1. November 2018
Die Verehrung der Heiligen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier Allerheiligen Versammelte!
Wir feiern heute das Fest Allerheiligen. Das heißt wir gedenken aller Vollendeten in der Seligkeit des Himmels, die es zum Ziele geschafft haben. Die Verehrung der Heiligen unterscheidet sich von der natürlichen Verehrung historischer Persönlichkeiten. Diese werden geehrt oder verehrt wegen der Leistungen, die sie für die Gestaltung der Welt vollbracht haben. In der Heiligenverehrung wird ein Mensch gepriesen um der alle irdischen Ehre überschreitenden Gottebenbildlichkeit, an der er teilnimmt. Wir rühmen die Heiligen, weil sie mit Christus herrschen. Die Heiligen werden verehrt um Gottes willen. Sie weisen zurück und über sich hinaus auf Gott. Gottes Herrlichkeit ist so durchgreifend und schöpferisch, dass sie nicht bloß auf dem Antlitz seines eingeborenen Sohnes aufleuchtet, sie spiegelt sich auch in allen, die in ihren Lebenstagen Gott gehört haben und jetzt mit ihm in der himmlischen Freude leben. In der Heiligenverehrung ist also Gott selbst gemeint. Sie hat mit Vielgötterei nichts zu tun. Die Heiligen haben nicht die Plätze eingenommen, welche die alten Götter verlassen haben. Wir verehren in den Heiligen Gott, der sich in ihnen mächtig erweist, der in ihnen die Sünde bis in die Wurzel des Seins überwunden hat, der in ihnen seine allmächtige Heiligkeit darstellt.
Die Verehrung der Heiligen geschieht in erster Linie durch ihre Anrufung als Fürbitter bei Gott. Der heilige Augustinus schreibt einmal: „Die Kirche betet nicht für die Heiligen, sondern zu ihnen. Am Altar gedenkt man ihrer, dass sie für uns beten, damit wir ihrem Beispiel nachfolgen.“ Damit ist alles gesagt. Die innere Berechtigung der Anrufung der Heiligen ergibt sich aus der Lehre von der Gemeinschaft der Heiligen. Die Gemeinschaft, in der die Christusgläubigen miteinander verbunden sind, greift über die Grenzen der pilgernden Kirche – zu der wir gehören – hinaus. Sie umfasst auch jene Christusverbundenen, die sich schon im Zustand der endgültigen Christusgemeinschaft befinden. Sie umfasst sogar die Seelen des Reinigungszustandes. Kraft dieser Gemeinschaft können die Heiligen in ihrer vollendeten Bruderliebe uns helfen. Sie sind noch geneigter uns zu helfen, wenn wir sie anrufen. Die Heiligen sind ihren irdischen Brüdern und Schwestern zugewandt. Sie sind Hingabe und Hilfsbereitschaft. Sie nehmen an unserem Schicksal teil. Sie dienen unserem Heil durch ihre Fürbitte und durch ihre Liebe. Mit ihrem Fürbittgebet begleiten sie unsere Wege und empfehlen sie Gott. Sie umschließen uns mit ihrer Liebe. Die Fürbitte der Heiligen zielt nicht auf die Änderung des göttlichen Ratschlusses; das ist unmöglich. Gott kann nicht umgestimmt werden. Er ist uns immer in unwandelbarer Treue zugewandt, aber er hat es so gefügt, dass wir in der gegenseitigen Liebe das Heil gewinnen. Das Gebet ist nicht ein menschliches Werkzeug Gott gegenüber, sondern ein Heilswerkzeug Gottes. Er hat das Gebet in seinen ewigen Vorsehungsplan eingesetzt. Er gewährt vieles um des Gebetes und nur um des Gebetes willen. Der Mensch soll sich im Gebet öffnen, er soll seine Hilfsbedürftigkeit vor Gott bekennen. Man werfe nicht ein, dass die verstorbenen Heiligen von unseren irdischen Angelegenheiten nichts wissen. O, meine lieben Freunde, Jesus sagt: „Es wird Freude im Himmel sein bei den Engeln über einen einzigen Sünder, der Buße tut.“ Die Engel erfahren also, dass jemand sich bekehrt hat. Und warum sollen es die Heiligen nicht erfahren? Sie stehen ja ebenso vor Gott. Nach Analogie der Engel kann man von den Heiligen annehmen, dass sie Gott schauen und in der Schau Gottes das erfahren, was ihrer Stellung angemessen und passend ist. „Was sehen die nicht, die den sehen, der alles sieht?“, schreibt der heilige Gregor. Was sehen die nicht, die den sehen, der alles sieht? Wir dürfen zu den Heiligen beten. Gott offenbart ihnen unsere Anrufungen, sodass sie in der Lage sind, uns zu unterstützen. Sie erfahren unsere Gebete in Gott, den sie schauen. Sie erkennen in Gott, was auf sie Bezug hat. Im ewigen Worte Gottes erkennen sie die Wünsche und die Andacht und die Gebete, die wir zu ihnen richten, weil wir ihres Beistandes bedürfen.
Durch die Anrufung der Heiligen wird die Mittlerschaft Christi in keiner Weise geschmälert. Die Heiligen werden nicht an Christi Stelle oder zur Ergänzung seiner Mittlerschaft angerufen, ihre ganze Mittlerschaft ist sekundär, d.h. sie hat ihre Kraft einzig und allein in der Mittlerschaft Christi. Was die Heiligen für uns erlangen, beruht auf den Verdiensten Christi. Christus bleibt der eine Mittler. Er ist es, durch den wir zum himmlischen Vater sprechen. Aber wenn er unser Beten aufnimmt, tut er es als Haupt der Heiligen des Himmels. Die Heiligen nehmen an der Bitte Christi, die er für uns zum Vater bringt, Anteil. Wenn die Kirche die Heiligen anruft und sich nicht ausschließlich an Christus wendet, so tut sie dies im Bewusstsein der Sündhaftigkeit ihrer Glieder. Nur die Vollendeten des Himmels können das Gebet in lauterer Liebe, frei von Selbstsucht als reine Verherrlichung Gottes aussprechen. Durch die Bitte an die Heiligen wird Christus nicht ausgeschaltet oder zurückgedrängt, sie hat vielmehr den Sinn, dass wir in Gemeinschaft mit ihnen zu Christus beten, dass sie sich mit unseren Gebeten vereinen, damit diese von ihrer vollendeten Liebe getragen werden. Das Gebet zu Christus, das die Heiligen an ihn richten, hat mehr Kraft, verdient mehr Vertrauen als unser Gebet, die wir so fehlerhaft sind. Die Heiligen lassen ihre Mittlerschaft durch die Kraft Christi in hellerem Licht erstrahlen.
Ich bin schon gefragt worden: Ja, kann man denn auch die im Fegfeuer befindlichen Seelen anrufen? Das kann man. Die Kirche ruft zwar in ihrer Liturgie niemals die Fürbitte der im Fegfeuer befindlichen Seelen an, sie hat aber auch die Praxis der Gläubigen, diese Seelen anzurufen, niemals missbilligt. Große Theologen vertreten mit guten Gründen, dass die im Fegfeuer Befindlichen uns mit ihrer Fürbitte helfen können. Sie haben ja Tod und Verdammnis überwunden, sie sind ja des ewigen Heiles gewiss. Sie müssen nur noch die Flecken und Schlacken ihres irdischen Lebens ausbrennen, bis die Stunde schlägt, in der sie Gott schauen.
Wir verehren die Heiligen sodann durch die Nachahmung. Nachahmung ist der Gipfelpunkt der Heiligenverehrung. Nachahmung ist die aktive Angleichung an ihre Tugend und an ihre Vollkommenheit. Nachahmung zielt primär auf die persönliche Teilnahme an dem sittlichen Vorzug des Nachzuahmenden, sekundär auch auf dessen Ehrung. Der heilige Chrysostomos schreibt einmal: „Die Ehre des Martyrers ist seine Nachahmung.“ Das Beispiel der Heiligen soll uns anregen, wie sie im ständigen Kampf wider die Sünde und in der treuen Übung der christlichen Tugend, im Sinnen und Trachten dem ähnlich zu werden, dessen lebendige Glieder sie wie auch wir sind. Ohne Nachahmung bleiben die Lobreden auf die Heiligen nur Wortgetöne. Erst durch die Nachahmung schenken wir ihnen die wahre Frucht unserer Liebe. Jeder Stand, jedes Alter findet unter ihnen das entsprechende Vorbild. Am Tag des heiligen Aloisius, also am 21. Juno, beten wir im Kirchengebet: Lass uns ihn nachahmen; wenn wir nicht in der Unschuld ihm gefolgt sind, dann wenigstens in der Buße. Wir wollen ihn nachahmen wenigstens in der Buße, weil wir ihm in der Unschuld nicht nachgefolgt sind.
Die praktische Überzeugung der Gläubigen, dass bestimmte Heilige in gewissen Anliegen eine besondere Macht der Fürbitte bei Gott besitzen, beruht auf der Lehre des heiligen Apostels Paulus von der verschiedenen, je spezifischen Funktion, die jedes Glied im Reiche Christi hat. So werden die heiligen Mütter besonders für die irdischen Mütter eintreten, die heiligen Väter für die irdischen Väter, die heiligen Jünglinge für die Jugendlichen. Die Ärzte dürfen auf die Fürbitte der heiligen Ärzte hoffen: Lukas, Pantaleon, Cosmas, Damian. Die Bauern dürfen auf die Heiligen des Ackerbaues rechnen: Wendelin, Notburga. Außerdem besteht eine besondere Verbundenheit in der Liebe der Heiligen mit bestimmten Personen und Orten. Hierher stammt die Aufstellung bestimmter Schutzpatrone für Städte, Dörfer, Pfarrkirchen, Kapellen, die Anrufung der Namenspatrone, der Vierzehn Nothelfer, des heiligen Rochus, des heiligen Antonius von Padua. Den Priestern ist der heilige Johannes Vianney, der Pfarrer von Ars, als Vorbild und Fürbitter gegeben. Den Frauen und Müttern kann die heilige Birgitta von Schweden, die acht Kinder geboren hat, als Vorbild und Fürbitterin dienen. Das besondere Vertrauen auf Patrone und Standesheilige sowie auf Nothelfer ist begründet. Wenn Gott seine Wohltaten überhaupt durch seine Heiligen vermitteln wollte, kann er gewisse Wohltaten auch durch gewisse Heilige spenden lassen.
Die Verehrung der Heiligen unterscheidet sich von der Anbetung Gottes. Gott gebührt Anbetung, ihm allein gebührt Anbetung wegen seiner unendlichen Vollkommenheit. Die Kirche hat die Verehrung Gottes stets wesentlich und bewusst von der Verehrung der Heiligen unterschieden. Der Gott dargebrachte Kult ist ein absoluter, weil er auf die unendliche Vollkommenheit Gottes geht. Der den Heiligen erwiesene Kult ist ein relativer, weil er die von Gott verliehenen endlichen Vorzüge der Heiligen zum Gegenstand hat. Der Wesensunterschied zwischen Anbetung Gottes und Verehrung der Heiligen ist genau so groß wie der zwischen Schöpfer und Geschöpf. Die Heilige Schrift legt die Verehrung der Heiligen nahe durch ihr Zeugnis von der Würde und Ehre der christusverbundenen Menschen. Gott selbst stellt sich in den Heiligen dar. Seine Heiligkeit ist es, die in den Heiligen erscheint und sich ausdrückt. Es liegt ein Abglanz von Gottes Majestät auf ihnen. Die Ehre, die ihnen erwiesen wird, ist letztlich Verehrung Gottes. Denn seine Liebe und sein Erbarmen erweist sich in den Heiligen als schöpferische Macht. Den Heiligen die Verehrung versagen, ist so viel wie Missachtung Gottes.
Amen.