16. Mai 2016
Die Gegenwart des Heiligen Geistes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Die erste Herabkunft des Heiligen Geistes geschah unter sichtbaren Zeichen: Sturm brauste, Feuer brannte, Zungen redeten. Der erste Pfingsttag der jungen Christengemeinde ging vorüber, aber der Heilige Geist zog sich nicht zurück. Er musste bei seiner Gemeinde bleiben, denn Jesus hat es so verheißen: „Der andere Beistand, den ich euch senden werde, der wird ewig bei euch bleiben.“ Er ist also auch bei uns, den katholischen Christen, nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Aber wo ist er? Der Geist ist da, wo die Wahrheit Gottes ist. Es gibt ein Buch des Heiligen Geistes; wir nennen es die Heilige Schrift. Wo dieses Buch des Heiligen Geistes bewahrt wird ohne Ausscheidung unbequemer Stellen, ohne Weglassung von Texten, die nicht genehm sind, da ist der Geist. Wo diese Schrift unter seinem Beistand ausgelegt wird, da ist der Geist. Nicht die private Auslegung liberaler Theologen, konsequenter Eschatologisten oder rationalistischer Entmythologisierer entscheidet über den Sinn und das Verständnis der Heiligen Schrift, sondern die amtliche Interpretation in der Tradition der Kirche, in der Hermeneutik der Kontinuität. Der Geist ist da, wo die unter seiner Assistenz zustande gekommenen Glaubenssätze, die Dogmen, sind, die untrüglich die Offenbarung Gottes enthalten. Wo diese Dogmen weder aufgegeben noch ausgehöhlt noch umgedeutet werden, da ist der Geist, denn er ist der Geist der Wahrheit. Ich bin und bleibe in der Kirche, nicht, weil ich bezahlt werde, oder weil ich Traditionalist bin, ich bin und bleibe in der Kirche, weil ich überzeugt bin: Hier und nirgendwo ist die Wahrheit Gottes! Der Geist bürgt dafür, dass diese Wahrheit in seiner Kirche nicht untergeht.
Wo ist der Geist? Der Geist ist da, wo Sakramente nach Art und dem Sinne der katholischen Kirche verwaltet werden. Der Geist ist gewiss nicht an bestimmte Dinge gebunden, er lässt sich nicht binden, er weht, wo er will, aber er hat seine bleibende Wirksamkeit einer Institution, einer Gesellschaft, einer Anstalt zugesagt; wir nennen sie katholische Kirche. Sie ist sein Geschöpf und in diesem Geschöpf ist und bleibt er gegenwärtig mit seiner allmächtigen Kraft. Solange die Diener der Kirche die heiligen Zeichen getreulich setzen, solange sie tun wollen, was die Kirche tut, wenn sie Sakramente spendet, solange bürgt der Heilige Geist für die Wirklichkeit des sakramentalen Geschehens. Wo Wasser über das Haupt eines Täuflings fließt und der Name des dreifaltigen Gottes angerufen wird, da wirkt der Heilige Geist die Vergebung der Sünden, da macht er den Täufling zum Gotteskind. Der Täufer vollzieht den Ritus, die Wirkung des rituellen Geschehens stammt vom Heiligen Geist. Wo ein Priester über das reuige Bekenntnis eines Pönitenten sein „ego te absolvo“ spricht, da wirkt der Heilige Geist die Nachlassung der Sünden. Der Priester nimmt die Lossprechung vor, aber sie ist lediglich werkzeuglicher Art; die Tilgung der Sünden geschieht durch den Heiligen Geist. Wo Priester sich nach der Ordnung der Kirche in der heiligen Messe über die Gestalten von Brot und Wein beugen und die Worte sprechen, die Christus am Abend vor seinem Leiden gesprochen hat, da wirkt der Heilige Geist die Verwandlung der Gaben. Der Priester spricht die Worte der Wandlung; der Vollzug der Umwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut des Herrn ist der Kraft des Heiligen Geistes zu verdanken. Der Heilige Geist hat sich an Amt und Tun seiner Kirche gebunden, er teilt ihm seine unfehlbare Kraft mit, er hält ihm die Treue.
Aber der Geist ist nicht nur in der Institution und in ihren Trägern lebendig. Er wirkt auch heute Zeichen und Wunder unter den Menschen. Ich sehe den Heiligen Geist überall da am Werke, wo Dinge geschehen, die sich aus natürlichen Ursachen nicht erklären lassen. Dass ein bewährter Laie, ein Laie!, Robert Spaemann, Philosoph in München, dass er das unglückselige Papier der römischen Synode „Amoris laetitia“ mit kurzen Strichen kräftig kennzeichnet, das ist ein Zeichen der Kraft des Geistes. Er verleiht seinen Gläubigen die Gaben der Weisheit, der Wissenschaft, des Verstandes. In Robert Spaemann legt der Geist Zeugnis davon ab, dass seine Kirche 2000 Jahre lang richtig gelehrt hat. Der Heilige Geist ist der Geist, der die Frömmigkeit erweckt. Frömmigkeit ist die Haltung der Ehrfurcht, Verehrung und Hingabe an Gott. Frömmigkeit benötigt Ausdrucksformen, Riten, einen Kult, eine Liturgie. Die sog. Liturgiereform schien die immerwährende heilige Messe, die Messe Pius’ V., die tridentinische Messe verbannt, in das Museum verbracht zu haben. Über 1000 Jahre lang hatte sie die Frömmigkeit genährt, Heilige hervorgebracht, Bekenner erzeugt. Die Feinde dieser Messe triumphierten, ihre Anhänger trauerten. Aber siehe da, es kam ein frommer Heiliger Vater aus dem Bayernlande, der wusste, welcher Schatz in dieser Messe beschlossen ist, und er öffnete ihn von Neuem. Er gab die Feier der alten Messe frei gegen eine feindliche Armada von Theologen und Bischöfen. Ich sehe in der Wiederkehr der Messe aller Zeiten den Sieg des Heiligen Geistes über die Gottvergessenheit unserer Zeit. Der Heilige Geist ist der Geist der Frömmigkeit. Frömmigkeit steht nicht hoch in der nachkonziliaren Kirche. Man ist heute nicht mehr fromm, man ist fortschrittlich. Man kniet nicht mehr vor dem Allerheiligsten, man versammelt sich zu Sitzungen. Man beichtet nicht mehr seine Sünden, sondern fordert die Änderung der kirchlichen Sexualmoral. So ist der Trend, der „Mainstream“, wie man heute sagt. Wir wissen, wie der Herr darüber denkt: „Das ist der breite Weg, der ins Verderben führt, und viele sind es, die darauf wandeln.“ Es gibt auch heute noch fromme katholische Christen, die sich ihr Frommsein etwas kosten lassen, die täglich den Rosenkranz beten, die das heiligste Herz Jesu verehren, die das Heil aus den Wunden Jesu schöpfen, die regelmäßig ihre Sünden beichten. Ist es kein Zeugnis des Heiligen Geistes, meine lieben Freunde, dass sich alte, hinfällige, schwache, behinderte Menschen täglich oder sonntäglich zur Kirche schleppen, um am Opfer Christi teilzunehmen und den Segen Gottes auf die von Blut und Lastern befleckt Welt herabzurufen, wie es in unserer Budenheimer Gemeinde der Fall ist? Ist das kein Zeichen des Heiligen Geistes?
Der Heilige Geist ist die personale Kraft Gottes, die Leben weckt und Leben schenkt in der Wahrheit. Tausende, Abertausende verlassen jedes Jahr unsere Kirche, fliehen von den Tischen des Schenkens. Sie erwarten nichts mehr von der Kirche, sie meinen, auf sie verzichten zu können. Nun ist die Kirche tatsächlich in einem beklagenswerten Zustand; ihre Schwäche ist offensichtlich: das Konzil und die konziliare Bewegung, was das Konzil gesagt hat und was daraus gemacht worden ist: Sie haben unsere Kirche in einen Zustand der Entkräftung versetzt. Aber siehe da, es gibt immer noch Menschen, die trotz dieses Zustandes zur Kirche stoßen, die sich dem katholischen Glauben anschließen, die sich unter das süße Joch der Gebote Jesu beugen. Es sind ohne Ausnahme wertvolle Menschen, nicht selten mit bitteren Erfahrungen, vom Leben geprüft, die sich zu unserem Glauben bekehren und in unsere Kirche eintreten. Die Konversionen sind nicht ohne das Wirken des Heiligen Geistes zu erklären. Sie bringen den Konvertiten keinen irdischen Gewinn, eher einen Verlust. Sie kosten ihnen häufig Einbußen an Freunden, an Bekannten, an Verwandten. Konversionen, Bekehrungen zur katholischen Kirche in unserer Zeit können nur das Wirken des Heiligen Geistes widerspiegeln, sie können nur die Frucht des Geistes sein. Am 27. April – also vor wenigen Wochen – dieses Jahres erhielt ich einen Brief einer Medizinstudentin aus Greifswald (an der Ostsee). In diesem Briefe schrieb mir die Medizinstudentin: „Ohne einen Menschen, ja gegen den Widerstand vieler Menschen habe ich zur katholischen Kirche gefunden.“ Sie selbst ist eine Nachfahrin von Bugenhagen, dem Freunde Luthers. Sagen Sie mir, das sei keine Wirkung des Heiligen Geistes?
Der Heilige Geist ist der Geist der Treue. Er bleibt bei seinen Christen, wie es der Herr angekündigt hat: „Der Vater wird euch einen anderen Beistand senden, der immer bei euch bleiben wird.“ Der Heilige Geist verlässt die Seinen nicht, wenn für sie die Stunde der Bewährung kommt, wenn sie wegen ihres Glaubens angeklagt und vor Gericht gestellt werden. Der Herr hat es ihnen vorhergesagt: „Wenn man euch in die Synagogen, vor die Obrigkeit und Statthalter führt, seid unbesorgt, wie und was ihr sagen sollt, denn der Heilige Geist wird euch in jener Stunde lehren, was ihr sagen müsst.“ Sie haben vielleicht schon einmal von dem katholischen Rechtsanwalt Josef Wirmer gehört. Er lebte in Berlin und verteidigte in der Zeit des Dritten Reiches Angeklagte vor Gericht. Er war in die Befreiungsaktion des 20. Juli 1944 verstrickt. Er wurde entdeckt, er kam vor Gericht, er wurde zum Tode verurteilt. Der Präsident des Volksgerichtshofes, Roland Freisler, kündigte ihm höhnisch an, er werde durch den Strang sterben, aufgehängt werden. Wirmer antwortete ihm: „Herr Präsident, wenn ich hänge, habe nicht ich Angst, sondern Sie.“
Wer an einem umfassenden Überblick und an umfassenden Kenntnissen über die religiöse Lage in unserem Volk unterrichtet ist, der kann nur besorgt sein. So weit wie heute war Entchristlichung und Entkirchlichung nach meinem Wissen in der Kirchengeschichte noch nie fortgeschritten. Manche Gläubige fragen: Wie wird es weitergehen? Immer weiter bergab, bis nur noch eine kleine Herde übrig ist? Wohin wird der gegenwärtige Papst die Kirche führen? Das ist ein neues Phänomen in der Kirchengeschichte: die Ungewissheit über den Kurs des Nachfolgers Petri. Man spricht von seiner Unberechenbarkeit. Er redet, er redet viel; ich glaube, er redet zu viel, zu unbedacht, zu wenig genau, zu vieldeutig. Ein gläubiger katholischer Vater (Akademiker) schrieb vor wenigen Tagen in einer Zeitung: „Ich wäre dem Papst dankbar, auch für meine Kinder und Enkel, wenn er seine nur mit Mühe im Sinne der Lehre der Kirche auslegbaren Ausführungen bald ergänzen würde durch kurze und klare Anweisungen über das, was bezüglich Sexualität, Ehe und Familie zu tun und zu lassen ist.“ Wie wird die Zukunft aussehen? Wird es noch einmal einen Aufschwung in der Kirche geben? Werden Wahrheit und Ordnung noch einmal triumphieren? Die Schäden der Kirche gehen immer von den Geistlichen aus. Im Mittelalter wurde das Wort geprägt: „Omne malum a clero“ – Jedes Übel kommt vom Klerus, von den Geistlichen, und das ist richtig. Denken Sie an die Revolte Luthers; er war Mönch. Denken Sie an die Abspaltung der Altkatholiken; es fing an mit Theologieprofessoren in Breslau und Bonn. Schauen Sie auf den modernistischen Theologen von heute. Am Beginn jeden kirchlichen Niedergangs stehen immer falsche theologische Aussagen. Und da die Theologen bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil fast ausnahmslos Geistliche waren, wird das Wort verständlich: Omne malum a clero – Jedes Übel kommt vom Klerus. Seit mehreren Jahrzehnten werden die theologischen Lehrstühle immer mehr von Laien eingenommen. Die Lage hat sich dadurch nicht geändert, eher verschlimmert. Von den Theologen gehen die irrigen, zersetzenden Aufstellungen aus. Schwierige Wahrheiten der Glaubenslehre werden umgedeutet oder verschwiegen, unbequeme Wahrheiten der Sittenlehre werden bekämpft, als überholt ausgegeben. In Frankfurt hält man einen Theologentag über Homosexualität. Die meisten Bischöfe sehen der Zerstörung zu, hilflos und ratlos und feige, wie sie sind. Die irrigen Meinungen werden von den Geistlichen ins Volk getragen; die Laien sind ihnen ausgeliefert. Vor dem Konzil konnten sie sich auf die Lehre eines Theologen, eines jeden Theologen, eines jeden Priesters verlassen, seit dem Konzil müssen sie manchem mit Misstrauen begegnen. Besorgte Gläubige fragen: Wie wird es weitergehen? Wird der Zerstörung noch einmal Einhalt geboten werden?
Ich bin davon überzeugt. Ich biete Ihnen keinen billigen Trost, meine lieben Freunde, ich schöpfe aus der Erfahrung von 2000 Jahren Kirchengeschichte. Die Uhren Gottes gehen langsam, aber mit unerbittlicher Konsequenz. Einmal wird die Zeit der Glaubensleugner und der Moralverderber abgelaufen sein. Einmal wird Gott mit dem Schlüssel auf den Tisch klopfen und sagen: Jetzt wird Schluss gemacht, meine Herren! Einmal wird die Selbstzerstörung der Kirche beendet sein. Dann stehen Männer und Frauen zuerst aus dem Laienstande auf, die sich dem Untergang der Kirche entgegenstellen. Der Geist der Erneuerung ergreift dann auch einzelne Priester und Theologen, allmählich beginnen selbst die Bischöfe aus dem Tiefschlaf aufzuwachen. Unter harten Kämpfen setzt sich die Treue zum Glauben, zur Ordnung, zum Frommsein wieder durch. Machen Sie mir nicht weiß, das alles werde geschehen aus menschlicher Einsicht und irdischer Kraft, nein, das ist nicht Menschenwerk, das ist Gotteswerk. Das wirkt nicht ein irdischer Zyklus, sondern das schafft allein der Geist Gottes. So wie es jetzt ist, bleibt es nicht in unserer Kirche. Der Geist Gottes scheint zu ruhen, aber er hält sich lediglich zurück. Er will erst abwarten, bis die Urheber der konziliaren Änderungen sich durchgesetzt und deren Fiasko erlebt haben; das Unheil muss an sich selbst scheitern. Wenn das geschehen ist, greift die Kraft aus der Höhe machtvoll ein. Dann werden die Pseudoreformen weggefegt, dann brechen die Schwindelbauten wie ein Kartenhaus zusammen. Das wird der Triumph, der Triumph des Heiligen Geistes sein. Deswegen: Verzagen Sie nicht, meine lieben Freunde. Die Wende wird kommen, wie der Tag auf die Nacht folgt. Sie wird kommen wie ein Schicksal, denn der Heilige Geist ist das Schicksal seiner Kirche.
Amen.