Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
2. Juli 2017

Die heilige Gottesfurcht

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Furcht ist die geistige und meistens auch körperliche Aufregung in Erwartung eines möglichen oder vermeintlichen Übels. Sie ist dem Menschen an sich als Warnung vor dem Bösen und Gefährlichen gegeben. Nur die ungeordnete Furcht wirkt sich für das Leben des Menschen schädlich aus. Die geordnete Furcht, also die Furcht vor dem sittlich Bösen und dessen Folgen, zieht den Menschen von dem Unerlaubten und Schädlichen ab. Sie führt ihn zur Buße und Reue und weckt, wo Hindernisse überwindbar erscheinen, Klugheit und Beharrlichkeit. Die Furcht nimmt eine besondere Qualität an, wenn sie sich auf Gott richtet. Im Alten Testament ist das Erschauern vor dem Numinosen, Furcht vor dem todbringenden Anblick Gottes und vor dem Vernehmen seiner Stimme, sowie Furcht vor Strafe unentbehrlich für angemessenes Reden von der Größe Gottes und vom Heiligen überhaupt. Jahwe, also der Gott des Alten Bundes, hat in der Geschichte Israels furchterregende Taten vollbracht. Er hat die Ägypter im Schilfmeer versinken lassen, er hat Ussa getötet, der es wagte, die Bundeslade zu berühren. Wegen seiner furchtbaren Taten ist Jahwe, der Gott, selbst furchtbar. Man fürchtet sich vor ihm. Wie seine Taten so sind auch seine Worte. Er ist der große furchtbare Gott. Der Mensch muss jederzeit des furchtbaren Ausbruches der Macht Gottes gewärtig sein. Wem Jahwe seine Sünden vorhält, der kann nicht vor ihm bestehen. Aber er verzeiht und setzt auf diese Weise seine Anerkennung durch. Denn der Mensch, dem verziehen wird, weiß sich von der Nachsicht Gottes abhängig und fürchtet ihn. Die Furcht vor dem souveränen richtenden Gott fehlt auch im Neuen Testament nicht. Furcht ist die natürliche Reaktion des Menschen bei der Offenbarung der göttlichen Majestät oder eines anderen himmlischen Wesens. Als Jesus den Gelähmten heilte, da erschraken die Menschen. Gott, seinen Namen oder den Herrn fürchten bedeutet in treuer Befolgung des Gesetzes wandeln. Das Neue Testament empfiehlt die Furcht als Motiv des Handelns. Und Jesus warnt: „Fürchtet euch nicht vor den Menschen, aber fürchtet den, der Leib und Seele in das höllische Feuer stoßen kann. Ja, sage ich euch, den sollt ihr fürchten!“

Die Furcht Gottes entspringt einerseits der lebendigen Erkenntnis der göttlichen Weisheit, Heiligkeit und Macht. Gottes Schickungen, Gottes Drohungen, Gottes Taten können auf den Menschen erschreckend und erschütternd wirken. Das gilt vor allem von den Strafen, die Gott über den Sünder verhängt. Die Gottesfurcht wurzelt andererseits in der existentiellen Ungesichertheit und Kontingenzerfahrung des Menschen. Der Mensch weiß, er hat seinen Anfang nicht selbst bestimmt und er wird auch seinen Ausgang nicht bestimmen. Zudem erfährt er sich als Sünder. Er vermag von sich aus die Haltung von Furcht und Zittern nicht zu überwinden. Und das ist es, was Paulus von den Christen fordert: „Wirkt euer Heil in Furcht und Zittern“, denn es ist gefährdet, es besteht Heilsunsicherheit, Heilsbedürftigkeit, Heilsbedrohtheit. Die Furcht vor dem Verlust des Heils muss in uns sein, wenn wir rechte Christen sein wollen. Zu dem religiösen Akt der Anbetung gehört immer auch die Furcht, die heilige Furcht vor dem absoluten, unbegreiflichen und heiligen Gott, denn der Mensch erkennt sich von ihm als restlos abhängig und als Sünder. Um die geordnete, Gott wohlgefällige Furcht von anderen Formen der Furcht zu unterscheiden, haben Theologie und Lehramt verschiedene Stufen und Formen der Furcht herausgearbeitet, systematisch erfasst und beschrieben. Die unterste Stufe der Gottesfurcht ist die knechtische Furcht, die knechtische Furcht vor dem Strafen Gottes, die nicht stark genug ist, den inneren Wunsch nach der Sünde zu überwinden. Wer mit der knechtischen Furcht erfüllt ist, der fürchtet sich vor Gott, fürchtet sich auch vor der Sünde, aber er unterlässt die Sünde nur deswegen, weil er die Strafe fürchtet. Er fürchtet in Wahrheit nicht Gott, sondern nur seinen eigenen Schaden. Die zweite Stufe der Gottesfurcht ist die knechtliche Furcht, die knechtliche Furcht vor Gottes gerechter Strafe, die den Willen immerhin auch innerlich umstimmt und die Sünde meidet, sich von der Sünde abkehrt. Sie ist unvollkommen, aber sie ist sittlich erlaubt und heilsam. Das ist die Furcht, die wir haben, wenn wir Furchtreue erwecken. Die knechtliche Furcht stellt zwar die göttliche Strafe in den Vordergrund, schließt aber die kindliche Furcht nicht aus, wenn sie die Sünde aufgibt und treu zu Gott hält. Wer aus Furcht nicht sündigt, ist noch nicht gerecht, aber die Rechtfertigung nimmt damit ihren Anfang. Die dritte Stufe der Furcht ist die anfängliche Furcht. Der Anfang, der hier gemeint ist, besteht im Beginn der Zuneigung zu Gott. Der Anfang besteht in der wachsenden heiligen Scheu, die die Sünde meidet. Es ist die zur kindlichen Gesinnung überleitende Furcht, in der schon die Liebe zu Gott wirksam ist, aber noch die Stütze der knechtlichen Furcht notwendig ist. Die vierte und höchste Stufe der Gottesfurcht ist die kindliche Furcht. Sie fürchtet Gott, wie ein Kind seinen guten Vater in Ehrerbietung und Ehrfurcht fürchtet. Diese Furcht ist die heilige Scheu, Gott zu kränken, zu betrüben, zu beleidigen. Es ist die Furcht vor der Sünde und vor der Gottesferne, die ganz von der Liebe getragen ist. Die kindliche Furcht verabscheut und flieht alles Böse, weil es eine Beleidigung des geliebten Gottes darstellt.

Die Furcht Gottes, meine lieben Freunde, ist von großem Nutzen für die Praxis des christlichen Lebens, nämlich erstens: Die Gottesfurcht hält uns von der Sünde zurück. Wenn die Versuchung naht, sollen wir daran denken, dass wir gehalten sind, Gottes heiligen Willen zu beobachten, sein Gesetz zu erfüllen und dass auf der Missachtung von Gottes Willen die Strafe folgt. Wir sollen uns gleichzeitig erinnern, wie schäbig es ist, dem göttlichen Wohltäter seine Fürsorge mit Auflehnung zu vergelten. Wir sollen uns schließlich vor Augen stellen, dass es ein schändliches Unrecht ist, den guten Vater im Himmel zu enttäuschen. Der Apostel Petrus schreibt in seinem 1. Brief: „Wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person jeden nach seinen Werken richtet, dann wandelt in der Furcht in der Zeit eurer Pilgerschaft.“ Zweitens: Die Gottesfurcht schützt vor Unachtsamkeit und Leichtsinn. Der Apostel Paulus mahnt: „Sei nicht übermütig, sondern fürchte dich.“ Und an einer anderen Stelle: „Wer steht, der passe auf, dass er nicht falle.“ Der Brief an die Hebräer mahnt, Gott wohlgefällig zu dienen mit heiliger Scheu und Ehrfurcht, „denn Gott ist ein verzehrendes Feuer“. Paulus beschwört die Gemeinde in Ephesus: „Seid einander untertan in der Furcht Christi.“ Und an die Philipper schreibt er: „Wirket euer Heil in Furcht und Zittern.“ Gottesfurcht, meine lieben Freunde, benötigen auch die Männer und Frauen, die beanspruchen, andere zu regieren. Sie müssen ihre Funktionen, also Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung, an Gottes heiligem Willen ausrichten, wenn sie gerecht regieren wollen. Sie dürfen nicht von seinen Geboten abweichen; Gott lässt seiner nicht spotten. Wo war die Gottesfurcht bei den meisten Abgeordneten des Deutschen Bundestages am Freitag, dem 30. Juni 2017? Wo war die Gottesfurcht bei ihnen? Haben sie in heiliger Scheu vor Gottes Souveränität abgestimmt? Oder haben sie sich nicht vielmehr angemaßt, gegen Gottes Ordnung vorzugehen und umzustoßen, das Laster neben das heilige Sakrament der Ehe zu stellen?! In Vermessenheit und Hybris haben sie den heiligen Gehorsam gegen Gottes Gebot aufgekündigt und unter dem Beifall der Gottvergessenen dem Laster Anerkennung verschafft! Dahin kommt man, wenn man die Gottesfurcht aufgibt. Drittens: Die Stärke eines Christen quillt aus der heiligen Furcht Gottes. Denn wer Gott fürchtet, braucht nichts anderes mehr zu fürchten. Von Bismarck stammt das stolze Wort: „Wir Deutschen fürchten Gott, aber sonst nichts auf dieser Welt.“ Die Gottesfurcht überwindet die Menschenfurcht. „Fürchte Gott, und es braucht dir vor den Menschen nicht zu bangen“, schreibt der Verfasser des Buches von der „Nachfolge Christi“, „Fürchte Gott, und es braucht dir vor den Menschen nicht zu bangen.“ Oft wird in den Psalmen der Segen der Gottesfurcht beschworen: „Gottes Heil ist denen nahe, die ihn fürchten. Die Augen des Herrn schauen auf die, die ihn fürchten. Gott tut den Willen derer, die ihn fürchten.“ Hören wir, meine lieben Freunde, noch einmal die Mahnung des Apostels Petrus: „Wandelt in Furcht in der Zeit eurer Pilgerschaft. Wisst ihr doch, dass ihr nicht mit vergänglichen Dingen, Silber oder Gold, aus eurem nichtigen Wandel losgekauft wurdet, sondern mit dem kostbaren Blut Christi als eines fehler- und makellosen Lammes.“ Lassen wir uns vom heiligen Augustinus belehren: „Bevor du dein Verlangen auf Gottes Verheißungen richtest, nimm dich in Acht vor seinem Drohen, denn heilig und furchtbar ist sein Name.“ Erinnern wir uns, dass die Kirche uns in der Messe vom Sonntag nach Fronleichnam beten lehrt: „Herr, lass uns immerdar deinen heiligen Namen zugleich fürchten und lieben; du entziehst ja nie deine Leitung jenen, die du fest in deiner Liebe begründet hast.“ O meine lieben Freunde, möchte die heilige Furcht Gottes, diese Gabe des Heiligen Geistes in uns sein. Möchten wir mit dem Psalm beten: „Durchbohre mein Herz mit der Furcht vor dir, mein Gott.“

Amen. 

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