31. Juli 2016
Unsere Verantwortung gegenüber dem Wort
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im täglichen Leben spielt das Wort eine große Rolle. Bilden wir es immer in dem Sinne, wie wir es eben im Evangelium gehört haben: „Er redete recht“? Das ist ausgesagt von einem Manne, der die Stimme verloren hatte. Für uns bedeutet es: Reden wir Rechtes? Oder wie verhalten wir uns in unserem Wort und wie benutzen wir das Wort? Jesus hat einmal mit tiefem Ernst zu den Seinen gesprochen: „Wahrlich, ich sage euch, die Menschen werden Rechenschaft ablegen müssen im Jüngsten Gericht von einem jeden unnützen Wort, das sie geredet haben.“ Wie viele unnütze Worte haben wir in unserem Leben schon gesprochen? Es gibt schlafende Worte in der Heiligen Schrift, die man nicht recht erwecken mag. Es gibt Worte, in denen ein ganz tiefes inneres Leben ruht, und zu diesen Worten gehört auch das eben genannte: „Wahrlich, ich sage euch, die Menschen werden Rechenschaft ablegen müssen im Jüngsten Gericht von einem jeden unnützen Wort, das sie geredet haben.“ Die Gefahren des Wortes werden uns lebhaft vor Augen gestellt in dem Orden der Kartäuser. Die Kartäuser verpflichten sich nämlich zu ständigem Stillschweigen. Nur am Sonntag und beim wöchentlichen Ausgang reden sie miteinander. Sie bewahren das Stillschweigen, weil sie um die Gefahren des Wortes wissen. Von einem Großen im Reiche des Geistes stammt das Wort: „Heute wird alles zerredet, heute wird alles zerschwätzt. Heute fällt alles ins Wasser und nichts mehr in tiefe, tiefe Bronnen.“ Wir Christen wissen, dass wir auch einmal Rechenschaft ablegen müssen von unserem Reden. Fragen wir uns: Wie stehen wir zu unserem täglichen Sprechen?
Gott hat in das an sich Schwächste, was ja das Wort ist, eine große Macht hineingelegt. Das Wort kann sich mit dem Geist verbinden und wird dann zu einer Macht. Das Wort, das lebendige Wort fesselt, ergreift die Menschen, es kann die Menschen zum Guten antreiben und zum Bösen fortreißen. Das Wort ist eine Macht. Die Redefähigkeit ist eine allgemeine menschliche Naturanlage. Sie kann durch Kunst und Wissen, durch Erfahrung und Übung vervollkommnet werden. Es gibt eine eigene Wissenschaft vom Reden: die Rhetorik. Sie wurde schon ausgebildet in der Zeit des alten Roms. Der römische Rhetor Cicero verlangte für die Ausübung der Redekunst zwei Dinge: eine umfassende Allgemeinbildung und ein moralisches Verantwortungsbewusstsein. Der vollkommene Redner muss nach ihm ein guter Mensch sein. Als die drei klassischen Gattungen der Rede gelten die Gerichtsrede, die politische Rede und die Festrede. Wir erleben Reden vornehmlich in der Politik. Das Parlament ist eine Ansammlung von Rednern. Seine Existenz beruht auf der Annahme, dass durch kontroverses Reden sich ein richtiges oder wenigstens vernünftiges Ergebnis einstellen wird. Die Abgeordneten ringen mit ihren Redebeiträgen um Mehrheiten für Gesetze und Maßnahmen. Worte bereiten Wahlen und Abstimmungen vor, durch Worte werden aber auch Regierungen gestürzt und Revolutionen entfacht. Die Französische Revolution von 1789 ist durch Redner erzeugt worden.
Auch in der Religion hat das Wort eine große Bedeutung. Christus hat seine ganze Lehre auf das Wort aufgebaut; er selbst hat keine Zeile geschrieben, er hat nur gesprochen, gepredigt. Aber wie er gepredigt hat! Als er seine Lehre vollendet hatte, da staunten die Volksscharen über seine Rede, denn er lehrte wie einer, der Macht hat und nicht wie ihre Pharisäer und Schriftgelehrten. Jesus vollbringt durch sein Wort Heilungen. Er erklärt dem Hauptmann von Kapharnaum: Ich will kommen, um deinen Knecht zuheilen. Aber der Knecht, der so krank ist, kann auch auf andere Weise geheilt werden. Der Hauptmann wehrt ab, er sei es gar nicht wert, dass er in sein Haus eintrete, „sprich nur ein Wort, dann wird mein Knecht gesund“. Er war überzeugt von der Macht des Wortes Jesu. Und diese hat sich auch gezeigt, wenn er die Dämonen austrieb, wenn er die Besessenen heilte. Als die Menschen seine bezwingende Macht über die von den Dämonen Besessenen erfuhren, da erschraken sie, denn von seinem Wort ging Macht aus: „Was ist das doch? Mit Kraft und Macht gebietet er den unreinen Geistern, und sie fahren aus.“ Auch die Natur gehorcht seinem Wort. Das Seebeben, der Seesturm, der die Jünger in äußerste Angst versetzte, wurde von ihm durch ein Wort geheilt: „Schweige! Verstumme!“ Und zugleich trat eine große Stille ein. Die Heilsbotschaft Jesu vom Reiche Gottes wird weitergetragen durch das Wort, durch die Verkündigung der Christen. Ehe eine einzige Zeile des Evangeliums geschrieben war, hat das Wort bestanden. Das ist die richtige Auffassung von Gotthold Ephraim Lessing gewesen. Er hat gegen den Hauptpastor Götze in Hamburg hervorgehoben: „Ehe eine einzige Zeile geschrieben war, bestand die Verkündigung im Worte.“ Tatsächlich: „Im Anfang war das Wort“, das gilt auch für das Christentum. Jesus hat seine Jünger ausgesandt, das Wort zu predigen, das Reich Gottes zu verkündigen. Diese Verkündigung war dringend. Er forderte einen Mann auf: „Folge mir!“ Der sagte: „Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe.“ Jesus entgegnete: „Lass die Toten ihre Toten begraben. Du aber komm und verkünde das Reich Gottes.“ Das Wort des Heils gilt der gesamten Schöpfung, es ist universal. Der Auferstandene befiehlt seinen Jüngern: „Gehet hin in alle Welt und verkündigt die Heilsbotschaft allen Geschöpfen.“ Die Anhänger Jesu haben sein Gebot erfüllt. Sie haben die Botschaft des Heils in alle Welt getragen. Bevor Mohammed seine Irrtümer aufrichtete, war Arabien ein christliches Land! Die Anhänger Jesu, die Verkündiger des Evangeliums nennt Lukas „Diener des Wortes“; sie dienen dem Wort, sie herrschen nicht über das Wort, sie sind ihm unterworfen. Auch heute noch ist ein jeder Priester Diener des Wortes, und zwar des unverfälschten Wortes, des geheiligten Wortes, des Wortes, das die Kirche durch ihre Verkündigung festhält. Am Wort hängt alles, darum auch der Kampf des Heiligen Vaters gegen jene, die das heilige Wort Transsubstantiation (Wesensverwandlung) abschaffen wollen. Nein, Papst Paul VI. hat eine eigene Enzyklika geschrieben, wo er sagt: Dieses Wort darf nicht fallen. Es muss festgehalten werden, denn es gibt den Inhalt des eucharistischen Opfersakramentes an. Das Wort Gottes, sagen die Propheten, ist wie ein Feuer, wie ein Hammer, der die Felsen zerschlägt. Paulus nennt es das Schwert des Geistes, und dieses Wort erleben wir hoffentlich jeden Sonntag in unserem Gottesdienst. Lassen wir es auch auf unsere Seelen einwirken, kann es seine heilige Gewalt in uns entfalten? Das Wort Gottes ist ein Angebot, aber ein verbindliches Angebot. An der Stellung zu ihm entscheidet sich unser Schicksal. Am Worte Gottes scheiden sich auch die Menschen. Wer es annimmt, wird gerettet; wer es ablehnt, ist verloren. „Wer mich verachtet und meine Worte nicht annimmt, der hat seinen Richter“, sagt Jesus im Johannesevangelium, „Das Wort, das ich verkündigt habe, wird ihn am Jüngsten Tage richten.“
Wir sehen, meine lieben Freunde, welche hohe Verantwortung wir gegenüber dem Worte haben. Worte sind eine lebendige Wirklichkeit. Von unseren Worten werden fortwährend gute und böse Botschaften in die Welt hinausgesandt: in unsere Familie, in unsere Umgebung, in unser Berufsleben. Die Worte, die wir hinausgesandt haben, können wir nicht mehr zurückrufen. Sie wirken entweder zum Segen oder zum Schaden, entweder zum Heil oder zum Unheil; darin liegt die hohe Verantwortung für unsere Worte. Jesus fordert uns auf, unnütze Worte zu meiden, damit wir am Tage des Gerichtes bestehen können. Kein Apostel hat so eindeutig und klar über das Wort gesprochen wie der Apostel Jakobus in seinem Briefe: „Wer in keinem Worte fehlt, der ist ein vollkommener Mann.“ Er ist überzeugt, wenn man sich im Reden beherrschen kann, dann kann man es auch auf allen anderen Gebieten. Deswegen: Wer in keinem Worte fehlt, ist ein vollkommener Mann. Dann sagt er: „Die Zunge ist ein kleines Glied, richtet aber Großes an.“ Und er vergleicht sie mit dem Feuer, mit einem kleinen Feuer, das einen großen Wald vernichten kann. In der Tat, ein einziges Wort der Lieblosigkeit, der Unreinheit, des Hasses, der Ungerechtigkeit, der Verführung, ein einziges Wort, das aus unserem Mund kommt, kann wie ein Funke sein, der einen ganzen Brand verursacht, oder wie ein Pfeil, der heimtückisch auf einen anderen abgeschossen wird und sein Herz tödlich verwundet. Wenn wir daran denken, welche Macht das Wort, die Zunge im Alltag unseres Christenlebens ausübt, dann tritt der Gedanke an die große Verantwortung vor uns hin, die wir dem Worte gegenüber haben. Man kann Worte wohl aussenden, aber man kann sie nicht zurückrufen. Wenn wir dies überdenken, fühlen wir den ganzen Ernst der christlichen Lebensverantwortung, den ungeheuren Ernst der Rechenschaft über die kleinen und großen Dinge unseres täglichen Lebens. Der Christ muss diesen Lebensernst bewahren. Er muss, was er spricht, was er tut, was er kämpft, was er leidet in großem Ernste tun; das Leben ist kein Spiel. Und da bekommen auch die kleinen Dinge des Alltagslebens eine Seele, eben aus dem Bewusstsein und der Verpflichtung solcher Verantwortung heraus. „Wessen das Herz voll ist, dessen fließt der Mund über“, sagt ein Sprichwort. Tatsächlich, aus dem Überfließen des Herzens spricht der Mund. Das sollten eigentlich unsere Worte sein: ein Überfließen des Herzens, das von Gott voll ist, von Gottes Güte, von Gottes Liebe. Dann würden wir, nach dem Apostelwort, mit der Zunge nicht sündigen und vollkommen sein. Dann würden wir uns nicht vor der Rechenschaft fürchten müssen, die wir einmal ablegen müssen.
Dann würden wir auch sparsamer mit Worten umgehen. Es gibt ein Buch, in dem sinnverwandte Worte zusammengestellt werden. Für das „Reden“ – ich habe heute morgen noch einmal nachgesehen – werden 55 andere Worte als sinnverwandt angegeben. Durch viel Reden kommen wir unvermeidlich in Sünden hinein, denn der Wortschwall hindert die Überlegung, die notwendig ist, bevor wir den Mund auftun. Mit der Vielrederei ist es wie mit der Geldentwertung. Je höher die Geldscheine werden, umso weniger sind sie wert. Wo Worte selten sind, haben sie Gewicht. Wer wenig redet, vermag mit seinem Worte Zeugnis abzulegen; man hört auf ihn, man weiß, was er sagt, das hat Gewicht. Es empfiehlt sich deswegen, sparsam zu sein mit dem Worte. Man soll immer weniger sagen, als man könnte. Der Vater Claudius riet sein Sohne: „Sage nicht alles, was du weißt, aber wisse immer, was du sagst!“ Man bereut selten, dass man zu wenig gesprochen hat, aber man bereut oft, dass man zu viel gesprochen hat. Wie viele Ehen verlieren ihr Glück dadurch, dass die Ehegatten sich nicht beim Reden im Zaume halten können, dass sie Widerworte geben? Zu König Friedrich II. von Preußen kam einmal eine Dame, und sie beklagte sich über ihren Mann, wie hässlich er zu ihr sei. „Madame“, sagte der König, „das geht mich nichts an.“ „Ja, aber er spricht auch nicht gut über Ihre Majestät.“ „Madame, das geht Sie nichts an.“ Und dann wies er sie zur Tür. Und der heilige Pfarrer von Ars sprach einmal mit einem Fräulein, die viele Worte gebrauchte. „Fräulein“, sagte er, „in welchem Monat des Jahres reden Sie am wenigsten?“ Das Fräulein, die ihn mit ihrem Geschwätz belästigte, sagte, sie wisse es nicht. Das entgegnete der Heilige: „Das muss im Februar sein, denn der Februar hat 2 Tage weniger.“
An sieben Dingen erkennt man den Toren und an sieben Dingen erkennt man den Weisen. Der Weise redet nicht vor dem, der ihn an Alter und Weisheit übertrifft. Er fällt dem Nächsten nicht ins Wort, sondern lässt ihn ausreden. Er antwortet nicht vorschnell, sondern nach Überlegung. Er fragt zur Sache, nicht über alles Mögliche, und antwortet passend. An den Anfang seiner Rede stellt er das Erste und Wichtigste und ans Ende das weniger Wichtige. Er spricht: Ich weiß es nicht, wenn er es nicht weiß. Er bekennt die Wahrheit. Das Entgegengesetzte findet man beim Toren. Die Verantwortung gegenüber dem Wort zeigt sich im Verzicht auf das viele Reden, auf das allzu viele Reden. „Vor allem sollten wir eines lernen: Schweigen, um reden zu können“, schreibt der heilige Ambrosius einmal. Vor allem sollten wir eines lernen: Schweigen, um reden zu können. Die Leute auf den Philippinen haben ein Sprichwort: „Die Fliegen wagen es nicht, in den Mund zu fliegen, wenn er geschlossen ist“ – wie wahr: Die Fliegen wagen es nicht, in den Mund zu fliegen, wenn er geschlossen ist.
Wenn wir die Pflicht der überlegten, der gerechten Rede uns vor Augen führen, dann, meine lieben Freunde, wollen wir drei Grundsätze in unserem Reden beobachten. Erstens: Nichts Unwahres sprechen. Denn Unwahrheit verbindet mit dem Vater der Lüge, mit dem Teufel. Der Herr sagt: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein sei ein Nein. Was darüber ist, ist vom Teufel.“ Wahrhaftigkeit ist eine sittliche Tugend, die das Äußere des Menschen, vor allem sein Reden, mit seiner inneren Gesinnung in Übereinstimmung hält. Sie ist die Tugend der Aufrechten, der Reinen. Sie drückt dem ganzen Charakter den Stempel auf. Der wahrhaftige Mensch ist ein zuverlässiger Mensch. „Wir müssen offen sprechen, oder die Zweideutigkeit wird uns vernichten“, heißt es im „Hamlet“ von Shakespeare – Wir müssen offen sprechen, oder die Zweideutigkeit wird uns vernichten. Zweitens: Nichts Ungerechtes, Kränkendes, Beleidigendes gegen unsere Mitmenschen sprechen. Das Leben ist ohnehin schwer genug, und die Menschen untereinander sollten es sich leichter machen, nicht schwerer. Wie oft beschwert ein rasch dahingeworfenes Wort der Kränkung oder des Zornes die Seele des anderen, statt dass wir Worte der Güte hinaussenden, die wie Sonnenstrahlen in der Natur sind. Die Menschen leben von der Güte, von der Liebe, von der treuen Hilfe, aber nicht von der Härte und von der Schärfe und von der Lieblosigkeit. Nicht verletzen sollen unserer Worte, sondern heilen; nicht traurig machen, sondern trösten; nicht betrüben, sondern aufrichten. Diese Regeln gelten auch vom Reden über andere. „Sprich nie Böses von einem Menschen, wenn du es nicht gewiss weißt“, hat einmal Lavater geschrieben, „und wenn du es gewiss weißt, so frage dich: Warum erzähle ich es?“ Drittens: Nichts Unreines sprechen, um die Seelen anderer, vor allem der Jugend nicht zu vergiften. Wie manches zweifelhafte oder zweideutige Wort glimmt im Herzen der Jugend weiter wie Feuer unter der Asche, und plötzlich bei einem Windzug des Lebens geht dieses Feuer hoch. Wer kann die Verantwortung dafür tragen? Als Knabe hörte ich einmal im Rundfunk eine satirische Sendung über das Leben in der Familie. Da wurde humoristisch, aber auch zweideutig über die verschiedenen Vorgänge im Familienleben gesprochen. Es wurden die alltäglichen Fehler und Schwächen der Familienmitglieder beschrieben. Und dann kam ein Vers, den ich behalten habe, obwohl ich ihn damals nicht verstanden habe, und dieser Vers lautete: „Der Kamm liegt auf der Butter, der Vater auf der Mutter.“ Gewagte, frivole, schlüpfrige Äußerungen sollten unserem Munde fernbleiben. Manche Erwachsene denken: Ach, die Kinder verstehen das nicht. Mag sein, aber auch wenn sie es nicht verstehen, behalten sie es, und daraus kann ein Funke werden, der einen Brand entzündet. Wer diese Lebensregeln über das Wort für sich einprägt und durchführt, der wird keine unnützen Worte sprechen. Unserem Christenleben ziemt eine tiefe Ehrfurcht vor dem Wort. Es ist von geradezu erschütternder Eindringlichkeit, dass die zweite Person Gottes, als sie auf Erden erschien, als LOGOS, als Wort auftrat. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Und das Wort ist Fleisch geworden.“ Wenn Gott als das Wort unter uns auftritt, dann muss eine heilige Ehrfurcht vor allen Worten, die von uns ausgehen, in uns sein.
Amen.