußere Trennung allein nicht helfen, wenn nicht die innere Loslösung eingeschlossen wäre. Das ist das Schwierige, die innere Lösung. Sie besteht darin, dass man innerlich über die Sache hinauskommt; dass man nicht zerbrechen kann an einer Feindschaft und nicht mehr verbluten kann an einer Freundschaft. Nicht mehr zerbrechen, nicht mehr irre werden, nicht mehr böse werden, nicht mehr bitter werden, nicht mehr hart werden, kein Ressentiment pflegen über die Widerstände, über die Tücke, über die Bosheit der Menschen, die wir erfahren. Und auf der anderen Seite: nicht verbluten, wenn ihre Liebe von uns geht, wenn sie uns nicht mehr ansehen, nicht mehr kennen, wenn sie uns undankbar in die Ecke schieben, wenn sie unser überdrüssig werden. Nicht daran verbluten! Das ist vielleicht das Schwierigste für einen feinen und gütigen Menschen. Denn sobald er sein Herz erschlossen hat, ist das Herz offen; und das wird eine Wunde, diese Öffnung des Herzens; und aus ihr strömt unaufhörlich das Lebensblut hinaus, bis der Mensch verblutet ist. Da muss die innere Freiheit helfen, die innere Gelöstheit.

Wie kann man sie erreichen? Es gibt eine innere Gelöstheit, die falsch, sündhaft ist. Es gibt eine andere, die gut, aber unvollkommen ist. Und es gibt eine dritte, die vollkommen ist. Eine falsche, eine sündhafte Gelöstheit hat der träge Mensch, dem an nichts etwas liegt, der an nichts Freude hat, der Phlegmatiker. So eine Gelöstheit hatte der Knecht im Evangelium mit seinem einzigen Talent. Er band es in ein Tuch und grub es in die Erde. Es gibt Menschen, die sogar zu faul sind, das Geld zu lieben. Eine falsche Gelöstheit ist Hochmut. Wenn ein Mensch denkt: Ich bin ich, alles Übrige kann mir egal sein, ich halte mich fern vom Pöbel; was liegt mir an den anderen, wozu mich beschmutzen mit der Berührung der Menschen. Das ist Isoliertheit, Vereisung, Versteinerung. Es ist die sündhafte Befreitheit. Eine zweite Gelöstheit ist zwar recht, aber nicht vollkommen. Sie liegt vor, wenn wir uns lösen infolge der Erkenntnis des Scheines und der Unzulänglichkeit der Geschöpfe. Manche Menschen machen es so: Nachdem sie alles genossen haben, zerschlagen sie den Kelch und sagen: Es ist nichts Gescheites. Sie haben zwar recht, aber es ist unvollkommen. Andere haben schon vorher alles durchschaut. Weil sie schon alles durchschaut haben, womit die Dinge dieser Welt locken, sagen sie: Damit halte ich mich nicht auf; es gibt Größeres als das. Diese Haltung ist an sich gut, aber nicht vollkommen, weil sie zu negativ ist. Die vollkommene Gelöstheit hat das Motiv „Gott“. Sie schaut auf Gott und sieht: Gott ist groß, so leuchtend groß, dass daneben nichts aufkommt, dass ihr keine andere Liebe mehr möglich ist als zu Gott und die Dinge, die er uns gibt. Gott bedeckt ihren ganzen Himmel; daneben verschwindet alles andere. Das ist die vollkommene Lösung. Sie ist ganz positiv und vereinbar mit der richtigen Schätzung des Geschöpflichen. Wenn man die Geschöpfe in Gott wiederfindet, liebt man sie auch in ihm.

Die innere Loslösung hat verschiedene Wirkungen. Bei vielen erzeugt sie eine gewisse Kühle, vielleicht etwas Unnahbares, etwas Fernes, etwas Fremdes. Wir haben Angst, uns ihnen anzuvertrauen. Diese Kühle ist nichts Böses, aber innerlich ein Mangel an Vollkommenheit. Gott will nicht, dass wir in solcher Unnahbarkeit über den Geschöpfen schweben. Diese Ferne, diese Fremde bewirkt eine Art tragischer Stimmung, Melancholie, eine Art Einsamkeit, in die nichts mehr hineinklingt, eine große einsame Stille inmitten der Seele, in der sie ganz allein ist mit Gott. Es liegt ein leises Dunkel darüber, ein Hauch von Traurigkeit und Sehnsucht, eine innere Einsamkeit. Die Welt ist nicht Gott. Die Welt ist ein Geschöpf Gottes. Sie steht in der Beziehung zu Gott als ihrem Schöpfer, Herrn, Erlöser und Richter. Die Welt ist durch Abfall und Sünde charakterisiert und damit der Nichtigkeit und Vergänglichkeit unterworfen. Sie ist dieser Äon, den das Gericht Gottes trifft.

Amen.

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