Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. Dezember 2019

Krippe und Kreuz

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Stephanus gehörte zu dem Kreis der Judenchristen, die nur griechisch sprachen. Er war ein Diasporajude. Unter den sieben Diakonen, die von der Urgemeinde aufgestellt worden, war er der Mann des besonderen Vertrauens der Urgemeinde zu Jerusalem. Er tritt aus der Verborgenheit heraus, vom Heiligen Geist erleuchtet, mit der Gabe der Wunder und einem eigenartig visionären Zug ausgestattet, klar wie Kristall, hart wie ein Diamant. Stephanus, so meldet die Apostelgeschichte, wirkte voll Gnade und Kraft Wunder und große Zeichen im Volke. Er gab Zeugnis von Christus in der Öffentlichkeit. Er wurde bekannt, er fiel auf, er zog die Aufmerksamkeit auf sich, die Aufmerksamkeit vor allem seiner Feinde. Er wurde verfolgt und brach unter dem Steinwurf tödlich zusammen. Warum musste Stephanus sterben? Erstens, weil Jesus vorhergesagt hatte, dass um seine Person und seine Lehre erbitterte Kämpfe entstehen würden. Das musste sich erfüllen; es erfüllte sich in Stephanus. „Glaubt ja nicht, dass ich gekommen bin, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Ich bin gekommen, den Sohn mit seinem Vater zu entzweien, die Tochter mit ihrer Mutter, die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter.“ Schon das Jesuskind wurde von dem Propheten Simeon verkündigt als der, der gesetzt ist zum Falle und zur Auferstehung vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird. Zweitens: Jesus hatte den Aposteln und Jüngern die Aufgabe gestellt, seine Botschaft weiterzutragen. Sie sollten bis an die Grenzen der Erde in der Öffentlichkeit von ihm Zeugnis ablegen. „Was ich euch im Dunkeln sage, das kündet im Lichte, und was euch ins Ohr geflüstert wird, das rufet aus von den Dächern.“ Mit dieser Aufgabe waren notwendig der Kampf und die Verfolgung verbunden. Stephanus ist ihnen nicht aus dem Wege gegangen. Er hat sich der vom Herrn gestellten Aufgabe mutig, unerschrocken und geistvoll unterzogen. Es ging um die Weitergeltung des alttestamentlichen Gesetzes. Wir wissen, dass durch das Kommen Jesu eine neue Zeit herangebrochen ist und ein neues Testament seine Berechtigung erwiesen hat. Stephanus war von dieser Wahrheit erfüllt, und er hält eine Rede, in der er nachweist: Die Juden, nicht die Christen sind es, die das Gesetz nicht gehalten haben. Auch der Tempelbau ist eigentlich gegen den Willen Gottes, denn der Höchste wohnt nicht in Gebäuden von Menschenhand. Seine Verteidigungsrede vor dem Hohen Rat gilt also dem Gesetz und dem Tempel, denen Stephanus nur vorübergehende Bedeutung zuweist. Durch Jesus erfährt diese alte Ordnung ihre Aufhebung. Eine neue Religion nimmt ihren Platz ein: die Religion Jesu Christi. Kein Wunder, dass die gesetzestreuen Juden, die tempeltreuen Juden darüber entsetzt waren und dass sie ihn mit Hass und Feindschaft überzogen. „Dieser Mann redet unaufhörlich gegen die heilige Stätte und das Gesetz“, das ist ihr Vorwurf. Das stimmte.

Die Leute, mit denen Stephanus diskutiert, sind aber seinem Geiste nicht gewachsen. Er ist ihnen überlegen, er hat bessere Argumente. Die Apostelgeschichte schreibt: „Seine Gegner konnten der Weisheit und dem Geiste, mit denen er redete, nicht widerstehen.“ Da packt sie die Wut. Ihre Unterlegenheit führt zum Hass. Weil sie ihn mit geistigen Waffen nicht besiegen können, greifen sie zu den bewährten Mitteln der Feinde Gottes aller Zeiten: zu Lüge und Gewalt. Er wird denunziert. Er ist ein Lästerer des Moses, des alttestamentlichen Gesetzgebers, ja Gottes selbst. Falsche Zeugen sind bei der Hand. Für Geld und Protektion oder auch aus Furcht finden sich immer minderwertige Gesellen, die die Wahrheit unterschlagen. Der Hohe Rat, vor den Stephanus geführt wird, verurteilt ihn wegen Gotteslästerung zum Tode. Die Todesart für Gotteslästerung ist die Steinigung. Die Verurteilung erfolgte nicht in einem streng juristischen Verfahren, sondern tumultuarisch. Nur die Hinrichtung wird nach Gesetzesvorschrift vollzogen. Die Steinigung war im alten Orient weit verbreitet. Auch die Griechen und die Römer kannten diese Todesart, eine besonders grausame, weil sie langsam vonstatten geht. Die Vollstreckung dieser Todesart geschah vor der Stadt, nicht in der Stadt, die nicht dadurch befleckt werden sollte. Die Zeugen hatten den ersten Stein zu werfen. Sie legten ihre Kleider nieder vor den Füßen eines jungen Mannes, der Saulus hieß.

Stephanus war in seinem Leben und Sterben dem Herrn ähnlich. Er bekannte sich zu seinem Heiland, für den er in den Tod ging. Er starb wie der Herr vor den Toren der Stadt. Sterbend betete er für seine Feinde wie der Heiland. Und er ruft den Sohn an, wie Jesus den Vater angerufen hatte. Fromme Männer beerdigten ihn. Sie bereiteten ihm ein Begräbnis, das gar nicht zulässig war für einen wegen Gotteslästerung gesteinigten. Aber sie verschafften ihm ein feierliches Begräbnis. Das Begräbnis war für die Juden immer von besonderer Wichtigkeit. Die Gotteslästerer, die Feinde Gottes, die wurden nämlich den Tieren überlassen. Die Raben, die Geier und die Hyänen kamen und bedienten sich an den Hingerichteten.

Der Bekennermut des Stephanus wird von den Martyrern in der Folgezeit immer wieder nachgeahmt. Er ist das große Vorbild geworden. Erinnern Sie sich bitte, wie ich Ihnen vor einigen Wochen die spanischen Martyrer vorgestellt habe. Sie sind ausnahmslos mit dem Wort gestorben: Gott, verzeihe ihnen die Sünden. Sie haben Stephanus allesamt nachgeahmt. Christus hat uns Verheißungen für die Zeit der Verfolgung gegeben. In Stephanus haben sie sich sichtbar und öffentlich erfüllt. Die erste Verheißung: „Wenn sie euch nun überliefern, so habt keine Sorge wie oder was ihr sprechen sollt. Denn in jener Stunde wird euch verliehen werden, was ihr sprechen sollt. Denn nicht ihr seid es dann, die sprechen, sondern der Geist eures Vaters, der in euch spricht.“ So geschah es bei Stephanus. Die Verheißung des Herrn hat sich in ihm erfüllt. Er war voll des Glaubens und voll des Geistes, als er vor dem Hohen Rat seine große Verteidigungsrede hielt. Zweite Verheißung: „Ihr sollt vor denen, die euch verfolgen, keine Furcht haben; sie können nur den Leib töten, die Seele aber können sie nicht töten. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in die Hölle stoßen kann. Ja, sage ich, den sollt ihr fürchten!“ Stephanus ist dieser Weisung gefolgt. Sie hat sich in ihm erfüllt. Er war furchtlos, er wusste, was ihn erwartet. Aber er wusste auch, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Er wusste auch, dass Gott anders zu retten versteht als die Menschen. Dritte Verheißung: „Jeder, der mich vor den Menschen bekennt, den werde auch ich vor meinem Vater bekennen, der im Himmel ist. Wer mich aber vor den Menschen verleugnet, den werde auch ich vor meinem Vater im Himmel verleugnen.“ Stephanus war sich bewusst, dass vom Bekennen oder von der Leugnung Jesu das jenseitige Schicksal eines jeden abhängt. Er wählte das Bekennen, und Jesus stand zu seiner Verheißung. Stephanus wurde von Jesus einer Vision gewürdigt. Er sah den Himmel offen. Es sah Jesus, aber nicht wie es im Glaubensbekenntnis heißt: sitzend, sondern stehend. Warum denn stehend? Der Herr hat sich erhoben, um seinen Martyrer aufzunehmen. Das brachte natürlich die Verfolger zum Gipfel ihrer Wut, dass Stephanus Jesus, den verhassten Nazarener, im Himmel sah, der bereit war, ihn aufzunehmen.

Meine lieben Freunde, man hat manchmal gefragt: Passt denn Stephanus zu Weihnachten? Ich sage: Er passt nicht nur zu Weihnachten, er gehört zu Weihnachten. Die Steinigung des Bekenners Christi hat einen notwendigen Platz neben dem Lobgesang der Engel. Fulgentius von Ruspe, ein großer mittelalterlicher Theologe, hat keinen Zweifel daran, dass Krippe und Kreuz zusammengehören. „Gestern“, so schreibt er, „feierten wir die zeitliche Geburt unseres ewigen Königs; heute feiern wir das siegreiche Leiden seines tapferen Soldaten. Gestern hat unser König, angetan mit dem Kleid des Fleisches und hervorgehend aus dem Hof des jungfräulichen Schoßes, sich gewürdigt, in die Welt einzutreten; heute ist sein Soldat, heraustretend aus dem Zelt des Leibes, als Sieger zum Himmel gewandert. Jener trat ein als Kämpfer in das Feld dieser Zeitlichkeit, in dem er unter Bewahrung der Majestät Gottes das Knechtsband des Fleisches annahm; dieser stieg auf als Herrscher in den Himmelspalast, nachdem er das vergängliche Gewand des Körpers abgelegt hatte. Jener stieg ab, verhüllt im Fleische; dieser stieg auf, im Blute preisgekrönt. Dieser stieg auf unter den Steinwürfen der Juden; jener stieg hinab unter dem Freudengesang der Engel. ‚Ehre ist Gott in der Höhe‘, jubelten gestern die heiligen Engel; heute nahmen sie den Stephanus jauchzend in ihre Gesellschaft auf. Gestern ging der Herr aus dem Schoße der Jungfrau hervor; heute verließ sein Soldat den Kerker des Fleisches. Gestern war Christus für uns in Windeln gewickelt; heute ward Stephanus von ihm mit dem Gewand der Unsterblichkeit bekleidet. Gestern trug die Enge der Krippe das Christuskind; heute nahm die Unermesslichkeit des Himmels den siegreichen Stephanus auf. Der Herr stieg allein herab, um viele zu erheben. Es erniedrigte sich unser König, auf dass er seinen Soldaten erhebe.“ Das sind die Ausführungen des Fulgentius von Ruspe zum heiligen Weihnachtsfest und zum Fest des Stephanus. Welcher Kontrast zwischen Weihnachten in Bethlehem und dem Mord in Jerusalem. Dort neigte sich der Himmel der Erde, hier öffnet die Hölle ihren Schlund. Dort singen Engel ihr Preislied, hier hallen die Schreie der Meute. Dort tragen die Hirten Gaben zur Krippe, hier hebt der Pöbel Steine auf, um zu morden. Ja, meine lieben Freunde, Stephanus passt nicht nur zu Weihnachten, er gehört zu Weihnachten. Krippe und Kreuz gehören untrennbar zusammen. Wer sich am Preislied für die Menschwerdung Gottes beteiligt, der muss auch damit rechnen, dass er zum Bekenntnis des Gottessohnes vor einer feindseligen Menge aufgerufen werden kann. Der Glaube an den menschgewordenen Gott befähigt zum Zeugnis für den göttlichen Erlöser, Christus. Und uns, meine lieben Freunde, lehrt Stephanus das wichtigste Gebot, das Christus je gegeben hat, das Gebot der Liebe, der Nächstenliebe, der Feindesliebe. „Den Alten wurde gesagt, du sollst deinen Freund lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch, ihr sollt eure Feinde lieben, Gutes tun denen, die euch hassen, und beten für die, die euch verfolgen.“ Das ist die Botschaft des Stephanus am zweiten Weihnachtsfeiertag.

Amen.      

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