9. Januar 2022
Der Stern von Bethlehem
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Um Sions willen darf ich nicht schweigen, um Jerusalems willen darf ich mir keine Ruhe gönnen, bis hervorgeht wie Lichtglanz sein Gerechter und wie eine brennende Fackel sein Erlöser (Is 62,1). Diese Vorhersage des Propheten Isaias hat sich vor 2000 Jahren erfüllt. Der sechste Januar wird in der Kirche als Hochfest „Erscheinung des Herrn“ begangen. Nach dem 46 vor Christus eingeführten und nach Julius Caesar benannten Julianischen Kalender fiel im Mittelalter Weihnachten auf den 6. Januar. Papst Gregor XIII. nahm 1582 eine Kalenderreform vor und begründete den Gregorianischen Kalender. Mit einem Kalendersprung von zehn Tagen traten nun der Tag der Geburt und der Tag der Erscheinung des Herrn astronomisch-mathematisch korrekt auseinander. Dieser Tag heißt Epiphanie, Erscheinung, Sichzeigen, weil die Weisen aus dem Morgenland kamen und dem Jesuskind huldigten. Ihre Verehrung des Kindes ist ein erstes Sichzeigen, ein erstes Erscheinen der Herrschaft des Christus. Ein Stern löste ihr Kommen aus.
Der gestirnte Himmel hat die Menschen seit jeher fasziniert. Sie haben sich mit den Himmelskörpern befasst, sie beobachtet, Überlegungen und Berechnungen an sie geknüpft. Daraus entstanden Astronomie und Astrologie. Astronomie und Astrologie sind strikt zu unterscheiden. Astronomie oder Sternkunde ist die Wissenschaft, die sich mit der Erforschung des Weltalls befasst. Astrologie ist die Sterndeutekunst, die individuelle Schicksale und Ereignisse wie Krieg, Frieden, Katastrophen oder glückverheißende Tage aus dem Einfluss der Gestirnkonstellation deutet oder vorhersagt. Viele Astronomen waren gleichzeitig Astrologen. Astrologische Spekulation ist weder jüdisch noch christlich. Aber auch in der Bibel spielen Sterne eine Rolle. Im Buch Numeri des Alten Testamentes heißt es: „Ein Stern geht in Jakob auf, ein Zepter erhebt sich in Israel“ (Num 24,17). Das ist zwar kein Stern im astronomischen Sinne, sondern weist auf einen mächtigen, siegreichen König, der Israels Feinde vernichten wird. Dieser König ist der Messias, der nach den Propheten auf den Trümmern der gottfeindlichen Weltmächte sein ewiges Reich errichten wird. Außerhalb des Judentums spielten in der Antike Astrologie und Astronomie sowie die Deutung der Gestirne eine große Rolle. Wir dürfen in den drei Weisen, die uns am Fest der Erscheinung des Herrn vom Evangelisten Matthäus vorgestellt werden, Sterndeuter, babylonische Astrologen sehen. Sie verbanden astronomisch-astrologische Kenntnisse mit dem Wissen um die jüdische Erwartung des Messias. Die jüdische Oberschicht hatte diese in die Babylonische Gefangenschaft ins Zweistromland mitgebracht. Die Weisen haben aus der Beobachtung der Sterne die Geburt des „Königs der Juden“ erschlossen. Sie sind dem Stern gefolgt, um dem neugeborenen König zu huldigen.
Der Stern, dem die Weisen folgten, ist also unserer Beachtung wert. Wie ist er zu erklären? Zumeist wird der Stern von Bethlehem als eine nur äußerst selten auftretende sogenannte größte Konjunktion (= Begegnung) der Planeten Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische angesehen. Von der Erde aus betrachtet, schienen sich die beiden Planeten zwischen einem halben und vier Vollmonddurchmessern nahe zu kommen. Das war ein seltenes Ereignis. Um so mehr Bedeutung wurde ihm zugeschrieben. Gläubige Gelehrte der Neuzeit haben sich der Erforschung dieses Phänomens gewidmet. Der Astronom Johannes Kepler beobachtete im Dezember 1603 eine Konjunktion von Jupiter und Saturn. Im Oktober 1604 entdeckte er während einer weiteren Konjunktion der beiden Planeten das Aufleuchten einer nach heutigen Erkenntnissen etwa 20000 Lichtjahre von der Erde entfernten Supernova. Eine Supernova ist ein Stern, der am Ende seiner Entwicklung durch einen explosiven Vorgang einen großen Teil seiner Masse verliert oder ganz zerstört wird. Daher ist die Steigerung seiner Leuchtkraft etwa 100000 Mal größer als die einer Nova. Kepler beobachtete, wie gesagt, im Jahre 1604 eine Supernova im Sternbild „Schlangenträger“. Sie heißt heute in der Astronomie „Keplers Stern“. Kepler war überzeugt: Das ist der Stern von Bethlehem. Andere Astronomen sind ihm darin nicht gefolgt. Sie sahen in dem Nebeneinandertreten der Planeten Jupiter und Saturn den Stern von Bethlehem. So der österreichische Astronom Konradin Ferrari d’Occhieppo. Er ermittelte für das Jahr 7 vor Christus drei Konjunktionen von Jupiter und Saturn. Etwa am 15. September 7 vor Christus sei die Himmelserscheinung in Babylon zu sehen gewesen. Am 12. November und somit zwei Monate später – damals ungefähr die Reisezeit von Babylon nach Jerusalem – sei die Konjunktion auf dem Weg von Jerusalem nach Bethlehem in der Abenddämmerung zu sehen und der Jupiter fünfzehnmal so hell wie der Saturn gewesen. Dass die Gelehrten bei der Erklärung des Sterns vom Bethlehem auseinandergehen, nimmt der Tatsächlichkeit seines Erscheinens nichts von ihrer Wahrheit. Der Stern ist Geschichte. Nach diesen Berechnungen wurde Jesus im Jahre 7 vor Christi Geburt geboren. Diese merkwürdige Feststellung braucht uns nicht zu verwundern oder zu erschrecken. Unsere Zeitrechnung wurde erst im 8. Jahrhundert von dem angelsächsischen Benediktiner Beda Venerabilis eingeführt. Sie geht auf den Mönch Dionysius Exiguus zurück. Dieser legte die Geburt Jesu im Jahre 525 fehlerhaft auf das Jahr 754 ab urbe condita = seit Gründung der Stadt Rom fest. Man hat den Fehler nicht korrigiert, sondern es dabei belassen.
Zur Zeit der Geburt Jesu regiert in Jerusalem der 4 vor Christus gestorbene König Herodes der Große, ein tüchtiger, aber gewalttätiger Herrscher, der in der Meinung, dass sie ihm nach der Macht trachteten, drei seiner Söhne aus dem Weg räumen ließ. Jetzt sollte sich zeigen, dass seine Skrupellosigkeit nicht davor zurückschreckte, auch gegen den Messias anzugehen. Die Himmelserscheinung hatte den Weisen aus dem Morgenland die Geburt des „Königs der Juden“ angezeigt, aber nicht den Geburtsort. So kommen sie nach Jerusalem und fragen: „Wo ist der neugeborenen König der Juden?“ Vielleicht haben sie Herodes selbst gefragt. Er muss es doch wissen. Aber er weiß nichts. Furcht und Schrecken überfallen ihn. Er fürchtet um seinen Thron. Er ruft die obersten Priester und die wichtigsten Theologen zusammen und fragt sie, wo der Christus geboren werden soll. Sie antworten mit dem Propheten Michaeas (Mi 5,1): „In Bethlehem in Judäa“. Die jüdischen Gottesgelehrten am Hof des Herodes wissen also um den Ort der Geburt des Messias. Herodes fürchtet um seine Macht. Sein Entschluss ist rasch gefasst: Das Kind muss liquidiert werden, wie seine drei Söhne liquidiert wurden. Herodes schickt die Weisen nach Bethlehem mit dem Auftrag, ihm nach der Rückkehr über das Kind zu berichten, weil auch er, wie er vorgibt, dem Kind huldigen wolle. Die Weisen finden in Bethlehem das Kind und Maria, seine Mutter, den „neugeborenen König der Juden“. Da fallen sie nieder und huldigen ihm. Das ist die Proskynese, die in der altorientalischen Welt Gottheiten und Königen dargebracht wird, aber bei Matthäus nur Jesus als dem Christus zukommt. Und sie bringen dem Kind ihre Gaben dar: Gold, also wohl goldene Gefäße, Weihrauch und Myrrhe, Geschenke von großer Bedeutung. Die Weisen erfüllen jedoch den Auftrag des Herodes nicht. Gott hält sie in einem Traum davon ab, dem Herrscher Bericht zu erstatten. Herodes sieht sich hintergangen. Sein Zorn ist maßlos. Er befiehlt die Tötung aller zweijährigen und jüngeren Knaben in Bethlehem und Umgebung. Das ist der Bethlehemitische Kindermord.
Der Besuch der Weisen aus dem Morgenland an der Geburtsstätte des Messias ist nach Gottes Plan Teil der Offenbarung der Geburt seines Sohnes, des Messias; er ist wahrhaft „Erscheinung des Herrn“. Jetzt erfüllt sich, was beim Propheten Isaias angekündigt war: „Auf, werde Licht, denn es kommt dein Licht, und die Herrlichkeit Gottes geht leuchtend auf über dir. Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht strahlend auf der Herr, seine Herrlichkeit erscheint über dir“ (Is 60,1f.). Zu diesem Licht wandern die Völker, und die Weisen aus dem Morgenland machen den Anfang. Sie waren Heiden, aber die Heiden sind Miterben mit den gläubig gewordenen Juden; sie haben teil an der Verheißung. Sie stehen für den Aufbruch der Menschheit auf Christus hin. Sie eröffnen die Prozession, die durch die gesamte Geschichte zieht. So soll es nach Gottes Willen sein. Die Menschheit, die gesamte Menschheit ist eingeladen und aufgefordert, seinen einziggeborenen Sohn als ihren Herrn und Heiland anzuerkennen und anzubeten. Denn dieser Sohn ist das Licht der Welt. Das heißt: Er erleuchtet die Menschen. Er sagt ihnen, wer Gott ist und was er von ihnen verlangt. Das ist Offenbarung Gottes. Er duldet keine Konkurrenz. Alle Religionen verlieren neben ihm ihre Berechtigung. Ihre Anhänger sind aufgefordert, sich von ihnen zu trennen und sich zu dem einen wahren Gott zu bekehren. Sie verlieren nichts. Was in den fremden Religionen berechtigt und gut ist, das findet sich auch, aber geläutert und rein, in der Religion Jesu Christi. Und wie steht es heute? Lassen sich die Menschen vom Stern von Bethlehem führen? Der heilige Papst Gregor der Große predigte im 6. Jahrhundert: „Alle Elemente bezeugten, dass ihr Schöpfer gekommen ist. Der Himmel erkannte ihn als Gott, indem er einen Stern entsandte. Das Meer erkannte ihn, indem es seinen Füßen einen sicheren Weg bot. Die Erde erkannte ihn, indem sie bei seinem Tode erbebte. Die Sonne erkannte ihn, indem sie bei seinem Sterben die Strahlen ihres Lichtes verbarg. Die Felsen erkannten ihn, indem sie bei seinem Tode zerbarsten. Die Unterwelt erkannte ihn, indem sie ihre Verstorbenen auferstehen ließ. Aber die Herzen der Ungläubigen, härter als Stein, erkennen Gott nicht und wollen sich nicht bekehren.“ Ist es heute anders? Doch der Stern von Bethlehem ist nicht erloschen. Er leuchtet auch heute noch. Im Jahre 1987, also vor der Wende, fand in Dresden ein Katholikentreffen statt. Joachim Meisner, der Bischof von Berlin, hielt die Festpredigt. Darin sagte er: „Wir wollen (in unserem Land) keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem.“ Alle Zuhörer wussten, was gemeint war. Denn in der DDR geb es auf jedem Rathaus, auf jeder Schule, auf jeder Fabrik einen roten Sowjetstern, der nachts beleuchtet war. Aber der Bischof rief dem gläubigen Volk zu: Wir wollen keinem anderen Stern folgen als dem von Bethlehem. Machen wir uns diesen Entschluss zu eigen. Folgen wir dem Stern von Bethlehem.
Amen.