Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
10. Mai 2015

Im Namen Jesu bitten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit einiger Zeit hat sich bei uns ein Satz eingeprägt, eingebürgert, der unsere Haltung weitgehend bestimmt: Das steht mir zu. Das ist mein Recht. Diese Worte sind für viele zu geistigen Scheuklappen geworden, die den Blick vor etwas ganz Wesentlichem unserer menschlichen und erst recht unserer christlichen Existenz verbergen, nämlich dass wir Abhängige sind, abhängig von Gott in allem. Je geregelter, je pannenfreier und äußerlich gesicherter unser Leben scheinbar ist, je mehr die Menschheit vom Krankenkassendenken und vom Versicherungsfieber ergriffen wird, desto weniger gedenken die Menschen des eigentlichen Gebers aller Gaben, und sind geneigt, gelegentliche Unglücksfälle oder Katastrophen organisatorischen Fehlern, technischen Mängeln oder ähnlichen Unzulänglichkeiten zuzuschreiben, die man nächstens beseitigen wird; der Fortschritt ist unaufhaltsam. In dieser falschen Sicherheit werden wir immer wieder erschüttert durch unvorhergesehene Ereignisse in Natur und Technik: Ein Pilot der Lufthansa steuert eine ihm anvertraute Passagiermaschine gegen eine Felswand – absichtlich. Schiffe mit Flüchtlingen werden von den Fluten des Meeres verschlungen – Hunderte sterben im Wasser. Ein gewaltiges Erdbeben reißt Tausende von Menschen in den Tod. Die Kirche ist so unmodern, dass sie drei Tage vor Himmelfahrt daran erinnert, dass wir kein Recht haben, auf etwas zu pochen vor Gott, sondern dass wir Bettler vor ihm sind und dass wir die Haltung des Bittenden einnehmen müssen. Die Bittprozessionen werden von manchen als peinlich empfunden; viele gehen überhaupt nicht mehr mit. Und auf dem Lande ist es eben häufig nur noch eine Tradition. Wer aber nicht recht zu bitten vermag, meine lieben Freunde, dem geht ein wesentlicher Zug der christlichen Existenz ab. Als der Herr uns lehrte, das „Vater unser“ zu beten, hat er uns sieben Bitten ans Herz gelegt. Es gehört zum Wesen des Menschen, die Seele bittend zum Vater zu erheben. Natürlich haben auch die Menschen früherer Zeiten, vor Christus und außer Christus und ohne Christus, zu Gott gefleht, aber sie haben nicht so gefleht wie die Christen. Nämlich: „Alles, was ihr den Vater in meinem Namen bitten werdet, wird er euch gewähren.“ Der Herr insistiert mehrfach im Johannesevangelium darauf: „Alles, was ihr in meinem Namen bittet, will ich tun, damit der Vater im Sohn verherrlicht wird. Um was immer ihr meinen Vater in meinem Namen bitten werdet, werde ich tun.“

Was heißt das: im Namen Jesu bitten? Es bedeutet, erstens, sich in Verbindung mit Jesus an den Vater im Himmel wenden. Wir leben ja in Jesus, wir sind ja auf ihn getauft, wir sind ja in seiner Sphäre, in der Gnadensphäre, wir leben in seinem Geiste. Im Namen Jesu bitten heißt also: in Verbindung mit ihm zum Vater gehen – in Verbindung mit ihm. Um seines Sohnes willen erhört der Vater im Himmel unsere Bitten. Jesus bittet mit uns. Achten Sie bitte darauf, dass die Gebete, die uns die Kirche lehrt, regelmäßig schließen mit dem Worte: durch Jesus Christus. Also wir beten in Verbindung durch die Vereinigung mit Jesus Christus. Unsere Gebete gelangen zum Vater durch Jesus Christus; er ist Mittler. Das heißt: im Namen Jesu beten: in Verbindung mit Jesus beten. Es bedeutet aber auch, zweitens, in der Gesinnung Jesu beten. Der Apostel Paulus fordert uns ja auf: „Seid so gesinnt wie Jesus Christus.“ Wie war er denn gesinnt? Nun, das hat er ausgesprochen am Jakobsbrunnen: „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat.“ Er lebt nicht für sich, er lebt für seinen Vater. „Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat“, und diese Maxime hat er bis zum Letzten in seinem Leben gelebt. Als er wimmernd und jammernd, klagend und angsterfüllt im Ölberge den Vater anflehte, da hat er gesagt: „Vater, wenn es möglich ist, dann lasse diesen Kelch an mir vorübergehen; aber nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Niemand bittet im Namen Jesu, der nicht in Ergebung gegen Gottes Willen betet. Es hat einmal ein junger Mann sterben sollen, aber er wollte nicht sterben. Da besuchte ihn ein Priester, und er sagte zu ihm: „Wir wollen beten.“ „Ja“, sagte der Schwerkranke, „wir wollen beten.“ „Ich werde vorbeten, und Sie beten nach.“ „Jawohl, so machen wir es.“ „Vater unser im Himmel – Vater unser im Himmel.“ „Gebenedeit sei dein Name – gebenedeit sei dein Name!“ „Dein Reich komme – Dein Reich komme!“ „Mein Wille geschehe!“ Da stutze der Kranke. „Nein“, sagte er, „so darf es nicht heißen. Es muss heißen: Dein Wille geschehe!“ Im Sinne Jesu bittet nur, wer Gott nichts abzwingen, sondern alles seiner Weisheit überlassen will. Im Sinne Jesu bittet nur, wer im Gehorsam gegen seinen Willen betet: Nicht wie ich will, sondern wie du willst. Der Aussätzige, der zu Jesus kam, sagte nicht: Reinige mich von meinem Aussatz, sondern er sagte: „Wenn du willst, kannst du mich reinigen.“ Im Namen Jesu beten heißt: im Sinne Jesu beten. Wer betet im Sinne Jesu? Wer gläubigen Herzens betet. Wer nicht glaubt, der soll das Gebet am besten unterlassen. Wer nicht die Existenz Gottes annimmt, der braucht sich nicht an Gott zu wenden. Gläubig müssen wir sein und vertrauensvoll. Das Vertrauen richtet sich auf die Macht und die Güte Gottes. Weil Gott mächtig und barmherzig ist, deswegen dürfen wir uns an ihn wenden. Er kann und er wird geben, wenn es nach seiner Anordnung geschehen soll. Im Sinne Jesu betet, wer beharrlich betet, also mit Ausdauer. Wir dürfen Gott nicht vorschreiben, in welcher Zeitspanne er uns erhören muss. Wie lange wir beten müssen, das bestimmt Gott. Im Namen Jesu betet, wer in Demut bittet. Nicht wer fordert, wird erhört, sondern wer im Bewusstsein seiner Niedrigkeit und Abhängigkeit fleht. „Das Gebet des Demütigen dringt durch die Wolken“, heißt es im Buche Sirach. Im Sinne Jesu betet, wer sich gleichzeitig mit dem Gebet in guten Werken übt, also wer sein Gebet durch gute Werke stützt. Vor Gott zählt nicht das Reden, sondern das Tun.

Drittens: Vergessen wir nicht, meine lieben Freunde, dass die Brotbitte im „Vater unser“ an vierter Stelle steht. Vorher gehen die Bitten um Gottes Herrschaft und Macht und Gottes Willen, und ihm folgen die letzten Bitten um unser Heil, um das Heil unseres Herzens. In dem Gebet um das tägliche Brot sind selbstverständlich alle irdischen Dinge, um die wir bitten dürfen und können, eingeschlossen. Aber achten wir darauf, dass wir in der Gefahr, in der Versuchung sind, nur um Irdisches zu beten. Wenn Sie sich einmal die Gebetserhörungstafeln in Marienthal oder in Bornhofen ansehen, da wird fast ausnahmslos um Irdisches gebetet: um Genesung von Krankheit, es wird bedankt, dass Gott es gefügt hat. Natürlich ist es nicht falsch, um Gesundheit zu beten. Da tummelt sich auf manchen Malereien ein glücklich vermehrter Viehbestand. Nun ja, dass es im bäuerlichen Interesse liegt, dass das Vieh gesund bleibt, ist ja selbstverständlich, aber die Ausschließlichkeit, mit der irdische Dinge vorgetragen werden, die Ausschließlichkeit ist nicht in Ordnung. Ich sage noch einmal: Was man erlaubter Weise wünschen kann, um das darf man auch bitten, aber wenn man um Zeitliches bittet, dann muss es mit Furcht geschehen. Dann muss man es Gott überlassen, dass er gibt, wenn es gut ist für uns, und dass er versagt, was nicht gut ist für uns. Was nützt und was schadet, das weiß der Arzt und nicht der Kranke. Im Sinne Jesu beten wir, wenn wir unsere Bitten um irdische Dinge in Verbindung mit himmlischen Gütern und dem letzten Ziel vorbringen; das Irdische in den Dienst des Himmlischen stellen. Im Sinne Jesu bittet, wer erbittet, was des Reiches Gottes würdig ist. Verknüpfen wir also, meine lieben Freunde, unsere Bitten um Irdisches mit unserer Berufung als Gotteskinder. Wenn wir um Gesundheit bitten – das dürfen wir ja –, dann versprechen wir dem Herrn: Mein Gott, wenn du mich gesund machst, will ich für dich arbeiten, will mich nicht schonen. Das müssen wir aber im Falle der Erhörung auch erfüllen. Wenn wir um Bewahrung vor Hunger bitten, dann nehmen wir uns vor, mit den Gaben Gottes sorgfältig und ehrfürchtig umzugehen. Millionen Tonnen Lebensmittel landen heute auf dem Abfall. Dürfen wir noch, angesichts eines solchen Zustandes, um das tägliche Brot bitten? Und beten wir um Himmlisches: Wenn du mich nur, Herr, nicht ewig verstoßest. Das muss eine unserer ersten Bitten sein: Wenn du mich nur nicht auf ewig verstoßest. Wenn du mir nur deinen Himmel schenkst. Beten wir für unsere heilige Kirche, für unseren Heiligen Vater, die Bischöfe, die Priester, das ganze heilige Volk Gottes. Es ist ein schrecklicher Gedanke, dass manche Menschen vielleicht verloren gehen, weil wir nicht für sie gebetet haben. Beten wir für die Sünder, für die Abständigen, die Abgefallenen. Beten wir für die Verstorbenen. Worum soll also unser Gebet zu Gott emporsteigen? Vor allem um den Heiligen Geist. Der Herr hat es ja einmal deutlich ausgesprochen: „Wenn einen von euch, der Vater ist, der Sohn um ein Brot bittet, wird er ihm dann einen Stein geben? Oder wenn er ihn um einen Fisch bittet, wird er ihm da eine Schlange geben? Oder wenn er um ein Ei bittet, wird er ihm da einen Skorpion reichen? Wenn nun ihr, die ihr böse seid, euren Kindern gute Gaben zu geben versteht, um wie viel mehr wird der Vater vom Himmel den guten Geist jenen geben, die ihn erbitten.“ Vor Ostern haben wir oft die Mahnung des Apostels Paulus gehört: „Brüder, wenn ihr mit Christus auferstanden seid, so suchet, was droben ist, wo Christus zur Rechten Gottes sitzt“ – was droben ist: damit ist das Himmlische, das Göttliche gemeint. Damit verweist der Apostel auf die von Gott gesetzten Ziele unseres Strebens. Also dass wir Tugenden, Fertigkeiten im Guten erwerben, dass wir schlechte Neigungen ablegen, dass wir ausharren im Gebet, dass wir eifrig sind in guten Werken, dass wir im guten Wandel bleiben bis zum Ende.

Nicht im Sinne Jesu bittet, wer nicht würdig ist, Gottes Gabe zu empfangen. Unwürdig ist, Gottes Gaben zu empfangen, wer sich rühmt, aus eigener Kraft vollbracht zu haben, was doch von Gott kommt. Nicht im Sinne Jesu bittet, wer das Danken für empfangene frühere Gaben unterlässt. Wie darf einer um Zukünftiges bitten, der für das Frühere keinen Dank abstattet? Nicht im Sinne Jesu bittet, wer Gott um Sachen bittet, die keinen Wert haben. Es ist zu fürchten, dass man damit den Unwillen Gottes herausfordert. Nicht im Sinne Jesu bittet, wer nicht seinerseits das Notwendige beiträgt. Was der Mensch durch eigene Anstrengungen erreichen kann, das sollte er nicht von Gott erbitten. Wir Priester haben in diesen Tagen eine Predigt des heiligen Augustinus in unserem Gebetbuch gelesen. Da erklärt der heilige Augustinus, was er darunter versteht, im Namen Jesu zu bitten, er sagt: „Im Namen Jesu bitten heißt: secundum rationem salutis bitten“, nach der Ordnung, nach der von Gott gesetzten Ordnung des Heiles bitten – secundum rationem salutis. Und nicht im Sinne Jesu bittet, wer „contra rationem salutis bittet“, wer gegen die Ordnung des Heiles bittet. Wir müssen uns also einstimmen, einstellen, einfügen in die Ordnung des Heiles, dann gehen unsere Bitten gewiss zum himmlischen Thron. Die Kirche hat die kommenden drei Tage als Bitttage eingesetzt, und zwar nicht ohne Grund vor dem Fest der Himmelfahrt Jesu. Alle unsere Anliegen, die irdischen und die himmlischen, soll der Herr vor seinen Vater tragen. Im vollen Bewusstsein eins mit ihm legen wir alles vertrauensvoll in seine Hände. Und ich bin gewiss: Der Herr wird seine Verheißungen erfüllen. „Bittet, so wird euch gegeben werden; suchet, und ihr werdet finden; klopfet an, und es wird euch aufgetan.“

Amen.

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