4. Oktober 2015
Erneuert euch
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
„Erneuert euch in eurer inneren Gesinnung und ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit“, so haben wir in der Epistel des heutigen Sonntags gehört. Sie ist dem Brief an die Gemeinde in Ephesus entnommen. Paulus spricht zu Menschen, die einst Heiden waren und nun Christen sind. Er bezeichnet diesen Unterschied mit dem Wort vom „alten“ und vom „neuen“ Menschen. Beim Übergang vom Heidentum zum Christentum hat nach Paulus eine neue Schöpfung stattgefunden. Der alte Mensch ist vergangen, der neue geboren worden; der alte Mensch gestorben, der neue, der christliche Mensch entstanden. An einer anderen Stelle im gleichen Briefe drückt der Apostel den geschehenen Wandel mit den Worten aus: „Ihr waret einst Finsternis, jetzt aber seid ihr Licht, Licht im Herrn.“ Der alte Mensch lebte in der Finsternis, der neue lebt im Lichte. Nein, der alte Mensch war Finsternis und der neue Mensch ist Licht. Der neue Mensch, der Christ, ist seinsmäßig vorhanden. Taufe, Firmung, Gnade und Wahrheit haben ihn geschaffen. Aber er muss lebensmäßig verwirklicht werden. Was im Sein geschehen ist, das muss im Tun bestätigt werden. Deswegen ergeht die Mahnung: „Leget ab den alten Menschen mit seinem vorigen Wandel, ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ An einer anderen Stelle im selben Briefe mahnt der Apostel die Gemeinde: „Wandelt würdig der Berufung. Ihr dürft nicht mehr wandeln wie die Heiden in der Nichtigkeit des Sinnes. Wandelt als Kinder des Lichtes.“ Es lassen sich viele Verhaltensweisen nennen, die den alten Menschen, also den Heiden, den unchristlichen, den achristlichen Menschen vom neuen Menschen, vom wahren Christenmenschen unterscheiden. Ich denke zum Beispiel an das Kind. Im Heidentum war die Einstellung zum Kind miserabel. Man praktizierte wie selbstverständlich die Empfängnisverhütung, man kannte die Abtreibung, Kinder, die unerwünscht geboren wurden, setzte man aus. Das Christentum hat diese Praktiken kompromisslos verworfen, und die katholische Kirche als die genuine Form des Christentums, als die einzige genuine Form des Christentums, verwirft diese Praktiken bis heute. Ein anderes Beispiel: Der alte Mensch, der Heide, war versessen auf Besitz. Er wollte möglichst viel zusammenraffen, möglichst viel genießen, möglichst viel erleben. Der neue Mensch ist mit Wenigem zufrieden, er weiß, dass Genießen gemein macht und verbringt sein Leben in Bescheidenheit. Oder noch ein Beispiel: Der alte Mensch handelt nach dem Grundsatz: Wie du mir, so ich dir. Bist du mir gut, bin ich dir auch gut; bist du mir böse, bin ich dir auch böse. Der neue Mensch handelt nach dem Grundsatz: „Einer trage des anderen Last, und so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“
Der alte Mensch, um es kurz zu sagen, lebt nach dem Fleische; der neue Mensch lebt nach dem Geiste. Im Geiste leben heißt: eine neue Lehre von Gott und eine neue Lehre vom Menschen leben und bewähren. Das Christentum bringt die Botschaft von Gott, dem Schöpfer und dem Erlöser, von Gott dem Heiligen, dem Gerechten, dem Barmherzigen. Es weiß nichts vom Neid der Götter, von dem die Heiden sprachen. Der Gott des Christentums ist der Befreier von der Sünde und Schuld, er sendet seinen Sohn auf die Erde, um die Wahrheit und Gnade kund zu tun, noch mehr: er gibt ihn hin in den Tod, um den Menschen das selige, das ewige Leben zu erwerben. So ist der Gott der Christen, der neuen Menschen. Das Christentum bringt auch die Botschaft von der Gleichheit aller Menschen. Das Christentum hat die Stände nicht abgeschafft, denn sie sind unentbehrlich. Es muss immer Regierende und Regierte, es muss immer Herren und Diener, es muss immer Meister und Gesellen geben. Aber: Das Christentum hat den Irrtum überwunden, als ob es Unterschiede in der Menschenwürde gäbe. Nach christlicher Lehre haben alle Menschen den gleichen Wert vor Gott, die gleiche Menschenwürde. Die Einteilung der Menschen in Untermenschen und Menschen, diese Einteilung, die die Nazis vorgenommen haben, ist zutiefst unchristlich. Es gab freilich auch in unserer Gesellschaft immer noch Unterschiede in der Menschenwürde. Ich werde nie vergessen, wie mein Großvater mir mehrmals erzählte: In der Kaiserzeit – also bis 1918 – fing der Mensch in Deutschland erst beim Reserveoffizier an. Damals erschien in einer satirischen Zeitschrift ein Bild eines Soldaten, der an einem Offizier vorüberging. Der Offizier herrschte ihn an: „Wohin gehst du?“ „Zum Speisen.“ Da belehrte ihn der Leutnant: „Merke dir: Majestät, der Kaiser, speist; ich esse und du frisst.“
Der neue Mensch ist da, aber die Neuheit, das neue Leben, der neue Wandel ist ständig bedroht. Es besteht die Gefahr des Rückfalls in die Altheit, in das alte Leben, in den alten Wandel. Das ist die Rückkehr vom Geiste zum Fleische. Der Apostel Paulus musste der Gemeinde in Galatien vorhalten: „Im Geiste habt ihr angefangen. Wollt ihr jetzt im Fleische vollenden?“ Das Christentum hat den neuen Menschen geschaffen. Wir Christen sind neue Menschen. Aber die Arbeit am Ausbau der Neuheit darf nicht aufhören. Der neue Mensch ist geprägt von den christlichen Grundtugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe. Wir stehen – Gott sei es gedankt – im rechten Glauben, aber wir können und sollen unseren Glauben vertiefen, lebendig machen. Wir sollen vor allem aus dem Glauben leben. Wir tragen die Hoffnung in uns auf die Verzeihung der Sünden, die Gnade Gottes und das ewige Leben. Aber wir können und sollen die Hoffnung sicher und wahrhaft unerschütterlich machen, sodass sie uns in den Wechselfällen des Lebens trägt. Wir üben die Liebe, die höchste aller Tugenden, die Liebe zu Gott und zu den Menschen. Aber wir können und sollen die Liebe reiner und fleckenloser machen, als sie bisher ist. Wir sind neue Menschen, und dennoch ergeht an uns der Ruf: „Erneuert euch in eurer inneren Gesinnung und ziehet den neuen Menschen an.“ Das ist die Aufforderung zur Nacharbeit an der Neugeburt.
Erneuerung, meine lieben Freunde, geschieht im Inneren des Menschen, in der Gesinnung. Erneuerung ist also zunächst und zuoberst keine Frage der Formen, der Strukturen, der Verhältnisse. Erneuerung zielt auf die Umwandlung des Menschen, nicht auf die Verbesserung des Einkommens. Erneuerung will die Richtung des Willens ändern, nicht die Behaglichkeit vermehren. Innerlich erneuerte Menschen werden – falls es notwendig ist – auch die Verhältnisse ändern, ganz gewiss, aber die neue Ausrichtung auf Gott vermittelt ihnen die Maßstäbe für die Änderung der Verhältnisse. Das ist der grundlegende Fehler, der seit Jahrzehnten in unserer Kirche vor sich gehenden Bewegung. Man hat auf Wandlungen von Formen und Strukturen gesetzt statt auf die Änderung der Menschen. Deswegen ist die ganze vom Konzil ausgelöste Bewegung unfruchtbar geblieben. Niemand ist durch das Konzil gläubiger, frömmer oder sittenreiner geworden. Handkommunion und Rätesystem schaffen keine neuen Menschen. Der Irrtum hält sich durch. Bis zur Stunde erwartet man von der Änderung der Gesetze einen Aufschwung des religiösen Lebens. Die Mehrzahl der deutschen Bischöfe unter der fatalen Führung des Herrn Marx in München geht daran, die sittlichen Normen über die Ehe und die Sakramente zu ändern. Das ist der falsche Weg! Nicht die Gebote muss man ändern, sondern die Menschen. Nicht die Gebote soll man an das Verhalten der Menschen anpassen, sondern das Verhalten der Menschen muss an die Gebote angepasst werden. Ich höre heute wie gestern die Ermahnung des Apostels: „Erneuert euch in eurer inneren Gesinnung, ziehet an den neuen Menschen.“ Der neue Mensch ist der vom Geist erfüllte und bewegte Mensch. „Wenn wir im Geiste leben“, so schreibt Paulus im Römerbrief, „so lasset uns auch im Geiste wandeln.“ Wir haben den Geist empfangen in der heiligen Taufe, in der heiligen Firmung, im Gebet, im Gottesdienst, bei jeder heiligen Kommunion. „Gott wird klein, sinkt dir ein, Menschenherz heißt sein Schrein“, hat Johannes Sorge im Ersten Weltkrieg gedichtet. Wir leben im Geiste. Unser irdischer Geist ist eine Verbindung mit dem Heiligen Geist eingegangen. Aber das Leben muss sich im Alltag bewähren im Reden, im Wollen, auch im Denken. Wir müssen im Geiste wandeln. Tun wir das, meine lieben Freunde? Tun wir das in genügendem Maße? Oder haben wir noch einiges aufzuholen? Hören wir die Mahnung des Apostels: „Betrübet nicht den Heiligen Geist, mit dem ihr versiegelt für den Tag der Erlösung.“ Der Apostel Paulus konnte schreiben: „Ich lebe. Nein, nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ – ein stolzes Wort. Gilt das auch von uns? Erkennen die Menschen Christus, wenn sie uns sehen? Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Sind wir christusförmig? Oder muss noch manches in uns umgewandelt werden, damit wir christusförmig werden? O meine lieben Freunde, möchte doch die Mahnung des Apostels unser Herz erreichen: „Erneuert euch in eurer inneren Gesinnung, ziehet den neuen Menschen an, der nach Gott geschaffen ist, in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.“
Amen.