21. Mai 2020
Christi Himmelfahrt I
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es ist ein Glaubenssatz: Christus stieg mit Leib und Seele aus eigener Kraft in den Himmel hinauf. Jesus Christus, unser Herr und Heiland, ist vom Tode auferstanden und in den Himmel aufgefahren. Beide Geschehnisse gehören zusammen, auch zeitlich, sind untrennbar und werden in dem Begriff „Erhöhung“ zusammengefasst. Jesus ist nach der Auferstehung nicht auf die Erde zurückgekehrt, um dort 40 Tage lang zu weilen, sondern er ist unmittelbar aus dem Tod in die himmlische Welt versetzt worden. Von dort her ist er den Jüngern während 40 Tagen erschienen. Bei jeder Erscheinung kam er vom Himmel und kehrte zum Himmel zurück. Seine verklärte Seinsweise konnte sich zwar den Jüngern zeigen; aber sie war nicht geschaffen, um erneut auf der Erde zu weilen. Himmelfahrten Jesu hat es also so viele gegeben, wie es Erscheinungen des Auferstandenen gab. In jeder Erscheinung kam er vom Himmel, nach jeder Erscheinung ging er in den Himmel zurück. Dieser Rückzug war gewöhnlich unsichtbar. Der erschienene Auferstandene verschwand einfach, wie wir es bei dem Zusammensein mit den Emmausjüngern erfahren haben: „Er entschwand ihren Blicken“ (Lk 24,21).
Die Himmelfahrt am Ende der 40 Tage aber geschah anders, sichtbar und offenbar. Der auferstandene Jesus wird von einer Wolke eingehüllt und emporgetragen, was zwei Engel als Aufgehobenwerden in den Himmel erklären. Diese Himmelfahrt nach der letzten Erscheinung wird uns in der Heiligen Schrift ausführlich geschildert; sie war den Jüngern unvergesslich. Sie ist die letzte Erscheinung, der Abschluss der Erscheinungen. Sie besagt, dass Christus den Seinigen in Zukunft nicht mehr erscheinen wird. Nicht mehr, bis zu der Stunde am Ende der Welt, wenn er in großer Macht und Herrlichkeit wiederkommen wird, um das All zu vollenden. Die äußere Erhebung Christi in die Lüfte versinnbildet den Übergang Christi in den Jenseitszustand der Glückseligkeit, aber bewirkt ihn nicht. Die Ursache dafür liegt in der empfangenen Verklärung, nicht in der äußeren Erhebung in die Wolken.
Die Versetzung der menschlichen Natur Christi an den ihr gemäßen, uns unbekannten Ort geschah in der Weise des Emporschwebens. Die Bewegung nach oben deutet an, dass die menschliche Natur Christi in die Welt Gottes, in seine, unserer Erfahrung unzugängliche Wirklichkeit aufgenommen wurde. Die Himmelfahrt Christi bedeutet die endgültige Hineinnahme der menschlichen Natur Christi in die (uns) verborgene Herrlichkeit des göttlichen Lebens.
Die Himmelfahrt Christi ist nicht eine dem ursprünglichen Glauben an die Auferstehung Christi gegenüber sekundäre spätere Legende, die einer Mythenkritik unterworfen werden muss (RGG III, 1959, 335). Die Himmelfahrt Christi ist ein geschichtlicher Vorgang in Raum und Zeit. Sie ist die örtliche Versetzung der verklärten menschlichen Natur Christi an einen Ort, der ihrem verklärten und seligen Zustand entspricht. Der stoffliche Charakter der menschlichen Natur Christi legt zwingend nahe, dass sie an irgendeinen Ort versetzt wurde. Sie muss irgendwo existieren. Wo sich die menschliche Natur Christi befindet, wissen wir nicht. Es gibt keinen uns bekannten Ort im Weltall, von dem wir sagen können, dass er der verklärten Natur Christi besser angepasst ist als ein anderer.
In der Himmelfahrt Christi wurde die letzte Folgerung aus der Tatsache gezogen, dass die menschliche Natur Christi (seit der Menschwerdung des Logos) in das Leben Gottes hineingenommen war. Diese Tatsache war während der irdischen Wirksamkeit Jesu verborgen. Sie wurde offenbar in der Auferstehung. Da brach die Herrlichkeit Gottes durch die menschliche Gestalt hindurch. Die menschliche Natur wurde verwandelt. Sie passte nicht mehr zu den vergänglichen Formen der Erde. Sie wurde so umgestaltet, dass sie geeignet war für das Leben in der Herrlichkeit Gottes. Der Auferstandene muss dorthin zurückkehren, von wo er gekommen ist. Denn er ist nicht mehr den beschränkten Existenzbedingungen der Erde unterworfen. Die Himmelfahrt ist die Vollendung des geschichtlichen Lebens und Wirkens Jesu.
Der in den Himmel Aufgefahrene sitzt nach der Heiligen Schrift und den Glaubensbekenntnissen der Kirche zur Rechten des Vaters. Damit ist nicht das Ruhen an einem bestimmten Ort ausgedrückt. Damit ist der Zustand des sicheren, freien Herrschens ausgesagt. Christus übt Herrschaft aus. Er ist der Herr des Alls. Ihm ist das Sichtbare und das Unsichtbare unterworfen. Das Sitzen zur Rechten Gottes ist nicht örtlich zu verstehen, sondern bildlich (Dan 7,13f.). Es bedeutet sowohl die Dauer und den unverlierbaren Besitz seiner Herrlichkeit als auch die Teilhabe an der Herrschaft des Vaters über das All. Christus ist jetzt Sohn Gottes nicht mehr in Knechtsgestalt, sondern in (wahrhafter) Gottesgestalt, Sohn Gottes in Herrlichkeit, nicht mehr in Niedrigkeit.
Christologisch bildet die Himmelfahrt die Vollendung der Erlöserlaufbahn Christi und die dauernde Besitzergreifung seiner Herrlichkeit. Die Erhöhung der menschlichen Natur Christi zur Teilnahme an der unverhüllten Herrlichkeit Christi ist einmal die höchste Offenbarung der Macht, der Heiligkeit und der Fülle Gottes. Der in den Himmel aufgefahrene Menschensohn ist die größte Verherrlichung Gottes. Die Erhebung der menschlichen Natur Christi zur Teilnahme an der unverhüllten Gottesherrlichkeit ist sodann die höchste, allseitige Vollendung der menschlichen Natur. An dem erhöhten Christus wird der letzte Gedanke verwirklicht, den Gott vom Menschen denkt. Hier ist das wahre Menschenbild in seiner letzten Ausgestaltung; sie ist von Gott gewirkt. Jetzt wird sein Wort zur Wahrheit: „Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alles an mich ziehen.“ Jetzt hat er einen Namen über alle Namen empfangen, damit jedes Knie sich vor ihm beuge und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus ist der Herr zur Herrlichkeit Gottes des Vaters.
Das Fest der Himmelfahrt Christi ist nicht überflüssig, wie manche protestantischen Theologen meinen. Es ist notwendig, ja unentbehrlich. Die Himmelfahrt Christi versichert uns dreier Tatsachen: Erstens des Eintritts Christi als Mensch in die himmlische Herrlichkeit; mit der Himmelfahrt gehört Jesus Christus als Person einschließlich seiner Menschheit zur Trinität. Zweitens seiner immerwährenden Fürsprache für die Kirche; drittens der Verheißung, dass seine Bestimmung auch die unsrige ist. Wo das Haupt vorausgeht, folgen die Glieder. In der Lehre von der Himmelfahrt Jesu sind das Ziel des Heils, das Fundament des kirchlichen Lebens und der Grund der christlichen Hoffnung miteinander verbunden. Wir gläubigen Christen feiern dankbar und freudig das Fest der Himmelfahrt unseres Herren. Er lässt uns nicht als Waisen zurück. Denn er sendet den Parakleten. Er bereitet uns eine Stätte, in die wir einst aufgenommen werden sollen.
Amen.