Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
9. Mai 2021

Sie fragten den Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Logos, die zweite Person in Gott, ist als Lehrer in die Welt gekommen. Johannes beschreibt ihn als „voll der Wahrheit“. Empfänger seiner Lehre waren seine Zuhörer, zuerst und zumeist seine Jünger, danach und häufig das Volk in Galiläa und Judäa. Die Jünger, aber auch Menschen aus dem Volk und selbst seine Gegner richteten Fragen an Jesus. Es wird nicht berichtet, dass er je die Antwort verweigert habe oder ratlos gewesen sei. Die Fragen veranlassen Jesus, das von ihm Gesagte zu verdeutlichen oder weiterzuführen. Sie geben ihm Gelegenheit, wichtige Gegenstände des Glaubens und des Lebenswandels zu erläutern. Frage ist ja ein Sprechakt, der auf Klärung, Bestätigung oder Korrektur oder auf eine Information zielt.

Die Jünger fragten den Herrn wiederholt nach dem Sinn und dem Kern von Gleichnissen, die er vorgetragen hatte. Jesus wunderte sich gelegentlich über ihr Unverständnis (Mk 7,18). Als er das Gleichnis vom Sämann vorgetragen hatte, fragten ihn die Zuhörer samt den Zwölfen, warum er in Gleichnissen rede. Jesus antwortete: „Weil es euch gegeben ist, die Geheimnisse des Himmelreiches zu verstehen; ihnen aber ist es nicht gegeben“ (Mt 13,11). „Darum rede ich zu ihnen in Gleichnissen, weil sie sehen und doch nicht sehen, hören und doch nicht hören noch verstehen“ (Mt 13,13). Die Massen sind religiös verständnislos. Das ist der Grund, warum Jesus zu ihnen in Gleichnissen spricht, deren Sinn ihnen verborgen bleibt.

Jesus hatte den Pharisäern auf ihr Befragen erklärt, dass weder der Mann seine Frau noch die Frau ihren Mann entlassen dürfe. Zu Hause befragten ihn die Jünger nochmals darüber. Der Herr wiederholte nur seine Lehre: „Wer seine Frau entlässt und eine andere heiratet, der bricht an ihr die Ehe. Und wenn sie ihren Mann entlässt und einen anderen heiratet, bricht sie die Ehe“ (Mk 10,10-12). Da sagten die Jünger zu ihm: „Wenn es so steht um das Verhältnis des Mannes zur Frau, dann ist es nicht gut, zu heiraten“ (Mt 19,10). Sie meinen: Nur so entgeht man der mit einer unlösbaren lebenslänglichen Verbindung möglicherweise verknüpften Qual. Dieses Wort ist aus der Seele des platten Alltagsmenschen heraus gesprochen. Christus rechnet mit der Kraft des erlösten Menschen, der fähig ist, auch eine schwere Last zu tragen.

Einmal nahm Jesus drei seiner Jünger, Petrus, Jakobus und Johannes, mit sich und führte sie abseits auf einen hohen Berg. Dort wurde er vor ihnen verklärt. Es erschienen Moses und Elias und redeten mit ihm. Als die Erscheinung vorüber war und sie vom Berge herabstiegen, fragten ihn seine Jünger: „Warum sagen die Schriftgelehrten, Elias müsse zuvor kommen?“ Das Problem, das die Jünger bewegt, ist, dass Elias dem Messias als Vorläufer vorangehen soll. Dieser ist aber noch nicht gekommen. Wie kann dann Jesus als der Messias schon da sein? Jesus antwortete: „Elias ist schon gekommen. Aber sie haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie nur wollten. Ebenso wird auch der Menschensohn von ihnen zu leiden haben.“ Da merkten die Jünger, dass er von Johannes dem Täufer zu ihnen geredet hatte (Mt 17,1-13). Jesus erklärt ihnen: Elias ist bereits dagewesen, nämlich in der Person des Täufers. Er ist jedoch daran gehindert worden, „alles wiederherzustellen“. Die Menschen, die er auf den Messias vorbereiten sollte, „taten mit ihm, was sie wollten“. Sie haben ihn eingekerkert und getötet und ihm so die Vollendung seiner Aufgabe unmöglich gemacht. Und deshalb kann auf einen leidenden Vorläufer ein leidender Messias folgen.

Jesus hat in seiner irdischen Wirksamkeit viele Heilungen vorgenommen. Sie warfen mancherlei Fragen auf. Jesus heilte den besessenen Sohn eines Vaters. Seine Jünger fragten ihn, warum sie es nicht fertigbrachten, ihn zu heilen. Er antwortete: „Diese Art kann durch nichts ausgetrieben werden als durch Gebet“ (und Fasten) (Mk 9,27). Die Antwort Jesus enthält den Gedanken, dass es verschiedene Arten von Dämonen und Grade der Besessenheit gibt. Der vorliegende Fall hätte von den Jüngern nur durch Gebet bewältigt werden können. Also Dämonenaustreibung durch Gebetserhörung, nicht durch befehlendes Machtwort, über das Jesus allein verfügt. Jesus ging an einem Menschen vorbei, der von Geburt an blind war. Die Jünger fragten ihn: „Meister, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde?“ Nach jüdisch-rabbinischer Auffassung ist jede Krankheit und jedes Unglück die Strafe für eine Sünde oder ein sündiges Leben. Im Judentum war auch der Glaube lebendig, dass die Kinder für die Sünden ihrer Eltern gestraft werden. Körperliche Gebrechen der Kinder seien auf Versündigung ihrer Eltern zurückzuführen. Jesus antwortete: „Weder dieser hat gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen offenbar werden die Werke Gottes an ihm“ (Joh 9,2). Jesus stellt jede Schuld in Abrede. Er will aber damit nicht grundsätzlich jeden Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit leugnen. In diesem Falle ist aber nicht nach dem Grund, sondern nach dem Zweck des Leidens zu fragen. Dieser Mensch ist blind auf die Welt gekommen, dass an ihm Gottes Werke offenbar werden. Diese Werke sind die Wunder, die der Vater dem Sohn zu wirken gegeben hat. So weist Jesu Wort auf die Heilung des Blinden, die er vollziehen wird. Die Wunder werden „Gottes Werke“ genannt, weil sie „Zeichen“ des Heilswirkens sind, das Jesus im Auftrag des Vaters vollbringt. So offenbart die Heilung des Blindgeborenen Jesus als das Licht der Welt, den Spender des Lichtes der Offenbarung.

Auf dem Wege von Judäa nach Galiläa kam Jesus durch Samaria. In der Nähe der Stadt Sichar, wo der Jakobsbrunnen ist, ließ er sich ermüdet nieder. Die Jünger gingen in die Stadt, um Verpflegung zu kaufen. Jesus kam ins Gespräch mit einer Samariterin, die zum Brunnen kam, um Wasser zu schöpfen. Es war ein sehr intensives Gespräch, das Jesus führte, und es hatte die höchsten religiösen Gegenstände zum Inhalt. Dieser musste die Jünger brennend interessieren. Die aus der Stadt zurückkehrenden Jünger sind einmal erstaunt, dass ihr Meister mit einer Frau redet. Die Rabbinen hielten es für unschicklich, sich mit Frauen zu einem Gespräch einzulassen. Vor allem waren die Jünger aber verwundert, dass der Herr mit einer samaritischen Frau plauderte. Denn zwischen Juden und Samaritern bestand eine dichte Scheidewand. Ihre Religion wich von der jüdischen ab. Sie behielten von der Bibel des Alten Testamentes nur die fünf Bücher Moses. Ihre Anbetung vollzogen sie nicht auf dem Sion in Jerusalem, sondern auf dem Berge Garizim in ihrem Siedlungsgebiet. Angesichts dieser Sachlage ist das Erstaunen der Jünger über das Verhalten ihres Meisters nicht verwunderlich. Doch die Jünger wagen es nicht, ihn nach dem Anlass oder dem Inhalt des Gesprächs zu fragen. Vermutlich wollen sie nicht neugierig oder indiskret erscheinen. Sie wissen um den Abstand, der zwischen dem Meister und ihnen besteht; ihn wollen sie wahren.

Die Gegner Jesu schicken Angehörige zweier jüdischen Parteien zu ihm, der Pharisäer und der Herodianer. Obwohl sie untereinander verfeindet sind, verbindet sie die gemeinsame Gegnerschaft gegen Jesus. Sie wollen ihm mit einer politischen Gegnerschaft eine Schlinge legen, ihm ein Wort entlocken, das ihn entweder in Gegensatz gegen die römische Herrschaft bringt oder ihm die Sympathien des Volkes raubt. Sie stellen zwei Fragen, die grundsätzliche, ob es sittlich erlaubt ist, die Kaisersteuer zu zahlen, und die praktische, ob sie sie zahlen müssen. Jesus kennt den hinterhältigen Charakter ihrer Frage, gibt aber dennoch eine Antwort. Er tut dies in der Weise, dass er von ihnen eine Steuermünze verlangt, einen römischen Silberdenar. Er fragt sie nach dem Bild und der Aufschrift, damit sie sich durch ihre eigene Antwort widerlegen. Das Bild des Kaisers (Tiberius) und die seinen Namen nennende Umschrift beweisen, dass die Münze dem Kaiser gehört als das Symbol seiner Macht und Autorität. Wenn die Juden in ihrem Lande die kaiserliche Währung haben, dann ist das eine praktische Anerkennung der Herrschaft des Kaisers. Aus der Tatsache, dass die Juden das Geld des Kaisers gebrauchen, folgt das Recht des Kaisers, die Kopfsteuer einzuheben. Damit ist auch gesagt, dass die Kopfsteuer sittlich erlaubt ist. Gottes Herrschaft wird dadurch nicht beeinträchtigt. Man kann immer noch, auch wenn man die vom Kaiser geforderte Steuer bezahlt, Gott geben, was ihm gehört, nämlich uneingeschränkte persönliche Hingabe. Die Antwort Jesu ist unanfechtbar. Sie verblüfft die Fragesteller. „Und sie staunten über ihn.“

Die Frage nach dem Schicksal der Verstorbenen bewegte die Zeitgenossen Jesu, aber auch seine Jünger. Die frommen Israeliten wussten, dass das irdische Leben die Vorbereitung für das ewige Leben ist. Einer trat hinzu und fragte Jesus: „Meister! Was muss ich Gutes tun, dass ich ewiges Leben erlange?“ Jesus antwortete: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote.“ Die Voraussetzung für den Eingang in das ewige Leben ist für alle Menschen gleich, gleich schwer und gleich leicht. Das Gute, nach dem gefragt wird, ist nichts anderes als die sittliche Forderung Gottes. Die Jünger haben mehr getan, als die Gebote halten. Darum sagte Petrus zu Jesus: „Siehe, wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was wird uns dafür zuteil werden?“ Petrus erwartet für sich und die anderen Jünger eine der Größe ihres Opfers angemessene Entschädigung. Jesus antwortet dementsprechend: „Ihr, die ihr mir nachgefolgt seid, werdet bei der Welterneuerung, wenn der Menschensohn auf seinem Herrlichkeitsthron sitzen wird, ebenfalls auf zwölf Thronen sitzen und die zwölf Stämme Israels richten.“ Was den Zwölf hier verheißen wird, ist die Teilnahme an dem (einmaligen) Akt des Gerichtes. Aber nicht genug mit dieser Einsetzung zu Richtern. Denn Jesus fügt hinzu: „Jeder, der irdische Güter um meines Namens willen verlassen hat, wird es hundertfältig (wieder) empfangen und das ewige Leben gewinnen.“ Der verheißene Lohn ist ein doppelter: 1. hundertfacher Ersatz der preisgegebenen Güter in dieser Welt; 2. das ewige Leben in der zukünftigen Welt. Aber auch der hundertfache Lohn ist nicht irdisch, sondern himmlisch zu verstehen. Er besteht in dem ewigen Leben.

Jesus hatte eine düstere Ansicht über die verführerische Kraft des Reichtums. „Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als ein Reicher in das Himmelreich.“ Das Kamel ist das größte Tier des Orients, das Nadelöhr die kleinste bekannte Öffnung. Die Jünger sind entsetzt. Sie hören aus Jesu Wort die absolute Unmöglichkeit der Erlangung des Heils heraus. Sie fragen den Herrn: „Wer kann dann noch gerettet werden?“ Jesus schwächt sein Wort nicht ab, sondern unterstreicht es: „Bei den Menschen (= für Menschen) ist es unmöglich“. Er fügt aber sogleich bei, dass es für Gott kein Unmöglich gibt. Er kann den Menschen die ihnen von Natur fehlende Kraft geben, sich um des Gottesreiches willen von der Bindung an den Besitz frei zu machen. Dass ein Mensch der ungeheuren Gefahr, die im Reichtum liegt, heil entrinnt, ist ein Werk der göttlichen Gnade. Bloß menschlicher Kraft ist dies unmöglich.

Jesus sprach von dem Tag, da der Menschensohn sich offenbaren wird, also vom Tage des Endgerichtes. „In jener Nacht werden zwei auf einem Lager sein; der eine wird hinweggenommen, der andere zurückgelassen werden. Zwei werden zusammen mahlen; die eine wird hinweggenommen, die andere zurückgelassen werden. Zwei werden sein auf dem Felde; der eine wird hinweggenommen, der andere zurückgelassen werden.“ Da wandten sich die Jünger an Jesus und fragten: „Wo denn, Herr?“ Er antwortete ihnen: „Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier“ (Lk 17,31-37). Die Jünger fragen nach dem Ort, wo die Weissagung Jesu sich erfüllen soll, also nach dem Ort der Parusie, der Stätte des Gerichts. Jesu Antwort erklärt: Wenn der Menschensohn kommt, werden die Menschen ihn von selbst finden, wie die Geier das Aas. Wo immer Menschen (= das Aas) sich befinden, da wird auch das Gericht stattfinden. In den als Beispiele genannten Fällen werden zwei zusammengehörende Personen auseinandergerissen, die eine wird mitgenommen, nämlich an den Ort der Auserwählten, die andere dem Verderben überlassen. Die Entscheidung fällt nach ihrer inneren Beschaffenheit, die nach außen nicht in Erscheinung tritt.

Die Sadduzäer waren die Freigeister unter den Juden, die Liberalen, die manche Wahrheiten des alttestamentlichen Glaubens leugneten, so die Auferstehung. Sie hatten es darauf abgesehen, Jesus in Verlegenheit zu bringen und ihm eine Falle zu stellen. So fragten sie ihn: „Moses hat gesagt: Wenn einer stirbt, ohne ein Kind zu hinterlassen, soll sein Bruder mit dessen Frau die Schwagerehe eingehen und seinem Bruder Nachkommenschaft erwecken (Dt 25,5). Nun waren sieben Brüder bei uns. Der erste heiratete und starb, und weil er keine Kinder hatte, hinterließ er seine Frau seinem Bruder. Dergleichen auch der zweite und der dritte und schließlich alle sieben. Zuletzt nach allen starb auch die Frau. Welchem von den sieben wird nun bei der Auferstehung die Frau gehören? Denn alle haben sie gehabt.“ Gespannt warteten die Frager auf Jesu Entgegnung. Jesus antwortete ihnen: „Ihr seid im Irrtum, da ihr weder die Schriften kennt noch die Kraft Gottes. Denn bei der Auferstehung wird weder geheiratet noch verheiratet; sondern sie sind wie die Engel Gottes im Himmel.“ Die Engel sind ihrer Natur nach wesentlich verschieden von den Menschen. Sie besitzen keinen stofflichen Leib und darum keine Geschlechtsbestimmtheit. Ähnlich werden die auferstandenen Menschen sein. Darum kommen die sieben Brüder bei der Auferstehung nicht in Verlegenheit oder in Streit. Da der Herr wusste, dass die Sadduzäer nicht an die Auferstehung glauben, erteilt er ihnen sogleich noch eine Belehrung über die Realität der Auferstehung. Sie ist in Gottes Willen und in seiner Selbstoffenbarung verankert. „Was aber die Auferstehung der Toten betrifft, habt ihr nicht gelesen, was euch von Gott gesagt worden ist: ‚Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobsʻ (Ex 3,6)? Gott ist nicht ein Gott von Toten, sondern von den Lebendigen!“ Die Scharen, die zuhörten, waren außer sich über seine Lehre. Er war jeder noch so verfänglichen Frage gewachsen.

Jesus hat seine Jünger nicht im Zweifel gelassen, welches Schicksal ihn in Jerusalem erwarte. Er versucht ihnen zu erklären, dass der Messias als Gottesknecht einen qualvollen Tod erleiden müsse. Denn das ist sein Beruf und der Wille des Vaters. Die Jünger waren ohne Verständnis für dieses vorhergesagte Geschehen. Auch als Jesus sein Leiden (zum zweiten Mal) ankündigte, zeigen sie keinen Fortschritt im Verständnis dieser Weissagung. Sie wagen es aber auch nicht, an Jesus Fragen über dieses Thema zu stellen. Warum nicht? Die Erinnerung ist in ihnen wach an die Zurückweisung, die Petrus bei der erstmaligen Leidensweissagung erfahren hat. Petrus hatte damals Jesus beiseite genommen und ihm Vorhaltungen gemacht. Jesus hatte den Petrus angefahren: „Weg von mir, du Satan! Denn du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern die der Menschen.“ Was Petrus will, macht ihn zum Versucher für Jesus, weil er sich dadurch in direkten Gegensatz zu dem stellt, was Gott will.

Beim Letzten Abendmahl wurde Jesus im Geiste erschüttert und sprach: „Einer von euch wird mich verraten.“ Da blickten die Jünger einander an, ratlos sich fragend, von wem er rede. Sie wagen es nicht, den Meister direkt zu fragen. Petrus, der zwar ihr Sprecher ist, geht den Jünger, der Jesus am nächsten ist, heimlich an, den Herrn zu fragen, wer gemeint sei. Auf einen Wink des Petrus fragte Johannes den Herrn: „Herr, wer ist es?“ Jesus antwortete: „Der ist es, dem ich den Bissen eintauchen und geben werde.“ Und er tauchte den Bissen ein und gab ihn dem Judas, dem Sohn des Simon Iskariot (Joh 13,21-27). Da, nach dem Bissen, ging der Satan in jenen ein. Jesus sagte ihm: „Was du tun willst, tue bald.“ Keiner von den Tischgenossen verstand, warum er ihm das sagte. Denn weil Judas die Kasse hatte, meinten einige, Jesus sage ihm: Kaufe, was wir für das Fest nötig haben, oder, er solle den Armen etwas geben. Als jener den Bissen genommen hatte, ging er sofort hinaus. Es war aber Nacht.

In seinen Abschiedsreden vollendete Jesus seine Offenbarungsreden. Er sprach: „Ich bin ausgegangen vom Vater und gekommen in die Welt. Ich verlasse jetzt die Welt und gehe zum Vater“ (Joh 16,28). Da sprachen seine Jünger: „Siehe, jetzt redest du offen und gebrauchst kein Bild. Jetzt wissen wir, dass du alles weißt und nicht nötig hast, dass dich jemand fragt“ (Joh 16,29f.). Aus der Tatsache, dass der Herr ihre Absicht, ihn zu fragen, erkannte, schließen die Jünger, dass er Allwissenheit besitzt und nicht nötig hat, dass ihn jemand fragt, weil er vorher schon weiß, was man ihn fragen möchte. Aufgrund dieser Erkenntnis bekennen sie nun ihren Glauben an seine göttliche Herkunft. Der Herr ist erstaunt, dass die Jünger ihn nicht nach dem Ziel seines Fortgang fragen. „Nun aber gehe ich zu dem, der mich gesandt hat, und niemand von euch fragt mich: Wohin gehst du? Sondern weil ich euch dies sagte, hat Trauer euer Herz erfüllt“ (Joh 16,5). Das bevorstehende Scheiden Jesu ist für seine Jünger überaus schmerzlich. Darum hat seine Ankündigung, dass er von ihnen fortgehe, sie in tiefe Niederge-schlagenheit und Trauer versetzt. Sie denken jetzt nur daran, dass sie ihres Meisters beraubt werden und allein in einer Welt, die sie hasst und verfolgen wird, zurückbleiben müssen. Jesus tadelt sie, dass sie nur an den Verlust denken, den ihnen die Trennung bringt, aber nicht an den Gewinn, den sein Fortgang für sie haben wird. Sie müssten ihn in dieser Abschiedsstunde doch fragen, wohin er denn gehe. Dann würden sie hören, dass er zum Vater geht, und diese Antwort würde ihre tiefe Niedergeschlagenheit sofort beseitigen. Denn sein Weggang zum Vater ist die unerlässliche Vorbedingung für das Kommen des Parakleten. Durch dessen Sendung wird der Verlust der irdisch-leiblichen Gegenwart Jesu reichlich aufgewogen. In seiner Tätigkeit vollzieht sich ja das Offenbarerwirken Jesu beständig weiter und wird von seiner zeitlichen und räumlichen Begrenzung befreit.

Jesu Hinrichtung und sein Tod waren kein Ende der Befragung durch seine Jünger. Auch nach seiner Auferstehung drangen sie mit ihren Fragen auf ihn ein, wenn nicht eine heilige Scheu sie zurückhielt. Jesus veranstaltete ein Wiedersehen mit jenen Jüngern, die Fischer waren, am See Tiberias. Er verhalf ihnen zu einem überreichen Fischfang und lud sie zu einer Mahlzeit ein, die er ihnen bereitet hatte. Es wagte keiner der Jünger, ihn zu fragen: „Wer bist du?“ Wussten sie doch, dass es der Herr war (Joh 21,1-14). Die Jünger haben, offenbar aus dem reichen Fischfang, die Erkenntnis gewonnen, dass der fremde Mann am Ufer ihr Herr ist. Aber sie scheuen sich, ihn zu fragen, wer er sei. Wohl eine ehrfürchtige Scheu vor dem Auferstandenen, der den irdischen Lebensbedingungen entrückt ist, verbietet den Jüngern, genauere Aufschlüsse von ihm zu verlangen, um jeden Zweifel an seiner Auferstehung zum Schweigen zu bringen.

Dennoch können sie auch nach der Auferstehung nicht darauf verzichten, dem Herrn ihr altes Anliegen vorzutragen. Versammelt um ihn, fragten sie ihn: „Herr, richtest du in dieser Zeit das Königtum wieder auf für Israel?“ Sie denken sich das Reich Gottes als eine herrliche Erneuerung des alten Davidsreiches mit dem Messias als seinem König zu Nutz und Frommen des jüdischen Volkes. Sie sind also immer noch in den irdisch-nationalen Messiashoffnungen der großen Masse befangen. Jesus lehnt diese Vorstellung ab. Das Reich Gottes, das er verkündet hat, ist kein irdisch-nationales Gebilde. Die Jünger reden von unten, er spricht von oben. Die Jünger denken an ihre Erhebung. Jesus verweist sie auf ihre Sendung.  „Es ist nicht eure Sache, Zeiten und Fristen zu kennen, die der Vater aus eigener Machtvollkommenheit bestimmt hat.“ Wie es scheint, schließt Jesus eine glückliche Zukunft auch für das Volk Israel nicht aus. Doch jetzt ist nicht die Stunde, Gottes Plan für die Zukunft des jüdischen Volkes zu entdecken. Jetzt steht eine andere Absicht Gottes im Fokus. „Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist herabkommen wird auf euch, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde.“ Wenn das geschieht, ist die Zeit des Fragens vorbei. „An jenem Tage werdet ihr mich nichts mehr fragen“ (Joh 16,23). Wann wird das sein „an jenem Tage“? Das wird dann sein, wenn der Geist der Wahrheit von ihnen Besitz ergriffen hat. Wenn Gottes Licht und Feuer vom Himmel fällt, werden ihre Herzen erhellt. Sie begreifen den Sinn seines Leidens. Sie verstehen den Inhalt des Reiches Gottes. Gottes Geist führt die Zweifel zur Klarheit, den Irrtum zur Wahrheit, die Trauer zur Freude.

Amen.

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