30. August 2015
Die Verwendung des Eigentums
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
An den beiden vergangenen Sonntagen haben wir Sinn und Zweck des Eigentums nach Gottes Willen uns vor Augen geführt. Wir wollen heute noch eine dritte Überlegung anfügen, nämlich: Wie wird denn dieses Gebot, das Eigentum zu erwerben und zu benutzen, erfüllt?
Eigentum, so haben wir gesehen, legt eine große Verantwortung auf. Die Verantwortung liegt zunächst bei der Gesellschaft, beim Staat, bei der Organisation. Gott hat Grundsätze, die wesentlich für das Eigentum sind, selbst aufgestellt. Der erste lautet: Das Eigentum darf und soll beim Einzelnen befestigt werden. Es soll der Besitz ein eigener sein. Der zweite Grundsatz lautet: Das letzte Ziel des Eigentums ist die harmonische Entwicklungsmöglichkeit des einzelnen. Das Eigentum soll dem Menschen die Möglichkeit geben, seine Fähigkeiten, seine Kräfte, seine Pläne zu verwirklichen. Aber alles Übrige, abgesehen von diesen zwei Grundgedanken, müssen wir Menschen leisten. Wir müssen also dafür sorgen, dass das Eigentum beschafft wird, dass es verteilt wird, dass die Rechte auf das Eigentum gewahrt werden. Die gesellschaftliche Arbeit soll dem einzelnen dienen, nicht dem Kollektiv. Es ist ein Irrtum, wenn man meint, die sozialwirtschaftliche Arbeit soll einer Organisation, einem Kartell, einer Partei, dem Staat zugutekommen. Nein, das ist falsch. Die persönlichen Rechte des einzelnen sollen und müssen durch das Privateigentum gewahrt werden. Die geistige Persönlichkeit des einzelnen steht immer höher als eine noch so gewaltige Produktion oder als die Durchsetzung und Erhaltung einer genossenschaftlichen Lebensform. Die Gesellschaft hat die Aufgabe, die Beschaffung und die Verteilung der Lebensgüter so zu ordnen, dass das geistige Dasein des einzelnen nicht grundsätzlich hintangesetzt und geschädigt wird, also nicht mit bloßem Zwang, nicht mit bloß mechanischer Gewalt. Ohne ein gewisses Maß von Freiheit kann der Mensch nicht das werden, was er nach Gottes Willen werden soll. Selbst das angebliche Gemeinwohl kann es nicht rechtfertigen, dass die Einzelpersönlichkeit auch in wirtschaftlichen Dingen völlig entrechtet wird. Die Gesellschaft muss ihre Wirtschaftsweise so einrichten, dass jeder einzelne nach Maßgabe seiner Kräfte, seiner Leistungsfähigkeit und seines Leistungswillens über ein entsprechendes Maß von wirtschaftlicher Freiheit verfügt. Darum wäre es gegen den Sinn des Eigentums, wenn ganze Klassen des Volkes, etwa die Arbeitnehmer, nichts anderes wären als Produktionskräfte, als lebendige Maschinen, die zur Arbeit gezwungen sind, vielleicht mit Aufgebot ihrer letzten Kräfte und mit unzulänglicher Belohnung. Es ist ein Ruhmesblatt unserer Kirche, meine lieben Freunde, dass die soziale Gesetzgebung zuerst und zuoberst von katholischen Männern und Frauen geleistet wurde, von Priestern und Bischöfen; sie haben zuerst das soziale Evangelium verkündet. Und wir sind stolz, in einer Stadt zu wohnen, wo der große Sozialbischof Ketteler gewirkt hat.
Es ist auch gegen den Sinn des Eigentums, wenn die Verteilung der irdischen Güter so ungleichmäßig ist, dass alle Produktionsmittel und auch ein Übermaß von Gebrauchsgütern in den Händen von Wenigen angesammelt werden, die aber eine ungeheure Macht besitzen, mit der sie schalten und walten können, wie sie wollen. Das ist die Gefahr von Kartellen. Kartelle sind Vereinbarungen oder Vereinigungen von Unternehmen zu dem Zweck, die Erzeugung oder den Verkehr von Waren durch Beschränkung des Wettbewerbs zu beeinflussen. Das ist der Sinn der Kartelle: Beschränkung des Wettbewerbs und dadurch die Möglichkeit, die Preise zu diktieren. Kartelle können zu einer Überhöhung von Preis und Kosten führen. Durch Bildung von Monopolmacht wird das Ziel der leistungsgerechten Einkommensverteilung vereitelt. Kartelle suchen, die Märkte zu regulieren und wettbewerbsbedingte Risiken auszuschalten. In den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es ein internationales Glühlampenkartell. Sein Zweck war, die Haltbarkeit von Glühlampen herabzusetzen, damit der Verbrauch gesteigert wurde. Heute haben wir ein Kartell der erdölfördernden Länder und Firmen. Die haben sich zu einem Preis- und Quotenkartell zusammengeschlossen, um die Preise diktieren, vor allem erhöhen zu können.
Im sozialen Organismus, meine lieben Freunde, stehen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einträchtiger Beziehung und in einem gewissen Gleichgewichtsverhältnis. Die eine Klasse hat die andere durchaus notwendig. Das Kapital braucht die Arbeit und die Arbeit braucht das Kapital. Der Arbeitnehmer soll seine Pflicht tun, aber der Arbeitgeber hat mehr zu tun als seine Pflicht. Der Arbeitgeber schuldet dem Arbeitnehmer mehr als nur den Lohn. Man hat immer mehr erkannt, dass alle Mitarbeiter oder Beteiligten an einer Firma oder an einer Behörde eine Interessengemeinschaft sind, dass alle zum Funktionieren und Wohlergehen dieser Einheit beitragen können und sollen. Es waren katholische Sozialpolitiker, die darauf gedrungen haben, dass sich Arbeitnehmer Aktien erwerben. Durch Aktienerwerb wird man nämlich Miteigentümer einer Firma, man wird Mitunternehmer. Und zu diesem Zweck haben katholische Sozialpolitiker die Volksaktie und die Belegschaftsaktie eingeführt. Leider wurde dieses Unternehmen von den Arbeitnehmern nicht in genügendem Maße angenommen. Es gibt Firmen, in denen die Mitglieder regelmäßig aufgefordert werden, Vorschläge für die Verbesserung der Arbeitsabläufe zu machen, wodurch sie sich Prämien erwerben; auch das ist eine Form von Beteiligung. In Deutschland wurde nach dem Zweiten Weltkrieg die Mitbestimmung von Personen an gesellschaftlichen Entscheidungen eingeführt. Diesem Zweck dienten mehrere Gesetze. Im Jahr 1952 wurde das Betriebsverfassungsgesetz erlassen, also unter Adenauer. Die Aufsichtsräte der in Frage kommenden Gesellschaften bestehen zu einem Drittel aus Vertretern der Arbeitnehmer. Im Jahre 1976 wurde das Mitbestimmungsgesetz erlassen. Es bestimmte, dass der Aufsichtsrat der betreffenden Gesellschaften gleichmäßig mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitsnehmer zu besetzen ist. Die Unternehmensmitbestimmung umfasst wirtschaftliche Teilhabe und Mitbestimmung an der Leitung des gesamten Unternehmens. Das sind Großtaten der Soziallehre gewesen.
Aber wie auch die Gesellschaft ihre Aufgabe und ihre Verantwortung erfüllen mag, unberührt davon bleibt die Aufgabe des einzelnen gegenüber dem Eigentum, ob er nun arm ist oder reich, ob er Unternehmer ist oder Arbeitnehmer, ob er Angestellter ist oder Direktor, Kopfarbeiter oder Handarbeiter. Seine Aufgabe besteht darin, dass er sich, wie das Evangelium Christi will, als Verwalter des Eigentums, als Verwalter der irdischen Güter betrachtet, nicht als unumschränkten Herrn. Er soll sich bewusst bleiben, dass die irdischen Güter nur Mittel sind zu einem höheren Ziele, das Gott ihm gesteckt hat. Und dieses höhere Ziel – sprechen wir ganz offen – ist das Heil der Seele. Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber an seiner Seele Schaden leidet. Es darf also nicht darauf ankommen, dass einer möglichst viele, unbegrenzt viele Güter in seine Hand bringt oder verbraucht ohne Rücksicht darauf, wie das seiner Seele tut, ob er dadurch seelisch veräußerlicht, hartherzig, ideallos, verantwortungslos wird, ob er dadurch ein Schlemmer oder Müßiggänger wird, ob er dadurch hartherzig und lieblos, ungerecht und rücksichtslos gegen seine Mitgeschöpfe wird. Wenn er in solcher unbedenklicher Weise sich bereichern und ausleben will, dann wird ihm der irdische Besitz zum Mammon – wie wir heute im Evangelium gehört haben –, zum Mammon der Ungerechtigkeit. Dadurch wird er zum wirklichen Schädling, und da muss der Staat eingreifen. Gewiss hat der Einzelne die Pflicht und auch das Recht, für sich zu sorgen, das leibliche und geistige Interesse wahrzunehmen. Das Maß ist verschieden für jeden einzelnen. Es ist unvermeidlich, dass z.B. die Produktionsmittel nicht gleichmäßig an alle verteilt werden können; sie müssen unter der Verantwortung von verhältnismäßig wenigen begabten und führungsstarken Persönlichkeiten stehen. Es ist auch unabänderlich, dass der Verbrauch und der Genuss der Gebrauchsgüter verschieden sind. Gerade darum wird aber der Einzelne prüfen müssen, wie viel er bedarf oder mit wie wenig er auskommt. Ein wirklich gewissenhafter Mensch geht ja ohnehin nicht darauf aus, möglichst viel zu brauchen, sondern mit wenig auszukommen, um seiner selbst willen, damit er nicht innerlich unfrei wird, und um der anderen willen, damit auch für die anderen etwas übrig bleibt. Es gibt Leute, die sagen: Ich kann mir alles leisten. O ja, mein Vermögen, mein Einkommen gestattet es mir, gestattet mir die Erfüllung jedes Wunsches. Aber eben diesen Leuten sollten wir sagen: Sprich lieber: Ich will mir nicht alles leisten; ich will Einhalt gebieten; ich will überwinden und verzichten. Die Pflichten, die das Eigentum auferlegt, müssen zu der Gesinnung der Anspruchslosigkeit führen. Katholische Christen dürfen keine Schlemmer und keine Völler sein, katholische Christen müssen immer Aszese, Beherrschung und Überwindung an sich selbst ausüben. Es ist das Ziel, so einfach und bedürfnislos wie möglich zu leben, um den anderen das Leben zu erleichtern und schön zu machen.
Der Besitzende und nach Besitz Strebende sollte auch auf die Last des Besitzes achten; der Besitz kann eine Last sein. In einem Drama von Gerhart Hauptmann „Schluck und Jau“ heißt es: „Besitz ist Last. Trag du die Last, Kamerad!“ – er hat recht. Der Besitz muss ja ständig umsorgt werden, um ihn zu erhalten und zu pflegen, vor Schaden zu schützen und vor Verlust zu bewahren. Je größer der Besitz, desto schwerer die Last. Der große katholische Unternehmer August Thyssen in Essen hat einmal bekannt: „Ich habe Zeiten durchmachen müssen, in denen der einfachste meiner Werksangehörigen gewiss nicht hätte mit mir tauschen mögen, wenn er die Sorgen hätte übernehmen müssen, die den Werksbesitzer nicht tagelang, sondern monatelang und jahrelang drückten.“ Unser Herr hat seinen Jüngern ein Gleichnis vorgelegt: Ein Bauer hatte eine überreiche Ernte eingefahren. Er hatte nicht genügend Platz, um die Früchte unterzubringen. Da ließ er die Scheuer niederreißen und neue Scheuern errichten. „Dann“, sagte er, „will ich zu meiner Seele sagen: Du hast Vorräte für viele Jahre. Ruh dich aus, iss und trink und lass es dir wohl sein.“ Aber da sprach Gott zu ihm: „Du Tor, heute Nacht noch wird man deine Seele von dir fordern!“ Der Besitzende sollte immer mit der Möglichkeit des Verlustes rechnen: Naturkatastrophen können Häuser zerstören, Wälder vernichten, Feldern die Fruchtbarkeit nehmen, Diebe können einbrechen, Räuber können Gegenstände entwenden, die Geldentwertung, die Inflation entreißt den Menschen das Vermögen, vernichtet alle Ersparnisse. Millionen Deutsche haben durch Vertreibung ihren gesamten Besitz verloren. Der Besitz ist und bleibt immer gefährdet. Wie angebracht ist die Mahnung des Apostels Paulus: „Die Zeit ist kurz. Die kaufen, sollen so sein, als besäßen sie nicht. Die mit der Welt verkehren, als verkehrten sie nicht mit ihr. Denn die Gestalt dieser Welt vergeht.“
Wer Besitz hat, sollte auch an die Sozialpflichtigkeit des Besitzes denken; er sollte teilen. Die Mildtätigkeit, die Wohltätigkeit ist eine strenge Pflicht. Wir sollen nicht nur geben, wir müssen geben, wenn wir Kinder unseres himmlischen Vaters bleiben wollen, der die Sonne aufgehen lässt über Gute und Böse und der Regen fallen lässt über Gerechte und Ungerechte. „Macht euch Freunde mit dem ungerechten Mammon, damit, wenn es mit euch zu Ende geht, sie euch in die ewigen Wohnungen aufnehmen.“ Und der Lieblingsjünger Johannes, der ja besonders in die Gedanken des Herrn eingedrungen ist, schreibt: „Wer die Güter der Welt hat, und seinen Bruder Not leiden sieht, aber sein Herz vor ihm verschließt – wie kann die Liebe zu Gott in ihm bleiben?“ Der Besitzende soll seinen Besitz benutzen, um Gutes zu tun. Nichts hat man so sicher, meine lieben Freunde, wie das, was man weggibt. Die Not, das Ungenügen, der Hunger schreit aus allen Erdteilen zu uns. Von dem indischen Weisen Mahatma Gandhi stammt das schöne Wort: „Dem Hungernden muss Gott in der Form von Brot erscheinen.“ Wir sind es unserem Gott schuldig zu teilen. Den gläubigen Menschen war es alle Zeit, in zwei Jahrtausenden, ein Anliegen, Not zu lindern, Hilfe zu bringen, zu schenken, zu geben, zu teilen. Wahre, dauernde, ausgiebige und selbstvergessene Mildtätigkeit ist eine Tochter des christlichen Glaubens. Strohfeuer der Nächstenliebe, vorübergehende Anwandlungen der Hilfsbereitschaft brennen auf allen Herden. Als ewige Lampe aber brennt die Liebestätigkeit nur im Heiligtum des Glaubens.
Amen.