Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Dezember 2019

Ein Kind ist uns geboren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Geburt unseres Heilandes Versammelte!

Einfältige Hirten, die zu den verachteten Leuten in Israel gehörten, sind die ersten, denen Gott die Geburt seines Sohnes offenbart. Die Hirten weilten nicht in Bethlehem, sondern in der Nähe, „in jener Gegend“, sagt Lukas. Erst aufgrund der Engelerscheinung machten sie sich auf nach Bethlehem. Die Geburt Jesu geschah in der Nacht. Das erfahren wir aus der Bemerkung, dass die Hirten, die ersten Besucher des Krippenkindes, Nachtwache hielten bei ihrer Herde, um sie zu schützen vor Räubern oder wilden Tieren. Vor solchen Hirten erscheint plötzlich ein Engel. Die als sichtbare blendende Lichterscheinung zu verstehende Herrlichkeit des Herrn, die gleichzeitig mit dem Auftritt des Engels die Hirten umleuchtete, ist die Erscheinungsform Gottes; es ist dieselbe wie auf dem Berg Tabor. Erst mit diesem Eingreifen Gottes tritt der neugeborene Messias und Heiland aus der Verborgenheit heraus, die ihn im Moment seines Herabkommens auf diese Erde umgab. „Siehe, ich verkündige euch eine große Freude, die dem ganzen Volke zuteil werden soll. Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren, der da ist der Messias, der Herr.“ Wie sagt der Engel? Er sagt nicht: Ich verkündige euch ein großes Problem, sondern: Ich verkündige euch eine große Freude. Das ist zur Mahnung für diejenigen gesagt, die Weihnachten problematisieren. Dadurch, dass die Heilsbotschaft verkündet wird, tritt die Heilszeit ein, das wirksame Werk Gottes, durch das er sein Kommen einleitet. Die Weihnachtsbotschaft ist so bedeutend, dass jedes Wort in ihr erklärt werden muss. „Heute“, sagt der Engel, „ist euch der Heiland geboren.“ D.h. es ist der Höhepunkt und der Zielpunkt der ganzen Heilsgeschichte angebrochen. Es ist dieses Ereignis einmalig gewesen und zeitmäßig gewiss auch vergangen, aber in seiner Bedeutung geblieben bis heute. Christus ist in der Kraft des Heiligen Geistes jeder Phase der Geschichte gleichzeitig und sogar voraus. Das Wort „heute“ lässt sich auch nach unserer Zeitrechnung verifizieren. Der Mönch Dionysius Exiguus hatte im 6. Jahrhundert die Zeitrechnung geschaffen, mit der wir uns heute noch zurechtfinden. Aber er hat einen Irrtum begangen. Er setzte nämlich die Geburt Jesu, also das nach seiner Meinung gegebene Jahr 1, mit dem Jahr 753 seit der Gründung der Stadt Rom gleich. Und das war der Fehler. Jesus ist nicht im Jahr 1 unserer Zeitrechnung geboren, sondern im Jahr 8-7 vor unserer Zeitrechnung. Aber das ändert an der Geschichtlichkeit nichts, es ist nur ein Fehler des Dionysius gewesen. Das Wort „heute“ liegt auch geographisch fest. Jesus ist nicht – wie die Irrlehrer unserer Zeit sagen – in Nazareth geboren, sondern in Bethlehem. Nazareth ist der Ort, in dem er aufgewachsen ist, Bethlehem ist der Ort seiner Geburt. Und er musste dort geboren werden, weil es die Weissagung Gottes so forderte. „Ich verkündige euch“, sagt der Engel, „eine große Freude. Und die Freude wird dem ganzen Volk widerfahren“, d.h. die Hirten sind nur Repräsentanten, Vertreter des Volkes. Die Hirten sind stellvertretend für das Volk diejenigen, die die Freudenbotschaft entgegennehmen. Im Dativ (euch) verstehen wir Christen noch etwas anderes, nämlich wir hören in diesem Wörtchen die Bestimmung des Neugeborenen – die wir ja im Glaubensbekenntnis aussprechen –, dass er geboren ist für uns, für uns, zu unserem Heile. Zu diesem Zwecke ist er vom Himmel herabgestiegen.

Der Engel gibt auch an, wer der Neugeborene ist. Er gibt ihm drei Namen von ungeheurer Bedeutung. „Euch ist heute der Heiland geboren, der Retter.“ Das ist die griechische Übersetzung des Wortes „Soter“, und Soter heißt tatsächlich Retter, Heiland. Dieser Retter ist nicht mit den Rettergestalten identisch, wie sie die griechische und römische Mythologie kannten. Nein, dieser Retter ist keine Einbildung, ist kein Wahn, ist kein Menschengewächs, sondern er ist eine reale Person, er ist ein Retter in Wahrheit und Wirklichkeit. Er ist das Lamm, das die Sünden der Welt hinwegnimmt, und das ist real. Von einem Retter hatte schon Zacharias, der Vater Johannes des Täufers, gesprochen, als er prophetisch jubelte: „Gott hat uns ein Horn des Heiles aufgerichtet, wie er von alters her versprochen hat, uns zu retten vor unseren Feinden.“ Und diesen Retter hat auch der greise Simeon im Tempel zu Jerusalem bekannt: „Meine Augen haben dein Heil geschaut, das du bereitet hast vor dem Angesicht der Völker, ein Heil für alle Völker.“ Wahrhaftig, das gläubige Volk hat Recht, wenn es zur heiligen Weihnacht singt: „Christ, der Retter ist da.“ Wartet nur, bis der Knabe von Bethlehem herangewachsen sein wird, wenn er seine Weisheit versprühen und seine Macht offenbaren wird. Dann werden ihm selbst die von den Juden geschiedenen Samariter als den bekennen, der er ist: der Heiland der Welt.

Die zweite Kennzeichnung des Neugeborenen ist der Titel „Christus“, hebräisch: Messias. Christus heißt: der Gesalbte. Jahrhundertelang hatte das jüdische Volk in den Synagogen die Kunde von dem verheißenen Messias gehört. „Seht, die Jungfrau wird empfangen und einen Sohn gebären, und sein Name wird sein Immanuel.“ Dieser Retter, dieser Messias war für die Zukunft vorhergesagt. Die Israeliten waren immer voller Freude und das Herz schlug ihnen höher, wenn sie vom Messias hörten. Denn das war ihre Hoffnung, das war ihr Flehen. Voller Sehnsucht harrten sie auf sein Kommen. Aber das Bild vom Messias, das sie hatten, ging vielfältig auseinander. Wohl die Mehrzahl des Volkes erwartete einen politischen Befreier von der römischen Herrschaft und einen glanzvollen Erneuerer des Königtums Davids, also eine irdische Herrlichkeit. Jesu Messianität war von dem herrschenden Ideal des Messias weit entfernt. Es wollte ihm nicht in den Sinn kommen, es auf sich anzuwenden, deswegen hat er es immer vermieden, sich als den Messias kundzugeben. Er hat den geheilten Kranken verboten, von ihm zu sprechen als dem Messias. Er wollte nicht, dass das falsche Bild des Messias ihm übergestülpt wird. Das ist das Messiasgeheimnis des Markusevangeliums. Er wollte nicht die Befreiung von der römischen Herrschaft bringen, sondern von der Gewalt Satans und der Sünde, vom Sich-verlieren an die Freuden und Sorgen dieser Welt. Er war ein König, aber ein König der Wahrheit und der Gnade.

Das dritte Kennzeichen, das der Engel dem Neugeborenen zuspricht, ist Herr – Kyrios. Kyrios – Herr ist der Name Gottes im ganzen Alten Testament in griechischer Sprache. Immer wenn in der griechischen Bibel von Gott die Rede ist, dann wird er Kyrios genannt, also der unendlich überlegene Allherrscher. Und das ist nun der Name, den die Engel Jesus zusprechen. Die Juden erwarteten einen menschlichen Messias; Gott sandte ihnen einen göttlichen Messias. Sie erwarteten einen irdischen König; Gott schenkte ihnen den König des Weltalls. Von ihm hatte der Prophet Isaias vorhergesagt: „Auf seinen Schultern ruht die Herrschaft.“ Ein Kind ist uns geboren, jawohl, aber auf seinen Schultern ruht die Herrschaft. Diese Ärmchen regieren die Spiralnebel. Der Titel „Herr“ besagt die universale Herrschaft des Christus. Sie bekennt ihn als den Mittler des Heils und weist ihn als Gebieter über Lebende und Tote aus. Der Titel „Kyrios“ bringt die Hoheit und Göttlichkeit des Krippenkindes zum Ausdruck. Der Herr, von dem die Engel künden, ist allen Herren dieser Erde überlegen. Im letzten Buch der Bibel, in der Apokalypse, wird ihn Johannes sehen in einer Vision, und zwar als König der Könige und Herr der Herren. Der Name „Kyrios“ – Herr ist für Paulus der wichtigste Titel Christi, er gebraucht ihn 189 Mal. Und Lukas folgt ihm; er spricht in seinem Evangelium 104 Mal von Christus als dem Herrn.

Ein unerhörtes Wunder ist unter den Erdbewohnern geschehen. Der den Himmel mit einer Spanne misst, liegt in der Krippe, nur eine Spanne groß. Der das Meer mit seiner hohlen Hand fasst, wird in einer Höhle oder in einem Stalle geboren. Das ist das Unerhörte, das kaum Glaubliche, das alle Vorstellungen Übersteigende der Weihnacht, dass Gott ein Mensch geworden ist, dass der Unsichtbare sichtbar geworden ist, dass der Weltenschöpfer als ein Kind in seine Schöpfung gekommen ist, dass Gott selbst sich aufmacht, den Menschen zu retten, ihm das Heil zuzuwenden, dass er das menschliche Schicksal auf sich nimmt, um das Unheil zu überwinden. Das ist die unbegreifliche Liebestat Gottes. Wer an Weihnachten nicht fassungslos vor Staunen ist, der hat das Geschehen von Bethlehem noch nicht in seiner vollen Bedeutung begriffen. Ich erzähle noch einmal, was in der Heiligen Nacht in Sankt Florian in Österreich geschehen ist: Der große Anton Bruckner hatte auf der Orgel wunderbar gespielt und war nicht nach Hause gekommen. Man suchte ihn stundenlang und fand ihn dann vor der Krippe. Man fragte ihn: „Ja, Meister, was haben Sie hier gemacht die ganze Nacht?“ Er antwortete: „Ich habe immer nur vor mich hingesagt: Er ist ein Mensch geworden! Er ist ein Mensch geworden! Da bin ich vor Staunen nicht fertig geworden.“

Ebenso wie Zacharias und Maria empfangen auch die Hirten vom Engel ein Beglaubigungszeichen, dessen Mitteilung ihnen Gewissheit geben soll über die Wahrheit der Botschaft, die ihnen der Engel bringt. Dieses Zeichen entspricht nun in keiner Weise den Erwartungen der Juden, die eben meinten, der Messias müsse mit Macht und Glanz auftreten. Nichts davon ist vorhanden, sondern armselige Windeln und ein Stall oder eine Höhle als Aufenthaltsort sind das Zeichen. Die Umstände der Geburt des Heilandes sind keineswegs unbeachtlich. Sie deuten an, dass er seine Heilstätigkeit nicht in irdischem Glanze ausüben wird, sondern im demütigen Dienst, nicht im Beifall der Menge, sondern in der Ablehnung der Gewalthaber. Das ist das Christentum nicht, dass ein Mächtiger mit seiner Macht die Schwachen befreit, sondern der Schwächste von allen sie stärkt. Das ist das Christentum nicht, dass ein Reicher die Armen beschenkt, sondern der Ärmste von allen sie reich macht. „Durch seine Armut sind wir reich geworden“, schreibt Paulus.

Als weitere Bestätigung tritt zur Botschaft des eigentlichen Verkündigungsengels der Lobgesang einer großen Zahl anderer himmlischer Geister. Er lautet: „Herrlichkeit ist für Gott in der Höhe und auf Erden Heil für die Menschen des göttlichen Wohlgefallens.“ Ich wiederhole noch einmal diesen fundamentalen Ruf: Herrlichkeit ist für Gott in der Höhe und auf Erden Heil für die Menschen des göttlichen Wohlgefallens. Der Preisruf gilt dem die Welt betretenden Messias und kann darum mit Recht als messianische Akklamation bezeichnet werden. Aber die Eigenart liegt darin, dass dieser Ruf Gott preist, Gott in seiner Macht; was Gott getan hat, das wird hier ausgesagt. Der Sinn des ursprünglichen Textes ist: Durch die Geburt des Messias ist Gott in der Himmelsherrlichkeit verherrlicht. Durch die Sendung seines Sohnes ist Gott Herrlichkeit widerfahren. Diese Worte sind nicht ein Wunsch – Ehre sei Gott in der Höhe –, nein, das ist nicht richtig, Gott ist Herrlichkeit in der Höhe. Als Aussage ist diese Wendung gemeint, nicht als Wunsch. Der Sinn des ursprünglichen Textes ist: Durch die Geburt des Messias ist Gott in den Himmelshöhen verherrlicht und auf Erden den Menschen des göttlichen Wohlgefallens Heil widerfahren. Durch die Sendung des Messias im Himmel ist dem Namen Gottes Ehre geschehen, und danach ist in dem Lobgesang der Engel nicht die Größe oder künftige Verherrlichung des Messias ausgesagt, sondern einzig allein Gottes Größe. Häufig ist heute davon die Rede, dass alle Religionen berechtigt sind. Mir sagte einmal eine iranische Ärztin, dass man überhaupt irgendeinen Glauben hat, das ist wichtig, nicht dass man den christlichen Glauben teilt. Diese Meinung ist weit verbreitet. Man billigt alle Religionen, man kann in allen Religionen sein Heil wirken. Gegen diese Ansicht erhebt das Weihnachtsgeschehen entschiedenen Einspruch. Keine andere Religion kann für sich in Anspruch nehmen, dass sich in ihr Gott in menschlicher Gestalt geoffenbart hat. Das ist einmalig und einzigartig, dass Gott vom Himmel herabgestiegen ist, dass er sich eine menschliche Natur angeeignet hat, um in ihr die Schuld der Menschen aufzuarbeiten. Jesus von Nazareth, der Sohn Gottes und der Sohn der Jungfrau Maria, steht nicht neben Buddha, Konfutse oder Mohammed. Jesus Christus teilt seine göttliche Würde nicht mit selbsternannten Religionsstiftern. Von ihm gilt, was die Apostel von Anfang an der Menge verkündet haben: „Es ist in keinem anderen Namen Heil als im Namen des Nazareners.“

Nun noch diese andere Bemerkung: den Menschen des Wohlgefallens. Das ganze Volk wird von Gott durch die Sendung seines Sohnes begnadet; das ist das Wohlgefallen Gottes. Die Ankunft des Messias gilt der gesamten Menschheit; Israel ist ihr Repräsentant. Gottes Rettungswille umfasst alles, was Menschenantlitz trägt. Nun haben wir aber in unseren Gebetbüchern immer die Übersetzung: „Heil allen Menschen guten Willens.“ Das ist nicht dasselbe. Gottes Wohlgefallen den Menschen und Menschen guten Willens das ist nicht dasselbe. Ja, ist die Übersetzung, die ja von Hieronymus stammt, ist sie falsch? Nun, meine lieben Freunde, das Wohlgefallen Gottes ist gewiss unbegrenzt, und die griechische Bibel hat Recht, wenn sie vom Wohlgefallen Gottes spricht. Aber das Wohlgefallen Gottes ist nicht unbedingt. Es kann nur denen gelten und kann nur von denen in Anspruch genommen werden, die guten Willens sind. Insofern ist die Übersetzung des Hieronymus nicht falsch. Sie drückt nur aus, was notwendig ist, um des Wohlgefallens Gottes teilhaftig zu werden. Man hat, als Adenauer noch lebte und in einer Weihnachtsansprache vom göttlichen Wohlgefallen und vom guten Willen der Menschen sprach, ihm Vorwürfe gemacht, dass er die Bibel nicht kennt. O, er kannte sie gut. Aber seine Übersetzung ist eben in den deutschen Messbüchern eingewurzelt, und wir wollen sie auch nicht daraus vertreiben. Denn wir haben jetzt begriffen, dass sie nicht falsch ist. Sie drückt das aus, was das Wohlgefallen Gottes eigentlich erst wirksam macht, nämlich dass man guten Willens ist.

Die Hirten trauen dem Erlebnis, das ihnen zuteil wurde. Sie sind überzeugt, dass der Himmel sich geöffnet und sie zu Zeugen eines unerhörten Geschehens gemacht hat. Daher machen sie sich eilends, so schreibt Lukas, also nicht gemächlich, auf, nach Bethlehem zu gehen und finden dort die Engelsbotschaft bestätigt. Da erfüllt sich, meine lieben Freunde, was wir in unserer Kindheit gesungen haben:

„Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh,

Maria und Joseph betrachten es froh.

Die redlichen Hirten knien betend davor,

hoch oben schwebt jubelnd der Engelein Chor.“

Die Hirten verschweigen nicht, was ihnen widerfahren ist. Sie berichten es an erster Stelle den Eltern. Und Maria, so heißt es, bewahrte alle diese Worte. Sie hat sie wahrscheinlich dem Evangelisten Lukas übermittelt. Die Hirten aber kehrten, Gott lobend für all das, was sie gesehen hatten und gläubig verstehen durften, zu ihrer Herde zurück. Meine lieben Freunde, es ist Weihnachten. Es ist selige Nacht, es ist das Fest der Geburt unseres Heilandes. Wer steht uns näher als die Hirten? Sie sind unsere Vertreter. So demütig, so einfältig, so gläubig wie sie waren, müssen und wollen wir werden. An uns ist es, sich den Hirten anzuschließen, auf die Botschaft des Engels zu hören, ihren welterschütternden Inhalt aufzunehmen, dem Krippenkind zu huldigen, Gott zu danken für die Freude, die er uns gemacht hat. Gott, der Retter ist da.

Amen.

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