7. Januar 2018
Die Weisen aus dem Morgenland
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die Geburt Jesu schlägt Wellen. Über Bethlehem hinaus aus einem fernen Land treffen gelehrte Männer im Judenlande ein und bringen dem Kinde kostbare Geschenke dar. Der Bericht über die Weisen aus dem Morgenland enthält nur einen knappen Hinweis auf die Geburt Jesu, aber mit Orts- und Zeitangabe: in Bethlehem, in Judäa, in den Tagen des Königs Herodes. Wie viel Zeit seit der Geburt Jesu verflossen ist, wird nicht gesagt, aber – wie ich gleich erklären werde – wir können es aus anderen Angaben erschließen. Bethlehem liegt 8 km südlich von Jerusalem, ein Dorf, die Vaterstadt Davids. Der Messias, der ein Spross Davids war, wurde auch im Gebiete des Stammes Juda geboren. Herodes, mit dem Beinamen der Große, in dessen Regierungszeit die Geburt Jesu fällt, gelangte mit Hilfe der Römer im Jahre 40 v. Chr. zur Herrschaft über das ganze Judenland. Er war ein harter und rücksichtsloser Herrscher. Er setzte sich über Recht und Gerechtigkeit hinweg, erfuhr aber die Gunst des Glücks. Er rühmte sich, in seinem Denken den Hellenen, also den Heiden, näher zu stehen als den Juden. Er ließ den Tempel in prachtvoller Weise neu erbauen, dennoch konnte er die Zuneigung seiner Untertanen nicht gewinnen. Er starb vor Ostern des Jahres 4 v. Chr. Ich habe Ihnen ja bei anderer Gelegenheit schon erklärt, dass unsere Zeitrechnung nicht richtig ist. Sie stammt von dem Mönch Dionysius Exiguus, aber er hat sich verrechnet. Es stimmt, wenn ich sage, Herodes starb 4 v. Chr.
Die Weisen, Magier genannt, magoi, sind zunächst eine babylonische Priesterkaste. Sie hatten hohe Ämter im Staate, waren die Berater des Königs. Sie befassten sich mit Astronomie und Astrologie. Astronomie ist eine exakte Wissenschaft, Astrologie ist die menschliche Ausdeutung der Bewegungen der Gestirne. Seit der Zeit Alexanders des Großen bildeten diese babylonischen Magier eine eigene Priesterkaste. Sie reisten nach Jerusalem, der jüdischen Hauptstadt. Das Judentum war ihnen bekannt, ja vertraut. Die Juden betrieben überall eine ausgebreitete religiöse Propaganda. Babylonien hatte neben Ägypten und Syrien die größte jüdische Diaspora. Durch sie wurde auch die gerade in jener Zeit besonders hoch gespannte Messiaserwartung überall verbreitet. Es ist deswegen nicht verwunderlich, dass babylonische Magier, also Heiden, zugänglich für solche Verkündigung waren. Die Blicke der dortigen Astrologen waren seit langer Zeit auf einen im Westen aufgehenden Retterkönig gerichtet. Dazu kam, dass in der ganzen alten Welt die Hoffnung, die Sehnsucht nach einem Heiland, nach einem Retterkönig lebte. Die Magier waren sternkundige Männer. Sie hatten das Erscheinen eines bestimmten Sternes beobachtet. Er zeigte ihnen nach ihrer Ausdeutung die Geburt des Judenkönigs an, und dies veranlasste sie, aufzubrechen, um diesen König zu suchen und zu finden. Der Stern hatte ihnen nicht die Reise befohlen, er war nur der Anlass. Was sie bewegt hat, nach Jerusalem aufzubrechen, das war die Gnade Gottes. Nach dem babylonischen Sternglauben, der zur Zeit Jesu überall in der alten Welt verbreitet war, besteht ein Zusammenhang zwischen den Bewegungen der Sterne und dem menschlichen Schicksal. Die Sterne lenken nach dieser Meinung das Schicksal der Menschen. Dieser uralte Glaube führte zur Ausbildung der Astrologie, in der sich Religion und astronomische Beobachtung und Berechnung vereinigten. Man hat versucht, herauszufinden, welches dieser Stern gewesen ist. Die einen Erklärer sagen, es sei ein Schweifstern, ein Komet gewesen; man dachte an den Halleyschen Kometen. Diese Erklärung findet sich schon bei Origenes, also im 3. Jahrhundert. Andere verweisen auf die im Jahre 7 v. Chr. dreimal stattfindende Konjunktion (Verbindung, Vereinigung) der beiden Planeten Jupiter und Saturn im Sternbild der Fische. Man hat den großen Astronomen Johannes Kepler für diese Erklärung heranziehen wollen, aber das stimmt nicht. Kepler hat in der Konjunktion lediglich die Ankündigung des eigentlichen Sterns der Weisen gesehen. Für ihn war der Stern der Weisen ein Wunderstern. Der Evangelist spricht von einem Stern, der zuletzt auf dem Weg von Jerusalem nach Bethlehem vor den Weisen herzog und über dem Haus, wo sich das Kind befand, stillstand. Der Stern zog also von Norden nach Süden. Das ist ungewöhnlich, denn alle anderen Sterne ziehen von Osten nach Westen. Der Evangelist schließt jede natürliche Deutung des Sternes aus. Nach seiner Ansicht war es ein Wunderstern. Man kann ihn deswegen auch nicht für die Datierung der Geburt Jesu heranziehen.
Es war begreiflich, dass sich die Weisen der Hauptstadt des Judenlandes zuwandten, also Jerusalem. Die Stadt liegt 52 km Luftlinie vom Mittelmeer und 30 km vom Jordan entfernt. Es ist hoch gelegen – 760m Höhe. Deswegen heißt es immer: Wir ziehen hinauf nach Jerusalem. Dort war nach der Meinung der Weisen am ehesten zu erfahren, wo der neugeborene König zu finden war. Sie sind keineswegs zuerst zu Herodes gegangen. Sie haben nicht ihn um Auskunft ersucht, sondern sie haben in der Stadt herumgefragt: Wo ist der neugeborene König der Juden? Am Hofe des Herodes konnte er ja gar nicht geboren werden, denn Herodes war kein Jude, Herodes war Edomiter; er stammte aus Edom, einer Gegend südlich vom Judenlande. Er war ein Idumäer, kein Nachkomme Davids. Die Weisen haben geforscht, aber sie kamen nicht zum Ziel. Die Geburt Jesu war nicht allgemein bekannt. Das Eintreffen der Weisen und das Ziel ihres Forschens wurden Herodes gemeldet. Er hatte offenbar einen guten Nachrichtendienst. Und als er hörte, wonach die Weisen suchten, erschrak er und ganz Jerusalem mit ihm. Warum? Erschrecken des Herodes und jenes der übrigen Bewohner Jerusalems haben verschiedene Ursachen. Herodes, der verhasste Ausländer und Tyrann, fürchtet um seine Person und seinen Thron. Die Einwohner der Jerusalemer Stadt zittern vor neuen Gewalttaten von seiner Seite. Hier zeigt sich, meine lieben Freunde, ein Zug, der das ganze Leben Jesu begleiten wird. Heidnische Männer kommen aus weiter Ferne, um dem jüdischen Messias zu huldigen, bei seinem eigenen Volk dagegen bewirkt die Kunde von seinem Ankommen nicht Freude und Jubel, sondern Schrecken und Bestürzung. Jesus ist der von Anfang an von seinem eigenen Volk abgelehnte Messias.
Herodes ist alarmiert. Er muss dieses Knaben habhaft werden, und er ist zu raschem Handeln entschlossen. Aber dazu muss er zunächst einmal den Geburtsort des angeblichen Rivalen erfahren. Er identifiziert diesen König mit dem Messias und fragt deswegen bei den Schriftgelehrten nach, wo der Messias geboren wird. Sie geben ihm Auskunft: Das steht beim Propheten Michäas: „Du, Bethlehem, bist zwar die kleinste unter den Fürstenstädten Judas, aber aus dir wird hervorgehen, der sein Volk erlösen wird.“ Vielleicht haben Sie bemerkt, dass Matthäus dieses Zitat verändert. Im alttestamentlichen Zitat heißt es, Bethlehem sei die kleinste unter den Fürstenstädten, er schreibt: „… du bist keineswegs die kleinste“ – er verändert das Zitat. Warum? Weil jetzt die Verheißung eingetroffen ist. Jetzt ist es nicht mehr die kleinste unter den Fürstenstädten von Juda. Und jetzt erst, nachdem Herodes den Ort, wo der Messias geboren sein soll, erfahren hat, jetzt lässt er die Weisen in aller Heimlichkeit zu sich kommen. Warum in aller Heimlichkeit? Er möchte Aufsehen vermeiden. Seine Untertanen sollen nicht erfahren, dass der verheißene Messias eingetroffen ist; sie könnten sich ja ihm anschließen. Und deswegen: Er ließ sie heimlich zu sich kommen. Zu welchem Zweck? Er will sie einmal als Kundschafter benutzen. Sie sollen ausfindig machen, wo der angebliche König geboren ist. Sie sollen also nach Bethlehem gehen und dort erforschen, wo das Kind sich befindet. Er will aber zum anderen auch den Zeitpunkt der Geburt erfahren, und der fällt ja mit dem Erscheinen des Sterns zusammen. Geburt Jesu und Erscheinen des Sterns sind zeitgleich. Und dieses Wissen wird er benutzen, um den Thronprätendenten aus dem Wege zu räumen.
Von König Herodes erfahren dann die Weisen, wo der Messias geboren werden soll. Nach Jerusalem waren sie durch das Erscheinen des Sterns geführt worden. Das ist aber nicht etwa so, wie manche meinen, dass der Stern auf dem ganzen Wege nach Jerusalem sichtbar war. Nein, sie bedurften seiner Führung nicht; nach Jerusalem zu finden, das war damals nicht schwer. Aber jetzt weist ihnen die alttestamentliche Weissagung den Weg nach Bethlehem. Und jetzt wird der Stern noch einmal sichtbar. Er gibt ihnen die Bestätigung, dass sie auf dem rechten Wege sind. Weissagung und Stern enthalten die gleiche Botschaft. Die Weisen finden das Kind in Bethlehem, aber nicht, wie manche meinen, in einem Stalle, sondern in einem Hause. Josef ist offensichtlich mit seiner Familie längere Zeit in Bethlehem geblieben und umgezogen. Der Stall war nur eine Notunterkunft; jetzt wohnt die Familie in einem Hause. Das ist kein Widerspruch. Die Familie konnte natürlich nicht in diesem Stall bleiben, in dem Jesus geboren wurde, sondern zog um. Josef stammte ja aus dieser Ortschaft und hat vielleicht Verwandte dort gehabt, die ihn aufgenommen haben, jetzt aufgenommen haben. Jedenfalls wird das Kind gefunden in einem Hause. Die Ankunft der Weisen fällt in eine erheblich spätere Zeit als die Geburt Jesu. Woher wissen wir das? Aus der Tatsache, dass Herodes alle Knäblein bis zu zwei Jahren ermorden ließ. Wenn die Weisen 14 Tage nach der Geburt gekommen wären, hätte er ja den Befehl gegeben, es sollen nur die Kinder getötet werden, die in den letzten vier Wochen geboren wurden. Aber nein: bis zu zwei Jahren, es muss also schon längere Zeit vergangen sein seit der Geburt Jesu; man nimmt an 1½ Jahre. Die Weisen betreten das Haus, das sie erforscht haben, sie finden das Kind und seine Mutter, sie fallen nieder und huldigen ihm. Das sind die orientalischen Weisen, wie man Ehrfurcht und Unterwürfigkeit ausdrückt, vor allem Huldigung vor einem König. Mit der Huldigung vor dem König waren nach orientalischer Sitte häufig Geschenke verbunden, die man überreichte. Die Juden erwarteten, dass auch dem Messias, wenn er einmal erscheinen sollte, Gaben dargebracht würden. Und so bringen auch die Weisen dem Jesusknaben Geschenke dar: Gold, Weihrauch, Myrrhe – die üblichen Kostbarkeiten des Orients. Sie müssen – das muss man wohl daraus schließen – keine ganz armen Männer gewesen sein.
Die Weisen werden während ihres Aufenthaltes in Jerusalem und Bethlehem manches über den Charakter und die Herrschaft des Herodes erfahren haben. Sie sollten ja zu ihm zurückkehren und ihm Auskunft geben, wo sich der neugeborene König befindet, aber darauf verzichten sie. Sie gehen nicht zu Herodes zurück. Sie wissen jetzt, dass das ein Tyrann ist, ein verhasster Ausländer. Sie kehren auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück, gewarnt von einem himmlischen Boten. Und damit verschwinden sie aus der Geschichte. Aber wir dürfen annehmen, dass sie ebenso wenig wie die Hirten von dem geschwiegen haben, was sie gesehen und gehört hatten. Wir können annehmen, dass sie die frühesten Boten des Messias in den östlich von Palästina gelegenen Gebieten, also Irak, vielleicht auch im Iran gewesen sind.
Die ungläubige Theologie sieht in dem Bericht über die Weisen einen Mythos, der die Herrschaft über die Heidenwelt versinnbilden soll, eine Erfindung ohne historischen Hintergrund, eine Ableitung aus dem Kult des Mithras in Persien. Der Grund für diesen Unglauben ist die weltanschauliche Voreingenommenheit dieser so genannten Exegeten. Nach ihnen kann in der Geschichte nichts passieren, was nicht jeden Tag passiert und was sich nicht beliebig wiederholen lässt. Der Unglaube findet für alles und immer eine Ausflucht, um dem Glauben zu entgehen. Er folgt stets den Vorstellungen der Spießer. Gott kann es ihnen niemals recht machen. Wir brauchen uns durch die ungläubigen Aufstellungen nicht irre machen zu lassen, meine lieben Freunde. Es besteht kein Anlass, an der Geschichtlichkeit des Berichtes vom Erscheinen der Weisen aus dem Osten in Bethlehem zu zweifeln. Der Bericht fügt sich vortrefflich in die Zustände und Umstände der Zeit der Geburt Jesu ein. Seine Schlichtheit trägt das Merkmal der Echtheit. Spätere Ausmalungen gehören nicht zum biblischen Befund. Origenes nimmt drei Magier an – aus der Dreizahl der Geschenke erschlossen. Tertullian billigt den Männern königlichen Rang zu – keine Gewissheit aus der Bibel. Das sind nachträgliche Vermutungen; sie gehören nicht zum biblischen Sachverhalt. Die Magier, ihr Erscheinen in Jerusalem und ihre Huldigung in Bethlehem sind ein fester und unaufgebbarer Bestandteil des Evangeliums von Jesus Christus. Wir können und sollen uns ihnen anschließen und vor dem Gotteskind niederfallen mit dem Bekenntnis auf den Lippen und im Herzen: „Wir sind gekommen, ihn anzubeten.“
Amen.