Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. März 2016

Das erlöserische Wort des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das ganze Leben Jesu ist von erlöserischer Qualität. Alles, was er tut und sagt, dient dazu, uns das Heil zu verschaffen. Im Glaubensbekenntnis heißt es: „Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen“, d.h. die Gesamtheit seines Lebens dient unserer Erlösung, dient unserem Heil. Die Beschneidung genauso wie die Taufe im Jordan, die Heilungen, die Totenerweckungen, die Siege über die Dämonen, alles ist von erlöserischer Kraft, also auch sein Wort. Schon in seiner Erstlingsrede in Nazareth hebt der Herr hervor, wozu er gekommen ist: „Der Geist des Herrn ruht auf mir; er hat mich gesalbt, den Armen die Frohbotschaft zu bringen.“ Und er nimmt für sich den Ehrennamen des Lehrers in Anspruch: „Einer ist euer Lehrer: Christus; ihr alle aber seid Brüder.“ Die Weise, in der Jesus Lehrer ist, ist einmalig; alle anderen können nur einem abgewandelten Sinne sich als Lehrer bezeichnen. Wie er lehrt und was er lehrt, das ist unerhört, das ist einmalig. Was Jesus schon im rein menschlichen Bereich zum Lehrer befähigt, ist das Ursprüngliche, Unvermittelte seiner Verkündigung. Er lehrt nicht, was er von anderen gelernt hat. Niemand kann angeben, welchen Lehrer Jesus gehabt hatte; er hatte keinen. Seine Landsleute in Nazareth waren verwundert, als sie ihn reden hörten: „Woher kommt ihm diese Weisheit? Er ist doch des Zimmermanns Sohn.“ Jesus schöpfte aus Eigenem, nicht aus Erlerntem: „Was ich von meinem Vater gehört habe, das rede ich.“ Das einzige Buch, das er zitiert, ist die Heilige Schrift, das Alte Testament. Aber er gebraucht es anders als andere: „Den Alten ist gesagt worden..., ich aber sage euch...!“ Das Wort des Moses, ja selbst das Wort Jahwes ist vor ihm nicht maßgebend. Das Höchste und das Letzte trägt er in seinem gottmenschlichen Bewusstsein. Schon im Tempel waren die Menschen über ihn verwundert: „Alle, die ihn hörten, staunten über seinen Verstand und seine Antworten.“ Und die Volksmassen haben das gleiche empfunden: „Wie versteht dieser die Schrift, da er sie doch nicht gelernt hat?“ Er hat doch nicht zu Füßen von Gamaliel gesessen wie Paulus. Er lehrte ganz anders als die Schriftgelehrten. Sie entsetzten sich, nein, sie waren betroffen über seine Lehre – so muss man das griechische Wort übersetzen –, sie waren betroffen über seine Lehre, denn er lehrte wie einer, der Gewalt hat, und nicht wie die Schriftgelehrten. Weil seine Verkündigung unmittelbar erlebt war, persönliche Wahrheit war, deswegen war sie auch so einfach und schlicht und gleichzeitig packend und gewaltig. „Martha, Martha, du machst dir viele Sorgen; nur eines ist notwendig“; so ein schlichtes Wort hat Menschen, hat Millionen von Menschen bewegt: „Ihr wird viel vergeben, weil sie viel geliebt hat“; das ist der Trost für Millionen von Menschen geworden. Er bevorzugt zwei literarische Arten, nämlich den Spruch und das Gleichnis. Seine Sprüche sind wie gemeißelt, sie prägen sich dem Gedächtnis unauslöschlich ein: „Wer sein Leben verliert, wird es gewinnen“, „Wenn dein Auge dich ärgert, reiße es aus“, „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch die linke hin“, „Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen, und betet für die, die euch verfolgen“, „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren war“, „Fürchte dich nicht du kleine Herde, denn es hat dem Vater gefallen, euch das Reich zu geben“. In einer anderen Weise der Verkündigung gebraucht er das Gleichnis. In den Gleichnisreden spricht er vom Senfkorn und vom Sauerteig, von der Lilie und der Rebe, vom Wasser und vom Wein, von den Sperlingen und vom Adler, von den Hirten und den Schafen, vom Fischfang und von der Jagd, von der Saat und von der Ernte, von verborgenen Schätzen und nächtlichen Dieben, von ungetreuen Knechten und schurkischen Verwaltern. Hier in dieser schlichten Größe liegt das Kennzeichen des Göttlichen. Die Wahrheit, meine Freunde, ist immer einfach, denn sie bezeugt sich selbst. Die überlegene Ruhe, Stille, Klarheit seines Wortes war die Stimme Gottes, die Wahrheit, die ewig ist. Einmal schickten die Hohenpriester Diener aus, um Jesus zu überwachen. Sie kamen zurück und sagten: „Noch nie hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch da.“ Er lehrte, was er lebte, und er lebte, was er lehrte; er brachte Leben und Lehre vollkommen zur Deckung. Seine Lehre war der Niederschlag seines Wesens, war er selbst. Von Voltaire stammt das bedenkenswerte Wort: „Die Philosophen haben nicht einmal die Gasse bekehren können, in der sie gelebt haben.“ Jesus hat mit seiner Lehre die Menschen zu Gott geführt. Und als er starb, da war er der große Lehrer der Kunst zu sterben. Er ist uns vorgestorben, um zu zeigen, wie man sterben muss.

Zu dieser formalen Seite der Lehre Jesu tritt die inhaltliche. Jesus hat auch inhaltlich Neues gebracht. Er hat erlösende, befreiende Erkenntnisse den Menschen vermittelt. Es war die vornehmste Tat, die eigentliche Leistung seines Lehrtums, dass er der Welt in vollkommenster Weise ihren Gott verkündet hat. Er hat Gott als den Herrn, als das unbedingte letzte Ziel des Menschen, als den einzigen und höchsten Sinn des Lebens, als die eine große Aufgabe des Menschen dargestellt. Jesus hat den Menschen die Binde von den Augen genommen, sodass sie nun sehen konnten, was denn eigentlich Gott, der Herr, ist, und was es heißt, Gott zu dienen. Die alte Welt war nicht gottlos; sie hatte viele Götter, häufig Fruchtbarkeitsgötter. In Ägypten betete man die Sonne an, den Sonnengott Re. Die Fülle der Geister und Gespenster, der Götter und Göttinnen hatte die Erhabenheit Gottes, seine unendliche Vollkommenheit und Heiligkeit in den Vorstellungen der Menschen zerstört. Die Religionen vermochten einen reinen Gottesglauben nicht zu behaupten. Sie huldigten im Großen und Ganzen dem Grundsatz: Wie du mir, so ich dir. Ich biete Gott Gebete und Kultakte an, und Gott muss mir dafür Wohlleben, Kindersegen und Frieden auf Erden schenken. Die Religion war ein Geschäft geworden. Der Mensch bietet der Gottheit sittliche und kultische Leistungen an, und die Gottheit entschädigt ihn dafür mit entsprechenden Gegenleistungen, d.h. die Gottheit wurde hier dem Menschen dienstbar gemacht. Die Religion war nicht mehr die freie Tochter des Himmels, sondern die Sklavin der Gewinnsucht und der verfeinerten Selbstsucht. Es ist die große schöpferische Tat Jesu, dass er diese unwürdige Gottesvorstellung ein für allemal abgeschafft hat. Er verkündete Gottes unendliche Herrlichkeit und Gott als den Dreifaltigen: „Niemand kennt den Vater als der Sohn, und niemand kennt den Sohn als der Vater und wem der Sohn es offenbaren will. Ich werde den Vater bitten, und er wird euch einen anderen Tröster geben: den Heiligen Geist.“ Der dreifaltige Gott bedarf nicht der Geschöpfe, wohl aber bedürfen die Geschöpfe seiner. Er ist ihr Leben, ihr Wert, der Sinn des Daseins. Jesus hat also eine wahre Theozentrik hergestellt, wo Gott im Mittelpunkt des Lebens und des Handelns des Menschen steht. Die Kirche hat diese grundlegende Wahrheit immer verkündet. Im vorkonziliaren Katechismus lautete die erste Frage: „Wozu sind wir auf Erden?“ Die Antwort: „Wir sind auf Erden, um Gott zu erkennen, Gott zu dienen, Gott zu lieben und dadurch in den Himmel zu kommen“; das sind ewig gültige Weisheiten. Gott ist der Heilige und der Gerechte, sein Wille hat unbedingte Geltung, ihm zu dienen, ist fraglose Pflicht. Damit ist zugleich ein Wichtiges für die Sittlichkeit, für das sittliche Verhalten gesagt. Eine selbstlose, eine heroische Ethik ist nur möglich, wo ein unendlicher, übergeschöpflicher, allen Bedingtheiten des geschöpflichen Seins enthobener Wert in den Blickpunkt des Handelnden rückt, wo das höchste Gut alles Interesse aufsaugt, alle Kräfte anzieht und in seinen Dienst stellt. Von Friedrich Nietzsche stammt das Wort: „Wer das Große nicht mehr in Gott findet, der findet es überhaupt nicht mehr.“ So ist mit der theozentrischen Haltung des Menschen, wie sie uns Jesus gelehrt hat, erst wahre Ethik möglich geworden. Ein Gutsein um des Guten willen, nicht aus Nützlichkeit, nicht aus Berechnung, sondern ein Gutsein um des Guten willen. Gott allein ist das vornehmste Ziel des Wünschens und Schaffens, und das hebt Jesus immer wieder hervor. Das ist seine Aufgabe und das ist die Menschenaufgabe, Gottes Willen auf Erden zu tun, den Willen Gottes in der Welt zur restlosen Durchführung zu bringen. Er hat also die Religion aus ihrer Umklammerung durch rein natürliche Zwecke befreit. Gott ist kein Handlanger der Menschen. Er ist Selbstzweck, er ist der Zweck des Daseins, und dadurch wird das sittliche Streben aus dem Schielen auf die Nützlichkeit befreit. „Ich will dich lieben ohne Lohne“, heißt es im Kirchenlied. Das zweite, was Christus an Neuem gebracht hat, ist, dass er den Gottesbegriff in den Begriff des Vaters hineinlegte. Gott ist unser Vater. Das Wort „Gottvater“ war auch schon vor Christus bekannt, aber es war überaus selten und hatte vor allem keine zentrale Stellung. Niemals und nirgends wird die ganze Fülle des Vaterbegriffes bei den Heiden oder auch bei den Juden für den Gottesbegriff nutzbar gemacht. Die jüdische Frömmigkeit verehrte Gott als den Heiligen, d.h. als den Abgesonderten, als den ganz anderen, als den, vor dem man sich fürchten muss. Man glaubte ihm nicht besser dienen zu können, als indem man die Gebote, die Moses gegeben hatte, mit Furcht und Zittern erfüllte, bis zum letzten Jota, und all den Zusätzen nachkam, welche die Schriftgelehrten zu diesen Geboten ersonnen hatten. Die Grundstimmung der heidnischen und der jüdischen Frömmigkeit war die Furcht. Bei den Juden die Furcht vor Gottes Gerechtigkeit mit ihrem eifersüchtigen Wachen über dem Gesetz, bei den Heiden die Furcht vor dem Neid und Zorn der Götter. Auf diesem Untergrund hat Jesus seine Vaterfrömmigkeit die Menschen gelehrt: „Gott ist der Vater.“ Nicht um die Heilighaltung des Gesetztes allein geht es ihm, sondern um den lebendigen Menschen. Gesetz und Lehre sind wichtig und heilig, aber sie sind nicht Selbstzweck. Sie dienen dazu, dem irrenden, kranken Menschen zu helfen, dass er zum Herzen Gottes komme. Alle Strafe und Züchtigung, die ja von Gott auch ausgeht, ist nicht Selbstzweck, sondern das Mittel, das der Vatergott gebraucht, um den Menschen auf dem rechten Weg zu halten. Die innere Aufrichtung des Menschen, die Rettung dessen, was verloren war, ist Gottes vornehmste Tat. „Nicht die Gesunden bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“, sagt der Heiland. Unendlich gütig, unendlich viel gütiger als ein irdischer Vater ist der himmlische Vater. „Wird der irdische Vater dem Kinde einen Skorpion geben, wenn es um ein Ei bittet? Um wie viel mehr wird euer Vater im Himmel denen Gutes geben, die ihn bitten.“ Das ist das Grundwesen Gottes: seine absolute Güte. Gott ist unser Vater. Und deswegen fängt das Gebet, das uns er uns zu beten gelehrt hat, an mit dem Worte: „Vater unser.“ So ist die Grundstimmung der neuen Frömmigkeit die Kindesliebe zum Vater. Auch im Alten Bund gab es das Gebot: Du sollst Gott lieben aus deinem ganzen Herzen, aber es war eben nur eines von 613 Geboten, die man ausfindig gemacht hatte. Daneben steht gleichberechtigt das Gebot, den Nächsten zu lieben. Für Jesus ist es das Gebot: „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr einander liebet.“ Eine ganz neue sittliche Haltung ist damit von selbst gegeben. Nicht nur das äußere Tun ist wichtig, sondern noch wichtiger ist die innere Gesinnung, in der man das Äußere tut. Die Gesinnung ist das Grundlegende, das schlechthin Entscheidende. Einmal saß Jesus im Tempel vor dem Opferkasten. Und da beobachtete er, wie eine Witwe einen Pfennig hineinwarf, und was sagt er? „Diese Witwe hat alles gegeben, was sie hatte. Sie hat mehr gegeben als die anderen, die große Summen Geldes hineingeworfen haben“ – auf die Gesinnung kommt es an. Das sind die neuen Typen des Himmelreiches: der Sünder, der den Weg zu Gott zurückfindet: „Herr, sei mir armen Sünder gnädig“, „Vater, ich habe gesündigt wider den Himmel und vor dir“; die Sünderin, die zu seinen Füßen weint; das schlichte Kind, das ihn mit großen reinen Augen anschaut; das sind die Himmelreichstypen, die Jesus uns vorgestellt hat.

Meine lieben Freunde, das Wort Christi ist ein gnadenvoller Anruf, Gottes Leben aufzunehmen. Mein Lehrer Schmaus, in München, sprach immer davon, dass das Wort, das richtig vorgetragene Wort, das Wort Christi sakramentale Kraft hat, also ähnlich wie ein Sakrament wirkt, das Heil nicht nur äußerlich ausruft, sondern das Heil vermittelt. Das Wort Christi ist ein gnadenvoller Anruf. Es ist die Aufforderung, uns in Gottes Liebe hineinzubegeben. In Christus spricht Gott, der Herr, zu uns, deswegen ist sein Wort verbindlich, verbindlich wie sonst keines. Diesem Wort muss man gehorchen in der Tat des Glauben. Nach diesem Worte muss man handeln; in dieser Wahrheit muss man wandeln, von ihr muss man Zeugnis ablegen.

Amen.

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